Wenn man liebt, geht es nicht um das Geschlecht
(Jacques Lacan)
In der derzeit aktuellen Debatte um das Politische versus die
Politik, die insbesondere mit dem Namen Ernesto Laclaus verknüpft
ist, werden diese beiden Ebenen folgendermaßen unterschieden: Während
die Politik von Laclau als ontisch bezeichnet wird im Sinne konkreter
Artikulationen und realpolitischer Antagonismen, ist das Politische
ein quasi-universales Phänomen oder ein historisches Apriori vis-à-vis
unterschiedlicher Gesellschaftsordnungen. Das Politische bezeichnet
die Ebene der Blockade des Spiels der Differenzen durch das Reale,
das heißt, das Politische ist vorauszusetzen und setzt damit immer
schon, das Politische erfüllt eine "leere" Funktion, es stellt eine
"originäre Öffnung" dar, es bezeichnet die Notwendigkeit eines vermittelnden
Glieds zwischen politischer Strukturierung und der Struktur.1
Vor diesem Hintergrund möchte ich eine parallele Denkbewegung für
Sexualität und Geschlechtsidentität vornehmen, also für das Paar
Sex und Gender. Das Politische - als Ontologie des Möglichen von
Laclau benannt - entspricht hierbei dem Sexuellen, als jener originären
Öffnung bzw. jenes originären Spalts, der Gender - männlich und
weiblich - "hervorbringt". Doch die Originalität des Sexuellen sollte
nicht mit anatomisch-biologischen Faktizitäten verwechselt werden.
Es handelt sich nicht um den animalischen Instinkt, der den Menschen
angeblich antreibt sich fortzupflanzen, sondern das Sexuelle ist
immer schon im Dazwischen von Psyche und Soma - wie es bei Sigmund
Freud über den Trieb heißt - verortet. Das Sexuelle ist also als
eine Voraussetzung des Menschlichen zu fassen und gleichzeitig seine
Setzung. Wie ist dies nun zu verstehen bzw. was bedeutet dies für
das Thema *Next Sex*?
Sexuelle Differenz und Gender
Das Thema der Ars Electronica - *Next Sex* - baut implizit auf der
Verzahnung von Genetik-Körperlichkeit-Identität auf. Denn es wird
die Vorstellung unterstrichen, dass ein genetischer Eingriff oder
die Manipulation des genetischen Materials andere Geschlechter,
andere Frauen und Männer - oder eventuell keine Männer und Frauen
mehr -, sondern noch nicht benennbare Wesen, hervorbringen wird.
Wäre hinter dem Titel ein Fragezeichen angeführt worden, wäre er
anders verstehbar, nämlich in die Richtung zielend, dass es möglicherweise
keine Sexualität mehr geben wird, dass - Regenwürmern ähnlich -
der Mensch sich zukünftig selbst fortpflanzt, für sein Fortbestehen
also keinen anderen, nicht das andere Geschlecht, mehr benötigt.
Der Titel ist also verwirrend und folgt zum einen der bekannten
Vermischung von Biologie und Kultursozialem und ignoriert zum anderen
jedes psychoanalytische Wissen um das Wesen des Sexuellen im Feld
des Humanen. Zum ersten Punkt der Vermischung von Biologie und Kultursozialem:
Die Trennung von Sex und Gender hat in den letzten drei Jahrzehnten
als unglaublicher Fortschritt gegolten, als Bollwerk gegen eine
biologistische Sehweise von geschlechtlicher Identität. Man konnte
den Körper als Domäne des Sex getrost von der Geschlechtsidentität,
der kulturell-sozialen, abspalten und diesem sein Geschlecht - zumindest
bis zu einem gewissen Grad - überstülpen. Ein Rest von Unbehagen
blieb allerdings bestehen, denn Sex und Gender lassen sich nicht
wirklich trennen. Spätestens Transsexualität markierte hierbei die
Limitation dieses Denkens. Das Unbehagen wurde sodann Anfang der
90er-Jahre von Judith Butler als eines der Geschlechter formuliert,
und in *Gender Trouble* (dem englischen Originaltitel von *Das Unbehagen
der Gechlechter*) wurde die Trennung von Sex und Gender wieder rückgängig
gemacht und als pure Ideologie einer heterosexuellen Gesellschaftsordnung
entlarvt. Der Körper als solcher, so nun Butler, kann nur als geschlechtlich
markierter in Erscheinung treten, das heißt, es gibt keinen Körper
außerhalb der symbolischen Ordnung, sondern diese produziert den
männlichen und weiblichen Körper als jeweiliges Geschlecht.2
Butlers einschneidender Schritt ist in der Zwischenzeit weitergedacht
worden - zum einen bezüglich des Körpers, zum anderen hinsichtlich
der sexuellen Differenz.
Ziemlich schnell auf Butlers *Gender Trouble* (1990)3
und *Bodies that Matter*4 (1993) folgte Elizabeth
Grosz´ Kritik an der von Butler favorisierten Kategorie Gender.
In *Experimental Desire. Rethinking Queer Subjectivity* (1994) insistiert
Grosz darauf, dass Körper und Sexualität in ihrem Kern zutiefst
instabil wären, eine Instabilität aufwiesen, die tiefer gehen würde
als die nie abgeschlossene Fixierung geschlechtlicher Identitäten.
Vielmehr müsse der Körper als etwas begriffen werden, der mehr vermöchte,
als ihm die Gesellschaft/Kultur erlaube zu tun. "Isn´t it more threatening
to show, not that Gender can be at variance with Sex (...), but
that there is an instability at the very heart of Sex and bodies,
the fact that the body is what it is capable of doing, and what
any body is capable of doing is well beyond the tolerance of any
given culture?"5 Was die sexuelle Differenz betrifft,
so leitet Grosz diesbezüglich ein Denken ein, das sich mit meinem
Vorschlag, wie denn das Sexuelle zu denken sei, stellenweise treffen
wird. Sie fasst sexuelle Differenz nämlich als ontologisches Fundament
auf, womit sie sowohl auf Derridas "neue Choreografie der sexuellen
Differenz" als auch auf die Saussur'sche Linguistik zurückgreift.
Zur Erinnerung: auch Laclaus Definition des Politischen als Voraussetzung
und Setzung hat ihre Wurzeln in der Derrida'schen Dekonstruktion
der metaphysischen Präsenz sowie in der Differenz der Signifikanten
als Bedeutungsproduzierende. Grosz bestimmt demnach sexuelle Differenz
als jenen ursprünglichen Aufschub (*différance*), der nicht als
sich selbst in Erscheinung treten kann, jedoch die Voraussetzung
für männlich und weiblich bildet. Sexuelle Differenz und sexuelle
Identität unterhalten hierbei ein Verhältnis wie Saussures pure
Differenz die Voraussetzung und Kondition für die linguistischen
Werte bildet. Sexuelle Differenz ist also jene erste Spaltung, die
allerdings nicht als solche auftaucht, aber als originäre Negativität
die Positivität der Geschlechter bedingt. Hier in durchaus anschlussfähiger
Weise formuliert Slavoj Zizek seine Kritik an Butlers *Gender Trouble*
und damit seine Definition von sexueller Differenz à la Lacan. Zizek
stellt die "Gender Trouble" auf den Kopf - macht aus ihnen "Body
Trouble" - denn Butler hätte wieder sexuelle Differenz mit der heterosexuellen
Dichotomie ineinsgesetzt. Natürlich sei sexuelle Differenz keine
Frage der Biologie und Anatomie, aber sexuelle Differenz sei auch
keine soziale Konstruktion. "It rather designates a traumatic cut
which perturbs the smooth functioning of the body - what renders
it traumatic is not the violent imposition of the heterosexual norm,
but the very violence of the cultural transsubstantiation of the
biological body through its sexuation."6 Sexuelle
Differenz ist also das, "welches das diskursive Universum ´krümmt`,
uns an der Gründung seiner Formation in der ´harten Realität` hindert
- was bedeutet, dass jede Symbolisation der sexuellen Differenz
bezüglich ihrer selbst für immer instabil und verschoben bleibt.......die
sexuelle Differenz ist nicht ein mysteriöses unzugängliches X, das
nie symbolisiert werden kann, sondern eher das Hindernis dieser
Symbolisation, der Fleck, der das Reale für immer von den Weisen
seiner Symbolisation separiert."7 Das heißt, sexuelle
Differenz ist - je unterschiedlich für männlich und weiblich - ein
Versagen des/im Symbolischen. Sie ist nie hundertprozentig in die
symbolische Norm/Form übersetzbar, nie von dieser einholbar, jedoch
fixiert sich jede geschlechtliche Identität in ihr und durch sie.
Das heißt, wir haben es wieder mit einem Realen, mit einem Außerhalb
der symbolischen Ordnung zu tun, mit einer Artikulation, einem realen
Antagonismus der Geschlechter. Und dies nochmals weiter, dass Frau-
und Mann-Sein nicht genügt - wie dies Butler einmal formuliert hat
-, jedoch nicht dahingehend, als dass jede geschlechtliche Identität
ihr je homoerotisches Begehren verdrängen muss, sondern, dass es
ein Mehr dieser Identitäten gibt, das diese in seinem VORAUS setzt.
Lacan hat immer wieder darauf verwiesen, dass es im Unbewussten
keine Repräsentation der Geschlechter gäbe, diese käme erst in und
durch die symbolische Ordnung zu Stande und in dieser würden sich
die Geschlechter nur als Maskerade begegnen. Eine Maskerade allerdings,
die vorgibt, etwas zu verschleiern, in Wirklichkeit jedoch nur das
Nichts-Dahinter verbirgt.
Wenn nun die Gen- und Reproduktionstechnologien uns glauben machen
wollen, sie würde das Ganze dahingehend in den Griff bekommen, als
dass sie den Ursprung der Sexualität und damit des geschlechtlichen
Wesens - Mann und Frau - zu entschlüsseln im Stande seien, dann
ist dies nur ein Teil der Geschichte von Sexualität und der Wahrheit
(des Menschen)8.
Die sexuelle Wahrheit des Menschen
In Butlers Ansatz, den Zizek, wenn auch auf den Kopf gestellt, letztendlich
fortführt, spielt der Begriff des Begehrens eine zentrale Rolle.
Ihre Kritik dabei: Dass in einer Hetero-Gesellschaft das Begehren
nur dazu diene, das heterosexuelle Paar herzustellen und aufrechtzuerhalten,
das Begehren also wiederum in eine eindeutige und monolineare Richtung
gepresst würde. Doch begehren heißt, in viele Richtungen zu gehen
und nicht nur zwischen Mann-Frau, Frau-Mann, Mann-Mann oder Frau-Frau
zu oszillieren. So plausibel dies angesichts der Repression von
homosexuellen und anderen queeren Orientierungen klingt, so missverständlich
ist der Begriff des Begehrens hier gebraucht - nämlich nur bezüglich
der jeweiligen Sex-PartnerInnenwahl. Ein ähnliches Problem haben
wir mit dem Ansatz von Liz Grosz, wenn diese für das Mehr der Körper
plädiert, das diese sich in alle möglichen Dimensionen hin ausdehnen
lässt, wenn die Kultur dies nur erlaube. Auch hier erhalten wir
außer einem Hinweis auf die kulturellen/gesellschaftlichen Sanktionen
keine weitere Explikation dessen, weshalb Körper sich ausdehnen
und/oder schrumpfen.
Wenn die Gentechnologie uns derzeit überzeugen möchte, sie sei bald
so weit, das letzte entscheidende Gen ausfindig zu machen, das menschliche
Sexualität bedinge, dann ist dies nur für die Fortpflanzung der
Fall - und auch für diese oft nur sehr zufällig, wenn man nur einmal
kurz an die Widrigkeiten bei In-vitro-Fertilisationen denkt, wo
ganz offensichtlich auch noch andere Gesetze gelten denn ausschließlich
chemisch-physikalische Reaktionen. Allein der Umstand einer Schwangerschaft
- welche Frau wann unter welchen Bedingungen schwanger wird und
welche Frau nicht - ist nicht nur pillenmäßig erklärbar. Eine Dimension
spielt hierbei nämlich die entscheidende Rolle, die keine Erklärung
im animalischen Bereich noch in der Endokrinologie findet. Wenn
Unterhaltungsmagazine heute nicht müde werden, uns über Ausschüttungen
im Frühling aufzuklären, auf Grund derer wir uns verlieben, oder
wenn uns bestimmte Aphrodisiaka ans Herz gelegt werden, um unsere
Stimulation zu vergrößern, um unsere Geilheit auf den/die jeweilige/n
PartnerIn zu lenken, dann sind diese Fakten nicht falsch, ignorieren
jedoch die Frage, weshalb diese spezifischen Gefühle im Frühling
aufkommen - und auch nicht bei allen Menschen - und weshalb im Herbst
nicht (und sich auch im Herbst Menschen verlieben). Weshalb Beziehungen
so aufregend beginnen und oftmals so langweilig und trostlos enden.
Weshalb ein Mensch so fantastisch wirkt und man glücklich alles
mit ihm teilen möchte und nach einige Zeit jeden fantastischen Aspekt
verloren hat. Weshalb die Aufregung, die einmal da war, auf einmal
plötzlich verschwunden ist. Begehren und Liebe sind - ziemlich offensichtlich
- keine genetischen Größen, die herstell- und haltbar sind. Dass
es zwei fundamentale Variablen in Sachen Sex sind, steht außer Frage,
wie diese beiden Größen jedoch in bestimmten Gesellschaftsanordnungen
gehandelt werden, ist eine, die sich angesichts der biotechnischen
Entwicklungen mit einiger Spannung stellt.
Michel Foucault hat in seinen bereits genannten drei Bänden zu Sexualität
und Wahrheit die Erste als eine Realität bezeichnet, "die nur schwer
zu erfassen ist und vielmehr als ein großes Oberflächennetz, auf
dem sich die Stimulierung der Körper, die Intensivierung der Lüste,
die Anreizung zum Diskurs, die Formierung der Erkenntnisse, die
Verstärkung der Kontrollen und der Widerstände in einigen großen
Wissens- und Machtstrategien miteinander verketten"9 verstanden
werden muss. Sexualität ist deshalb der Name eines geschichtlichen
Dispositivs, dem keine wie auch immer gestaltete Realität zu Grunde
liegt. Wenn auch Foucaults Definition nicht mit meinem Vorschlag,
das Sexuelle als Quasi-Universalie zu betrachten, übereinstimmt,
so hat seine Genealogie von Sexualität und Wahrheit eines deutlich
gemacht: Dass es keine Sexualität an sich gibt, dass Sexualität
also nicht etwas ist, was alle Menschen von Geburt an haben, sondern
etwas ist, in das sie eintrainiert werden. Sie ist nichts Natürliches,
sondern etwas durch und durch kulturell Codiertes. Doch während
Foucault sein Augenmerk auf Institutionen wie die Familie, die Schule,
die Medizin etc. richtet, die alle an der "Wahrheit" des Menschen
basteln, sein Sprechen - seinen Körper - sein Wissen untersuchen
und damit als besondere Wahrheits-Quellen einrichten, möchte ich
die von mir eingangs aufgestellte Gleichung an dieser Stelle nun
positionieren, um die entscheidende Ver-rückung zu demonstrieren.
Was Foucault hier beschreibt, sind die konkret-historischen Artikulationen,
ist sozusagen die Politik, ist die Ebene der Entscheidung, die retrospektiv
die Wahrheit der Sexualität entstehen lässt. Foucaults Begriff der
Sexualität entspricht daher meinem Begriff von Gender bzw. ist auf
derselben Ebene angesiedelt. Aber wie ist nun - nochmals - dieses
Sexuelle zu denken, wenn es als leere Funktion die Produktion von
Gender und damit geschlechtlicher Identität bewerkstelligt? Hierzu
hat Charles Shepherdson einen interessanten Vorschlag unterbreitet.
In seiner Arbeit - die sich eng an die Lacansche Psychoanalyse anlehnt
- unterscheidet er nämlich zwischen dem Imperativ der sexuellen
Differenz und dem Geschlecht als Rolle. Während Gender also als
ein Set von Normen und Regeln zu verstehen sei, sei sexuelle Differenz
keine humane Einrichtung im Sinne einer gesellschaftlichen Institution,
sondern ein Imperativ, der sich nur mit Freuds Unterscheidung von
Trieb und Instinkt erklären lässt. Sexuelle Differenz als Imperativ
zu unterstreichen bedeute dabei auf der strukturellen Unvermeidbarkeit
von Repräsentation zu insistieren, die menschliche Sexualität immer
schon auszeichne. Dies wäre, so Shepherdson, alles andere als eine
Rückkehr zu einer körperlichen Natur oder natürlichen Körperlichkeit,
sondern wäre vielmehr ein Hinweis darauf, dass Sexualität bei Freud
weder Sex noch Gender bezeichnet, woraus sich die weitere Bestimmung
ableitet, dass der Körper weder eine biologische Tatsache noch ein
soziales Konstrukt ist, sondern etwas konstitutiv Denaturalisiertes,
"organ-ized by the image and the word".10
Das Sexuelle und der Trieb
Bekanntlich hat Freud in seiner Arbeit dem Trieb besondere Aufmerksamkeit
zukommen lassen, ihn dezidiert vom (animalischen) Instinkt unterschieden.
John Strachey, der Übersetzer ins Englische, hat jedoch mit seiner
Einführung des Triebs als *instinct* in den angloamerikanischen
Ländern ein jahrzehntelanges fundamentales Missverständnis produziert,
was sich nur mühsam und allmählich aufklärt. Hierbei sind die Lacanianer
nicht unerheblich beteiligt. Doch dies nur nebenbei. Wozu brauchen
wir hier nun den Trieb als unterschieden vom Sexuellen - meine Antwort:
als Übersetzung. Als link zwischen dem Sexuellen und der geschlechtlichen
Identität. Als, wenn man so will, jenen Ort, wo sich die originäre
Spaltung (*différance*) einschreibt, die auch unter sexueller Differenz
firmiert. Freud hat den Trieb immer - von Anfang an - als Schwellenbegriff
definiert, als etwas, was die Grenze zwischen dem Somatischen und
Psychischen markiert - nicht die Grenze selbst ist! Das wäre ein
Unterschied! Hier taucht also wiederum das Problem der Grenze, das
Problem, die Grenze zu denken, auf. Laclau hat in seinen Ausführungen
den Begriff des Antagonismus eingeführt, um genau diese Grenze zu
benennen, nicht als Ontisches, sondern als Grenz-Führung. Der Trieb
von Freud wäre etwas Vergleichbares, der sich - wie Freud schreibt
- nur als psychische Repräsentanz wahrnehmen, denken lässt. Und
diese psychische Repräsentanz findet bei Lacan einen gesonderten
Namen, nämlich jenes berühmt-berüchtigte *objet petit a*. Dieses
wäre das Ontische in der Psychoanalyse, doch wie Jacques-Alain Miller
betonte, wäre dies eben nicht der Weg gewesen, den Lacan eingeschlagen
hätte. Lacan hätte aus diesem *objet petit a*, in dem der Trieb
seine Befriedigung findet, und das einmal eine körperliche Konsistenz
war, eine logische Konsistenz gemacht. Das heißt, dieses *objet
petit a* benennt genau jenes Moment, wo sich Sexualität als nachträgliche
in und durch die symbolische Ordnung der Repräsentation einstellt.
Lacan hat die Stimme, den Blick, das Phonem, das Nichts als Möglichkeiten
u. a. des *objet petit a* aufgelistet. Das heißt, der Trieb findet
seine Befriedigung in und durch dieses *kleine Objekt a*, das Begehren
jedoch ist ein endloses. Und beide konstituieren das, was als menschliche
Sexualität sich in den jeweiligen Unterschiedlichkeiten entfaltet.
Das Begehren des Humanen
In zahlreichen Cyborg-Geschichten - angefangen von den Replicants
in *Blade Runner* über den Terminator bis zu Marge Piercys Jod,
einem männlichen Cyborg in *The Body of Glass* (1991), geht es um
die Frage nach der Grenzziehung zwischen einer Maschine und den
Menschen. Bisweilen geht es bis an die Grenze der Ununterscheidbarkeit
bzw. glauben die Menschen, im Aufeinandertreffen mit der Maschine,
nicht (mehr) zu wissen, was es heißt, ein Mensch zu sein. Es gibt
allerdings ganz spezielle Augenblicke, wodurch sich die Wahrheit
des Humanen offenbart: vergessen, lachen, weinen, lieben, Erinnerung,
Blicke, Berührungen ...
Diese Momente entstammen alle dem Arsenal der menschlichen Sexualitätsentwicklung
- sie verweisen auf etwas ursprünglich Körperliches, was im Prozess
des Werdens sich abtrennt, dabei eine neue Dimension entstehen lässt,
die diese Trennung voraussetzt und setzt: das Begehren und die Liebe.
Die Grenzziehung erfolgt durch die Sprache, wodurch nicht nur der
Tod der Dinge eingeleitet, sondern auch die Trennung von der ursprünglichen
Einheit mit dem Mutter(-körper) erfolgt. Dieser zweite Schock, nach
dem ersten der Geburt, entlässt das Individuum zunächst in die Dyade
des Ich + Du, um diese sodann durch das Eintreten des Anderen, eines
Dritten, die geschlechtliche Identität als Artikulation der sexuellen
Differenz ins Spiel zu bringen. Judith Butler hat in diesem Zusammenhang
von einem unwiderruflichen Verlust eines homosexuellen Begehrens
gesprochen, das Begehren nach dem gleichen Geschlecht müsse aufgegeben
werden, um in einer Hetero-Gesellschaft als Mann oder Frau zu passieren.
Freud und Lacan sind hier radikaler, da sie diesen Verlust vor der
Unterscheidung von Homo und Hetero ansetzen - nämlich als Verlust
jener ursprünglichen Einheit, der mit dem Eintritt in die Sprache
sich vollzieht, wobei die geschlechtliche Differenz hier noch keine
Rolle spielt.
Doch nochmals zurück zu den arteigenen Momenten, wie lachen und
weinen, vergessen und erinnern. Diese waren ursprünglich körperlicher
Natur und werden sodann zu psychisch-symbolischen Artikulationen.
In der Psychoanalyse fungiert hier als dominantes Beispiel die Brust,
an der der Säugling saugt, um anschließend befriedigt und satt einzuschlafen.
Diese Brust ist sowohl für Freud als auch für Lacan das Paradebeispiel,
um zu demonstrieren, wie das Begehren und das *Objekt klein a* sich
gegenseitig konstituieren. Bei Lacan heißt es dann: Die Brust steht
nicht für Nahrung, sie hat auch nichts mit der Erinnerung an noch
mit einem Widerhall von Nahrung zu tun, auch nicht mit mütterlicher
Sorge. Der Trieb geht darin um, er dreht seine Runde.11
Ziemlich ähnlich hat dies Franz Kafka in seinem Hungerkünstler beschrieben,
wenn dieser - kurz vor seinem Tod - dem Aufseher in das Ohr flüstert,
er hätte gegessen, wenn er die Speise gefunden hätte, die ihm geschmeckt
hätte. "Hätte ich sie gefunden, glaub mir, ich hätte kein Aufsehen
gemacht und mich voll gegessen wie du und alle."12
Von Beginn an ist ein Mehr in das biologisch-anatomische Aufwachsen
eingeschrieben oder besser: gesellt sich hinzu. Die meisten Theorien
stimmen darin überein, dass dies mit der zu frühen Geburt des menschlichen
Wesens zu tun hätte. Denn bei keinem anderen Lebewesen würde mental
und körperlich so sehr auseinander klaffen wie beim Menschen. Ichideal
und der Blick des Anderen sind nun damit beschäftigt, diese Spalte
zu schließen, das Subjekt sich halluzinatorisch einer geliebten
Ganzheit vergewissern zu lassen. - Was heißt das?
Im Spiegelstadium als jener imaginären Phase, in der das Kind sein
Bild allmählich entwickelt - als dieser andere - ist auch bereits
der Blick des groß A (des großen Anderen) anwesend - als Blick der
Mutter bzw. der ersten Bezugsperson. Dieser Blick schließt die Lücke
und lässt das Kind gleichzeitig - einer Marionette ähnlich - an
seinen Fäden zappeln. Die Bedürfnisse des Kindes sind immer schon
Ansprüche an den Anderen. Und unter diesem Blick, der zunächst ein
konkreter Blick gewesen ist, der sodann jedoch zum Blick eines anonymen
Gesetzes wird, entwickeln sich Männer und Frauen, versuchen Männer
und Frauen so zu sein, das zu erfüllen, was als männlich und weiblich
gilt.
Fragen, auf die es (noch) keine Antworten gibt
Next Sex? Wird es - nach dem Stattfinden der gentechnischen Revolution
- ein Geschlecht (noch) geben? Es wird Geschlechter geben, darüber
besteht kein Zweifel. Also lässt sich Next Sex? mit ja beantworten.
Und es wird auch Sexualität weiter geben: zwischen Menschen, zwischen
Männern und Frauen, zwischen Frauen und Frauen und Männern und Männern,
und es wird nicht nur Sexualität zwischen Kindern einen anderen
Stellenwert einnehmen, sondern möglicherweise auch die zwischen
Erwachsenen und Kindern und zwischen Mensch und Tier und zwischen
Mensch und Maschine. Und dies nicht etwa, weil die Gen-Experten
das entscheidende Gen ausfindig gemacht haben werden, sondern weil
Sexualität/Liebe/Begehren zu jenen Dimensionen menschlicher Existenz
zählen, die neben Nahrung überlebensnotwendig sind - für das psychische
Überleben zuständig sind. Paul Verhaege hat in *Love in a time of
loneliness*13 auf das Paradox hingewiesen, dass
unsere Zeit nicht nur alles erlaubt, sondern den Einzelnen geradezu
zwingt, alles zu sein/alles zu haben - und dies alles auch genießen
zu müssen. Der Imperativ "Enjoy!" hat allerdings zur Folge, dass
sich nicht nur Hobbies und Moden in Kürze abnutzen, sondern auch
Beziehungen - und an Stelle der Befreiung macht sich gähnende Langeweile
breit. *The right here and now kills every desire!* Die Gegenstrategien
sind daher auch überall am Werk: Eine hysterische Suche nach neuen
Verboten, nach neuen Führern, neuen Regeln und Ritualen zeigt sich
ganz offensichtlich- und sei es nur die, welche Sorte von Müsli
die einzig Richtige und Wahre ist. Das heißt, je vermeintlich liberaler
und demokratischer eine Gesellschaft sich gebärdet, desto oberflächlicher
zeigt sich die Angst vor dem Alles-ist-erlaubt = Alles-ist-egal.
Je offensichtlicher sich daher die Künstlichkeit der Geschlechterrollen
zeigt, desto rigoroser werden traditionelle Normen (wieder) installiert:
Es wird geheiratet, auch wenn die Scheidung beinahe schon terminlich
festgelegt werden könnte.
Daher ist es nicht verwunderlich, dass Diskussionen über ethische
Regeln derart en vogue sind, dass über Ein- und Beschränkungen in
einer wunderbar offenen Weise diskutiert wird, Diskussionen, die
absolut notwendig sind, um das Ausbrechen tiefer Ängste, die das
Produkt einer fanatisch betriebenen Grenzauflösung sind, zu kanalisieren.
Nicht, um alte Ordnungen und Identitätssetzungen widerspruchslos
zu betreiben, sondern um anzuerkennen, dass das Begehren des Ich
zutiefst im Begehren des Du/des Anderen verwurzelt ist.
3 Grosz, Eliszabeth (1994a): Experimental desire. Rethinking
Queer Subjectivity.
1 Vgl. Dyrberg 1998, S. 24-27 sowie Marchart
1998, S. 13
2 Vgl. Angerer 1995
3 Judith Butler, *Gender Trouble*,1990 (dtsche Übesetzung:
*Das Unbehagen der Geschlechter*, )
4 Judith Butler, *Bodies that Matter*, 1993
5 Elizabeth Grosz, *Experimental Desire. Rethinking
Queer Subjectivity*, In: Joan Copjec (Hg.): Supposing the Subject.
London, New York 1994, 133 - 157.
6 Slavoj Zizek, Unveröffentlichtes Manuskript
7 Slavoj Zizek: Das Unbehagen im Subjekt. Wien 1998,
91 - 92
8 in Anspielung auf Foucaults Werk *Sexualität und
Wahrheit*
9 Foucault 1977, 128
10 Shepherdson 1994, 170
11 Vgl. Lacan 1996, 176 f.
12 (Kafka???)
13 Paul Verhaege, *Love in a Time of Loneliness*,
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