Dietmar Bruckmayr
Die so genannte digitale Revolution bringt keine Veränderung soziopolitischer Verhältnisse. Die Ungerechtigkeitsverhältnisse bleiben bestehen und verschärfen sich sogar durch neue Methoden der Oppression und Zensur. Hinzu gesellen sich neue Ungerechtigkeiten in der Teilhabe an den neuen Technologien und ihren Möglichkeiten.
Die so genannte digitale Revolution bedeutet vielmehr eine Verschärfung kapitialistischer kompetitiver Mechanismen in den postindustriellen Sozietäten und Ökonomien. Da die rechtlichen Systeme nicht auf die neuen, wechselhaften Entwicklungen in Besitzverhältnissen und Handlungsweisen der global agierenden Produzenten und Distributoren digitaler Produkte eingestellt sind, gelingt es diesen durch kluge Konzernierungs- und Syndizierungstaktiken immer wieder, quasi monopolistische oder oligopolistische Strukturen aufzubauen und nationale Kartellrechte auszuhebeln. Schwellen- und Entwicklungsländer bleiben von der so genannten digitalen Revolution ex-ante fast ausgeschlossen oder bilden fallweise das Arbeitskräftereservoir für jene multinationalen Konzerne, die diese Regionen dann faktisch kolonisieren und mit entfesselten Lizenzregelungen und -abkommen knebeln. In letzterem Fall stellen Open-Source-Bewegungen die einzige Hoffnung dar.
Die so genannte digitale Revolution ist langsam. So sehr ihre Technologien dem Mythos der Echtzeit anhängen, so langsam breitet sie sich im Vergleich zu Radio, Fernsehen oder Telefonie auf Grund ihrer hohen Kosten aus. Eines hat sie allerdings in den reichen kapitalistischen Sozietäten sehr rasch bewirkt. Digitale Technik wurde zum erschwinglichen Massenartikel. Und schnell wurde aus den im Freizeitgebrauch angeeigneten Fertigkeiten die Basis für freies Unternehmertum, kreativen Dilettantismus, ambitionierte Schwarzwirtschaft etc. Die Industrie, die jedem Haushalt zahlreiche digitale Geister verordnen wollte, wird nun diese Geister in Form von Hack, Lizenzpiraterie, DVD-Ripping, Napster-Nachfolgern etc. nicht mehr los. Digitale Technik, einst knappes Gut spezifischer Eliten aus Ökonomie, Wissenschaft und Militär, wurde zunächst Spielzeug und Schreibmaschine, dann zusätzlich in jeder Hinsicht Arbeits- und Forschungsgerät mehr und mehr mündiger werdender Käufer und Anwender. Als Konsequenz treten neue Marktteilnehmer auf, die gewerbe- und steuerrechtlich schwer erfassbar sind, oftmals dank digitaler Informationstechnologie international kooperieren und letztlich als selbstständige Besitzer von Wissen und Betriebsmittel neue Beschäftigungsverhältnisse verursachen. So genannte Flexibles arbeiten als freie Dienstnehmer oder auf Auftragsbasis, auf jeden Fall in befristeten Arbeitsverhältnissen, wobei sowohl leistungsorientierte Lohnmodelle als auch die Überwälzung soziale Risiken und Lasten auf die Dienstnehmer Signifikate dieser Entwicklungen darstellen. Die Konsequenz sind u. a. nicht nur die wachsende Entsolidarisierung von Unternehmer und so genannten Dienstnehmer, sondern auch Umwälzungen in den Branchenstrukturen. So ächzen zum Beispiel Werbeagenturen und Filmfirmen unter dem Druck jener Konkurrenz, die Dank erschwinglicher Betriebsmittel, Wissen und Kreativität in Wohnzimmer und Kleinbüros jene Artefakte der Konsumwelt generieren, die schnell, vergänglich, aber immer am Puls des Zeitgefühls sein sollen. Digitale Technik wurde letztlich auch Produktionsinstrument von ästhetischen Produkten mit multiplen Vermarktungsmöglichkeiten.
Der Verfasser dieser Zeilen ist Teil dieses Prozesses. Er ist als Betreiber von extremer Performance-Kunst und elektronischer Musik in ein internationales Underground-Netzwerke eingebunden, das sich abseits des regulären Kunst- und kommerziellen Entertainment-Betriebs eigene Strukturen und Foren zu Produktion, Austausch und Präsentation von Inhalten, Technologie etc. schuf. Die Szenerie zeichnet sich durch Mobilität, Flexibilität, Kooperationsgeist, Innovationsdrang und hohes Tempo aus. Kunst als statischer Ausdruck einer in starre Formen eingezwängten bürgerlichen Elitenkultur ist irrelevant, ein Auftreten in den Foren dieser Elitenkultur dient der Geldbeschaffung für die eigentlichen Projekte, Kooperationen mit besagten Foren sind auf Grund der Langsamkeit des Verwaltungs- und Entscheidungsapparats wenig attraktiv. Diese eigentlichen Projekte sind mehrheitlich eigenfinanziert, die nötigen Betriebsmittel im Privatbesitz oder von Freunden geliehen. Dank billiger digitaler Kommunikation erfolgen Projektrealisationen oftmals arbeitsteilig über nationale Grenzen hinweg. Die Geldbeschaffung erfolgt im Falle des Verfassers durch Auftritte und zahlreiche, gut gewählte, kleine, schnell abwickelbare Aufträge für Agenturen, Klubbetreiber, sonstige Auftraggeber aus der Privatwirtschaft, die Information oder schnell verfügbare bzw. austauschbare visuelle Lösungen suchen und über den nötigen Respekt verfügen. Die Auftraggeber wünschen einen speziellen Stil, nicht TV-taugliche Bilder in solchen Auflösungen, sondern eine rohe und bewusst vergängliche Ästhetik computergenerierter Bilder, die nicht eine bereits bekannte Umwelt abbilden, sondern in neue Räumen hineinschauen will. Diese Bilder sind der Abfall der im stillen Kämmerlein auf den zusammengesparten Maschinen mit spezifischer, im kommerziellen Betrieb unbekannter oder nicht verwendeten Software generierten Bilder für die eigenen Projekte. Diese werden keinesfalls dem Kommerz ausgeliefert. Das Wissen für anspruchsvollere Aufträge stammt von Kollegen, die als Freelancer für die Werbebranche auf hohem technischen Niveau agieren.
Es durchdringen sich private Obsession und Beruf, verdichten sich in einem permanentem Produktions- und Lernprozess. Wird der nachgefragte Stil zum Mainstream, schwappt er über die Playkonsolen und Werbespots in die Wohnungen, wird er zur Fließbandarbeit und/oder verliert er letztlich an Attraktivität für Produzent und Kunden, hat sich der Produzent bereits ein neues technisches und ästhetisches Niveau erobert. Er verkauft seinen Output an neue Kunden, pausiert oder sucht sich neue Möglichkeiten der Geldbeschaffung.
Die Rolle des Verfassers ist ambivalent. Kritisiert er zumindest indirekt im ersten Abschnitt seines Beitrages herrschende kapitalistische Strömungen, so ist er in seiner Geldbeschaffung bzw. Arbeitsweise ein perfektes Produkt dieser kapitalistischen Entwicklungen, leistet ihnen durch seine Flexibilität und den Verzicht auf soziale und berufliche Sicherheit sogar Vorschub. Er ist allerdings mittlerweile in der günstigen Lage, mit kreativer, nicht völlig genrefremder Arbeit sein Leben und seine kreativen Aktivitäten zu finanzieren. Auch sieht er in seinem Streben nach Autonomie wie seine gleichartig agierenden Kolleginnen und Kollegen eine schlüssige Strategie, sich selbst und die ganzen Strukturen gegen die destruktive Vereinnahmung durch Politik und Ökonomie zu verteidigen, trotz allem verweilen, reflektieren und Kritik an politischen und sozialen Entwicklungen üben zu können. Die Arbeiten des Verfassers wollen keine Kunst sein, sie sind vergänglich und überleben auch nicht lange auf den Festplatten, da immer neueres und interessanteres Material entsteht. Die Auftragsarbeiten, das Info-Trading für bestimmte Klienten - sie dienen lediglich der Finanzierung des privaten Vordringens in jene wilde Finsternis, die sich hinter der so genannten menschlichen Vernunft befindet und der Finanzierung der Möglichkeit, Interessierten davon Mitteilungen zu geben."Die wahren Abenteuer sind im Kopf.." Hurra!
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