Lothar Krempel
Seit Menschengedenken entstehen Bilder. Prähistorische Höhlenzeichnungen zeigen, dass die Menschen mit Materialien umzugehen wussten, und dadurch Bilder schaffen konnten. Einige dieser Bilder haben ihre Urheber lange Zeit überlebt und geben heute einen Einblick in das Leben der Vorzeit.
Auch wenn Künstler ihre Techniken immer weiter verfeinert haben, um hoch realistische Bilder zu schaffen, haben sie gleichzeitig für die Kirche, den König und die Adelschicht gearbeitet. Sie haben Ikone, Symbole und Metaphern als visuelle Sprachen eingesetzt, um zeitgenössisches Gedankengut, Traditionen und Ideen zu vermitteln.
Bilder können hoch realistische Eindrücke der Welt geben. Sie dienen als Speicher, um Informationen aufbewahren. Die Darstellung der „Welt“ ist aber mit einem entscheidenden Problem verbunden, worüber sich die Menschheit im Laufe der Geschichte immer wieder den Kopf zerbrochen hat. Wie echt sind Bilder? Können Bilder uns helfen, zur Wahrheit zu gelangen?
Die visuelle Kommunikation ist im höchsten Maße aussagekräftig. Ikonoklasmen (Bilderstürme), bei denen die Menschen versucht haben, sich von falschen Darstellungen der Welt zu befreien, sind kein Einzelereignis der Weltgeschichte.
Dies könnte erklären, warum die Wissenschaft lange zögerte, das Potential von Bildern einzusetzen. Auch wenn die Techniken, hoch realistische Bilder zu schaffen, im 15. und 16. Jahrhundert bereits bestanden, haben nur wenige Wissenschaften graphische Technologien in ihre Methodologie aufgenommen. Die Werkzeuge waren zu mächtig und die graphischen Mittel zu wenig erfasst.
Die Wissenschaften, die beständige visuelle Eindrücke sammeln mussten, wie etwa die Biologie und die Anatomie, begrüßten die neuen graphischen Technologien. Sie machten es möglich, Informationen zu speichern und Vergleiche und Einteilungen vorzunehmen. Die heutigen graphischen Verfahren, die mit der Fotografie arbeiten, bieten eine mehr oder weniger spontane Darstellung vom äußeren Erscheinungsbild der Dinge.
Im Gegensatz zu anderen wissenschaftlichen Disziplinen hat die Kartographie schon sehr früh einen reichen Korpus von graphischen und geometrischen Darstellungen entwickelt. Vor die Aufgabe gestellt, eine Menge von Beobachtungen zu ordnen, haben Kartographen strenge Regeln und Konventionen zur Verwendung von graphischen Zeichen entwickelt. Dies ermöglichte es ihnen (und dem Militär), große Mengen von geographischen Informationen zu organisieren, zu speichern und auf sie zurückzugreifen.
Die Wissenschaften, welche danach trachten, die Regelmäßigkeiten, die sich hinter der Oberfläche von Phänomenen bergen, aufzufinden, haben traditionell geringen Gebrauch von visuellen Darstellungen gemacht. Experimente und statistische Untersuchungen sind normalerweise auf ganz bestimmte Fragestellungen ausgerichtet. Diese werden mit Hilfe von statistischen Diagrammen geantwortet mit Hilfe von Zeichen, die sich auf Punkte, Linien und Kurven beschränken. Durch das wachsende Interesse für das Verständnis der Wechselwirkung von Elementen in komplexen Systeme, das analytische Potential, um miteinander verwobene Netzwerke von Beziehungen zu analysieren, die Weiterentwicklung von Algorithmen, die es ermöglichen, große Mengen von Beobachtungen mit Darstellungen von Systemen zu verbinden, wird sich wahrscheinlich alles verändern. Die Komplexität und die vielschichtige Natur von solchen Netzwerken bringen so riesige Mengen von Informationen hervor, die in numerischer Form nicht mehr überblickt werden können.
Die Tatsache, dass viele Wissenschaften, vor der graphischen Kommunikation zurückschreckten, lässt sich als eine Form der Abschottung deuten. Das Festhalten an einem verbalen Code hat aber das Potential eingeschränkt, die multi-dimensionale Natur der hier untersuchten Gegenstände zu erkennen. Die Sprache und der gedruckte Text ist sequentiell angeordnet. Text kann nicht gleichzeitig verschiedene Dinge auf einmal vermitteln. Graphische Verfahren haben hingegen eine viel größere Bandbreite und können verschiedene Informationen gleichzeitig vermitteln.
Die Netzwerkforschung von heute ortet virtuelle Netzwerke, Informationslandschaften, die von automatischen Routineverfahren hervorgebracht werden. Wie ein geographischer Atlas identifiziert sie Positionen, die sich aber im statistischen Raum befinden. Farbe und Größen ermöglicht es ihr, zusätzliche Informationen in diese Welten abzubilden. Die menschliche Wahrnehmung eignet sich besonders gut für die Erkennung von Regelmäßigkeiten, die sich als lokale Muster erkennen lassen. Die Wissenschaft ist in die Domäne der Kunst getreten. Wir haben erst begonnen, das riesige Potential dieser neuen Formen der Kommunikation zu erforschen. Wie man dies am besten tun soll, ist nun die Frage, die sich stellt.
Lothar Krempel (D), MPI-Max Planck Institute for the Study of Societies, Cologne
"Networks: Science-Art"
"Language of Networks" is a joint project of FAS.research and Ars Electronica Center.
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