www.aec.at  
 
 
 

Prix Ars Electronica
Archive

Prix-Jury

 
 
Veranstalter
Ars Electronica Linz & ORF Oberösterreich

Pervasive Intermedia – Kriteriensuche und Kriterienfindung im offenen Raum der Hybrid Art

Tim Edler, Yan Gong, Jens Hauser, Richard Kriesche, Michael Naimark

Die Kategorie Hybrid Art ist neu und daher „naturgemäß“ noch „under construction“. Im zweiten Jahr ihres Bestehens beschloss die Jury deshalb, nicht von einem vordefinierten Raster begrifflicher Bewertungskriterien auszugehen, mit dem sie vorgibt, die Qualität transdisziplinärer Projekte und Ansätze in der heutigen Medienkunst fassen zu können. Stattdessen schlug sich bei ihr die Grundüberlegung, dass „Hybrid Art“ die Grenzen der bestehenden Kategorien des Prix Ars Electronica sprengt, in dem Vorhaben nieder, das extrem breite Spektrum der 363 Einreichungen unabhängig von Genre, Thema, Medium oder Materialität vor allem danach zu beurteilen, wie Technologien, Materialien, Themen, Forschungs- und Fachbereiche miteinander verknüpft werden, um besonders inspirierte künstlerische Projekte und Erfahrungen zu realisieren, die Vision, Wissen und Lebenswelt verbinden. Wiewohl gern als Kategorie für „Sonstiges“ abgetan, für alles, was sich nirgendwo anders unterbringen lässt, zeigt sich bei den diesjährigen Einreichungen deutlich, wie notwendig so eine Kategorie für künstlerische Randgebiete ist, etwa für Arbeiten, wie sie im Umfeld eines immer noch unkonturierten postdigitalen Paradigmas entstehen.

Digitalisierung führt fraglos zu einer Kultur, in der viele Unterschiede zwischen den Medien verschwinden, wenn sie alle auf derselben Maschine laufen. Auf der soziopolitischen Ebene verändert das auch Vorstellungen von Autorschaft und bringt hybride Daseinsformen hervor, bei denen man gleichzeitig für die Spiele-Industrie arbeitet, kapitalismuskritische eigene Kunstwerke macht und Gemeinschaftsarbeit mit einer wieder anderen politischen Agenda verrichtet. Eigentlich zeigte sich schon im Gründungsjahr der Kategorie Hybrid Art – 2007 – die derzeitige Verschiebung von Arbeiten, die auf einem universellen Code und Informationstechnologien beruhen, hin zu Arbeiten, bei denen Materie zunehmend durch eine Verbindung von spezifischeren, eher kontextbezogenen Codes und materiellen Technologien geformt wird; deshalb hat auch die Jury des Vorjahres „data translation art“ – Kunstwerke, die „einen beliebigen Input ohne signifikante Schichtung und Kontextverknüpfung auf einen beliebigen Output abbilden“ – abgelehnt und Werke bevorzugt, in denen noch der etymologische Herkunft der Hybrid-Metapher aus der Biologie mitschwang.

Wie sucht und findet man also Werke, die Ideen und Technologien auf so neue, komplexe und inspirierende Art verknüpfen, dass sie bestehende Formate (Disziplinen, Schulen, Märkte) infrage stellt? Lässt sich Qualität durch das Maß an Hybridität definieren, durch das, was man vielleicht als situationsgemäße oder „angemessene Intermedialität“ bezeichnen könnte? Dick Higgins’ 1966 als Fluxus-Gebrauchsanleitung formuliertes „Statement on Intermedia“ wirkt auch in Bezug auf die Dialektik zwischen den heute verwendeten Medien noch frisch. Worauf es ankommt, ist „nicht so sehr die Entdeckung immer neuer Medien und Intermedien, sondern die Neuentdeckung von Möglichkeiten, das, was uns wichtig ist, angemessen und ausdrücklich zu gebrauchen.“ Der Neuheitswert selbst ist alt, da Technologie inhärent dynamisch abläuft. Higgins: „Das Entscheidende ist heute nicht das neue formale Problem, wie man sie gebrauchen soll, sondern das eher soziale, wozu man sie gebrauchen soll.“ Andererseits kann die Verschmelzung verschiedener Medien und Genres zu neuen Formen künstlerischen Ausdrucks „Hybridvitalität“ hervorrufen. Diesen so genannten Heterosis-Effekt, die Veredelung durch Auszucht, erörtert Brian Stross in seinem Artikel „The Hybrid Metaphor – From Biology to Culture“, worin er biologische und kulturelle Hybridität für vergleichbar erklärt. Was Züchter bei gekreuzten Tieren und Pflanzen als gesteigerte Vitalität oder Lebenskraft schätzen – erhöhte Wachstumsrate, Größe, Fruchtbarkeit – wäre demnach auch bei kulturellen Hybridbildungen zu erwarten. Stross beharrt zwar auf der Idee des Hybrids als totales kulturelles Konstrukt, bringt allerdings auch den Begriff des „Hybriditäts-Zyklus“ ins Spiel: Sind einmal genug Exemplare der selben Art gezüchtet, kann durch Inzucht wieder die Homogenität gesteigert werden, bis man erneut von Reinrassigkeit sprechen kann, wobei die Vitalität der Nachfolgegenerationen sinkt. Was vormals als heterogen angesehen wurde, bildet Formen und Konventionen aus, lässt Regeln entstehen, bringt Traditionen, Inzucht und „Selbstbefruchtung“ hervor. Kulturell gesehen, ist Reinheit eine Folge von Verfeinerung und der Verfestigung zu Traditionen.

Könnten diese beiden komplementären Denkrichtungen auch unsere Wahrnehmung von Tendenzen und Preisträgerkandidaten beeinflusst haben? Könnten uns Arbeiten aus dominanten Clustern bereits wieder als reinrassig erschienen sein? Eine erhebliche Anzahl von Einreichungen beschäftigte sich explizit mit Klimawandel, Ökologie, Second Life oder Teleüberwachung; andere wiesen Elemente von Telepräsenz-, Hirnstrom- oder elektromagnetischen Interfaces auf oder stellten videoverstärkte Bühnenwerke und Medienarchitekturen als „Häute“ für öffentliche Räume dar. Wenngleich wir unter diesen Clustern potenzielle Preisträger erwarteten, erwiesen sich die Arbeiten schließlich doch als zu vorhersehbar und blieben im Verlauf des Selektionsprozesses überraschend auf der Strecke.

Gleichwohl muss gesagt werden, dass die Bewertung dieser hybriden Zwischenräume mit großen Unsicherheiten einhergeht. Und auch das mit der Kategorie verbundene Versprechen, „die Grenzen zwischen Kunst und Forschung, Kunst und soziopolitischem Aktivismus zu überwinden“, scheint weder in eine allgemeine Infragestellung der sozialen Position des Künstlers noch seiner oder ihrer Aneignung der eroberten transdisziplinären Territorien zu münden. Sollte man nicht ebenso Scientists-in-Residence an Kunstzentren wie Artists-in-Residence an Forschungszentren erwarten? Begründet das Label „sozial“ für Künstler, die für sich symbolisch ein Partizipationspotenzial oder die klassische Subversion angeblich rein kommerzieller Tools in Anspruch nehmen, schon eine Kunst, die auf die eine oder andere Art pervasiv oder ubiquitär wird? Eine der Folgerungen aus dem Auswahlverfahren könnte sein, dass bei der (öffentlichen) Umsetzung eines Konzepts oder einer Intervention die vermeintliche Evidenz künstlerischen Inputs noch keinen automatischen „Mehrwert“ darstellt und ästhetische Strategien entwickelt werden müssen, damit das Gebiet der Ästhetik nicht vollends in die Hände der Werbung fällt. Um das Hybrid-Paradigma auf seine künftige Tragfähigkeit in den Übergängen der Kunst zu befragen, maß die Jury die von ihr ausgezeichneten Arbeiten nicht so sehr an ihrer Multimedialität oder exponenziellen Hybridität. Wichtiger war ihr Grad an angemessener Intermedialität und ihre Fähigkeit, Komplexität zu fesselnden „Einzeilern“ zwischen Operationalität und Symbolismus zu verdichten, in denen vermittelte Erfahrungen sinnlich greifbar werden.

Die Goldene Nica

Pollstream
HEHE (Heiko Hansen & Helen Evans)

Das in Paris lebende Duo Hehe entwickelte Pollstream zwischen 2002 und 2008 als eine Serie von Installationen und Interventionen. In Form einer fortlaufenden und bewusst mehrdeutigen Sammlung von Ideen, Formen und Bildern erkundet und ästhetisiert das Projekt von Menschen erzeugte Wolken in einem breiten Spektrum kultureller und politischer Bedeutungen. Jenseits eines eindeutigen moralischen Zugangs haben Hehe rund um diesen Grundgedanken diverse Formen konkreter öffentlicher Interaktionen geschaffen und nichtutilitäre Designlösungen entwickelt, deren Höhepunkt das kürzlich realisierte Projekt Nuage Vert in Helsinki war: Auf die Emissionen eines Kohlekraftwerks wurden mit einem grünen Hochleistungslaser die ständig wechselnden Umrisse der Rauchwolke gezeichnet, wodurch diese in eine reizvolle stadtweit sichtbare und direkt vom lokalen Energiekonsum abhängige Neonschrift verwandelt wurde. Nuage Vert versucht den Diskurs über Kohlenstoffemissionen von abstrakten immateriellen Modellen und modischen Schlagworten in die Realität des urbanen Lebens zu verlegen und stellt dabei die öffentliche Überwachung des kollektiven Verbrauchs ins Zentrum. Indem Nuage Vert mehrere tausend Anwohner dazu brachte, um eines künstlerischen Spektakels willens ihre Elektrogeräte auszuschalten, ließ das Projekt den Energieverbrauch zeitweilig um 800 kVA sinken. Der globale Zusammenhang von Energieströmen wird durch den Umstand verdeutlicht, dass die eingesparte Energie von der Laserprojektion „verschwendet“ wird, die ihrerseits eine grüne, noch giftigere Wolke evoziert. Für die Realisierung dieses eine ganze Stadt einbeziehenden Kunstprojekts waren fünf Jahre an Verhandlungen, Vermittlungsarbeit und öffentlicher Diskussion sowie die Zusammenarbeit mit Laserphysikern, Computerwissenschaftlern, Elektronikern, Stromproduzenten, Luftqualitätsprüfstellen, Kulturinstitutionen, Umweltaktivisten und einer staatlichen Agentur zur Förderung des Energiebewusstseins erforderlich.

Ähnlich interpretationsoffen sind auch die anderen Werke von Hehes Pollstream-Serie. Champs d'Ozone ist eine chromatische Wolken-Arbeit, die aus einem im sechsten Stock des Centre Pompidou installierten Fenster besteht, in dem Luftbelastungsmessungen örtlicher Prüfstellen in Echtzeit in synthetische, den realen Pariser Himmel überlagernde Wolkengebilde übersetzt wurden. Toy Emissions (My friends all drive Porsches) ist eine humoristische und wirkungsvolle taktische Performance mit einem ferngesteuerten Miniatur-Porsche-Cayenne, der bei seiner Störung von New Yorker Verkehrsabläufen die Luft des Big Apple grün einfärbt. Smoking Lamp ist eine gleichzeitig mit dem europaweiten Rauchverbot für öffentliche Räume entstandene Lampe, die auf Zigarettenrauch reagiert und damit die mittlerweile verbotene Lust/Belästigung in eine anachronistische Schönheit umwandelt. Die Jury zeichnet dieses die Grenzen zwischen Industriedesign, Maschinenbau, ökologischer Medienkunst, Bürgerkonsultation und einer fruchtbaren, unprätentiösen moralischen Haltung verwischende Langzeitprojekt insbesondere wegen seiner starke Pervasivität und präzisen Wahl von Situationen und Medien aus.

Auszeichnungen

Die Auszeichnungen gehen an zwei Arbeiten, die sich mit extrem unterschiedlichen Strategien der Beobachtung physiologischer und kognitiver Phänomene widmen und damit zeigen, wie offen die Kategorie ist: an eine herausragende Live-Performance und eine selbstbezogene Galerie-Installation.

Yann Marussichs Bleu Remix ist eine auf einer biomedizinischen Intervention beruhende hoch verdichtete, intensive Performance, bei der das Publikum metaphorisch und metonymisch in eine Ko-Körperlichkeit mit dem Performer gebracht wird. Bewegungslos in einem quarderförmigen Gerüst liegend, choreografiert der Künstler physiologisch das Methylenblau, das mithilfe von Thermoregulierung nach einem genauen Timing aus den Höhlen und Poren seines Körpers dringt. Gleichzeitig remixt ein DJ die Geräusche aus seinem Körperinneren, wodurch der Gegensatz von äußerer Bewegungslosigkeit und innerer Bewegtheit erlebbar gemacht und unser geläufiges Verständnis von „Handlung“ infrage gestellt wird. Was auf den ersten Blick als Fortsetzung der Body Art der 1970er Jahre erscheint, beruht jedoch auf langfristiger Forschungsarbeit mit Chemikern und Physikern und verweist auf das große Zukunftspotenzial, das Biomedien im Allgemeinen als ein Feld performativer und rematerialisierter Medienkunst haben. Die Jury anerkennt mit diesem Preis den Beitrag, den dieser Ansatz zur Kritik an den derzeitigen rigiden Definitionen dessen leistet, was ein Medium oder Interface ist.

Mit micro.flow hat Julius Popp ein Meisterwerk geschaffen, das Informatik und Kognition mit einem optischen Spektakel verbindet: Eine Pumpmaschine erzeugt in transparenten Schläuchen optische Muster aus sich nicht vermischenden farbigen Flüssigkeiten; eine Informationsverarbeitungsmaschine beobachtet, analysiert und reproduziert diese Muster und loopt die gewonnenen Erkenntnisse wieder an die Pumpmaschine zurück. Die Arbeit thematisiert, wie unser Gehirn Information verarbeitet, sie wahrnimmt und daraus lernt. Als sich selbst genügende „Junggesellenmaschine“ erkundet micro.flow menschliches Wahrnehmen und Verstehen in Verbindung mit einem sinnlosen robotischen Wesen und weist so dem Menschen eine bescheidene Rolle als bloßer Parameter in einem größeren System zu. In Julius Popps faszinierender Installation lassen sich Austauschprozesse zwischen scheinbar einfachen, autonomen Geräten in einem kontrollierten Umfeld studieren. Die – metaphorisch auf den Kommunikationsfluss anspielenden – flüssigen Elemente machen das Werk ästhetisch auch dem zugänglich, dem seine Informationsstruktur verschlossen bleibt.

Anerkennungen

Der Auswahlprozess für die zwölf Anerkennungen bot der Jury Gelegenheit, Werke zu würdigen, die entweder lokativ oder pervasiv auf unterschiedlichste Umgebungen wirken, durch die perfekte Verbindung bestimmter Materialien und Konzepte überzeugen oder sich durch ihren obsessiven und manischen Charakter auszeichnen.

Die Thinking Machine von Masahiro Miwa und Martin Riches ist eine ternäre logische Maschine, die als Ergebnis ihrer Rechenoperationen Melodien aus drei Tönen ausspuckt. Mit nicht-elektronischen Bauteilen thematisiert sie elegant Fragen der Elektronik- und Computerkunst. Dieses unterrepräsentierte Genre zwingt uns zum Nachdenken über „Medienkunst“, indem es sicht- und hörbar macht, dass die unsere heutige Gesellschaft stützenden Computer durch ein in sich geschlossenes logisches Denken angetrieben werden, das nicht objektgebunden ist. Als artenübergreifendes Experiment, in dem Vögel und Computer einander eine „vokale“ Sprache beibringen, schlägt Call <-> Response von tEnt (Hiroya Tanaka & Macoto Cuhara) eine Hybridbildung zwischen natürlichen Ökosystemen und Rechnersystemen vor. Ihre „natürliche Datenverarbeitung“ wirft die Frage auf, ob Interfaces überhaupt menschzentriert sein müssen. „Öko-Aktionen“ unter Mitwirkung der Öffentlichkeit stehen im Zentrum von Brandon Ballengées transdisziplinärem Projekt Malamp UK: einer Feldforschung über Schädigungen und Missbildungen bei Amphibien, die der Künstler als „durch die Umwelt modellierte monströse Lebewesen“ bezeichnet. An der Grenze zwischen Kunst, Biowissenschaft und Technologie verarbeitet Brandon Ballengée durch ökologische Feldforschungen und Laboruntersuchungen gewonnene Informationen zu multidisziplinären Arbeiten. Malamp UK vervollständigt die frühere Unternehmung des Künstlers, aus domestizierten Unterarten ausgestorbene Hymenochirus-Frösche zu züchten, um damit historisch beschriebene physische Merkmale wieder zum Vorschein zu bringen.

Im bekannten Bereich taktischer Kunstinterventionen im öffentlichen Raum ragt Loca: Set To Discoverable von John Evans, Drew Hemment, Theo Humphries und Mika Raento als anspruchsvolles und gut umgesetztes Kunst-/Forschungsprojekt heraus, das eine urbane Installation mit Pervasivdesign, Softwareentwicklung, Graswurzelaktivismus, Hardwarehacken, SMS-Poesie, Stickerkunst und Ambient-Performance verbindet. Die Gruppe nutzt Bluethooth-fähige und auf „Erkennbar“ eingestellte Handys, um die Wege ihrer Besitzer aufzuzeichnen und mit ihnen in Kontakt zu treten. Sie bekommen Nachrichten von einem Fremden zugeschickt, der intime Kenntnisse über ihre Bewegungen besitzt. Ahmad Sherifs Ahmad Sherif Project besticht durch seine Verwendung von Suchmaschinen-Werbung als Medium. In einem Jahr hat Ahmad Sherif eine Medienarchitektur geschaffen, die ihre Dynamik aus den geläufigsten Diensten des Web 2.0 bezieht und vor dem Hintergrund der Zensur in Ägypten Google-Anzeigen zur Verbreitung politischer Nachrichten verwendet. Bei Johannes Gees’ unverhüllter Provokation Salat wurden in fünf wichtigen Kirchtürmen der Schweiz heimlich automatische „Klangbomben“ installiert, aus denen der muslimische Gebetsruf ertönte, um ein geplantes Referendum gegen den Bau von Minaretten zu konterkarieren. Fragen nach dem rechtmäßigen Gebrauch öffentlichen Raums und der „Normalität“ von Bewegungen wirft eine von Improv Everywhere (Charlie Todd) organisierte Serie von Events auf, die mit der öffentlichen Massenperformance Frozen Grand Central begann, bei der eine große Gruppe von Leuten an einem markanten öffentlichen Ort gleichzeitig in der Bewegung erstarrte. In Standard Time von Mark Formanek (realisiert mit Datenstrudel) wird mit absolut ubiquitären analogen Mitteln eine „digitale“ Zeitanzeige gebaut: Ein Riesenteam von Arbeitern erstellt in Echtzeit eine große Digitaluhr aus Holz, was 1611 Umbauten in 24 Stunden erfordert und – ständig am Rand des Scheiterns – einen emotionalen und theatralischen Effekt hervorruft. Die schauspielerlose Bühnenstück Theatre#_ von Mikko Hynninen unterstreicht die Dominanz technischer Apparate über Inhalte: Nebelmaschinen, Klimaanlagen oder Mikrofone vollführen ein anthropomorphes mechanisches Ballett. Die grotesk überzogene Medienanalyse eines vermeintlich spontanen Fußballspiels ist die Stärke von Harun Farockis und Matthias Rajmanns Videoinstallation Deep Play, die das Endspiel der WM 2006 aus verschiedenen Perspektiven betrachtet. Mithilfe von Fernsehmaterial, abstrakten Computeranimationen und biomechanischen Analysen wird das Spiel klassifiziert und bewertet. Das Fußballlabor erlaubt, wie der Krieg, die Heranziehung avanciertester Technologie zur Produktion bewegter Bilder.

Der letzte Cluster mechatronischer Galeriekunstwerke wird angeführt von Chico MacMurtries neuester Arbeit Totemobile, einer komplexen robotischen Skulptur, die zunächst einen 1965er Citroën DS in Originalgröße darzustellen scheint, dann aber in einem komplexen narrativen Ablauf eine absurde biomorphe Reise in höhere Gefilde antritt. Mit Wave (Dalay) hat Alexander Ponomarev eine poetisch-repetitive Installation geschaffen, die mit ihrer Wahl von Wasser als materiellem Hauptelement ein Gefühl der Ruhe vermittelt. Inspiriert durch eine Reise nach Tibet und die dortigen Klöster, steuert der auf eine Leinwand projizierte Künstler mit seinem schweren Atem die Wellenbewegungen des Wassers in einem großen Tunnel und beruhigt so einen (politisch) aufgewühlten Raum.

 
© Ars Electronica Linz GmbH, info@aec.at