GOLDENE NICA
Idea Futures
Robin Hanson
"Idea Futures" von Robin Hanson ist eine Ideenbörse im WWW, wo Wetten über wichtige Fragen der Wissenschaft und Technologie abgeschlossen werden.
"Idea Futures" (http://skyler.arc.ab.ca/~jamesm/IF/IF.shtml) begann als ein Funke im Auge von Robin Hanson, aber es brauchte noch Sean Morgan, Mark James und eine buntgemischte Gruppe von "Techies" (Wissenschafter, Techniker, Programmierer usw.) in Calgary, Kanada, um daraus die Wirklichkeit zu machen, die jetzt besteht.
Erster Akt
1984 gab Robin Hanson sein Studium der Physik und der Wissenschaftsphilosophie in Chicago auf, um sich einer Gemeinschaft idealistischer Techies anzuschließen, die eine spannende, wenn auch unkonventionelle Vision einer High-Tech-Zukunft, voll von Nanotechnologie, künstlicher Intelligenz usw. gemeinsam hatten.
Doch das Anziehendste für Robin war ihre Hoffnung, die Art und Weise, wie die akademische Welt und die Gesellschaft Ideen entfaltet, zu revolutionieren und zwar durch die Entwicklung eines Hypertext-Publikationsstandards, der es erlaubt, alle Kritiken zu allen archivierten Werken zu finden, und der einen auf dezentralisierten Lesebeurteilungen aufgebauten persönlichen Lesefilter unterstützt. (Das World Wide Web ist jetzt der Hauptstandard für Hypertextveröffentlichungen, aber es hat keine dieser Eigenschaften.)
1988 jedoch, gerade als dieses Projekt erste Financiers fand (z. B. Xanadu, Inc.), begann Robin immer mehr zu bezweifeln, daß diese Vision wirklich wohl überlegt war, und er begab sich auf die Suche nach Alternativen. Bald darauf entwickelte er das Konzept von "Idea Futures", im wesentlichen ein Wettbüro, wo Wetten über wichtige Fragen der Wissenschaft und Technologie abgeschlossen werden. Robin und seine Freunde wollten, daß diejenigen, die bereit wären, ihren Worten Taten folgen zu lassen, die Ansichten der Gruppe gegen die vorhersehbare Kritik von seiten akademischer Kreise und anderer ahnungsloser Experten unterstützen würden.
Es wurde Robin bald klar, daß die Finanzmittel aus solchen Wettmärkten die Forschung veranlassen könnten, sich eher mit der Beantwortung von wissenschaftlichen Fragen zu befassen, auch wenn solche Märkte sonst eher ausgehungert würden. Solche "Informationspreise" könnten bewirken, daß Forschende ihren Geldgebern gegenüber mehr Verantwortung tragen würden.
In den nachfolgenden vier Jahren verbrachte Robin einen Großteil seiner Freizeit damit, diese Idee zu erforschen, Artikel darüber zu verfassen und viele Referate darüber zu halten. (Gleichzeitig arbeitete er tagsüber in der Forschung über künstliche Intelligenz weiter.) Robin hatte jedoch weder die Verbindungen noch das Geld, um die Glücksspielgesetze zu umgehen, die seinen Traum nach wie vor verbieten. Stattdessen entwickelte er ein verwandtes Brettspiel, das er nicht vertreiben konnte, und bastelte an einem Idea-Feature-Spiel auf E-mail-Basis, wobei er vielzu viel Zeit damit verbrachte, aufwendige interne Eigenschaften zu entwickeln, die Interfaces zu vernachlässigen und das Ganze in Gang zu bringen.
Um 1992 herum wurde Robin des Themas überdrüssig, und er wandte sich der Erfindung von alternativen Möglichkeiten der Gesprächsführungen, des Ankaufs von Leistungen der Gesundheitsfürsorge und des Gesetzesvollzuges zu. Doch 0hne Referenzen oder Kontakte und mit zwei Kindern, die seine Freizeit beanspruchten, gab Robin die Hoffnung schließlich auf, daß irgendjemand in einer Machtposition ihm zuhören würde. 1993 kehrte Robin also mit dem Ziel, ein anerkannter Experte für Institutionsdesign zu werden, auf die Universität zurück, diesmal um Sozialwissenschaften an der Caltech weiterzustudieren.
Zweiter Akt
1994 stellte David McFadzean einen Artikel von Robin aus dem Jahr 1992 der BioSimulations- (kurz: BS)Gruppe vor, einer Diskussionsgruppe, die sich in der Grad-Club-Bar der University of Calgary traf. Diese Gruppe besteht aus David McFadzen, Mark James, Mark Hammel, Ken Kittlitz (alle ehemalige Studenten der Informatik), Duane Hewitt (Student der Genetik) und Sean Morgan (Produktionstechniker mit Studiumabschluß für die technische Physik). Die Gruppe wurde ursprünglich gegründet, um Themen wie genetische Algorithmen, komplexe Systeme, künstliches Leben und Nervennetzwerke zu diskutieren, später beschäftigte sie sich auch mit Nanotechnologie, Quantenkalkulation, Singularität und Memetik.Die Biosimulationgruppe hatte viel mit Robins Gemeinschaft idealistischer Techies gemein (obwohl Robin die meisten anderen von ihnen noch nicht persönlich kennengelernt hatte). David, Ken und Robin waren schon lange Abonnenten des Journals "Extropy" und Mitglieder der E-mail-Liste "Extropians@extropy.org", wo auch Sean sich passiv beteiligte. Und Sean hatte bereits geholfen, Nanotech-Webseiten (http://www.arc.ab.ca/morgan/Nano.shtmtl) zu entwickeln.
David zeigte der Gruppe Robins Artikel und schlug vor, eine Papierversion zu spielen. Doch die Gruppe tendierte bald zu einem auf dem WWW umgesetzten Spiel und beschloß, diese Idee zu verwirklichen. Am 1. Juli teilte Sean einem hocherfreuten Robin per E-mail mit, daß sie angefangen hatten, einen WWW-Server für ein "Idea Futures"-Spielgeldspiel zu entwerfen. Ihre zwei Hauptbeweggründe dafür waren ihre Faszination für "Idea Futures" und ihre Begeisterung in bezug auf das Web. Der Artikel über "Idea Futures" beeindruckte sie, weil es ihm gelang, den ganzen Lärm um Debatten über wissenschaftliche und technologische Belange beiseite zu lassen und einen ehrlichen Konsens über deren Wahrscheinlichkeit zu erreichen. Gleichzeitig konnte die Gruppe ihre Fähigkeit, Trends vorauszusagen, testen. Durch die Umsetzung im Web würden sie mehr über diese neuen und spannenden Internetprotokolle erfahren. Ein Webserver erschien ihnen attraktiver als ein E-mail-Interface, weil dadurch eine größere Interaktivität erreicht werden könnte. Und da er gerade eben seine allerersten Erfahrungen mit dem Web gemacht hatte, unterschätzte Sean, milde gesagt, bei weitem, wieviel Arbeit dafür benötigt würde. Die Ausarbeitung übernahmen Sean Morgan und Mark James beim Alberta Research Council (ARC), ihrem Arbeitgeber. Robin unterstützte sie mit aller Hilfe, die er ihnen aus der Ferne bieten konnte; am 9. August schickte er ihnen seine bisherige E-mail-Spielgestaltung und den aktuellen LISP-Code, und er trug seine Meinungen zu den verschiedenen bei der Ausarbeitung auftauchenden Fragen per E-mail bei.
Die Rollen von Sean und Mark könnten als "Schmied" und "Feinschleifer", die Rolle von Robin als "Erfinder" umschrieben werden und alle drei Rollen waren wesentlich. Sean interessierte sich meist für zusätzliche Systemeigenschaften, und Mark beschäftigte sich mit Fragen der Leistungen des Systems, wie z. B. Zugangssicherheit, Backuperhaltung, Effizienz undZuverlässigkeit.
Sean entwickelte das Systemdesign und das Userinterface und schrieb einen funktionstüchtigen, wenn auch schwerfälligen Code; Mark verbesserte die Effizienz und ging den subtileren Mucken nach. Vor jeder größeren neuen Aufgabe half Mark Sean dabei, Beispiele in einer Online-Bibliothek zu finden und zu verstehen. Dann hämmerte Sean das Ganze in die richtige Form, verknüpfte es mit bestehenden Programmen und Datensätzen und gestaltete ein Userinterface. Schließlich ließ Sean Mark solange nicht in Ruhe, bis er die Probleme, die durch Seans Änderungen bedingt waren, wieder in Ordnung brachte.
Eine vierte wesentliche Rolle spielten die vielen "Idea Futures"-Mailing-Listen, die von David McFadzean erzeugt und gewartet wurden. In diesen Listen konnten die Mitglieder an der Formulierung der Ansprüche feilen, diese während des Spiels weiterentwickeln und sich an hochqualitativen Diskussionen verwandter Themen beteiligen. Diese E-mail-Listen dienten außerdem als Forum für die Diskussion über Verbesserungen des Spiels. Sean und Mark machten überraschend schnell Fortschritte. "Idea Futures" war keineswegs ein offizielles Projekt des ARC. Und bevor sie Fortschritte machen konnten, mußten Sean und Mark noch viel lernen: Perl (das Entwicklungs-Environment), http-daemon-Konfiguration, höheres html und forms-inputs, und wie "Idea Futures" eigentlich funktionieren sollte. Doch bis 15. August hatten Sean und Mark eine Alpha-Testversion des Spieles fertig. Und am 23. September wurde auf der Extropians-E-mail-Liste eine Beta-Testversion angekündigt. Innerhalb von einem Monat gab es bereits 30 User, und seitdem hat sich die Anzahl der User ungefähr einmal im Monat verdoppelt (bis jetzt jedenfalls, mit mehr als 600 Mitgliedern am 11. April 1995). Mitspieler konnten ihre eigenen Wetten bis 6. Oktober einreichen, und das automatische Posting der Gewinnchancen in die Newsgroups begann am 25. November.
Am 20. Jänner 1995 verließ Sean ARC und ging zu SAP-AG, und Mark übernahm die Verwaltung des Systems.
Dritter Akt
Seit neuestem interessiert sich ARC für das System als Instrument zum Abtasten neuer Technologien. Wie ein Abteilungsleiter sagte: "Es ist eine billige Methode, die Meinung von 600 Menschen zu erfahren." Deswegen wird die Entwicklungszeit für Systemverbesserungen demnächst offiziell eingeplant. Beim "Idea Futures"-Spiel müssen noch viele Probleme gelöst werden. Erste Priorität ist es, eine Lösung für die Bewältigung des ständigen, schnellen Wachstums zu finden. Die Arbeit an der Umgestaltung des Servers hat schon begonnen, damit mehr User über einen einzelnen Server Zugang finden und der Markt auf viele Maschinen verteilt werden kann.
Und wenn wir in die Zukunft blicken, so hoffen alle, daß dieses Spieljemanden dazu inspirieren wird, "Idea Futures" mit (echtem) Geld zu probieren.
|