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Aufbau von Schnittstellen
Polyethnische Medien und kulturelle Diversität

Otto Tremetzberger / Alexander Baratsits

Faktizität Verschiedenheit und Globalisierung

Die soziale, ethnische und kulturelle Verschiedenheit ist nicht nur soziale Realität. Sie
ist auch – und dies immer mehr – ein politisches Thema. Unsere Gesellschaften sind
längst polyethnisch, und der Weg zurück in ohnehin fragwürdige „homogene nationale
Gemeinschaften“ – wie sie in den Programmen rechtspopulistischer Parteien formuliert
wird – ist Illusion. In den polytethnischen Gesellschaften ist die Verschiedenheit
selbst mit den restriktivsten Einwanderungsgesetzen nicht mehr aufzulösen.

Um dem Konfliktpotenzial und den Auseinandersetzungen in einer multiethnischen
Gesellschaft entgegenzuwirken, genügt es längst nicht mehr, gegen Rassismus zu
sein. Vor allem im Medienbereich geht es darum, die Rahmenbedingungen und Voraussetzungen
für eine multiethnische Medienlandschaft zu schaffen. Charles Husband (1)
weist darauf hin, dass in der Vergangenheit von PraktikerInnen und AkademikerInnen
der „Eliminierung des Rassismus“ weit mehr Aufmerksamkeit geschenkt wurde
als etwa der Konzipierung und dem Aufbau einer „polyethnischen Medienlandschaft“. (2)

Der Ansatz von Radio Fro

Radio FRO (eine freie, nicht kommerzielle Radiostation in Oberösterreich) versteht sich
als Modell für eine polyethnische Medienlandschaft: Raum für einen offenen und in
seiner Reflexion vielfältigen und breit gestreuten Diskurs. Ein offener Raum der Selbstformulierung
und autonomen Mediennutzung: Die Palette an diversifizierenden und
widersprechenden Meinungen ist umfangreich und steht im deutlichen Kontrast zu
den paternalistischen und zaghaften Bemühungen der Mehrheitsmedien, deren reduziertes
Informations- und Kommunikationsangebot gerade für sprachliche und kulturelle
Minderheiten viel zu weitmaschig gestrickt ist, um die Unterschiede innerhalb
den Sphären sichtbar zu machen. Beispielsweise verfügt FRO gegenwärtig allein über
sieben inhaltlich unterschiedliche Sendungen in türkischer bzw. kurdischer Sprache.

Mit dem Leitgedanken „Anstiftung zur Initiative“ – der seine Wurzeln im künstlerischen
und medienpolitischen Anspruch der Stadtwerkstatt hat – folgt Radio FRO im Unterschied
zu den herkömmlichen Konsumptionsmedien einem Ansatz, der auch innerhalb
der Freien Medienszene nicht unumstritten ist. Auseinandersetzung und Konflikte
um Haltungen und Positionen werden nicht abgeschwächt oder verhindert. „Der Andere“
ist von Anfang an Teil des Diskurses, der von den verschiedenen Gruppierungen oder
Einzelpersonen – den „Teilöffentlichkeiten“ – getragen wird.

Tragen Mehrheitsmedien im Sinne einer „gutmütigen Akzeptanz“ (3)tendenziell zu einem
homogenen Bild des „Anderen“ bei, geht es darum, die Erfahrungen und Interessen
der ethnischen Minderheit auch in ihrer vielfach unter den Tisch gekehrten Verschiedenheit
zu repräsentieren. Eine Offenheit und Diversität, die letztlich auch innerhalb
der Sphäre Konfliktpotenzial birgt und Feindseligkeiten zwischen den Gruppierungen
entfachen kann. Nicht nur die existierenden Mehrheitsmedien sind potenzielle Sprachrohre
für rassistische und politische Hetze. „Eine bestimmte ethnische Identität zu
besitzen, sei es die der Mehrheit oder die einer Minderheit, ist keine Garantie für Tugend.“ (4)

Multiethnizität und Terrorismusverdacht


Schließlich sind mit Migration und Globalisierung die Grenzen zunehmend auch für politische,
ethnische und kulturelle Konflikte durchlässig geworden, die unter Umständen
weit außerhalb des konkreten regionalen Umfeldes angesiedelt sind oder weit darüber
hinaus gehen – eine Entwicklung, die mit dem 11. September ihren vorläufigen
Höhepunkt erreicht hat. Im Zuge des Anschlages auf das WTC ist die Problematik von
Multiethnizität und Migration mit dem Phänomen des Terrorismus bedenklich verquickt
worden. Insbesondere muslimische Ausländervereine und Moscheen sind mit dem Vorwurf
konfrontiert, extremistischen Terrororganisationen in die Hände zu arbeiten. Die österreichische
Staatspolizei etwa hat kurz nach den Attentaten in einigen Vereinen eine
Radikalisierung in der politischen Auseinandersetzung festgestellt und die Überwachungen
verstärkt. (5)

Interaktion und Verantwortung

Medien tragen eine entscheidende Verantwortung für das Zusammenleben (nicht nur)
in transnationalen Kontexten. Radio FRO ist sich dieser Verantwortung und der Notwendigkeit
eines sensiblen Umgang mit ethnischer und kultureller Diversität bewusst. Mit
dem Hintergrund der Thesen von Husband bedingt eine funktionierende polyethnische
Medienlandschaft einerseits die Förderung des Dialogs über die ethnischen Grenzen
hinweg und damit den Aufbau von Schnittstellen an den Grenzen der unterschiedlichen
Teilöffentlichkeiten. Zum anderen geht es um einen Dialog innerhalb der ethnischen
Gemeinschaften und damit der Reflektion der vorhandenen internen Diversität.

Beitrag zum Festival

Der Beitrag von Radio FRO zum Festival Ars Electronica 2002 ist eine Analyse der
Thematik mit seinen wissenschaftlichen und politischen Kontexten. ExpertInnen aus
Wissenschaft, Politik und Praxis diskutieren die Rolle polyethnischer Medien in den
heutigen Gesellschaften, ihre notwendigen Rahmenbedingungen und ihr Beitrag für
Integration und Verständnis.

Die Chancen, Strukturen, aber auch Konfliktlinien zeigen die Ergebnisse einer
Forschungsarbeit über das fremdsprachigen Programm auf Radio FRO, die im Rahmen
der Ars Electronica erstmals vorgestellt werden. Der Beitrag von Radio FRO beleuchtet
das Feld „der Anderen“ in der Mikrokultur von Linz bzw. im Kontext des Konzeptes
einer polyethnischen Medienlandschaft. Vor allem die Darstellung der gegenwärtigen
politischen Brisanz der Thematik ist ein Anliegen. Auf europäischer Ebene ist eine
Verschärfung der Einwanderungs- und Asylpolitik zu beobachten. Integrationsmaßnahmen
werden zunehmend zu Zwangsmaßnahmen – Stichwort „Sprachkurse für AusländerInnen“.
Neben regionalen und nationalen politischen Debatten und Ansätzen rückt
vermehrt die internationale und europäische Dimension der Thematik in den Vordergrund.

(1) Charles Husband ist Professor für Sozialanalyse an der Universität Bradford (U.K) und betreut
dort das Forschungsprogramm „Ethnicity, racism and the media“.


(2) Vgl. Charles Husband, „Über den Kampf gegen Rassismus hinaus: Entwurf einer polyethnischen
Medienlandschaft“, in: Bewegte Identitäten: Medien in transkulturellen Kontexten, hrsg. v. Brigitta
Busch, Brigitte Hipfl u. Kevin Robins, (Klagenfurt 2001), S. 9 – 20, S. 15.


(3) Vgl. ebd., S. 17.

(4) Ebd., S. 18.

(5) Michael Völker, „Terror in den USA: Ausländische Extremisten und Geheimdienste aktiv“,
in: Der Standard, (14. September, 2001).