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Prix Ars Electronica
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Prix-Jury

 
 
Veranstalter
Ars Electronica Linz & ORF Oberösterreich

Social Art

Silvana Lemos de Almeida, Isaac Mao, Danny O'Brien, Gunther Reisinger, Saskia Sassen

Digitale Gemeinschaften können als eine sich ständig verändernde, nie abgeschlossene soziale Kunst gesehen werden. Diese kennt kein finales Werk, keinen individuellen Autor, sondern nur kollektive Erzeugnisse, deren Absichten und Errungenschaften wir lediglich in Form einer verschwommenen Momentaufnahme zu Gesicht bekommen – und bewerten können.

Trotz dieser Herausforderung für die Jury sind wir glücklicher als die meisten. Wir müssen unsere eigenen ästhetischen Prinzipien nicht so unmittelbar auf das Ergebnis anwenden. Eine Community mag schwer zu definieren sein, aber die Resultate großer Kunst in diesem Bereich sind sehr wohl greifbar. Wenn es auch falsch wäre, jede Community an ihren Konsequenzen zu messen, so stellt das Weltveränderungspotenzial einer Community doch einen Prüfstein dar, auf den wir uns bei all unseren Beurteilungen getrost stützen konnten.

Die Teilnehmer an den hier vorgestellten Communities haben sich mithilfe des Internet und anderer IKT-Werkzeuge selbst ermächtigt, neue Werke zu sammeln, auszutauschen oder zu verfertigen und den Wert der Informationen zu steigern, die sie sich oder der Allgemeinheit zu Verfügung stellen. Doch ging es bei digitalen Gemeinschaften niemals nur darum, Daten zu ordnen, sie wie kommunale Brotlaibe durchzukneten und umzuverteilen. Erfolgreiche digitale Gemeinschaften können auch zur Veränderung der physischen Gemeinschaften beitragen, in die sie eingebettet sind, können das reale Leben ihrer Nutzer verändern oder die Schadensfolgen sie übersteigender gesellschaftlicher Konflikte abmildern. Mithilfe technisch geformter und durch gemeinschaftlichen Gebrauch zurechtgeschliffener Werkzeuge können Communities ihre digitale Kreativität wieder ins reale Leben zurück speisen. Sie können neue soziale Identitäten kreieren. Eine wohlgeformte digitale Gemeinschaft kann das Vertrauen und Zugehörigkeitsgefühl ihrer Mitglieder stärken und den Außenbezug der Gemeinschaft verbessern. Digitale Communities sorgen für bessere analoge Communities.

Wie in allen Kategorien des Prix Ars Electronica äußern sich Vermögen und Vortrefflichkeit auch in der „sozialen Kunst“ bei jeder Einreichung mit anderen Akzenten und Zielsetzungen. Die Jury beschloss, für die Anerkennungen die je besten Vertreter aus den Kategorien auszuwählen, die sich unter den über 250 Einreichungen am deutlichsten herauskristallisierten. Wir wählten sie nicht nach der Platzierung hinter dem Hauptpreis, sondern begriffen sie eher als Chance, die Spannbreite der Einreichungen und die generell hohe Qualität in all diesen Gebieten zu beschreiben. Wir waren froh, so viel Spielraum für unsere Selektion zur Verfügung zu haben, da viele unserer Kategorien gar nicht miteinander vergleichbar waren.

Jenseits all dieser Überlegungen standen die Kriterien, nach denen wir die Nica und die beiden Auszeichnungen vergaben. Auf sie traf nach allgemeiner Übereinstimmung nur ein künstlerisches Kriterium zu: Vortrefflichkeit in der Umsetzung, die sich in den Auswirkungen auf die Community-Mitglieder und in ihrem Potenzial zur Veränderung und Herausforderung von uns anderen zeigt: uns Außenstehenden, die wir jede erfolgreiche Community – ob digital oder nicht – umgeben, einhüllen und hoffentlich auch nähren.

Kunst und Community
Ein Kennzeichen der Kategorie „Digital Communities“ ist der große Anteil an Einreichungen der vielen lebendigen Communities, die aus dem Umfeld der Ars Electronica selbst kommen. Der Jury war klar, dass sie aus einem globalen Topf schöpfte, räumte dabei aber bewusst Communities aus dem Bereich der digitalen Kunst selbst einen gewissen Vorrang ein: einzelnen digitalen Kunstprojekten, die sich ihr eigenes Publikum suchen und es zu Mitstreitern machen; Netzkunst-Kritikern und -Kompilatoren, die sich der nie endenden Herausforderung stellen, digitale Kunstwerke zu entdecken und zu kuratieren; und natürlich Online-Communities, die den digitalen Künstlern selbst dienen.

In der Kategorie einer künstlerischen Arbeit, die sich durch die Begründung einer eigenen Community und die Zusammenarbeit mit dieser verändert, besticht Man with the Movie Camera gleichermaßen als eigenständige künstlerische Arbeit (mit ihrem Bezug auf den berühmten gleichnamigen Film von Dziga Vertov aus dem Jahr 1929) wie auch als ein Stück sozialer Kunst, das eine spezialisierte digitale Gemeinschaft begründet und anspricht. Mit der Verfertigung digitaler Nachschöpfungen der verschiedenen Szenen des Vertov-Films und deren Veröffentlichung in einer Form, die endlose Permutationen des Films erlaubt, wobei die neu geschaffenen Versionen jeweils nahtlos aus den Online-Beiträgen montiert und neben den Originalfilm gestellt werden, arbeiten die User an dem Werk mit und werden schließlich eine Matrix für eine unablässige Revision des Vertov-Originals geschaffen haben.

Der Herausforderung, die kambrische Explosion digitaler Kunstwerke mithilfe von Web-2.0-Technologien zu katalogisieren und erfassen, stellt sich das Museumsprojekt steve, dem eine kunsthistorische Untersuchung der im museologischen Kontext verwendeten Terminologie zugrunde liegt. Fragen der Erneuerung der kunsthistorischen Methode zur Beschreibung traditioneller Kunstwerke wie Gemälde und Plastiken werden mit dem Ziel verbunden, durch die Anwendung neuester Tagging-Technologien in digitalen Netzwerken Wissen zu generieren – ein Projekt, das neue Einblicke in die Herausforderungen performativer Wissenschaft gewährt.

Die „gefundene Kunst“ bei FFFFound! besteht aus den vielen schönen Bildwerken, denen wir bei unseren Streifzügen im Netz begegnen. FFFFound! bildet mithilfe von „Social-Bookmarking“-Technologie eine Kuratoren-Community. Man wähle einfach einen ihrer vielen User und schaue sich an, nach welchem Geschmack er oder sie sammelt und das Entdeckte in einen neuen Zusammenhang stellt. Oder man überlasse es der Website, aufgrund der getätigten früheren Aufrufe den eigenen Geschmack zu erkennen. FFFFound! wandelt auf einem schmalen Grat zwischen den Algorithmen von Empfehlungsmaschinen, den speziellen Vorlieben einzelner Kunstliebhaber und der Herausforderung, bei der Rekontextualisierung die Intentionen des Urhebers zu respektiern. Die Site zeigt auch eine gute Möglichkeit, wie man verhindert, dass eine Sharing-Community im Spam ertrinkt oder ihr Vorhaben verwässert wird: Jeder Kurator kann nur ein einziges FFFFound!-Mitglied werben – eine künstliche Beschränkung, die zwar das Wachstum der Site hemmt, dafür aber ihren Charakter wahrt.

Wenn FFFFound! ein Navigationswerkzeug für Betrachterist, um die Welt der bildenden Online-Kunst zu durch - streifen, so ist Freesound ein Navigationswerkzeug für Audiokünstler, um die Potenziale ihres Rohmaterials zu erkunden. Als gemeinschaftliche Datenbank von Creative-Commons-lizenzierten Sounds versucht Freesound weniger, fertige Werke als vielmehr Grundbausteine von Audiowerken zu sammeln oder indizieren. Typische Einträge in dieser Sound-Datenbank sind etwa der 1:47 Minuten lange Gesang eines Buchfinken im Schwarzwald oder das drei Sekunden dauernde Klicken eines Kameraverschlusses. Zum Durchsuchen dieser wuchernden Klanglandschaft hat Freesound seine ganz eigenen einmaligen Tools geschaffen. Kleine Grafiken neben der Abspieltaste stellen den Klang wie Tufte'sche Sparklines in Wellenform dar. Mittels geokodierter, mit einer Weltkarte gekoppelter Klänge kann man sich per Maus von „Fröschen in einem Graben“ in der westlichen Kapprovinz Südafrikas über den Atlantik schwingen, um an der chilenischen Küste der Geräuschentwicklung einer Herde Wildpferde zu lauschen. Über 500.000 User greifen auf das Freesound-Archiv zu oder tragen zu ihm bei, um es für ihre eigene Kunst zu nutzen oder unser Wissen über das im Rauschen der Welt steckende Kreativpotenzial zu erweitern.

An der Bandbreite gemessen, ist ASCII – reiner Text – wohl die primitivste Form der Online-Kommunikation. Doch wie sechstausend Jahre Schriftkultur gezeigt haben, ist Text ein hervorragend komprimierter Bit-Strom. Readme.cc ist eine von der EU geförderte Website, die versucht, eine Brücke zwischen der Welt der Literatur und der Welt des Internet zu schlagen – und zugleich Verbindungen zwischen Angehörigen verschiedener Sprachen zu schaffen. Sprachen wirken online nicht minder trennend wie in der Welt der Literatur, doch bietet uns das Netz eine Möglichkeit, einem jeden Publikum, zumindest grob, unsere Begeisterung über ein gutes Buch mitzuteilen. Mit seiner Verknüpfung von Buchliebhabern aus zehn Sprachen, zeigt Readme.cc, dass das Allgemeine der Literatur selbst die Form zu übersteigen vermag, in der sie sich ausdrückt.

Technologie und Gemeinschaft
Die digitale Gemeinschaft schreibt, wie so vieles im Umfeld des Prix Ars Electronica, allmählich ihre ganz eigene Geschichte. Die ältesten digitalen Communities nahmen das bloße Skelett des Internet her und schufen daraus vor Leben sprühende Habitate. Nun streben die unverwüstlichsten von ihnen in einen anspruchsvolleren Markt: die gentrifizierten Regionen neuester Technologie. Das von Hiroyuki Nishimura gegründete Internet-Forum 2channel machte dieses ASCII-basierte Format unter japanischen Nutzern zu einer weit verbreiteten Kunstform und etablierte anonyme Postings als ein bedeutendes Ausdrucksmittel japanischer Kultur. Nun führte Nishimura das Ganze weiter und beteiligte sich an der Entwicklung von nico nico douga: der Übertragung des Zwischenrufs auf Videoclips à la YouTube. Bei nico nico douga (wörtlich: Smiley-Video) können Videos graffitiartig mit Textkommentaren versehen werden. Wie 2channel führt nico nico douga das Medium des Zwischenrufs zu neuen Höhen. Laut Wired ist nico nico douga erst der Anfang des Web-2.0-Booms in Japan, aber ein wichtiger Schritt in die digitale Gemeinschaft, die das Herzstück des digitalisierten Japan bildet.

drupal ist ein Open-Source-Projekt, das es Communities ermöglicht, rasch die technisch avancierteren Elemente der besten Websites zu übernehmen, ohne dazu ein Kernteam von Technikern zu benötigen. Mit der Freigabe des Quellcodes 2001 wurde drupal schnell zu einer der Standardlösungen für Websites, die nicht nur ihren Inhalt selbst generieren, sondern auch die Leser daran teilnehmen lassen wollten. Mit seiner Herkunft aus der Bulletin-Board-Software ist die Anwendung auch überaus demokratisch in ihrem Umgang mit Inhalten. Jede Seite auf einer drupal-Website ist potenziell kommentierbar, jeder User könnte einen eigenen Blog einrichten. Nach langem Ringen um eine vernünftige Roadmap, statt gleichzeitig in zu viele verschiedene Richtungen zu gehen, ist drupal heute an einem Punkt angelangt, wo die Einfachheit der Installation und die reichen Möglichkeiten seines unabhängig geschriebenen Modulsystems mit diesem Versprechen Schritt hält. Unsere Anerkennung geht sowohl an drupals Beitrag zur Bildung anderer Gemeinschaften wie auch an die eigene altgediente Community.

Wenn Codes die Bausteine sind, aus denen ein Online-Habitat gebaut wird, so sind Daten sein Mörtel. Doch während die Verfügbarkeit von Codes mit der Open-Source-Revolution geradezu explodiert ist, werden viele Daten über unsere Welt immer noch unter Verschluss gehalten. Das trifft traurigerweise vor allem auch auf Daten zu, die im Namen der Allgemeinheit gesammelt und von ihr bezahlt wurden. Zu viele Länder haben ausgerechnet Daten über Gestalt und Beschaffenheit des unter den Füßen ihrer Bürger liegenden Grund und Bodens gehortet und versuchen nun, etwas zurückzuverkaufen, das bereits bezahlt wurde. openStreetMap ist ein internationales Projekt, das ein genuines Gemeingut in einem Bereich schafft, den uns die Regierungen vieler Staaten vorenthalten. Das Projekt sammelt Tausende von GPS-Spuren seiner User, aber auch Datensätze von professionellen Organisationen wie etwa Taxiunternehmen, die ein Interesse am freien Zugang zu Straßen und Topologiedaten haben. Von den bescheidenen Anfängen im UK (wo die staatliche Kartenbehörde, der Ordnance Survey, den Gebrauch öffentlich gesammelter Informationen mit restriktiven Lizenzen belegt) ist die Datenbank nun auf Dutzende Länder angewachsen, die bislang keine öffentliche Beschreibung ihrer eigenen Geografie kannten. Unter einer Creative-Commons-Lizenz zur Verfügung gestellt, ist openStreetMap eine praktische Umsetzung des Woodie-Guthrie-Songs „This land is your land“.

Vielen von uns bleibt die faszinierende Welt des Programmierens für immer verschlossen. Wir kennen nicht das aufregende Gefühl und die Macht, die mit der Fähigkeit verbunden sind, die uns umgebende Technik zu steuern und dazu zu bewegen, was wir wollen, und nicht, was unsere Bosse, Technologieunternehmen, Regierungen und abgehobenen Technokraten wollen. Ein Zugang zum Codieren ist ein möglicher Weg aus dieser modernen Zwickmühle. Kinder die mit Scratch, unserer nächsten Anerkennung, konfrontiert werden, erhalten die Möglichkeit, diese Macht zu erkunden, mit ihr zu spielen, sie abzulehnen oder sich zu eigen zu machen, noch bevor sie lesen und schreiben können. Scratch ist eine vom MIT entwickelte Programmierplattform, die sich zum Strukturieren von Programmen visueller Signale und nicht geschwungener Klammern oder Einrückungen bedient. Aufbauend auf die altehrwürdige Lernumgebung (und Hauptinspirationsquelle für das objektorientierte Programmieren und die grafische Benutzeroberfläche mit Fenstern und Maus) SmallTalk, bietet Scratch Funktionen, mit denen Kinder ihre Programme leicht hochladen und mit anderen teilen können. Eine Community von Kinderprogrammierern hat die Chance, zu einem tieferen Verständnis der digitalen Welt zu gelangen: eine Erkenntnistiefe zu erreichen, die sich der Rest von uns nur vage vorstellen kann.

Brückenbau
Die Verknüpfung von Communities war dieses Jahr ein häufiges Thema. Es tauchte bei zahlreichen Einreichungen auf und war ein Merkmal aller drei Preisträger-Projekte.

Auch bei drei Anerkennungen gab das, was Robert Putnam, der Autor von Bowling Alone, „die Bildung von Sozialkapital“ nennt, den Ausschlag für unsere Entscheidung. Take Back the Tech ist ein Projekt, das auf den ersten Blick einen seltsamen Sprung zu machen scheint, aber dann bei näherem Hinsehen mehr Sinn zu machen beginnt: die Verbindung von IKT-Entwicklung mit der Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen. Das persönliche Empowerment, das von Computern ausgehen kann, ihre Befähigung zum Erzählen der eigenen Geschichte, insbesondere anonym, für andere am selben Ort, ihre Fähigkeit, Einheit unter einer sonst verstreuten, machtlosen Gruppe zu stiften, all das sind mächtige Waffen im Kampf gegen gewalttätige Übergriffe in männerdominierten Gesellschaften.

Ist der Wert von Take Back The Tech bei genauerer Überlegung leicht zu erkennen, so scheint die Elternschaft der um Groklaw herum entstandenen Community weniger augenfällig zu sein. Technik-Freaks und Anwälte stammen von verschiedenen Planeten: Aber als sich die beiden Gruppen zusammentaten, um eine Gefahr für Linux und die Open-Source-Entwicklung abzuwehren, war das Resultat für beide von Vorteil. SCO ist ein Unternehmen, das glaubte, eine perfekte Profit-Maschine gefunden zu haben, indem sie Linux-User zur Kasse bitten, mit der Behauptung, das freie Betriebssystem beruhe auf proprietärem Code von SCO. Um gegenzuhalten, mussten die Linux-Enthusiasten mit ihrem Fachwissen erstmal die ebenso byzantinische Welt US-amerikanischen Rechts bezwingen. Dass Groklaw dies gelang, trug nicht nur zur Rettung der Free Software bei, sondern machte Pamela Jones, den Webmaster der Community, auch zu einer Internet-Heldin. Bei der Open-Source-Software machen viele Augen alle Fehler trivial – im Rechtswesen machen viele Augen selbst teuerste Gerichtsverfahren anfällig für die Wahrheit.

Und dann wurde noch an einer jahrtausendealten Mauer gerüttelt. yeeyan ist eine chinesische Website, die die Sprachbarriere zwischen China und dem Westen zu überwinden versucht – Text für Text. Ursprünglich eine Website für den raschen Informationsaustausch von Übersetzern, die die vielen Medienressourcen unentgeltlich ins Mandarin und Kantonesische übertrugen, ist yeeyan heute zu einer Drehscheibe für alle geworden, die die Welt außerhalb Chinas verstehen wollen – aber auch für Westler, die sich von Chinesen aus erster Hand informieren lassen wollen. Von Gedichten bis zu neuesten Techniknachrichten sorgt yeeyan für Subtilität und Verschiebungen der kulturellen Landkarte, wo die Maschinenübersetzung von Google versagt.

Auszeichnungen
Bei unseren beiden Auszeichnungen setzt sich das Brückenbauthema fort, aber mit einem weiter gefassten Mandat.

Global Voices ist ein weltbekanntes globales Projekt, das mehrere Dutzend Graswurzel-Journalisten beschäftigt, um Online-Stimmen aus der ganzen Welt zu sammeln, zu übersetzen und zu interpretieren. Ursprünglich als Mittel zum Aufbrechen der Isolation gedacht, die alle nationale Medien befällt (zu wenig internationale Berichterstattung, zu viel Lokales und Nationales), hat sich Global Voices in den letzten Jahren zu einer ganz eigenen machtvollen Stimme entwickelt.

Die Site ist imstande, jederzeit über Geschehnisse auf der ganzen Welt zu berichten, und zwar oft schneller und sorgfältiger als die traditionellen Medien. Die daran mitarbeitenden Redakteure zitieren nicht nur neutral aus der jeweiligen lokalen Blogosphäre, sondern beleuchten die in aller Welt auftretenden allgemeinen und besonderen Probleme auch durch ihre persönliche Einblicke und Erkenntnisse. Die dynamische Website versammelt verstreute Stimmen und arrangiert und koordiniert sie in einer Art und Weise, die es dem Leser erlaubt, sich entweder in die Geschichte einer Region zu versenken oder einen Schritt zurückzutreten, um einen wahrhaft globalen Überblick über die jeweiligen Anliegen zu gewinnen. Wie um zu zeigen, dass auch die heterogenste Community immer eine gemeinsamen Basis finden kann, hat die Site auch einen Aktionsflügel gebildet, der international Hilfe und Öffentlichkeit für in Haft geratene Blogger und andere mit Zensur kämpfende oder das globale Gespräch zwischen gegensätzlichen Lagern suchende Online-Akteure koordiniert. Für den jahrelangen Brückenbau zwischen Internet und Welt vergeben wir an Global Voices eine der Auszeichnungen in der Kategorie Digital Communities.

Mehr und mehr Menschen in aller Welt sind mit Krankheiten wie ALS, Multiple Sklerose, Parkinson, HIV und affektiven Störungen (z. B. Depression, manisch-depressive Störung, Angst usw.) konfrontiert und damit auch von Isolation, Ausschluss und Mutlosigkeit bedroht. PatientsLikeMe ist ein Ort für Menschen, die sich mit der sozialen Unterstützung von Leidensgenossen aktiv mit ihrer Krankheit auseinandersetzen wollen. Auf der PLM-Website interagieren Patienten, um bessere Heilerfolge zu erzielen, wobei die von ihnen zur Verfügung gestellten Daten der Forschung zugleich Aufschluss über das Verhalten dieser Krankheiten in der Alltagsumgebung liefern. PatientsLikeMe versucht, die größte Sammlung von Daten über das Krankheitsverhalten im Alltag anzulegen und damit die Entdeckung neuer, besserer Behandlungsmethoden zu fördern. Die Site soll ihren Nutzern in erster Linie helfen, Leidensgenossen zu finden und sich mit ihnen auf einer Ebene auszutauschen, die Welten von der üblichen Zugangsweise der Schulmedizin entfernt ist. Zugleich aber lassen sich die zur Verfügung gestellten Online-Tools auch zur wissenschaftlichen Überprüfung der eigenen Heilfortschritte und zu deren Verbesserung mithilfe einer erfahrenen Community verwenden. PatientsLikeMe ist nicht bloß ein medizinisches Hilfsmittel, es ist das sehr persönliche Herzstück eines wahrhaft gemeinschaftlichen Rehabilitationsversuchs.

Goldene Nica
1kg More hat einen sehr einfachen Namen und beruht auf einer sehr einfachen Idee. Jeder, der in China von der Stadt auf das Land reist, vom Rucksacktouristen bis zum Geschäftsreisenden, kann problemlos ein Kilo Mehrgepäck mitnehmen, um es in einer der ärmeren Gemeinden dieses Riesenlandes abzuliefern. Die 1kg More-Website agiert dabei als Koordinations- und Vermittlungsstelle: Reisende können dort vor der Abreise erfahren, was Schulen auf dem Land benötigen; Fotos dienen als Beweis, dass sie ihr zusätzliches Kilo Gepäck abgeliefert haben (und mit den freudestrahlenden Schulkindern, die darauf zu sehen sind, auch als starker Anreiz für andere, sich an dem Projekt zu beteiligen).

Bücher, Schreibwaren und selbst Radiergummis sind in chinesischen Landgemeinden mitunter schwer erhältlich, doch sind staatliche und private Wohlfahrtsorganisationen rasch überfordert, wenn sie hier im großen Maßstab Abhilfe schaffen sollen, da diese Aufgabe dann leicht in Bürokratie, Betriebspolitik und/oder lokalem Misstrauen erstickt. Der einfache Vorgang, eine Verbindung zwischen einer Landschule und einem Reisenden herzustellen, hat sich da als wesentlich effektiver erwiesen – und den Beteiligten zudem ein befriedigendes persönliches Erlebnis verschafft. Das ist die Ebene, auf der das Internet bei der Gemeinschaftsbildung am besten funktioniert: mit je einer Person, über große Entfernungen, und mit der Möglichkeit, den Akt tausendfach zu wiederholen. „Verbinden, kommunizieren, teilen” lautet das Motto von 1kg More. Es könnte auch das Motto des Internet sein; es könnte das Motto jeglicher Gemeinschaft sein.

 
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