Container Park english | deutsch
Wolfgang Dorninger

featuring: Thilges 3 (Wien), XDV.ORG (Wien), Senor Coconut (Chile)

Zum erstenmal Mal "reitet" die Veranstaltungsserie "Ridin' A Train" nicht auf Schienen durch das Werksgelände der VA-Stahl, sondern zieht ans Wasser in den Containerhafen Linz, wo Klangskulpturisten, "expanded" Artists und Musikmorphologen Extrempositionen von Electronic Music und Pop präsentieren.

Der Containerhafen ist ein Ort kontinuierlicher IN/OUT-Abläufe, immer im Wandel, ein architektonisches Fragment, ein gebautes Abbild eines Netzwerkes - genau der richtige Ort für Gruppen wie "XDV", "Thilges 3" und "Senor Coconut y su conjunto".

XDV operieren als Netzwerk bereits seit Jahren parallel zu Kunst-, Wirtschaft- und Wissensstrukturen. Thilges 3 verweigern sich herkömmlicher Musik-Präsentationsformen und versuchen mit ihren eigenen Interfaces an den öffentlichen Raum anzudocken, während Uwe Schmidt aka Senor Coconut aka Atom Heart aka Lassique Bendthaus aka ... als eine Art Formwandler, als Spieler mit multiplen Identitäten zwischen unterschiedlichen musikalische Welten pendelt.

Programm: Wolfgang Dorninger

Ton-Installation Hafen

Thilges 3, Wien, www.thilges.at verstehen sich als akustische Bildhauer, die temporäre einmalige Klangskulpturen generiert mit analogen Soundmodulen ausstellen.

Thilges 3 tritt ganz selten wie eine elektronische Band auf, bei ihren Aktionen funktionieren die Arbeitsschritte wie "bei der Inszenierung eines Theaterstückes". "Viele unserer Werke sind Spezialanfertigungen für Räume oder Situationen. Das heißt, daß sich unsere Ideen mit uns entwickeln. Manchmal ist der Ausgangspunkt ein rein musikalischer, sehr oft aber haben wir das sinnliche Gesamtbild der Aktion als Vorstellung im Kopf."

Armin Steiner, Gammon und Nik Hummer bezeichnen sich als Klangbildhauer, die schon immer raumakustische Überlegungen (wie Quadrophonie) in ihre Ideen einbezogen haben. "Mit der Zeit haben wir uns auch auf die visuelle Umsetzung unserer Gedanken konzentriert, und dabei neue Methoden entwickelt Musik zu interpretieren. Mittlerweile haben fast alle unsere Aktionen performativ bildhauerische Züge."

Die Gruppe verwendet für Klangerzeugung und Klangverarbeitung ausschließlich modulare analoge Synthesizer, die nicht mit MIDI-Daten angesteuert werden. "Obwohl wir elektronische Musik machen , haben wir noch keine Möglichkeit gefunden unsere Patches zu speichern, vielleicht auch deshalb, weil wir uns noch nicht wirklich bemüht haben - wir arbeiten an unplugged Versionen!"

Das einmalige Ereignis, das Werk ist wichtig und da Wiederaufführungen unmöglich sind, werden wesentliche Aktionen auf MiniCD dokumentiert und via Abonnement vertrieben.

Thilges 3 lassen sich glücklicherweise nicht auf "Electronica" beschränken, geistern doch Wünsche wie: "Ein Pop-Projekt mit so grossartigen Künstlern wie Jaliba Kuyateh, Youssu N`Dour, Mandolin und Shankar an 30 Tagen an 30 verschiedenen Schauplätzen in einer europäischen Kleinstadt" durch ihre Köpfe.

Programm Zelt:

XDV.ORG, Wien, http://xdv.org

XDV ist eine Plattform zur Schaffung und Erhaltung von technischer Infrastruktur, welche einer Gemeinschaft fuer klassische Kommunikation sowie mediale, kommunikative und technische Experimente und Produktionen zur Verfügung steht. Die Funktions- und Arbeitsweise von XDV entspricht einem vernetzten Zentrale/Satellitenmodell. Die Basis befindet sich in Wien V, fg6. Die Experimente und Produkte bestehen meist aus der Verknuepfung selbst- und fremderstellter Programmteile nach dem Open-Source Prinzip. Diese Produkte bieten die Grundlage fuer weitergehende Produktionen wie Performances oder Installationen. XDV existiert als eigenes Netzwerk parallel zu den Strukturen der Kunst-, Kultur- oder Wissensindustrie. Projekte werden in flexiblen Besetzungen erarbeitet und in unterschiedlichen kulturellen Kontexten präsentiert.

Señor Coconut y su conjunto (Chile/D/DK, http://www.multicolor-recordings.de/senorcoconut/index.htm)

Senor Coconut y su conjunto ist eine exzentrische Verschmelzung von Kraftwerk mit latainamerikanischer Musik, ein Tanzkurs frei nach dem Motto: "El Baile Alemán" (Spanish for German Dance). Von Frankfurt nach Chile ist es zwar ein langer Weg. Von Uwe Schmidt zu Senor Coconut genügt hingegen ein Knopfdruck. Auch wenn falsche Bärtchen etwas anderes nahe legen - dieser Senor Coconut, der auf der genialen Tanzplatte "El Baile Alemán" Kraftwerk-Klassikaner so klingen lässt, als gehörten sie schon immer zur Hollywood-Wunderwelt gefakter südamerikanische Carmen Miranda-Exotica, existiert eigentlich nur in den Musikmaschinen von Uwe Schmidt. Dass in diesem Maschinenpark dafür überhaupt noch Platz ist, grenzt an ein Wunder. Wurden damit doch seit 1996 fast 100 Alben mit elektronischer Musik produziert. Wobei sich hier Kontextverschiebungen, Ent- und Neukontextualisierungen (also die ganze Cut´n´Paste-Palette) nicht nur in "elektronischen" Bearbeitungen popmusikalischer Klassikaner (auch die Rolling Stones und John Lennon finden sich Schmidts Musikmaschinen wieder) festmachen lassen.

Denn Uwe Schmidt ist auch eine Art Fantomas, der unter zig Pseudonyme agiert und dessen Ausweisfälschungen selbst von geschulten Organen nicht als solche erkannt werden können. Zur Auswahl stehen dabei u.a. Atom Heart (wohl das bekannteste Projekt), Lisa Carbon Trio, Geez´n´Gosh, LB, Flanger (zusammen mit Burnt Friedman, dessen "Ach wie gut, dass niemand weiß, dass ich auch Dromed, Nonplace Urban Field, Some More Crime heis´"-Arbeitsweise zwangsläufig zu einem gemeinsamen Projekt führen musste) und eben Senor Coconut.

Diese Spiel mit Pseudonymen und wechselnden Identitäten gehört in der Popmusik spätestens seit David Bowie zum fixen Inventarium zur Untergrabung eindeutiger Identitäts-Zuschreibungen. Nur bliebt das "Pop-Chamäleon" Bowie als "Major Tom", "Ziggy Stardust", "Alladin Sane", "Young American" oder "Tin White Duke" immer noch als David Bowie identifizierbar. Diese "Vielheiten" der Erscheinungsformen waren keine rhizomatischen im Sinne von Deleuze/Guttari (offenes, heterogenes System ohne Zentrum mit möglichst vielen Ein- und Ausgängen), sondern funktionierten immer noch auf der Ebene einer "Rollenvielfalt", die dem klassischen Theater/Kino näher waren als dem Bowie im postmodernen Popdiskurs dann später oft und gerne in die Plateau-Schuhe geschobenen "Tod des Autors/Künstlers".

Auch wenn die permanenten SelbsterfinderInnen der Achziger - Madonna und Prince - ein Konzept wie "Identität" nur noch als stets wechselndes, fragmentiertes und widersprüchliches definierten, blieben beide immer noch als "Madonna" bzw. "Prince" identifizierbar. Was einmal etabliert ist verschwindet halt nicht so leicht. Da konnte sich Prince als "The Sign" bzw. "TAFNAP" ("The Artist Formerly Known As Prince") noch so anstrengen - seine gefälschten Ausweisen wurde überall als solche erkannt. Womit im Grunde auch schon klar sein dürfte, warum es sich gerade bei Techno (vor allem wie er Ende der Achziger/Anfang der Neunziger in Detroit und Chicago definiert und produziert wurde) und seinen Folgen (also sowie elektronische Heimfrickel-Musik im allgemeinen) um genau jene Future-Zonen handelt von denen Michel Foucault sprach, als er eine Diskursivität "ohne dass die Funktion Autor jemals erscheine" (Michel Foucault) forderte.

Wenn sich etwa Breakbeat-Wissenschaftler wie Dego und Marc Mac (Reinforced Records) abwechselnd "4 Hero", "Jacob´s Optical Stairway", "Tek 9" nennen, dann geht hier vor allem um mannigfaltigste und differenteste Intensitäten und Aggregats/Bewusstseinszustände. Also genau um jene Qualitäten durch die und mit denen Senor Coconut locker mehr als 1000 Plateaux-Schuhe zu glühen bringt und Robotern, falls nicht gerade von elektronischen Schafen träumen, elegante Cha-Cha-Cha-Bewegungen beibringt.

Señor Coconut y su conjunto:
Singer: Agenis Brito, Keyboard: Uwe Schmidt, Saxophone: Thomas Hass, Trumpet: Lars Vissing Pedersen, Percussion: Peter Kibsgaard, Vibraphone: Morten Groenvad, Marimba: Carsten Skov, Bass & bandleader: August Engkilde

Text Senor Coconut: Didi Neidhart