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Prix Ars Electronica
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Prix-Jury

 
 
Veranstalter
ORF Oberösterreich

Musik aus dem Schlafzimmerstudio
Kodwo Eshun


1996 wies der Komponist Bob Ostertag auf das Paradoxon hin, das den Prix Ars Electronica für Computermusik an einen Krisenpunkt geführt hatte: "Während sich der Computer in der Musik vom unsichtbaren zum geradezu unvermeidbaren Handwerkszeug entwickelt hat, ist das Spektrum jener Musik, die als Computermusik betrachtet wird, zunehmend rigid und festgefahren geworden. Wie kommt es zur Entstehung einer "Computermusik" anstatt einer Offenheit sämtlichen durch Computer ermöglichten Musikarten gegenüber?"

Die Änderung der Kategorie des Prix Ars Electronica von "Computermusik" zu "Digitaler Musik" anerkennt diese "Offenheit gegenüber sämtlichen durch Computer ermöglichten Musikarten". Mit dem Schwerpunkt auf digitaler Innovation ist die Jury des Jahres 1999 aufgebrochen, in die Klangwelten von 720 Einreichungen einzutauchen. Wir haben aufmerksam nach neuen Formen des Hörens gelauscht, und nichts hätte uns mehr gefreut, als den neuen Todd Dockstader oder den neuen Bernard Parmegiani zu hören - allein, die große Menge elektroakustischer und akusmatischer Einreichungen zeigte keine solchen Ikonoklasmen. Die Jurorin und Komponistin Laetitia Sonami stellte fest: "Es liegt eine gewisse Arroganz in der Ausdrucksweise, die da behauptet, um anerkannt zu werden, müsse man dieser Ausdrucksweise folgen, und niemand hinterfragt das. Es gibt keine Selbstregenerierung, und weil es eine akademische Welt ist, kann sie mit und in sich selbst leben. In diesem Fall gibt es keinen kommerziellen Imperativ, und deswegen halten sich diese Art von Blasen weiter am Leben." Wie ein König, der sich seines Gottesgnadentums nur zu sehr bewußt ist, hat das Ancien Régime der elektroakustischen Musik eine Noblesse-oblige-Attitüde um ihrer selbst willen eingenommen und sich eine unverdiente Autorität beigemessen, auf die Gefahr hin, in kultureller Irrelevanz zu versinken.

Aber Sonamis Argument trifft auch auf andere Bereiche zu: Es gab genauso viel formelhafte Musik außerhalb wie innerhalb der Akademien. Die heutigen grafischen Software-Werkzeuge wie GRM Tools oder Soundhack verlocken die Produzenten mit ihren unzähligen Menüs voller Optionen; sie führen dazu, daß die Komposition und die Tonspur vorhersagbar werden und sich nicht mehr von dem unterscheiden,was ein Programm wie SuperCollider hervorbringt. Der diesjährigen Jury gehörten die beiden Produzenten und Toningenieure Tim O'Rourke und Robin Rimbaud aka Scanner an, die beide ganz besonders empfindsam sind für eine digitale Transparenz, in der die einzelnen Klangsignaturen ohne weiteres einer bestimmten Software zuzuordnen sind.

Viele Einreichungen basierten zum Beispiel auf digitaler Signalverarbeitung. Der großartige schüttelnde, purzelnde, klingelnde Klang des GRM Shuffler VST-Mode war immer und immer wieder zu hören. "Ich werde allergisch gegen Leute, die einfach Dinge bearbeiten, bloß weil sie das eben können", hat O'Rourke sich mehr als einmal beschwert. "Es ist egal, was sie am Punkt A einsetzen, weil ohnehin nur der Prozeßklang übrig bleibt." Die Verbreitung der Software hat nun einerseits einen demokratisierenden Effekt: Wenn am Ende der 90er Jahre ein kleiner Techno-Produzent in seinem Mini-Studio in der Garçonniere die gleiche Software verwendet wie eine akusmatische Komponistin in ihrem Universitätsstudio, so werden beide digitale Musiker, Powerbook-Komponisten.

Andererseits ist das letzte GRM-Upgrade weniger wichtig als ein eindeutiger klanglicher Denkprozeß, und deswegen wird die Art und Weise, wie man sich dem digitalen Studio nähert, immer entscheidender, und das Aufeinanderprallen zwischen verschiedenen Arten des Hörens wird eher zu einer Schlacht zwischen den Geräuschen der Kunst und der Musik des Klangs.

In seinem fidelen Hin und Her zwischen Horror und Humor, in den Bruchteilen von Sekunden, die zwischen Grinsen und Grausen standen, hat die Jury im Musikvideo "Come to Daddy" eine neue digitale Ästhetik entdeckt und die Goldene Nica einstimmig seinem englischen Video-Regisseur Chris Cunningham und dem einflußreichen englischen Elektronik- Produzenten Richard James / Aphex Twin zuerkannt. "Come to Daddy" - aufgenommen im Thamesmead-Areal in South East London, wo Stanley Kubrick sein "Uhrwerk Orange" gedreht hat - ist der erste Teil von Cunninghams klassischer Video-Trilogie, gefolgt vom superkinetischen Squarepusher-Video "C'mon my Selector" (1998) und dem überaus lasziven "Windowlicker"-Video (1999), ebenfalls für Aphex Twin. Die Zusammenarbeit von Cunningham und James läßt sich durch das charakterisieren,was der Komponist und Dirigent Naut Humon eine "klanggesteuerte Ästhetik der extremen Mutation" nennt, eine Ästhetik, die das Artifizielle in uns anspricht, während sie von mikrotechnisch konstruierten Rhythmen in eine brutalisierende psychotische Musik mit einer Virtuosität aus dem Bauch heraus übergeht.

Wenn Programme unmittelbar erkennbar werden, ist es nicht weiter schwierig herauszuhören, wie die Software ihren Anwender manipuliert. Einer der Schlüsselansätze der 90er-Jahre blockiert diese Tendenz, indem der Punkt des Zusammenbruchs in ein neue digitale anhaltende Irritation umgewandelt wird, in eine immanente Unfolgsamkeit, die jenen Moment maximiert, an dem der Prozessor seine 100prozentige Auslastung erreicht und das Powerbook abstürzt. In den 60ern erforschte Jimi Hendrix das immanente Potential der Gitarrenrückkopplung durch den Verstärker, indem der das Geräusch der Destruktion zur Kunst erhob. Die heutigen Powerbook-Komponisten machen das gleiche, indem sie die elektronische Katastrophe in Musik verwandeln und uns dazu bringen, den Klang des Versagens, die Kunst des Unfalls zu genießen. "Mir gefällt es, wenn das Digitale nicht funktioniert", sagt Robin Rimbaud. Quer durch das Audio- Spektrum arrangieren Produzenten digitale Irrtümer in neue körnige synthetische Töne, verwandeln Un- und Zufälle in rhythmische Texturen, öffnen alle Sound-Files, bis die grafische Benutzeroberfläche den Geist aufgibt.

Vorreiter dieser Tendenz waren Aphex Twin und die Preisträger einer der diesjährigen Auszeichnungen: das Wiener Mego-Label. Anstatt den Preis zwischen den beiden Mego- Einreichungen "Hotel Parall.lel" von Christian Fennesz und Pitas - d. h. Peter Rehbergs - "Seven Tons for Free Remaster / Version 1.2" aufzuteilen, hat die Jury mit den Konventionen des Prix Ars Electronica gebrochen und sich O'Rourkes Vorschlag angeschlossen, die Auszeichnung dem Mego-Label als ganzem zuzuerkennen.

Klanglich gesehen besteht Peter Rehbergs "Seven Tons for Free Remaster / Version 1.2" aus pulsierenden, zischenden, klappenden Sinuswellen-Tönen, die auf einem frühen 8-bit 520er Powerbook arrangiert werden. Auf der "Hotel Paral.lel"-CD hört man eine mikropulsierende Variation, in der die Klänge sich in das und aus dem Erkennbaren bewegen und um den Wahrnehmungspunkt des Hörers verschieben. Eine blecherne Gitarre wird zu einem Kratzen, das in eine trommelfellsprengende Sinuswelle ausbricht, die bis zu einem hochtönenden Geheul ansteigt, das zu einer neuen Art allerneuesten verbesserten Tinnitus wird. Seit Mitte der 90er-Jahre hat Mego das definiert, was O'Rourke "eine ganz neue Punk-Computermusik" nennt, eine "Punk-Ästhetik des Do-it-yourself: Presse deine eigenen
Platten und bring deine eigene Distribution in Gang".

Dies erzielten sie erstens durch eine Mutation der Echtzeit-Sinuswellensynthese-Strategien, die man aus der akademischen Computermusik kennt, und zweitens dadurch, "daß sie das aus dem Zusammenhang der Kunst-Musik gerissen haben", wie O'Rourke argumentiert hat, ein "Schachzug, der als solcher ebenso anerkannt werden muß wie die Musik." Robin Rimbaud erklärte:"Sie erkennen darin eine größere Welt an, während ich sonst bei der elektroakustischen Musik immer den Eindruck bekomme, außerhalb gäbe es nichts."

Die zweite Auszeichnung ging einstimmig an die in New York beheimatete japanischen Komponisten- Veteranin Ikue Mori für "Birth Days", ihre beeindruckende dreiteilige Suite für Alesis Drum Machine. Live vorgetragen, gelingt es Mori dank ihrer Virtuosität, aus den einfachsten Werks-Voreinstellungen einander kreuzende und gegenläufige "Polyrhythmelodien" zu generieren und diese in einen bezaubernden Kompositions-Audio-Irrgarten zu arrangieren. Moris rhythmische Zauberei unterstreicht einmal mehr, in welchem Maße der Rhythmus die Herausforderung der Ars Electronica im Jahr 2000 und darüber hinaus sein wird.

Als die Jury-Mitglieder Produzenten aus den einander überschneidenden Welten von Plattentellerdrehern, Hiphop und Electronica auf den Prix 99 ansprachen, begegneten sie einem Spektrum des Widerstands, das von Indifferenz bis zur offenen Ablehnung reichte. Jahre des Inseldaseins haben den Eindruck hervorgerufen, der Prix Ars Electronica unterscheide sich in keiner Weise vom Festival von Bourges, auch so einem Elite-Wettbewerb, wo Komponisten anderen Komponisten die Preise zuerkennen.

Und so konnte ein einflußreiches Duo wie Autechre nicht überzeugt werden, weil sie darauf bestanden, daß an dem, was sie tun, nichts Besonderes sei. Solch eine extreme Selbstabwertung kontrastiert allerdings mit der Mehrheit der Einreichungen, bei denen - bewußt oder unbewußt - die kompositorischen Begleitnotizen oft als Alibi für eine eher "unterzeugende" Musik herhalten mußten.

Komplexe Erklärungen, die detailliert darlegen, wie die MetaSynth-Software visuelle Daten scannt, um ein Audio-Produkt zu erzeugen, erweckten häufig Hoffnungen, die die Musik dann in keiner Weise befriedigte. O'Rourke hat die Meinung der gesamten Jury ausgedrückt, als er bemerkte: "Wenn jemand großes Getue darum macht, woher er kommt, und ich das aber nicht hören kann, dann ist das für mich ein Argument gegen ihn." Wenn man die akusmatische Musik getrennt von ihrem Programm hernahm,war sie oft nicht vom Sound-Design à la Hollywood zu unterscheiden - mit dem einen Unterschied, daß ihr die Dramatik von - beispielsweise - John Rizzells Musik zu "Alien Resurrection" fehlte.

Die wichtigste Ausnahme war hier das in Montreal beheimatete Künstlerkollektiv The User. Ihr Manifest erklärte kurz und bündig, wie ihre "Symphony for Dot Matrix Printers" die "Ambient-Technologie" in eine "musikalische Struktur umsetzt", die gleichzeitig als "Technologiekritik" in Form einer Parodie auf die archetypische Büroeinheit auftritt. Die Symphony for Dot Matrix Printers des Architekten Thomas Macintosh und des Komponisten Emanuel Maden beeindruckte die Jury hinreichend, um eine Anerkennung zu verdienen. "Nadeldrucker", so erklären sie, "werden in musikalische 'Instrumente' verwandelt,während ein Computernetzwerk - typisch für das Büro der Gegenwart - zum ,Orchester' wird, das diese Instrumente spielt. Das 'Orchester' wird von einem Netzwerk-Server 'geleitet', der von einer komponierten 'Partitur' abliest." Ihre Ideen haben nicht nur ihr Projekt verstärkt, sondern ihre Installation überwand auch den dekontextualisierenden Effekt des Video-Abspielgeräts, der alle anderen Stücke ihres spezifischen Eindrucks beraubt hat. Die digitale Musik der späten 90er Jahre neigt dazu, eher pragmatisch als programmatisch zu sein. Programmatische Bezüge werden getarnt; ein "Schreibfehler" wie im Album-Titel "fsck" der Mego- Gruppe Farmers Manual, oder "Mouse on Mars"- Kompositionen wie "X-Flies" oder "Tamagnocchi" sagen ebensoviel aus wie ein Manifest. Eine bewußte Falschschreibung, die dich deinen Augen nicht mehr trauen läßt, ist ein komplettes Manifest, komprimiert und abgekürzt, verschlüsselt und als Trojanisches Pferd voller Spott und Sarkasmus hinterlassen.

Die Jury freute sich besonders, eine der zwölf Anerkennungen dem Berliner Produzenten Stefan Betke für sein "Pole"-Projekt zuzuerkennen. "Pole" verwendet den simplen Waldorf-Filter, um das fast hypnotisierende Ploppen, Knacken und Klicken seiner "Pole 2"-CD zu erzeugen. Der implizite Rhythmus seines einhüllenden Basses anerkennt und erweitert jenes sehr einflußreiche Techno-Dub-Kontinuum, das das Berliner Label Basic Channel / Chain Reaction durch die ganzen 90er Jahre vertreten hat.

Das Kölner Duo Mouse on Mars - die elektronischen Komponisten Jan St. Werner und Andi Toma - erhielten eine Anerkennung für die bezaubernden mikrotechnischen Strukturrhythmen ihres aufwendigen Albums "Autoditacker" (1997). Emotional gesehen, demonstrieren Mouse on Mars exemplarisch die Freude am Spielzeug oder, wie eine andere Anerkennungspreisträgerin - die elektroakustische Komponistin Rose Dodd - es ausgedrückt hat, am "Kinderzimmer", am Eigenleben des Spielzeugs im Spielraum eines Kindes. Ihre Melodien sprühten und funkelten, wandten sich und explodierten. Wie ein jüngerer hypermelodischer Bruder von "Hotel Paral.lel" schwelgte "Autoditakers" rastlose Variation in der Komplexität eines Ameisenhaufens. Wenn zuviel Information durch den Input gejagt wird, führt das zum explodierenden Effekt der Reibungsformen in einem nie endenden Leben.

Die Suite des deutschen Produzenten Bernhard Günter, "The Ant Moves / The Black and Yellow Carcass / A little Closer", fand ebenfalls Anklang und wurde mit einer Anerkennung bedacht. Robin Rimbaud: "Er hat eine Vielzahl von Kompositionen beeinflußt, die in den letzten fünf oder sechs Jahren entstanden sind." Die extreme Ruhe von Günters mikroklanglichen Stücken erforderte eine besondere Konzentration auf die bearbeiteten Naturklänge, die am äußersten Ende des Hörbereichs angesiedelt sind. Wenn man dem Akt des Zuhörens zuhörte, so versank die eigenen Aufmerksamkeit in die Elektronik des Alltags, ins Summen der Radiatoren, ins Ticken der Uhren. Auf der Ebene der Mikro-Wahrnehmung wurden die Grenzen zwischen Stille und Zufälligkeit plötzlich durchlässig. Irgendwann ersuchte O'Rourke Naut Humon, doch sein Powerbook abzudrehen, und plötzlich sprangen die bisher vom leisen Summen der Maschine übertönten Klangereignisse in den Bereich des gut Hörbaren.

Am anderen Extrem verwendete "Metabolic Speed Perception" der Komponisten Zbiegniew Karkowski und Masami Akita (Merzbow) die granulären Internet-Klänge von Einwählverbindungen, um einen Fluß harmonischer Obertöne zu generieren, die in der Geräuschtradition von Merzbow und Lou Reeds "Metal Machine"-Musik stehen. Wie viele andere Komponisten verwendeten auch sie die internen Klänge der Software, aber anders als bei den meisten erhöhte dieses Wissen in diesem Fall die Faszination ihrer Musik.

Digitale Prozesse generieren neue Formen des Chaos; die Musik organisiert dies zu dem, was Felix Guattari "Chaosmos" genannt hat. Das Jahr 1999 war jenes, in dem der Prix Ars Electronica den Chaosmos gehört hat, das Jahr, in dem die Gefahr, das Unbekannte in das instabile Medium der digitalen Musik zurückgefunden hat.



 
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