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Prix Ars Electronica
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Prix-Jury

 
 
Veranstalter
ORF Oberösterreich

Keine Zugeständnisse

Rick Sayre


Vor drei Jahren wurde die Kategorie "Computeranimation" des Prix Ars Electronica in zwei unabhängige Kategorien aufgeteilt: in "Computeranimation" und "Visual Effects". Da die Trennlinie zwischen den beiden Kategorien aber nach wie vor unscharf blieben, wurden die beiden Kategorien in diesem Jahr wieder vereint, wobei die Jury diese Doppelkategorie etwas ansah, was noch kein eigenes Etikett hat. "Computerfilm" und "digitaler Film" sind zwar griffig, berufen sich aber auf ein sterbendes Medium. "Computergestützte zeitlich lineare visuelle Medien" wäre zwar semantisch korrekt, dafür aber ziemlich unschön, deshalb verwenden wir einstweilen weiterhin den Doppelbegriff "Computeranimation / Visual Effects".

Wenn sich auch die Grenzen zwischen den Disziplinen verwischen, die Notwendigkeit für separate Kontextgruppen zur Bewertung der zwei Werktypen bleibt bestehen. Zumindest gegenwärtig scheinen kurze Computeranimationen vorwiegend das Produkt kleiner Teams oder individueller Visionäre zu sein. Wir beurteilen sie typischerweise als Gesamtkunstwerke, und wenn sie sich auf traditionelle Formen der Narration stützen, brauchen sie eine dementsprechend gute Geschichte – der letztjährige Gewinner der Goldenen Nica, Jakub Pistecky, ist ein gutes Beispiel dafür. Im Gegensatz dazu werden die Visual Effects meistens als Dienstleistung großer Studios zugekauft. Das Werk, dem sie integriert sind, kann darüber hinaus auch Visual Effects von mehreren Produktionsfirmen enthalten, die miteinander nichts zu tun haben. Wenn also die "Story" des großen, teuren, abendfüllenden Films schlecht ist, wenn Sequenzen von anderen Beiträgern schwach sind, wenn der Film selbst ein absoluter Durchfall ist – darf man das als Argument gegen den Einreicher einer speziellen Visual-Effects-Sequenz vorbringen? Die Jury ist nicht dieser Meinung – bzw. sie findet, dass die Sache so einfach nicht ist. Visual Effects bleiben eine mächtige Kraft in der Medienkultur, und tatsächlich fand die Jury auch unter den kurzen Computeranimationen mehrere, die sich auf Visual-Effects-Sequenzen vergangener Jahre beziehen. Wenn das Werk innovativ ist, wenn es das Genre erheblich beeinflusst oder wenn es zumindest im Handwerklichen außerordentlich gut gemacht wurde, dann muss es um seines eigenen Wertes willen betrachtet werden, selbst wenn es in ein filmisches Desaster eingebettet ist. Aber vielleicht macht diese Situation auch nur deutlich, dass wir noch immer in der Formierungsphase eines neuen Meta-Mediums stecken.

Die Jury sah sich mit über 250 zu bewertenden Einreichungen konfrontiert. Unser vielleicht etwas byzantinisch anmutender Entscheidungsprozess hat sich kontinuierlich über die vergangenen Jahren entwickelt. Wenn auch eine gewisse Struktur wichtig ist, um eine faire Bewertung einer großen Zahl von Werken in kurzer Zeit sicherzustellen, so waren wir doch bemüht, zu einer Entscheidung zu finden, mit der alle Juroren mit ihren zwar unterschiedlichen, aber sich ergänzenden Hintergründen gut leben konnten. Das Ergebnis eines mathematisch-statistischen Bewertungsprozesses kann daher nur Ausgangspunkt weiterer Überlegungen sein, und wir rechnen es dem Prix Ars Electronica hoch an, dass die einzelnen Jurys ihre eigenen Methoden entwickeln können, die der Zusammensetzung der Gruppe und der Zahl und Qualität der Einreichungen des jeweiligen Jahres gerecht werden.

Zunächst wurden alle eingereichten Werke in einer Phase minimaler Diskussion angesehen. Hier ging es darum, einen Kontext für die spätere genauere Auseinandersetzung zu schaffen. Jeder von uns konnte "Ja" sagen, womit auf eine weitere Betrachtung der Einreichung zunächst verzichtet und das Werk für eine intensivere Analyse vorgemerkt wurde. Um jedoch ein Stück gleich am Anfang auszuscheiden, bedurfte es einer Stimmenmehrheit. So versuchten wir, fesselnde, aber kontroversielle Arbeiten im Bewerb zu halten, wenn es auch nur einem von uns Juroren wichtig erschien, während wir überzeugt waren, dass "Schlechtes" wohl eher allgemein als solches angesehen würde.

Und leider gibt es weiterhin einen durchaus erheblichen Anteil schlechter Werke. Die Jurys vergangener Jahre haben sich bereits zur ungehemmten Vermehrung von "Augäpfeln und Tunneln" in der Kategorie "Schlechte Computergrafik" geäußert, und das heurige Jahr war diesbezüglich keine Ausnahme. Ein bemerkenswertes neues Phänomen wurde bald als der "Schlechte-Gestalten-Effekt" etikettiert: Ein Stück beginnt etwa mit völlig plausiblen Hintergründen, entwickelt sich vielleicht sogar ein Weilchen ganz lyrisch – und wird dann durch eine abgrundtief schlecht designte, modellierte oder animierte Figur zerstört (und bisweilen sind sie auch alles gleichzeitig) zerstört. Dies scheint uns ein Indiz dafür zu sein, dass häufig die Maschine den Benutzer bedient statt – wie eigentlich erwünscht – umgekehrt.

Eine andere weit verbreitete Kategorie von Arbeiten, über die wir uns immer wieder ärgerten, wurde bald als "Bildschirmschoner" etikettiert – Stücke, die sich in keiner Weise von Bildschirmschonern, alten SGI-Demos oder WinAmp-Plugins unterscheiden. Es reicht einfach nicht, die Formensprache eines Oskar Fischingers zu kopieren, man braucht auch eine fesselnde Chroeografie. Ähnlich verhielt es sich mit den von uns scherzhaft als "wissenschaftlich" bezeichneten Werken – die bloße Verwendung des Computers reicht nicht aus, ein Werk muss schon auch im Ästhetischen etwas vorzuweisen haben.

Am Ende des ersten Tages waren 47 Werke zur weiteren Bewertung übrig geblieben. Der zweite Tag begann mit einer eingehenden Betrachtung jeder dieser Arbeiten. Um weiter im Bewerb zu bleiben, bedurfte es jetzt zweier Fürsprecher, und in einigen Fällen begann hier bereits eine tief gehende Werkdiskussion, die im Wesentlichen zu Mehrheitsentscheidungen für jedes der Werke führte.

Übrig bleiben zwanzig Arbeiten. Jede war gut, und jede hatte auch ihre Anhänger. Zu diesem Zeitpunkt war klar, dass wir alle zwölf Anerkennungen vergeben würden und – bezeichnend für das heurige Jahr – wir hätten auch mehr vergeben können. Deshalb sollten die mit einer Anerkennung prämierten Werke als "ausgezeichnete" Arbeiten angesehen werden und in keiner Weise als bloße "Adabeis". Wenn auch die Statuten des Prix Ars Electronica eine Maximaldauer von fünf Minuten vorsehen, so werden doch die von uns ausgewählten Werke im Rahmen des Festivals Ars Electronica in voller Länge gezeigt, was uns veranlasste, sie ebenfalls in voller Länge zu betrachten. In einigen Fällen führte dies zu einer Neubewertung nach Betrachtung des Gesamtwerks, was irgendwie beunruhigend war.

Anstatt nun die Liste von unten nach oben zu kürzen, beschlossen wir, uns auf die Spitze zu konzentrieren. Ziel war es, die bestmögliche Entscheidung für die Preisträger – und darunter den Gewinner der Goldenen Nica — zu treffen und uns später um die Anerkennungen zu kümmern. Deshalb gab zunächst einmal jeder seine drei persönlichen möglichen Sieger bekannt – ein schwieriger Entscheidungsprozess, denn viele von uns hatten das Gefühl, es gäbe eigentlich vier Anwärter auf die Goldene Nica. Am Ende der Abstimmung blieb jedenfalls eine Liste von acht Kandidaten übrig.

Und genau das wollten wir mit unseren vorhergegangenen Bemühungen erreichen – eine kurze Liste von Werken, die nun einer eingehenden Diskussion unterzogen wurden. Wir haben sie nochmals alle betrachtet, manche auch mehr denn ein Mal. Wir haben dann diese Liste auf vier reduziert und in geheimer Abstimmung aus allen denkbaren Kombinationen dieser Vier die drei Preisträger ermittelt. Das Ergebnis war eine interessante Mehrheitsentscheidung, aber nicht mehr als eine intellektuelle Übung. Wir wollten zunächst den Abend nutzen, um diese vorläufige Entscheidung auch mit anderen zu diskutieren, darüber zu schlafen und uns das Ergebnis im nüchternen Tageslicht nochmals vornehmen.

Der dritte und letzte Tag führte zu weiteren intensiven Diskussionen. Wir sahen die drei ausgewählten Arbeiten nochmals an und griffen dann nochmals auf unsere Liste von acht Werken zurück, die wir uns dann noch einmal ansahen und durchdiskutierten. Dann beschlossen wir versuchsweise, das Spitzentrio noch einmal in geheimer Abstimmung zu ermitteln, was theoretisch ein breites Feld von Möglichkeiten eröffnet hätte. Erstaunlicherweise ergab sich ein einstimmiges Ergebnis für die drei Preisträger. Bei der Auswahl des Gewinners der Goldenen Nica gab es zunächst Stimmengleichheit, dann eine Mehrheitsentscheidung. Nochmals wurden die Stärken und Schwächen der einzelnen Werke durchargumentiert, letztendlich gelangten wir so zu einer einstimmigen Entscheidung.

Einen ähnlichen Abstimmungs- und Diskussionsprozess haben wir auch für die Festlegung der Anerkennungen angewendet. Aus unserer Liste von 17 Arbeiten mussten fünf eliminiert werden. Eine individuelle Abstimmung über die "verzichtbaren" Werke ergab tatsächlich einen Mehrheit für fünf Arbeiten, dennoch wurde nochmals die ganze Liste durchgenommen, um uns Gelegenheit zu geben, zwingende Argumente für oder gegen ein Werk vorzubringen. Jedes der ausgeschiedenen Werke konnte in die Liste der Anerkennungen hineinreklamiert werden, wenn man sich darauf einigen konnte, welches andere an seiner Stelle dafür weichen musste.

Wer macht die Kunst von morgen? Es ist eine wundervolle Ironie, dass wir jetzt zum ersten Mal darüber sprechen, ob wir Zugeständnisse an die Arbeiten der großen und finanzkräftigen Studios machen sollen oder nicht, denn 2001 eröffnet das neue Jahrtausend mit einer stillen Revolution in der Kategorie Computeranimation / Visual Effects. Es gibt unter den Preisträgern und Anerkennungen nicht eine einzige studentische Arbeit, bei der wir in irgendeiner Weise "Großzügigkeit" walten lassen mussten. Die studentischen Werke konkurrierten auf absolut gleicher Ebene mit den Produktionen der großen Studios und kommerziellen Anstalten, ja, sie waren ihnen in den meisten Fällen sogar überlegen. Zwei der drei Preisträger und die Mehrzahl der Anerkennungen stammen von Studenten. Und dies verdient, entsprechend gefeiert zu werden – die Tools haben jenen Punkt erreicht, an dem sie "gut genug" sind, und die Studenten haben genug Disziplin, um Werke zu schaffen, die diese Möglichkeiten voll ausschöpfen.

Die drei Preisträger und jede einzelne der Anerkennungen stellen starke, fertig realisierte Werke von bemerkenswerter Reife und Tiefe dar. Wer auch nur eine dieser Arbeiten nicht kennt, sollte sich unbedingt eine Gelegenheit suchen, um sie sehen zu können – sie sind jeder Mühe wert. Die drei Preisträger haben jeder einen unterschiedlichen, aber konsequent umgesetzten "Look". Und wenn auch die Liste der Fünfzehn unleugbar stark ist, so war doch auffällig, dass es scheinbar eine starke Dichotomie zwischen den Einreichungen dieses Jahres gab. Die ausgefeilten, durchrealisierten Arbeiten tendierten alle zu eher traditionellem "Geschichtenerzählen", während die weniger ausgefeilten Arbeiten sich in die endlos imitierenden und die absolut inhaltsleeren Arbeiten teilten. Was fehlte, waren "unausgefeilte" Arbeiten, die vor Energie, Innovation und persönlichem Statement strotzen. Auch wenn das unsere Aufgabe als Juroren erleichtert hat, so bleibt doch ein etwas ungutes Gefühl zurück. Warum bloß neigen die rohen, groben, unpolierten Werke dazu, viel imitativer zu sein als die "kommerzielleren" und "zugänglicheren" Arbeiten? Warum fehlt der zündende Funke? Die Studenten haben bewiesen, dass die Werkzeuge jetzt wirklich gut genug sind. Jetzt liegt es an den Visionären, sie zu finden. Was dieses Jahr an Innovationen zu sehen war, stammte im Großen und Ganzen nicht von den großen Studios, sondern von kleinen Schulen und von freien Künstlern. Wir warten sehnsüchtig auf das endgültige Takeover.






 
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