GOLDENE NICA
IO_DENCIES questioning urbanity
Knowbotic Research
Das Tokioter IO_dencies-Projekt von Knowbotic Research kombiniert physische, städtische Dynamik des Stadtteils Shimbashi mit dem Flux virtueller Netzwerke.
IO_dencies erforscht die Möglichkeiten der Intervention und des Handelns in urbanen Prozessen innerhalb verteilter und translokaler Umgebungen. Das Projekt führt einen topologischen Schnitt durch die heterogene Zusammensetzung physischer Räume, Datenumgebungen, urbaner Vorstellungen, konnektiver Handlungspotentiale und individueller Erfahrungen und bildet ein komplexes Modell zur Erforschung von Netzwerktopologien. IO_dencies untersucht das Urbane, liest die in spezifischen Situationen vorhandenen Kräfte und bietet experimentelle kooperative Schnittstellen zur Veränderung dieser Kräftefelder an. Ziel ist es keineswegs, neue Werkzeuge für architektonische oder städteplanerische Aufgaben zu entwickeln, sondern Ereignisse zu schaffen, die dazu anregen, Stadtplanung und -konstruktion neu zu überdenken. IO_dencies hinterfragt kritisch das Potential, das digitale Technologien hinsichtlich vernetzter kollaborativer Modelle von Planungspozessen und öffentlichen Handlungsmöglichkeiten anbieten. Die Herausforderung besteht darin, nicht nur die neuen Topologien von Präsenz und Intervention zu verstehen, sondern auch die Probleme der Öffentlichkeit und damit von Eingriffsmöglichkeiten in translokalen Environments in Angriff zu nehmen. Das Konzept eines konnektiven Handelns und der damit verbundenen verteilten und vernetzten Subjektivitäten verweist auf einen neuen Typ von Öffentlichkeit, der sich mit Hilfe elektronischer Netze herausbilden könnte. Diese Öffentlichkeit wird aber nur dann entstehen, wenn komplexe Formen der Interaktion, der Partizipation und die zugehörigen Schnittstellen erfunden werden, die uns zu neuen Formen des Präsent-Werdens verhelfen, des Sichtbar- und Aktiv-Werdens, kurz: des Öffentlich-Werdens. Erweiterte Urbanität IO_dencies lokalisiert Urbanität in einem Feld, das gleichermaßen von den Bewohner einer Stadt wie der Stadt selbst als emanzipierten Partnern generiert wird. Nicht-hierarchische elektronische Netze liefern Experimentierfelder für einen anderen, einen kollaborativen/konnektiven Umgang mit den urbanen Kräften. Das utopische Ziel ist nicht die Schaffung einer neuen Stadt, sondern ein Hinbewegen und ein Zuarbeiten auf die Komplexität einer existierenden Großstadt zur Entwicklung anderer Formen urbanen Handelns. Das Tokioter IO_dencies-Projekt kombiniert physische, lokale städtische Dynamik des ausgewählten Stadtteils Shimbashi mit dem Flux virtueller Netzwerke (den Aktivitäten der Teilnehmer im Netz). Die Bewegung hin zu einer veränderbaren Stadt wird in diesem Projekt durch tendenzielle Verbindungen, Operationen und Eingriffe der teilnehmenden Akteure innerhalb bestimmter lokaler urbanen Kräfte und Flüsse untersucht. Urbanes Profil von Shimbashi Der Tokyoter Stadtteil Shimbashi wurde in Zusammenarbeit mit örtlichen Architekten (Sota Ichikawa u.a.) analysiert. Shimbashi ist eine der letzten großen, weithin unbebauten Flächen im Zentrum Tokios, die derzeit in ein archäologisches Grabungsgelände verwandelt ist (Ausgrabung der Überreste der Shidome-Station) und liegt unweit des Einkaufszentrums Ginza, verschiedener Stadtautobahnen und der Shinkansen-Schnellbahnlinie. Hier wurden unterschiedliche urbane Intensitätszonen ausgewählt und in das Projekt "eingelesen", d. h. Bereiche, in denen unterschiedliche urbane Ströme aufeinandertreffen, sich vereinigen, kollabieren, aufbrechen, sich erweitern, diffundieren usw. und wo Energien aus verschiedenen Strömen ausgetauscht werden: die Shopping-Mall von Ginza, das Imperial Hotel, der Fischmarkt, ein Autobahnkreuz, der Hamarikyu-Garten und eine Zone mit Obdachlosen, der Shimbashi-Bahnhof, der Hinode Passagierterminal, das JR-Appartment-House und das World Trade Center. Konnektive Intervention In diesen Zonen wurden verschiedene Qualitäten urbaner Bewegung unterschieden (Informations- und Verkehrsströme, ökonomische und architektonische Dispositionen). Diese Bewegungen und ihre gegenseitige Interferenz werden durch dynamische Partikelflüsse dargestellt, die als urbanes Profil im Internet geladen, beobachtet und durch ein Interface manipuliert werden können. (Jeder der Mitwirkenden arbeitet nur an einem der zehn verschiedenen Profile in diesem Gebiet.) Ein Java-Applet erlaubt es den Benutzern, eine Serie von speziell konstruierten Bewegungs-Attraktoren in die Partikelströme einzusetzen, die jeweils eine andere Funktion in der Manipulation oder Veränderung dieser dargestellten urbanen Bewegungen haben (Verschiebung, Vermischung, Abweisung, Abschwächung, Löschung, Verschmelzung, Bestätigung, An/Ablehnung usw.). Die Mitwirkenden können kollaborativ eine hypothetische urbane Dynamik entwickeln. Sobald einer der Mitwirkenden an einem der urbanen Profile zu arbeiten beginnt und mit Hilfe der Attraktoren Veränderungen am Partikelstrom vornimmt, wird im Hintergrund eine Suche im IP-Raum nach anderen Mitwirkenden mit ähnlichen Interessen gestartet und zu ihnen Verbindungen hergestellt. Alle werden füreinander präsent, die IP-Adresse und die aktivierten Attraktoren aller anderen angeschlossenen Teilnehmer erscheinen im Applet. Dabei kann es auch "abwesende" Benutzer geben, Benutzer die bereits zeitlich vorher im Projekt aktiv waren, an deren Aktivitäten sich das System erinnert und diese auch einige Zeit später wieder aktiviert. Wenn ein oder mehrere andere Mitwirkende gefunden werden, so kann der Fluß der Datenbewegungen tendenziell zwischen den verbundenen Teilnehmern verändert werden, jener kann kollaborativ verstärkt, abgeschwächt, dichter, unruhiger usw. gemacht werden. Diese Ströme urbaner Bewegung können sich dynamisch zwischen Gruppen von Mitwirkenden verschieben, und weitere Ereignisfolgen auslösen. Die Ströme der manipulierten Bewegungen werden im Eingriffsfeld eines jeden Benutzers visualisiert, wobei aber jeder Mitwirkende an einem anderen urbanen Profil arbeiten und in singulären Situationen präsent werden kann. Von Verhaltens- zu Handlungsmodellen Die verändernden Aktivitäten jedes Mitwirkenden werden vom System gespeichert, verlieren aber über einen Zeitraum hinweg ihre Wirkung. Die Aufzeichnungen verschiedener Aktionen von Mitwirkenden haben ähnliche Wirkung wie die von live im Projekt anwesenden Teilnehmern. Das IO_dencies-Environment entfaltet sich im Internet als dynamische Cluster und Fragmente von Aktivitäten. Jeder einzelne Teilnehmer sieht nur jenen Abschnitt des virtuellen Flusses, an dem er selbst beteiligt ist. Die Erfahrung der Expansion der Geschehnisse hängt ausschließlich von der Aktivität und dem Engagement der einzelnen Teilnehmer ab. Die so entstehenden urbanen Phänomene passen sich ständig der Formulierung und den Besonderheiten des öffentlichen Interesses an. Die Software-Module erlauben eine Variation und Abänderung der Datencluster durch konnektive, tendenzielle Handlungsstränge, in Bezug jedoch zu spezifischen lokalen Gegebenheiten. KR+cF sieht das Projekt als einen Ansatz zu einem diskursiven Objekt, in dem ästhetische handlungs-orientierte Interessen urbane Räume besetzen und sich aneignen. IO_dencies nähert sich experimentell der Verbindung zwischen der Stadt und den elektronischen Netzwerken. Es manifestiert sich in maschinischen Situationen, die sich mit der Stadt ebenso wie mit den Netzwerken verbinden aber auch wieder loslösen können und versucht, querlaufende Aktivitäten zwischen lokalen und globalen Formen der Intervention zu initiieren. Die Datennetze ermöglichen die Entwicklung von konnektiven Handlungen, an denen weder die Stadt noch die Netzwerke noch die Maschinenkonfiguration der einzige bestimmende Faktor für die Entwicklung der Geschehnisse ist, sondern jeder Faktor trägt bei und stört gleichzeitig die Impulse der anderen.
Co-produced with Canon ARTLAB special support from Academy of Media Arts Cologne and Ministry for Research and Higher Education NRW realization together with Detlev Schwabe
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