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Prix1989
Prix 1987 - 2007

 
 
Veranstalter:
ORF Oberösterreich
 


GOLDENE NICA
Io / Stilleben
Kaija Saariaho


Bei der Komposition "Io" von Kaija Saariaho für Kammerorchester, computergeneriertes Band und Live-Electronics liegt das Hauptmerkmal auf der Beziehung von Timbre und Harmonie. Die Komposition "Stilleben" ist ein Tonbandstück für Chor, Ensemble und Computer-Transformationen.

In "Io" für 16 Instrumente, Band und Elektronik liegt das Hauptaugenmerk auf der Beziehung zwischen Timbre und Harmonie: Die Instrumentation, die Beziehung zwischen Band und Instrument ebenso wie die Elektronik werden ausgewählt und verwendet, um musikalische Ereignisse zu produzieren, die sich von verschmolzenen Strukturen bis zur Konturierung einzelner Instrumente bewegen oder beide Ansätze einander überlagern. Einige reiche nichtharmonische Klänge auf dem Kontrabaß und der Baßflöte liefern ein Grundmodell sowohl für die Akkordstruktur wie auch für den synthetischen Tonbandpart, auf dem dieselben Strukturen als eher verschmolzene unterschiedliche Timbres erfaßt werden. Mit der Veränderung der Zeit verändert sich auch die harmonische Struktur. Die harmonische Energie des Stückes beruht auf der Behandlung des Timbres als einem System, das aus der Kategorisierung der Instrumente und der von ihnen erzeugten Klänge geformt wird. Sie werden in verschiedene Gruppen eingeteilt, je nachdem, wo sie sich entlang einer Achse befinden, deren Endpunkte entweder reine Töne oder reine Geräusche sind. In diesem Ansatz lassen sich klare und reine Klänge mit Konsonanten, Geräusche hingegen mit Dissonanten vergleichen.

Ich entwickle hier auch meine Ideen zu melodischen und rhythmischen Interpolationen zu einem komplexeren Ausdruck: Diese linearen Prozesse werden nicht mehr - wie in früheren Werken notwendigerweise nacheinander abgewickelt, sondern laufen auch parallel. Die simultanen Lagen werden aufgebaut, wie man transparente Folien übereinander legt, bis sie zuletzt eine neue kohärente Figur ergeben.

Technischer Hintergrund

Zu den Hauptwerkzeugen für die technische Realisierung, die hauptsächlich bei IRCAM stattfand: G. Assayags Implementation des Terhardtschen Algorithmus zur Bestimmung der perzeptuellen Gewichtung wurde zur Analyse komplexer Klänge und somit zur Erzeugung des harmonischen Ausgangsmaterials eingesetzt. Mein Programm zur Interpolation der Muster im FORMES-Environment produzierte rhythmische und melodische Interpolationen sowohl für den instrumentalen wie für den Bandteil. Der Tonbandteil wurde mit der von Y. Potard, P. F. Baisnee und J. B. Barrière entwickelten "Models ofResonance"-Synthese- und -Bearbeitungstechnik entwickelt und entstand im CHANT/FORMES-Environment auf einer VAX 780 mit einem FP6-100-Array-Prozessor. Zur räumlichen Gestaltung des Bandes habe ich Programme desGRM-Digitalstudios verwendet. Die Live-Elektronik wird mit einemYamaha-DMP7-Digitalmischpult gesteuert.

Das Werk "Io" entstand als Auftragswerk zum 10. Jubiläum von IRCAM und wurde im April 1987 in Paris vom Ensemble lnterContemporain unter Peter Eötväs uraufgeführt.

Stilleben
Ein Stilleben mit einer bewegten Landschaft durch das Fenster (1987-88)

"Stilleben" ist ein Stück für Band solo, entstanden im Auftrag des Finnischen Rundfunks für den Prix Italia, und verwendet sehr verschiedene Klangquellen: Instrumentalensemble, gemischten Chor, Sopran, Flöte und schließlich verschiedene Geräusche mit gemeinsamen Kennzeichen (Kommunikation, Transport, Reise).

Abgesehen von der Vereinigung dieses vielfältigen Materials zu einer musikalischen Einheit interessierte mich hier der Gedanke der Kommunikation in zwei grundsätzlich verschiedenen Situationen. Wie kommuniziert ein Dirigent mit dem Orchester bei der Probe zum einen: mit einigen wenigen banalen Worten, aber besonders mit seinen Gesten, er schafft eine musikalische Interpretation,und wie diese beiden Welten - die Probensituation und Musik in ihrer Abstraktheit - einander fremd sind. Zum anderen dachte ich an die Kommunikation zweier getrennter Liebender, wie sie kommunizieren können, wenn die wichtigste Sprache, die der Augen, nicht verwendbar ist.

Die Texte im Stück wurden mit Bezug auf diesen zweiten Aspekt ausgewählt: Sie sind Auszüge aus Franz Kafkas "Briefe an Milena" und werden in drei verschiedenen Sprachen eingesetzt: Französisch, Englisch und Finnisch. Diese Sprachen wurden wegen ihrer Unterschiedlichkeit und phonetischen Reichhaltigkeit ausgesucht. Im Kontrast zu diesen eher verzweifelt hoffnungslosen Texten habe ich einige poetische Fragmente von Paul Eluard eingebunden.

Musikalischerseits arbeite ich hier mit permanenten Transformationsprozessen, indenen die heterogenen Materialien miteinander verschmolzen werden, um eine Kontinuität zu schaffen, die eine der Reisen des Bewußtseins darstellt. Diese Reise führt durch verschiedene Landschaften, aber die Reflexion des (gedachten) Betrachters bleibt immer am selben Zugfenster stehen: Wenn gegen Abend das Licht langsam verlöscht, verlöscht auch die Landschaft, und das Fenster verwandelt sich in einen Spiegel, in dem der Reisendenur sein eigenes Gesicht sieht.

Technischer Hintergrund

Die Klangmaterialien wurden auf einer Mehrspur-Bandmaschine aufgezeichnet und durch verschiedene Prozesse bearbeitet: Computer-Filterung, Mischung und Pitch-Shifting mit einer Atari Composer Desktop Workstation, gesampelt mit einem AKAI S900, Digital Filtering und Hall auf Lexicon PCM-70 und Yamaha SPX 90. Die Synthese wurde auf Yamaha DX7 und TX816 durchgeführt. Die Partitur für Bearbeitung und Synthese wurden mit rhythmischen Interpolationen gesteuert, die im bei IRCAM entwickelten Esquisse Aid-to-Composition Environment fürMaclntosh gerechnet wurden.