Mikami Seiko (JP)

Seiko Mikami (JP) beschäftigt sich in Gestalt großer und Raum füllender Installationen seit den 1980ern mit den Verbindungen von menschlichem Körper und Informationsgesellschaft. In den 1990ern ist sie verstärkt zu interaktiven Arbeiten übergegangen, in die sie die menschliche Wahrnehmung einbezieht. Dazu zählen das 1996 im Canon ARTLAB verwirklichte eye tracking-Projekt Molecular Informatics und eine 1997 am ICC in Tokyo geschaffene Installation rund um den Hörsinn und Klänge aus dem Körperinneren. Gravicells (2004 am YCAM) beschäftigt sich mit dem Schwerkraftempfinden als sechstem menschlichen Sinn.
Außerhalb Japans, wo die Künstlerin einen Lehrstuhl an der Tama Art University innehat, sind ihre Arbeiten vorwiegend in Europa und in den USA gezeigt worden. So beispielsweise auf Medienkunstfestivals wie DEAF (Rotterdam), der transmediale Berlin und TESLA Berlin, dem Digital Culture Festival in Großbritannien und der Ars Electronica 2005.


Die Werke von Seiko Mikami liefern eine Dekonstruktion menschlicher und maschinengebundener Wahrnehmung. In „Molecular Informatics“, zum Beispiel, setzt der Besucher ein Head-mounted Display auf und kann dann Spuren des eigenen Schauens sehen, die als animierte Linien und Formen im virtuellen Raum visualisiert werden. Eine Projektion zeigt dieselbe Animation für das übrige Galeriepublikum und bietet diesem so die Gelegenheit einer Beobachtung von Wahrnehmung als immersive Erfahrung. In den verschiedenen Projekten, die Mikami in den letzten zwanzig Jahren verfolgt und stets weiter entwickelt hat, untersucht sie die Bedingungen der Wahrnehmung, ob in dem einsamen Klangraum von „World, Membrane and Dismembered Body“, der den Teilnehmer auf die Lücke zwischen Selbst und Wahrnehmung aufmerksam werden läßt, oder in der komplexen Anlage von „Gravicells“, die die physische Präsenz der Besucher in Beziehung setzt zu den Gravitationskräften der Erde und von Kommunikationssatelliten. Alle Werke von Mikami sind im engeren Sinne interaktiv, denn sie verwenden vornehmlich aktuelle Wahrnehmungs- und Sensordaten. Sie schaffen Feedbackschlaufen des Sehens, des Hörens und Fühlens und falten das Wahrgenommene zurück auf den Akt des Wahrnehmens.

Mit der neuen Arbeit „Desire of Codes“ geht Mikami über von einer Maschinisierung menschlicher Wahrnehmung zur Dekonstruktion von Maschinenwahrnehmung und Maschinenkognition. Ein kleiner Schritt, denn die Unterschiede zwischen den menschlichen und den maschinengebundenen Bedingungen von Wahrnehmung und Verstehen, von Sehen und dem Prozessieren visueller Daten, scheinen vernachlässigbar. Wir sehen wie Maschinen, und Maschinen sehen wie wir. Zumindest ist dies die explizit fiktive Behauptung, die „Desire of Codes“ zu machen, oder zu überprüfen scheint. Indem wir ihren Raum betreten, sind wir umgeben von den robotischen Sinnesorganen einer Maschinenintelligenz, die neugierig jede unserer Bewegungen verfolgt und in deren Funktionsweise wir einen geradezu unheimlichen Einblick bekommen, wenn wir still stehen oder sitzen und warten, bis sie unsere Anwesenheit vergessen hat. Dann nämlich beginnt Mikamis Erfindung zu „träumen“, die Bilder aus ihrem Datenspeicher erneut zu prozessieren und, begleitet von einem rumpelnden Soundtrack, mit aktuellen Bildern aus den Live-Streams vernetzter Kameraaugen zu mischen.

Indem sie uns ein Bild bietet von der Schaulust der Maschine und ihrem melancholischen Prozessieren von Vergangenheit und Ferne, lädt uns Mikami ein, darüber nachzudenken, wie wir selbst mit Wahrnehmung, Verlangen und Erinnerung umgehen, und mit dem emotionalen Überschuss, den wir auf die Datenwelten projizieren. Was unterscheidet uns von den Maschinen die – eigensinnig? – unsere Wahrnehmung unterstützen und unseren Zugang zur Welt ermöglichen, und zu uns selber?

Text von Andreas Broeckmann.


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