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Lawrence Malstaf
http://www.fortlaan17.com
Chance = Change
Über das Werk von Lawrence Malstaf
Luk Van den Dries
Mit dem Werk von Lawrence Malstaf wurde ich erstmals bei einer Theater-Performance konfrontiert. „Sauna in exile“ war ein Projekt, das er mit Mette Edvardsen, Heine Avdal und Liv Hanne Haugen realisiert hatte. Es hinterließ einen bleibenden Eindruck.
Wie in allen seinen Arbeiten geht Lawrence Malstaf von einem sehr klaren und einfachen Konzept aus. In der Mitte eines Raumes befindet sich eine Sauna, die von allen möglichen Entspannungsbereichen umgeben ist, wo man Musik hören, Videos ansehen oder einfach nur einen Drink nehmen kann. Im Zentrum der Performance steht aber die Sauna selbst, eine richtige Sauna, die Besucher müssen sich entkleiden und dürfen die Installation nur im Bademantel betreten. Nackt gibt man sich der Hitze hin – und bevor man weiß, wie einem geschieht, führt einen ein ebenfalls nackter Schauspieler in den Umgang mit Birkenzweigenbüscheln („vihta“) ein, die die Blutzirkulation anregen. Einige Besucher scheinen sich in der Hitze gleichsam aufzulösen – dann beginnt die Choreografie.
Auch die Choreografie scheint sich in Hitze und Dunst aufzulösen. Und dies ist auch das zentrale Thema der Arbeit: Verdunstung, Evaporation. Nackt oder im Bademantel verschwindet jede Differenz zwischen „Besuchern“ und „Performern“. Ich bin in der Sauna, nackt, und ich bin auf der Bühne, im Begriff mich aufzulösen. Vielleicht wirke ich aus der etwas höher gelegenen Bar betrachtet auch wie ein Schauspieler? Aber spielt dies überhaupt eine Rolle? Geht es in dieser Arbeit nicht einfach nur um die eigene Erfahrung? In diesem Theater muss nichts gesagt, gezeigt oder imaginiert werden. Es geht um andere Dinge. Die Beobachtung des Körpers durch den Körper und die Menschen um mich herum. Es geht um die Intensität der Sinnesempfindungen. Wie Hitze und Kälte den Körper und die eigenen Reaktionen verändern. Erfahrungstheater, bei dem sich das Publikum den eigenen Theaterraum schafft, in dem man tun kann, was man will. Ein Theaterstück über die nackte Haut.
Eine zentrale Rolle bei dieser Erfahrung spielt der Besucher, der sich wie in einer echten Sauna den Hitze- und Kältewellen hingibt. Aber wir haben es hier mit einer potenzierten Sauna zu tun, einer Sauna in einem fiktiven Theaterraum. Eigentlich handelt es sich nur um die Repräsentation einer Sauna, gerade dadurch aber entsteht die besondere Erfahrung. Exponiert zu sein (in mehrerer Hinsicht), zeitigt Nebeneffekte. Der Besucher bewegt sich in einem Grenzbereich zwischen Sehen und Gesehen-Werden, der Wahrnehmung und Handlungen beeinflusst und eine subtile, weit verzweigte, bis in die feinsten Verästelungen zu spürende Wirkung auf den Körper ausübt. Aufgrund der Sinneswahrnehmungen ist dieser Zustand in erster Linie ein körperlicher, er beeinflusst aber auch das Selbstbild und das Projektionsverhalten. Das Selbst-Bewusstsein zerfließt im Kontext einer interaktiven Installation, in der alle gleich sind.
Die Hyperaktivierung aller Rezeptoren rührt direkt an die Alchemie der Theatervorstellung. Die Erfahrung ist so real und künstlich wie jeder andere Theaterabend, aber intensiver – aufgrund der Erfahrung des Zerfließens und der Auflösung der Differenz zwischen Beobachtung und Partizipation. Die Angst, sich zu exponieren, das Bewusstsein, beobachtet zu werden, insbesondere aber die Beobachtung des Körpers führen zu einer gesteigerten Innenschau. Es ist eine Art körperlichen Sehens, bei dem jede Stimulierung im Rampenlicht der Bühne intensiviert erfahren wird. Es lässt sich mit einer Meditation in der Rush Hour vergleichen. Mit dem Versuch, mitten im Chaos Zugang zum inneren Selbst zu finden. Nicht nur die Sauna ist im Exil – auch der Besucher, der sich gleichzeitig inner- und außerhalb seines Körpers zu befinden meint.
Malstaf entwarf nicht nur die Sauna, sondern auch einige der um sie herum aufgebauten Installationen, etwa „Shaft“: ein transparentes Kunststoffrohr, das wie ein Staubsauger funktioniert und diverse Objekte aufsaugt. Der Besucher liegt auf einem Sofa unterhalb des Rohrs und beobachtet Platten, die durch die Luft schweben, bis sie kollidieren und in Stücke zerbrechen. Die Spannung dieser Installation entsteht durch den Kontrast zwischen dem entspannten Körper und den unmittelbar über dem Kopf schwebenden und berstenden Platten. Ruhe und Gefahr in subtiler Balance. Man kann die Installation als Metapher für die Couch in der Psychotherapie betrachten, wobei die Wirkung auf den Körper hier im Vordergrund steht. Entspannung kombiniert mit Stress. Wie verändert sich die Wahrnehmung? Welche Muskeln sind angespannt und welche nicht? Wie geht man mit der Angst um? Solche Wahrnehmungsveränderungen stehen immer im Zentrum von Lawrence Malstafs Arbeiten. Geschickt attackiert er Haut und Ohren, Gleichgewichts- und Sehsinn. Er lässt einen die Balance und die Kontrolle verlieren und anders atmen. Genau dann, wenn der Herzschlag aus dem Takt gerät, schlägt Malstaf zu.
„Shaft“ ist beispielhaft für die meisten Arbeiten des Künstlers. Sie zielen alle auf die Täuschung der Sinne ab. Nicht durch Bildrätsel wie Escher, sondern durch gegensätzliche Impulse, denen der Besucher ausgesetzt ist. Malstaf führt einen in eine Grauzone, in der die gewohnte Wahrnehmung herausgefordert wird. In der Anthropologie ist dieses Phänomen als „limen“ (lat.: Schwelle; Victor Turner) bekannt: ein Übergangsstadium mit eigenen Regeln, in dem neue Situationen vorbereitet und erprobt werden. Es sind Momente, die zwischen Realität und Fiktion schweben, und mit denen Turner die Besonderheit von Ritualen beschreibt. Richard Schechner überträgt die Liminalität auf das Theater, wo Übergangszonen eingesetzt werden, um das Menschen- und Weltbild zu hinterfragen. Malstaf begreift Liminalität ähnlich wie diese Denker, auch er interessiert sich für diese Zone, die sich von der Realität unterscheidet, aber nicht von ihr losgelöst ist. Er errichtet Glaswände, durch die die Realität nach wie vor verschwommen zu sehen ist. In dieser Zone der Freiheit lädt er einen ein, Verletzbarkeit zuzulassen. Seine Installationen erfordern Unterwerfung und Sensitivität. Lassen Sie Ihre Kleider in der Umkleidekabine und betreten Sie eine Welt voller Möglichkeiten.
Dramaturgie der Maschine
Malstafs interaktive Installationen haben ihre eigene Dramaturgie. Sie wirken freundlich und angenehm, einladend und zeitgemäß. Sind elegant designt, hell und transparent. Doch plötzlich beginnt etwas im Inneren zu fauchen und die freundliche Installation wird zu einer tückischen Maschine, die sich zischend und saugend zu verwandeln beginnt. Der Luftdruck verändert sich. Unsichtbare Walzen und Pumpen beginnen zu arbeiten. Die Stille, die eben noch herrschte, wird in eine Turbine gesogen, atomisiert und wieder ausgeworfen. Dann setzt die Maschine plötzlich aus, es wird still, zu still. Und man befindet sich wieder in dem ruhigen und angenehmen Ambiente wie zuvor, als wäre nichts geschehen. War das nur der Wind? Wer hat diesen inneren Sturm ausgelöst?
Malstafs Installationen sind auffällig dramatisch. Sie erinnern an das griechische Drama. Das Leben wird innerhalb weniger Minuten zum Chaos. Ein Funke Leidenschaft – und schon gerät alles aus den Fugen. Wird unkontrollierbar und zerfällt. Gerade noch umschmeichelt, läuft man schon Gefahr, vernichtet zu werden. Eine sanfte Brise wird zu einem Hurrikan. Was wie ein Spiegel aussieht, explodiert mit der Gewalt eines Tsunami. Das Momentum ist das Wesentliche, der exakte Zeitpunkt, an dem die Dinge sich verändern. Malstaf inszeniert Zeit wie einen Rotationsmechanismus. Etwas beginnt zu beben und löst einen Tumult aus. Es erwacht zum Leben und beginnt zu atmen. Der Rest ist Tragödie.
Malstafs Installationen täuschen das Auge. Der Besucher ist immer Teil des Bildes. Die Maschine gibt die Blickrichtung vor. Vorne, unten oder in der Mitte. Selten oben. Malstaf verwandelt den Besucher in ein Objekt, weist ihm den untergeordneten Part zu. Die Maschine zwingt einen, Stellung zu beziehen und unterminiert dann was man sich zurechtgelegt hat. Das eigene Spiegelbild zersplittert in tausend Stücke wie in „Mirror“ (2002). Ein Renaissance-Porträt einer Frau wird von einer Vakuumpumpe aufgesaugt, wodurch der Mund wie ein Abfluss erscheint („Whirlpool“, 1999). Ringsum beginnt alles zu wirbeln, als befände man sich im Auge eines Orkans („Nemo Observatorium“, 2000). Wände setzen sich in Bewegung und der Raum wird zu einem Labyrinth („Nevel“, 2003). Alle diese tragischen Maschinen haben einen Moment des Aufruhrs, eine Art Blindheit, die die blinden Flecken der eigenen Wahrnehmung widerspiegelt. Dadurch laden sie einen zur Innenschau ein. Sobald der Aufruhr vorüber ist, werden sie verletzlich, erschöpft, machtlos. Dann setzt man sich irgendwie beschämt vor sie hin, oder in sie hinein oder darunter. In Erwartung des Augenblicks, der wieder alles verändert.
Die Bibel und der Motor
„Sandbible“ ist für mich die faszinierendste Arbeit von Malstafs Ausstellung „Freestate“. Es ist eine ältere Arbeit aus dem Jahr 1999, die nicht interaktiv ist. Unter einer Glasplatte sieht man ein offenes Buch mit einem ausgeschnittenen Viereck. In diesem Viereck befindet sich Sand. Plötzlich setzt sich die Maschine in Gang und der Sand beginnt zitternd Figuren zu bilden. Dann stoppt die Maschine und der Sand kommt wieder zur Ruhe. Der Gegensatz zwischen dem heiligsten aller Bücher und der Maschine, die alles in Bewegung versetzt, ist faszinierend. Der Motor greift das Innerste der Bibel an. Die Sandkörner bahnen sich ihren eigenen Weg durch die Bibel, bilden seltsame Zeichen, Hieroglyphen, die auf einen kreativen Leser warten. Das Werk ist in mehrfacher Hinsicht vielschichtig. Manche werden vor allem auf das Loch in der Bibel fixiert sein, andere werden die vielen in Sand geschriebenen Zeichen bewundern.
Dieses Werk umreißt Malstafs künstlerisches Credo, weil es unsere neue technologische Befindlichkeit aufzeigt: Der Motor kontrolliert die Bibel. Das Wesentliche an Malstafs Kunst ist die Technologie, die er verwendet. Das Bild wird durch eine Reihe technischer Verfahren verändert; es entfernt sich von seinem statischen Ausdruck und verlangt permanent Transformation. Ständig wird mit neuer Technologie experimentiert, um deren Wirkung auf die Wahrnehmung aufzuzeigen. So gesehen ist die Verwendung dieser Maschinen mehr als eine Spielerei. Eine Arbeit wie „Sandbible“ zeigt einen Paradigmenwechsel an: Die Gesetze der Physik ersetzen das Gesetz Gottes. Malstafs Metaphysik ist insbesondere deshalb spannend und interessant, weil sie vom Zufall gesteuert wird. Die Platten in „Shaft“ gehen ihren eigenen Weg, die Sandkörner in „Sandbible“ schreiben ihre eigenen Zeichen. Malstafs künstlerische Praxis ist demnach mit den Forschungen des Physikers Ilya Prigogine und seiner berühmten Formel verwandt: chance = change.
Performances
Do 3.9. 12:30 – 13:00 & 14:30 – 15:00
Fr 4.9. 12:30 – 13:00 & 14:30 – 15:00
Sa 5.9. 13:00 – 13:30, 14:30 – 15:00 & 16:30 – 17:00
So 6.9. 12:30 – 13:00, 14:30 – 15:00 & 16:30 – 17:00
Mo 7.9. 12:30 – 13:00, 14:30 – 15:00 & 16:30 – 17:00
Di 8.9. 12:30 – 13:00
additional Performers:
Amel Andessner
Elisa Andessner
Nora Riedl
Wolfgang Tragseiler