SymbioticA Research Group
Fish & Chips ist ein bio-kybernetisches Forschungs- und Entwicklungsprojekt zur Untersuchung von Kreativität und künstlerischem Schaffen im Zeitalter der Biotechnologie. Fish & Chips besteht aus auf Silikonchips gezüchteten Fischneuronen ("Wetware"), aus Software und aus visuellen und akustischen Ausgabegeräten (Hardware). Präsentiert wird - als Work-in-Progress - der gegenwärtige Forschungsstand in der Entwicklung eines "halblebendigen künstlerischen Wesens".
Die Installation zeigt die Labor-/Atelier-Situation, Prototypen und eine Dokumentation des Projekts und ist ein Beispiel für die Art von Forschung, die SymbioticA - das kollaborative Kunst- und Wissenschaftslaboratorium am Institut für Anatomie und Humanbiologie der University of Western Australia - betreibt.
Die Biologie befindet sich im Übergang von einer Entdeckungsphase in eine Schaffens- und Nutzungsphase. Das wird tief greifende gesellschaftliche Auswirkungen haben. Die direkt am Material arbeitende Bio-Kunst wird allmählich als gültiges Ausdrucksmittel für kulturelle und künstlerische Wahrnehmungen sowie als Methode zur Erforschung vernachlässigter biologischer Forschungsbereiche anerkannt. Sie erkundet die Natur möglicher hinterfragbarer Zukunftswelten. Die kybernetische Idee einer Zusammenschaltung von Neuronen und Maschinen/Robotern wird zusehends Realität.1)
Die Vision
Ziel ist es, ein halblebendiges künstlerisches Wesen aus verteilten Kolonien isolierter Neuronen zu schaffen, die auf maßgeschneiderten, mit einem Gitternetz aus Mikroelektroden versehenen Silikonchips gezüchtet werden. Jede Zellkolonie kommuniziert intern über ein in der Kultur entstehendes reales neuronales Netzwerk, während die Kolonien untereinander über ein digitales Netzwerk (das Internet) interagieren und Input bekommen. Das Handlungspotenzial der Neuronen wird mittels unterschiedlicher, durch Feedback-Loops erzeugter Reize wie etwa das "Beobachten" der Tätigkeit robotischer Arme oder "Musikhören" erzeugt. "Inspiriert" wird Fish & Chips durch verschiedene externe Inputs. Die entstehende neuronale Aktivität wird von einem lernfähigen Zentralserver verarbeitet. Eine Treibersoftware steuert den künstlerischen Output - Audiokunst und muskelbetriebene robotische Zeichenarme (angesichts der Fortschritte im Tissue Engineering werden wir versuchen, die Armbewegung sowohl mit echten als auch mit künstlichen Muskeln zu kontrollieren).
Fish & Chips wurde so gezüchtet/konstruiert, dass es sich weiterentwickelt und visuelle wie akustische künstlerische Outputs generiert, um damit den Begriff des Schöpferischen und das Wesen der Kunst zu hinterfragen. Dieses Hybridgebilde ist so aufgebaut, dass es eine offene Aufgabe erfüllen und seine innere Arbeitsweise in Form von Zeichnungen und durch die Manipulation eines Musikstücks zeigen kann. Die Verbindung von Wetware/Software/Hardware - Fischneuronen/digitalen Elementen/Roboterarmen - zerlegt Kreativität symbolisch in ihre Grundbestandteile. Gleichzeitig wird sie in den verschiedenen Stadien stimuliert und manipuliert, um die Handlungen und Reaktionen der "KünstlerIn" zu beobachten.
Der Begriff des Schöpferischen und der Kunst ist sowohl aus dem Blickwinkel der Maschine wie aus dem biologischer Akteure ausführlich untersucht worden. Ein Beispiel ist etwa "Aaron", ein von Prof. Harold Cohen entwickeltes kunstproduzierendes Computerprogramm (2). Ein anderes Beispiel zeigt ein nicht-menschliches biologisches Wesen als Künstler. "Elephant Drawings" ist eine Wanderausstellung mit Zeichnungen, die von Elefanten gemacht wurden (3). In beiden Fällen hat das Kunstestablishment die Zeichnungen als Kunstwerke akzeptiert und sie in den entsprechenden Institutionen ausgestellt.
Fish & Chips nimmt die Grundbausteine des "Denkens" (isolierte Neuronen) und verbindet sie mittels eines Elektronengehirns mit einem mechanischen Körper, um ein sich entwickelndes, lernfähiges Wesen zu schaffen, das darauf konditioniert ist, seine Wachstumserfahrungen künstlerisch zum Ausdruck zu bringen. Die Verbindung von Unberechenbarkeit und Temperament mit Lern- und Anpassungsfähigkeit schafft ein Künstlerwesen, das von seinem Schöpfer und dessen Intentionen zugleich abhängig und unabhängig ist.
Die Interaktionen des Publikums mit Fish & Chips sind nicht nur deswegen wichtig, weil sie die Weiterentwicklung seiner Kreativität stimulieren, sondern weil wir damit auch unsere Fähigkeiten und Intentionen im Umgang mit einem möglicherweise empfindenden, kreativen und unberechenbaren Wesen erproben.
Unser gegenwärtiger Forschungsstand
Die Installation zeigt den gegenwärtigen Stand unserer Forschung bei SymbioticA. Sie umfasst drei physische Bereiche:
1. Das Gewebekultur-Labor
Wir arbeiten mit Methoden, die in den wissenschaftlichen Forschungslabors der University of Western Australia entwickelt wurden, um die Eignung von Silikonchips mit eingebauten Elektroden und maßgeschneiderter Morphologie als Verbindung zwischen zerstörten Nervensträngen und Prothesen oder Muskelstimulatoren zu untersuchen.
Wir sind momentan bei der Entwicklung von Methoden zur Züchtung dreidimensionaler Neuronenkolonien in einem mit einem Elektrodengitter ausgestatteten Bioreaktor.
2. Das Elektrophysiologie- und Datenverarbeitungslabor
Die Neuronen feuern beim Erreichen eines Schwellenwerts von Inputsignalen, die sie von anderen mit ihnen verbundenen Neuronen erhalten, oder auch spontan ein Signal (Handlungspotenzial) ab. Manche Zellen feuern in Folgen oder Stößen, andere einzeln und wieder andere wie ein Uhrwerk.
Für die Installation werden wir ein System zur Überwachung und Aufzeichnung dieser Signale vom Tectum eines Fisches, der mit einem Teil der Retina verbunden ist, einrichten. Dies geschieht hauptsächlich zu dem Zweck, unser Wissen über Elektrophysiologie, Tissue Engineering und Wetware/Software/Hardware-Schnittstellen zu erweitern (4). Die Aktivität tritt bei einer Lichtreizung der Fischretina auf. Das fein abgestimmte Aufzeichnungssystem fängt die Aktivität auf und leitet sie so rauschfrei wie möglich an die Verstärkersysteme weiter. Die hoch verstärkten Signale werden über einen Analog-Digital-Wandler zur Steuersoftware des künstlichen Muskelsystems geleitet. Die Impulsspitzen, die Zeitphasen und anderen Grundeigenschaften der Bioaktivität werden herausgefiltert und zur Steuerung der diversen Parameter verwendet, die die pneumatischen Roboter-"Muskeln" und das Musikstück beeinflussen.
3. Das Atelier
Der Zeichenroboter erhält vom Rechner die verarbeiteten Daten und übersetzt sie in Zeichnungen. Die Computersoftware setzt die eingehenden Daten um und steuert damit das Öffnen und Schließen einer Reihe von Ventilen. Durch diese Ventile strömt komprimierte Luft in die pneumatisch betriebenen künstlichen Muskeln. Daraufhin ziehen sich diese mit genügend Kraft zusammen, um einen Kuli oder Bleistift über das Papier zu führen. Die Muskeln bestehen aus zwei Hauptkomponenten - aus der inneren Luftblase, die die Kontraktion auslöst, und der äußeren Ummantelung, in der sie dann erfolgt.
Das Musikmodul erhält die verarbeiteten Daten von den Neuronen. Der Inputkanal wird in ein MIDI-Protokoll umgewandelt, das die vordefinierten Rhythmus- und Klangfarbenalgorithmen steuert und manipuliert. Der musikalische Output dieser Algorithmen wird dann an einen MIDI-Synthesizer geschickt, der das Musikstück generiert.
Mit der Schaffung einer temporären "KünstlerIn", die Kunst hervorbringende Tätigkeiten ausübt, hinterfrägt Fish & Chips die Natur von Kunst und Kreativität. Fish & Chips beschäftigt sich mit diesen Themen auf dem Hintergrund einer immer rapideren Entwicklung der Biotechnologie. Wie werden wir mit solchen kybernetischen Wesen interagieren, da sie sich doch kreativ und unberechenbar verhalten könnten? Wie wird die Gesellschaft mit dem Künstlertum und der Kreativität von halblebendigen Wesen umgehen?
Anmerkungen
1. Z. B. das Cochlear- oder Innenohrimplantat, das das verstärkte Signal von einem Mikrofon auffängt und in Code umwandelt, der eine Reihe von Elektroden im schneckenförmigen Kanal der Cochlea stimuliert. Ein weiteres Beispiel sind die Fortschritte auf dem Gebiet der Retinaprothetik wie etwa die Forschungsarbeiten von Wentai Liu an der North Carolina State University.
2."'Aaron': Art From the Machine", Mark K. Anderson, in: Wired news, 12. Mai 2001 www.wired.com/news/print/0,1294,43685,00.html: Der Artikel zitiert Stephen Blessing von Carnegie Learning mit den Worten: "Ich halte Aaron zumindest für ein sehr gutes Modell dafür, wie Harold Cohen (der Softwareentwickler) Kunst macht. Insofern also Harold Cohen kreativ ist - und ich glaube, das ist er - ist auch Aaron kreativ."
3. The Asian Elephant Art & Conservation Project www.elephantart.com/. Man muss die Vorstellung vom Elefanten als Künstler in Frage stellen. Handelt es sich nicht eher darum, dass Menschen Kunst und Kreativität auf einen indifferenten Elefanten projizieren?
4.Für unsere Kulturen und Aufzeichnungen ziehen wir verschiedene Teile des Zentralnervensystems von Fischen heran.
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