Shimmering Perceptions

Rainer Kohlberger (AT)

KEEP THAT DREAM BURNING

AT / DE / 2017
2.39:1, 35mm, 8 min.

Rainer Kohlberger´s achtminütiger Film sorgt dafür, dass dieser Traum mit extrem feinen Schwarz-Weiß-Partikeln beginnt, die über den Bildschirm flattern. Sie koagulieren zu rauen Strukturen und verwandeln sich in einen Sturm von gezackten Artefakten und ständig wechselnden Lichtpunkten. Mit der Einführung des Flickereffekts wird der schwebende elektronische Klang zu einem durchdringenden rhythmischen Wehen und kommt gegen Ende zur Ruhe – zum Bild eines subtil immer tiefer werdenden Schwarzen Lochs. Konkrete Objekte und Ereignisse materialisieren sich immer wieder aus den aktiven Partikeln: Trümmer, Feuerbälle und Rauch rufen geradezu Bilder von Explosionen hervor, die aus Actionfilmen bekannt sind, bevor sie wieder in der Statik verschwinden. Die Statik in der Arbeit Kohlbergers hat es in sich. Der Begriff weißes Rauschen beschreibt die kontinuierliche Überlagerung verschiedener Tonfrequenzen über weite Bereiche des hörbaren Spektrums. Das weiße Rauschen eines analogen Fernsehers, auch „Schnee“ genannt, erscheint, wenn das Gerät kein Antennensignal empfängt: ein Bild ständiger Bewegung ohne lesbare Informationen. In Don DeLillo´s 1984 Roman White Noise dient dieser Zustand der leeren Kommunikation als Metapher für aufgeblähte Konsumkultur und von Menschen verursachte Katastrophen sowie für die Suche nach unbestimmten Energien. Während DeLillo über mediale Simulationen hinaus ein Szenario zeichnet, das über reale Erfahrungen (ähnlich denen eines Kindes) hinausgeht, betritt Kohlberger die nun eigenständige Maschine, die er positioniert, um Bildtransformationen nach seinen ästhetischen Vorgaben zu erlernen und anzuwenden. Auf der einen Seite steht der zunehmende Einsatz von Algorithmen zur Erzeugung von schallenden Bewegungen wie Feuer oder Wasser in den großen Spezialeffekten des Kinos, auf der anderen Seite bricht hier die „alte“ Welt auseinander: Die Entstehung einer digitalen Ästhetik, deren Entwicklungsprozesse für den Menschen immer weniger „verständlich“ sind, findet vor unseren berauschten Augen statt. (Florian Wüst)

Shimmering Perceptions / Rainer Kohlberger (AT), Credit: Magdalena Sick-Leitner

MORE THAN EVERYTHING

12’40“‘ stereoskopisch, quadrofonisch

Das ist ein Tanz zwischen deinem Gehirn und der Welt. Eine halluzinatorische Informationsfigur, die an der Schwelle des Seins spricht. Wir werden in Störungen von sinnlichen Daten bis hin zu dem, was da draußen sein könnte, gebadet. Wir werden in ein anderes Land gehen, wir werden ein anderes Meer ausprobieren. Eins plus eins ist gleich drei. In gewisser Weise ist das hier erzeugte stereoskopische Bild der abstrakten, sich bewegenden Information ein bemerkenswerter Test für die Wahrnehmung. Da es keinen eigenen Körper im Raum gibt, findet auch keine Objektfixierung statt; unser gewohntes Sehen wird unzureichend. Bereits der erste Schnitt – eine demonstrativ realisierte allgegenwärtige Statik – lässt das bewegte Bild vom Bildschirm abheben; es besteht keine Abhängigkeit mehr von der Trägerfläche der Projektion, alle visuellen Daten schwingen in einem bestimmten Abstand, dazwischen. Während das narrative 3-D-Kino die Wahrnehmungsdifferenz eines stabilen Hintergrunds und die Tiefen der aus ihm herausgehobenen Körper voraussetzt, findet hier eine Emanzipation von der natürlichen Objektwahrnehmung statt. Der ontologische Status dieses zweideutigen Bildmaterials liegt irgendwo zwischen gas- und wasserförmig. Rainer Kohlberger programmiert beide Kanäle unterschiedlich, stellt eine visuelle Inkohärenz an den Ursprung der Bilder, provoziert eine ‚binokulare Rivalität‘. Unser Wahrnehmungsapparat wendet keine statistisch berechenbare Synthese mehr an, erzeugt kein mächtiges drittes Element (die „Tiefe“), sondern erzeugt, wie der Titel auch verkündet, ein kapriziöses „Mehr“ aus der strukturellen Ambivalenz. Ein mehr, das Unruhe erzeugt, selbst die geometrischen Figuren schaffen keine Sicherheit mehr für die Ordnung des Raumes. Alle Versuche, diese Bilder interpretierend zu lokalisieren, scheitern. Die Forderung nach einer einheitlich-kohärenten Form (des Nationalstaates, der Alltagsgegenstände oder Bilder) wird mit dem Hinweis abgelehnt, dass Kohärenz immer eine Bereitschaft sein sollte, jedes noch so unbekannte oder seltsame Zwischenspiel der Form zuzulassen. (Text: Marc Ries, Übersetzung: Lisa Rosenblatt)