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Am Ende des Mythos oder jenseits der Säulen
des Herkules Die Säulen des Herkules verbildlichten das Tor zu einem neuen Welthandel
und Globalisierungsprojekt, bei dem Geografie, Religion, Wissenschaft,
Politik, Ökonomie und Gesellschaft zur Disposition standen. Mit der
Eroberung unbekannter Welten translozierten die herkulischen Säulen
Richtung Westen, und über diese Okzidentierung oder Verwestlichung
startete ein neuer Herkules-Mythos der Pionier- und Technokultur, der
vom amerikanischen Siedlermythos abgelöst in Form des Trail
West und Frontier Spirit als "Suche
nach den geryoneusschen Rindern" in den Cowboys der Prärie,
den Spacecowboys des Kosmos und den Cybercowboys der Netze weiterlebt.
Während am Beginn der Neuzeit die Säulen des Herkules das Plus ultra der okzidentalen Expansion symbolisierten, manifestierten die Zwillingstürme in Zeiten des entfesselten Kapitals für zahlreiche Globalisierungsskeptiker das Nonplusultra transnationaler Märkte und Suprastrukturen sowie deren systemische Selbststeuerung durch das Gesetz eines "Survival of the Fittest". Als sich am 11. September 2001 plötzlich Flugzeuge zum "Medium ihrer Botschaft" pervertierten, um das System zu invertieren, stand ein imperialistischer Herkules und seine wirtschaftliche und kulturelle Hegemonie über die restliche Welt im Visier. Das Attentat auf die hegemoniale Ordnung war ein Ereignis von globaler Bedeutung, das der Globalisierung den Kampf ansagte und nach Korrektur und Umverteilung beziehungsweise nach einer neuen politischen und kulturellen Kartografierung globaler Konditionen verlangte. Wurde damit das endgültige Scheitern von Aufklärung und Humanismus besiegelt, hatte der apokalyptische Gedanke begonnen den utopischen zu ersetzen, waren die Peripherien ins Zentrum vorgedrungen, um sich Gehör zu verschaffen? Oder war alles nur eine willkommene Abkühlung überhitzter Märkte, um mit neuem Elan kulturelle Fronten, ökonomische Einfluss-Sphären und globale Strategien zu stärken? Zwischen Skylla und Charybdis oder von der Auf- zur Abklärung Nach den Anschlägen auf das World Trade Center verbinden wir 9/11
nicht länger mit einem schnellen Sportwagen der Marke Porsche, nicht
mit Geschwindigkeit, Spaßgesellschaft oder Lifestyle, sondern mit
Wehmut und Schrecken. Die Stimmung ist auf null gesunken, und Ground Zero
ist zum Symbol für die Identitätskrise der westlichen Zivilisation
geworden. Symptomatisch dafür präsentiert sich die diesjährige
Ars Electronica ihrem Titel gemäß "unplugged", um
sich den blinden Flecken der Globalisierung zu widmen und nach den politischen
Momenten der Kunst zu fragen. Das Festival, das traditionsgemäß
den künstlerischen und technologischen Avantgarden ein Forum bietet,
gibt sich heuer genau am Jahrestag der Katastrophe dem Kater nach der
Party des E-Commerce-Hype samt seinen gescheiterten Hoffnungen auf unbegrenztes
Wachstum hin. Das Ende der Spaßgesellschaft wird proklamiert, und individuelle
Unabhängigkeit, egoistische Selbstverwirklichung oder hedonistische
Unterhaltungskultur werden Solidarität und Genügsamkeitgegenüber
gestellt. Eine aufkommende Restauration von eindeutigen Zuschreibungskonzepten
und Gut-Böse-Dualismen ruft die Kunst zur Unterbrechung des "herrschenden
Systems" auf und erwartet von ihr einen Einspruch und Einschnitt
in ökonomische, soziale und politische Verhältnisse. Doch ist
dieser Wunsch nicht Teil der Logik des Systems und wartet die hegemoniale
Ordnung nicht dankbar auf jede Form von Kritik, um diese affirmativ zur
Stabilisierung der eigenen Macht zu nutzen? Künstler sind nach 9/11 zwar dessen ungeachtet mehr denn je aufgerufen
soziale Funktionen zu übernehmen und Katalysatoren für einen
sozialen "Wandel" zu bilden. Die Frage, was sich dabei wohin
oder in was wandelt, scheint aber, während sich US-Amerika beweihräuchernd
in der Opfer- und Trauerrolle suhlt und seine nationale Einheit zelebriert,
zu einem noch dunkleren Fleck zu werden, als es der blinde Fleck der imperialistischen
Globalisierungstaktik je zuvor war. Die Gefahr, die darin schlummert,
liegt in der panischen Obsession die gesellschaftliche Kontingenz, d.
h. die Möglichkeit oder die Potenz, eine offene und frei gestaltbare
Zukunft in Geiselhaft nehmen zu wollen und sie zur Realisierung einer
einzigen unausweichlichen Notwendigkeit zu zwingen. Man will das Netzwerk
des Möglichen, des Vorstellbaren und Diskutablen zerschlagen, eine
neue Hierarchie der Werte errichten und somit das Fundament für eine
westliche Wertegemeinschaft zementieren, um es anderen polar entgegenzustellen. Mittlerweile dürfte klar geworden sein, dass es sich bei der Terrorkatastrophe weniger um die Eroberung der Realität durch die Bilder und auch umgekehrt weniger um einen Einbruch des Realen in unsere Bilderwelten als um eine weitere Freisetzung des Symbolischen handelte, das nun wiederum restriktiv unser Erleben von Realität bestimmt. Die Türme des globalen Schachs wurden zwar matt gesetzt, indem König und Dame durch einen rigorosen Regelverstoß zu Fall gebracht wurden, aber der Kampf der Bauern auf den Straßen geht weiter. Was dabei auf dem Spiel steht, ist nichts Geringeres als die Findung viabler Strategien angesichts unbeherrschbarer organisierter Komplexität, hervorgerufen einerseits durch eine verfehlte US-amerikanische und europäische Wirtschaftspolitik der Deregulierung, Liberalisierung und Privatisierung und andererseits durch eine generelle Krise von Modernität. Weltgesellschaft als ein System der Reproduktion von sozialen, politischen, ökonomischen, technologischen und ökologischen Ungleichheiten kann in diesem Zusammenhang nicht alleine auf eine Gegenüberstellung von Subsidiarität versus Solidarität reduziert werden, sondern muss als ein erweitertes kulturelles Dispositiv im Kontext der Werte und Wirkungen der Neuzeit und Aufklärung sowie ihren modernistischen Obsessionen und Verheißungen diskutiert werden. Von der Postmoderne zur Supramoderne Wurde einst die Geburt der Postmoderne vom Architekturtheoretiker Charles Jencks mit der Sprengung der Prinzipien der Moderne in Form der Hochhaussiedlung Pruitt-Igoe Anfang der 1970er-Jahre in St. Louis eingeläutet, deutet momentan vieles darauf hin, dass 9/11 als Zäsurpunkt für das Ende derselben in die Geschichte eingehen könnte. Das Projekt der Moderne unterlag von der Gegenreformation über die Romantik bis zur Postmoderne fluktuierenden Krisen, doch jede Kritik und jeder Abgesang revitalisierten die Moderne von neuem und transformierten sie in einen anderen Aggregatzustand. Insofern mag die Moderne ein in die Jahre gekommenes Projekt sein, es nährt sich aber, da es akkumulativ und irreversibel operiert von seiner eigenen Geschichte und antizipiert selbstreflexiv seine Zukünfte, indem es die Gegenwart permanent in eine futuristische Dimension überführt. Modernität bedeutet ein Leben in Sciencefiction, wobei die aktuelle Utopie eine Atopie des Irgendwo und der Jederzeit ist, die in Form der Globalisierung auf eine Homogenisierung und Synchronisierung der Kulturen abzielt. Globalisierung als zentraler neuzeitlicher Effekt kulminiert heute in einem medien- und finanztechnischen Konvergenzmodell zur Etablierung einer supranationalen Kompatibilität und Komparabilität aller Wettbewerbsparameter wie u. a. Zeit, Raum, Währung und Produktion. Diese wirtschaftliche und mediale Synchronwelt, die den Zustand von Postkolonialität
definiert, strebt nach einer globalen Matrix der "Echtzeit"
zur universellen Konvertierung aller Informationen, Güter und Kulturen.
Da Konvertierungen aber nicht ohne Verluste ablaufen, gibt es mit dem
expansiven Fortschreiten dieses supramodernen Projekts immer mehr Verlierer,
welche die globale Reformatierung als System der Ungleichheit und Ungerechtigkeit
erleben. Und zweifellos wurden in Zeiten der Postmoderne mehr Versprechungen der Moderne, zumindest naturwissenschaftlicher Art, eingelöst als in der gesamten Neuzeit zuvor. Modernisierung als Futurisierung, Artifizialisierung und Globalisierung beschleunigte sich in unbekanntem Ausmaß, und es entstand ein potenzierter Aggregatzustand der Moderne, der nur als Supramoderne im Sinne der Metastatisierung und Hypertrophierung modernistischer Konzepte beschrieben werden kann. Supramodernisierung wird außerhalb der westlichen Welt vor allem mit Amerikanisierung (hier in einem US-amerikanischen Sinn) assoziiert, weshalb unabhängig von einer US-amerikanischen Außenpolitik in einer vereinfachten Sichtweise die Werte und Bildwelten Hollywoods, der verschwenderische Lebensstil bzw. "The American Way of Life", der sorglose Umgang mit Ressourcen und Ökologie oder der naive Machbarkeitswahn der Naturwissenschaften zur Diskussion stehen. Dieses System eines "Image-Empire" und eines "Empirie-Empire", das elitär die Erfahrung von Nahrung, Energie, Know-how etc. im Überfluss für wenige garantiert und an der globalen Ökosphäre parasitiert, fordert große Teile der restlichen Welt unwillkürlich zur Rebellion. Die Vorherrschaft des US-amerikanischen modernistischen Modells, das verkürzt als Manie des Realen bzw. als Realisierung individueller Träume auf ökonomischer und technischer Ebene beobachtet werden kann, solidarisiert zum Kampf, der mit der Antiglobalismusbewegung oder dem Aufbegehren in Ländern der Dritten Welt erst begonnen hat. Was in den letzten Jahrzehnten verabsäumt wurde und das Unternehmen der so genannten Postmoderne letztendlich zum Scheitern gebracht hat, war u. a. ein verschämter Rückzug aus Fragen der Politik und des Sozialen sowie eine zu zögerliche Beschäftigung mit Technologie, Medien, Wirtschaft und Ökologie unter gesellschaftsethischen Prämissen. Aus dem Gefühl der Selbststeuerung durch Systeme und Prozesse, der Idealisierung einer neoliberalen Ideologie zum Naturgesetz oder dem Eindruck der Ohnmacht gegenüber Massenmedien, Werbe- und Imageindustrie resultierte ein Verlust subjektiver Handlungsräume bei gleichzeitiger Zunahme von Unübersichtlichkeit, Komplexität und Welthaltigkeit. Die Postmoderne konnte wenig zum Umgang mit der durch Medien, Wissenschaft
und Technologie beschleunigten Transformation von Lebenswelten und Befindlichkeiten
beitragen, und es stellte sich zunehmend die Empfindung eines Endes der
Geschichte oder einer statischen Leere ein. Das Freiheitsversprechen eines
"Anything Goes" erschöpfte sich in einem Zustand, in dem
nichts mehr ging, woraus bereits ab den 1980er-Jahren die Neue Rechte
ihren Aufschwung rekrutierte. Die Sehnsucht nach einem einfachen Komplexitätsmanagement,
das jede Form von Kontingenz ausblendet und die Notwendigkeit dualen Handelns
propagiert, entstand und infizierte die westliche Welt mit Arroganz und
Rassismus. Der Künstler als Kontingenzforscher Eine Kunst, die abgehoben von gesellschaftlichen Kontexten solipsistisch
Ideen erzeugt, scheint heute obsolet geworden zu sein. Kunst steht nicht
nur an der Schnittstelle, an der sich traditionelle Kulturen und Systeme,
Naturwissenschaften und Geisteswissenschaften, das Soziale und das Politische
konfrontieren, sondern ist darüber hinaus zu einem Schnittstellenmultiplikator
geworden. Kunst ist heterogen und transdisziplinär organisiert, basiert
zunehmend auf Teamarbeit und agiert weitaus offener für gesellschaftliche
Erwartungen, Ansprüche oder Probleme. Sie erweist sich somit reflexiver
und in höherem Maße von sozialer Relevanz, wodurch eine neue
Topologie der Kunst entsteht, die nicht nur innerhalb von Institutionen
des Kunstsystems existiert und auch nicht alleine durch die Person des
Künstlers, Kurators etc. vertreten wird. Kunst drängt in die
Welt, die sie bildnerisch zu denken sucht, und genau an dieser Grenze
ist sie aufgerufen zu verhandeln und zu handeln, um ihren Widerstand zu
trainieren. Das Prinzip des unbedingten Widerstands ist ein Recht, das
die Kunst zugleich erfinden, reflektieren und setzen müsste, damit
eine kulturelle Gegenoffensive beginnen könnte, die der *Souveränität*
entgegentritt. Dies würde bedingen, dass Kunst zu verschiedensten
Mächten in Opposition tritt, etwa zur Staatsmacht, zu ökonomischen
Mächten der Konzerne und des internationalen Kapitals, aber auch
zu medialen, religiösen und ideologischen Mächten, also zu all
jenen Mächten die das Projekt einer kommenden Kunst einschränken. |