Vom Abweichen und Weichenstellen.

Brucknerorchester Linz (AT)

Ein Error ist die Abweichung von dem was wir erwarten, stellt das heurige Festivalthema fest. Nur in der Abweichung können Weichen neu gestellt werden. Im musikalischen Sinne stellte der 27-jährige Hector Berlioz die Weichen völlig neu. Mit seiner „Symphonie fantastique“ wirft er ein Klangwerk auf den Markt – viel mehr in eine Epoche – das unerhört ausschert, rasend einschlägt und eigentlich Jahrzehnte zu früh dran ist.

Hier passiert das Unvorstellbare, der moderne Künstler schildert seine private „Passion infernale“, stellt seine Obsession (zu der irischen Schauspielerin Harriett Smithson) exhibitionistisch der Öffentlichkeit zur Schau. Ein imaginäres Innenwelttheater, das (in) eine ganze andere Romantik aufbricht, die weniger von Träumen als von kafkaesken Albträumen singt. Berlioz greift in Stil, Faktur und Orchestration weit voraus und antizipiert Klangentwicklungen, die bis ins 20. Jahrhundert voraushören. Mit ungewohnten instrumentalen Farben, rhythmischen und harmonischen Freizügigkeiten und mithilfe des in allen Sätzen vorhandenen Leitmotivs, einer „idée fixe“, erfindet Berlioz eine Programmmusik, deren Phantasiereichtum in (bisher) unbekannte Ausdrucks-Regionen vordringt: Im ersten Satz komponiert er Drogen-Träume, im zweiten Satz eine rauschende Ball-Festlichkeit, im dritten Satz eine Pastorale als Insel der Ruhe, im vierten Satz eine makabre Film-Szene, im fünften Satz eine höllische Orgie mit schreienden Ängsten, höhnischem Gelächter und spottender Gottlosigkeit. Die Sprengkraft dieser fantastischen Sinfonie ist ewig und ganz und gar immer Musik der Zeit, in der sie erklingt.

Text von Norbert Trawöger

Credits:

in cooperation with Internationales Brucknerfest Linz 2018
Hector Berlioz Épisode de la vie d’un artiste
Symphonie fantastique en cinq parties, op. 14 (1830)

Dirigent:
Markus Poschner (DE)