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Veranstalter
Ars Electronica Linz & ORF Oberösterreich
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A New Concept
Wilhelm Burger, Horst Hörtner, Gustav Pomberger, Daniela Pühringer, Christa Sommerer
1998: Mit dem in den Prix Ars Electronica integrierten Wettbewerb „Cybergeneration u19 – freestylecomputing“ hat der Prix Ars Electronica erstmals in Österreich lebende Jugendliche als Zielgruppe angesprochen. Die Rede war damals von den Kindern des Computerzeitalters, die mit Computern und neuen Informationstechnologien aufgewachsen sind und sie als fünfte Kulturtechnik sozusagen mit der Muttermilch verinnerlicht haben.
2004: Auch die Kinder der Cybergeneration werden größer und erwachsen, und die 1979 – im ersten Jahr des Festivals Ars Electronica – Geborenen stehen heute am Ende eines Studiums und/oder übernehmen gesellschaftlich und kreativ gestaltende Funktionen. In diesem Jahr entschied man daher, mit der Wettbewerbskategorie [the next idea] eine Lücke zu schließen: Diese Kategorie sollte jungen, kreativen Persönlichkeiten ein Forum bieten, das es einer internationalen Fachjury ermöglicht auszuloten, inwieweit die Vertreter der Altersgruppe der 19- bis 27-Jährigen in der Lage sind, zukunftsweisende Ideen zu erarbeiten und in schlüssige Konzepte umzulegen. Bewusst wurde darauf verzichtet, bereits realisierte Projekte zu bewerten – in dieser Kategorie steht das Ideenpotenzial auf dem Prüfstand. In diesem Sinn sieht sich die Jury nicht als „Ideenbewertungsjury“, sondern als eine Art „Potenzialförderungsstelle“ für den kreativen Umgang mit Ideen, was nicht nur künstlerische und/oder technologische und wirtschaftliche Kreativität voraussetzt. Das Ars Electronica Center und speziell das Futurelab haben sich in diesem Zusammenhang zur Aufgabe gesetzt, nach Möglichkeit zu helfen, das oder die Siegerprojekte umzusetzen oder ihnen mit einer Residency im Ars Electronica Center Starthilfe zu geben.
Der letztjährige Preisträger etwa, das Projekt Moony aus Japan, wurde im Futurelab realisiert, und dank des Sponsors ist die Umsetzung dieser prämierten Idee im Kontext der Ars Electronica eindrucksvoll gelungen, was diesem Startprojekt von [the next idea] nach der Ars Electronica 2004 einen regelrechten Hype und der Künstlergruppe viele weitere Anfragen, Projekte und Präsentationen bescherte. Das Konzept der Kategorie [the next idea] ging also dank der großartigen Leistung von Moony voll und ganz auf.
Konnten zwar schon im ersten Jahr der Ausschreibung dieser Kategorie ein beträchtliches internationales Interesse und entsprechend viele Einreichungen registriert werden, so musste doch in der Jurybegründung die mangelnde Anteilnahme an heimischen Einreichern festgestellt und moniert werden.
2005: Das Bild hat sich geändert. Unter den 67 Einreichungen aus 22 Nationen kamen 15 aus Österreich, was zeigt, dass das junge kreative Potenzial im Land mit dieser Kategorie heuer erstmals so angesprochen wurde, wie es die Konzeption vorsieht.
Die 2005 ausgezeichneten Arbeiten wurden von der Jury ausgewählt, weil sie „Crossover-Gedanken“ enthalten, die abseits von vorbestimmten, konventionellen Bahnen funktionieren und eine Illustration des diesjährigen Festivalthemas „Hybrid – living in paradox“ sind. Bereits vom Konzept her sind sie transdisziplinär orientiert, setzen sich über Grenzen hinweg und versuchen, den verschiedensten Bereichen unbefangen gegenüberzutreten.
Der [the next idea]-Preisträger 2005 ist Martin Mairinger mit seinem Projekt USED Clothing.
Das Konzept überzeugte die Jury, weil es auf einem Community-Gedanken basiert: Im Kontext der neuen Medien nutzt es die ohnehin prägende Wirkung von Mode als Strategie für den Aufbau einer Community:
„Secondhand-Kleidung soll als Kommunikationsmedium innerhalb einer Community genutzt werden. Die Kleidungsstücke werden zu diesem Zwecke mit einem IDTräger versehen, der jedem Stück eine eindeutige ID zuweist. Über die ID können in Folge Informationen über dessen Vorbesitzer, seine Messages und sein Profil verknüpft und vom aktuellen Träger abgerufen werden. Ziel ist es, auf Basis dieses Kommunikationskonzepts eine dynamische Community-Bildung einzuleiten, die selbst ihre eigene Ausrichtung bestimmt. Daneben wird auch der Zusammenhang zwischen Kleidung und Identität in kontroversieller Weise zur Diskussion gestellt.“
Diese Idee zur Identitätsstiftung wurde auf breiter Basis akzeptiert. Body Extension im digitalen Raum zu antizipieren bedeutet, das eigentliche Identität stiftende Merkmal (das Kleidungsstück) eine elektronische Entsprechung erfahren zu lassen, und zwar im selben Maß, wie der Pullover oder das T-Shirt im realen Raum Identität stiftend ist – nicht nur für das Kleidungsstück selbst, sondern auch für den Träger. Die bisher mit dem Kleidungsstück verbundene Identität, wie Stoff, Logo, Marke etc., wird zugunsten des für den Lebensabschnitt des Trägers charakteristischen Dresscodes zurückgedrängt und die Botschaft nicht mehr „nur“ durch den realen Gegenstand vermittelt, sondern um eine virtuelle Ebene erweitert. Die Kleiderwahl bestimmen von nun an die Geschichten, die ein Kleidungsstück erzählt, wobei die wirtschaftliche Komponente zugunsten der ideellen Merkmale der Vorbesitzer in den Hintergrund gerät.
War bisher nur der Konnex zwischen Besitzer und direktem Nachbesitzer spürbar, wird es mit dem Konzept von USED Clothing möglich, die verschiedensten Besitzer miteinander in Beziehung zu setzen, wobei die Qualität des Kleidungsstück von den mit ihm verbundenen Geschichten definiert wird. Zum Beispiel löst das Tragen von Nike-Kleidungsstücken bestimmte Bilder und Assoziationen aus, die mit der Marke verknüpft werden, allerdings nach dem Prinzip One-to-Many. Bei USED Clothing wird Kleidung durch das spezielle Nachrichtenmedium zu einem Many-to-Many-Medium, wo Botschaften und Bilder mit einem Kleidungsstück verbunden sind, die von seinen bisherigen Trägern kreiert worden sind. Waren Modebotschaften bisher wie redaktionell konzipierte Nachrichtensendungen aufbereitet, so verspricht diese Idee, Mode als ein Nachrichtenmedium zu nutzen, das eher der Nutzung von Mobiltelefonie bzw. Handys entspricht.
Beim Festival Ars Electronica 2005 wird diese Idee als Prototyp in Form eines Secondhand-Ladens realisiert. Betritt der Besucher den Shop, so findet er eine Auswahl von gebrauchten Kleidungsstücken, die mit einem RFID-Chip versehen sind. Auf diesem Chip können über eine einfache Docking-Station digitale Botschaften (Bilder, Musik, Text, Telefonnummern oder E-Mail-Adressen) des jeweils aktuellen Besitzers eingelesen und die Messages der Vorbesitzer ausgelesen werden. Die Kleidungsstücke akkumulieren so im Lauf der Benutzung durch unterschiedliche Menschen eine „Geschichte“, die neben der modisch-ästhetischen Komponente zu einem „inhaltlichen“ Auswahlkriterium wird.
Eine Auszeichnung in der Kategorie [the next idea] erhält 2005 das Projekt Maschine – Mensch der beiden Österreicher Tobias Zucali und Christopher Rhomberg. „Am Anfang des Systems steht der Sortierer. Ihm sind Objekte einer bestimmten Farbe zugewiesen. Entdeckt das elektronische Auge ein den Kriterien entsprechendes Objekt, wird der Arm des Sortierers bewegt, sodass er dieses vom Fließband in einen Sammelbehälter streift.“
Diese Idee erinnert sehr stark an die Beschreibung von industriellen Fertigungsanlagen, wobei im Konzept dieses „Fließband-Experiments” die mechanische Einheit, die in der Industrie als Sortierer bekannt ist, zum Teil durch den menschlichen Körper ersetzt wird. Der Körper wird durch Elektroden (Elektrostöße) und daraus resultierende Muskelkontraktionen vom Computer gesteuert. Der Körper des Probanden entzieht sich so jeder selbst gesteuerten Kontrolle und wird Teil der Maschine.
In einer Zeit, in der der Kampf um Gestaltung, Konzeption und Detailausarbeitung in allen Produktionszyklen auf Hochtouren läuft, weil man erkennt, dass wir ständig mit allem interagieren, prescht diese Idee in ihrer völligen Überspitztheit vor und persifliert alle noch so ernsthaften Versuche eines methodischen Lösungsansatzes. Der Schluss, der sich aufdrängt und der auch von den beiden Einreichern postuliert wird, ist eine marionettenhafte Sicht auf den Menschen. Seit dem Beginn der Industrialisierung bis zur omnipräsenten Werbebotschaft wird der Konsument durch extern gesteuerte Bedürfnisse bzw. Ereignisse wie eine Marionette geleitet. Dieser Umstand wird hier in einer sehr konkreten Weise durch den Umgang mit „demokratischen“ Medien dargestellt. Die durchaus professionelle Auseinandersetzung mit den physikalischen Möglichkeiten von bislang in der medizinischen Therapie gebräuchlichen Technologien und dem lustvollen Einblick in die gesellschaftsprägende Omnipräsenz der Medien überzeugte die Jury.
Eine weitere Auszeichnung erhält das Projekt ætherspace des US-Amerikaners Nick Knouf. Bei diesem Konzept geht es um die klassische Erweiterung des menschlichen Körpers und Wahrnehmungsapparats durch die Technologie.
„Unser Körper hat kein Sensorium für elektromagnetische Wellen, statt dessen müssen wir uns anderer Hilfsmittel wie Funkgeräte und Radios bedienen, um die Effekte dieser EM-Wellen aufnehmen zu können. Aus diesem Grund hat der Hertz’sche Raum eine spezielle Aura: Er ist unsichtbar und deshalb auch nicht verständlich. Mit ætherspace möchte ich den Hertz’schen Raum hörbar und das Unsichtbare zum Klang machen. Kurz gesagt, würden tragbare Umsetzer/Antennen die verschiedenen Komponenten des Hertz’schen Raums aufnehmen, während sich der User in der Stadt, zu Hause oder am Arbeitsplatz bewegt.“
Die Idee, elektromagnetische Verschmutzungen als Material für (künstlerische) Arbeit zu verwenden und ein ständig am Körper getragenes Sensorium für EMS (elektromagnetische Strahlung) zur Verfügung zu stellen, wurde an sich bereits in mehreren Kunstprojekten prototypisch realisiert. Neu und interessant an Knoufs Ansatz ist, dass das Wahrnehmungsorgan elektromagnetische Strahlung in akustisch wahrnehmbare Ereignisse umwandelt. Dieses Sensorium für EMS soll dabei als selbstverständlicher Begleiter nicht nur einem exklusiven Kreis von kunstinteressierten Menschen, sondern z. B. auch den Bewohnern von Städten zugänglich gemacht werden. Die Arbeit ist als solche direkt an den Endverbraucher adressiert und will den ohnehin gegebenen „Hertz’schen Raum” (Dunne/Raby, 2001) für uns, die Rezipienten, erfahrbar machen, ohne dabei ihrerseits Artifizielles zu kreieren.
Knouf verwendet also Gegebenes, das mit Sensoren erfahrbar wird und einen spezifischen akustischen Raum öffnet, z. B. den Raum der elektromagnetischen Verstrahlung einer Stadt. Ohne die Qualität des Hertz’schen Raum nach Gefährlichkeit oder Ungefährlichkeit zu beurteilen, erweitert er die Wahrnehmungsfähigkeit des Einzelnen und gibt uns damit die Möglichkeit, diesen neu gewonnenen Aspekt zu erfahren oder eben auch zu vermeiden. Besonders diese zwei unterschiedlichen Arten der Nutzung sind Knouf bei seinem Konzept sehr wichtig.
An den diesjährigen Einreichungen, für die die beschriebenen Preisträgerprojekte stellvertretend stehen, ist der Trend festzustellen, dass die meisten Teilnehmer [the next idea]-Konzepte eingereicht haben, die sie unabhängig von ihrer Ausbildung und ihrer „erlernten” Disziplin erarbeitet haben. Und vor allem, dass gerade bei den österreichischen Einreichungen nicht mehr feststellbar ist, woher die Einreichungen kommen. Egal ob künstlerischer, technologischer oder wirtschaftlicher Background – die Mediengeneration setzt sich über Konventionen und tradierte Klassifikationen hinweg.
Generell bewertet die Jury die interdisziplinäre Annäherung der Einreichungen als einen Schritt in die richtige Richtung und wünscht sich auch für 2006 mehr dieser Projekte, die ihren Fokus genau im Spannungsfeld von Kunst, Technologie und Gesellschaft haben, die grenzüberschreitend verschiedenste Bereiche thematisieren und technische, gesellschaftliche, politische, ästhetische und metaästhetische Aspekte aufgreifen und sie in einem tendenziell von Communities geprägten Kontext bearbeiten und als visionäre Ideen aufbereiten.
Auch wenn die vorliegende Auswahl nicht als repräsentativer Querschnitt durch die Medienaktivitäten junger Menschen nach der ersten halben Dekade des 21. Jahrhunderts gelten kann, so gibt der der Jury zugänglich gemachte Einblick in die Arbeiten junger MedienaktivistInnen Anlass zu Zuversicht und lässt erwarten, dass in den kommenden Jahren künstlerische Vielfalt und Offenheit noch stärker in den Vordergrund rücken und noch mehr 19- bis 27-Jährige den Mut finden werden, auch außergewöhnliche, ephemere und visionäre Projektideen einzureichen und somit dem Titel und Schwerpunkt der Kategorie [the next idea] formal, konzeptionell und in seiner Zukunftsorientierung gerecht zu werden.
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