Harry Potter – A Case Study on Cultural Diversity and Economic Power

Harry Potter – Eine Fallstudie über kulturelle Vielfalt und wirtschaftliche Macht

Ein Update von Rüdiger Wischenbart

Kulturelle Vielfalt

Die Eroberung der Bücherwelt durch Harry Potter bescherte Grafikern auf fünf Kontinenten einen einmaligen, vergnüglichen Wettbewerb. Es galt, in Dutzenden von Kulturkreisen und Sprachen das Bild des Zauberjungen zu entwerfen.

Legt man nun etwa die Titelabbildungen des ersten Bandes – „Harry Potter and the Philosopher’s Stone“ – in den unterschiedlichen Ausgaben nebeneinander, so ergibt dies ein wundersames Puzzle globaler kultureller Vielfalt.

Steht für die britische Originalausgabe ein typisch englischer Schuljunge mit dicken Brillen vor einer dampfenden roten Lokomotive des Hogwarts Express, so reitet sein amerikanischer Kollege, locker und dynamisch, mit Jeans und weißen Sneakers, auf einem Besen durch die Luft, während im Hintergrund ein weißes Einhorn vorüber läuft. Der Titel kündigt im übrigen in den USA nicht mehr einen Stein des Philosophen, sondern einen Stein des Zauberers ('Harry Potter and the Sorcerer’s Stone') an.

Die israelische Ausgabe übernahm die amerikanische, doch reitet Harry hier nicht in lateinischer Leserichtung von links nach rechts, sondern, dem Hebräischen entsprechend, von rechts nach links durchs Bild.

Der deutsche Harry – vor dem Hintergrund des verhexten Schachspiels – hat wild zerzauste Haare und einen ziemlich intellektuellen Blick, während Harry als Franzose die 'Zauberschule' besucht ('Harry Potter à l’Ecole des Sorcières') und am Titelbild mit den Freunden Ron und Hermine sowie seiner Eule Hedwig im kindlich märchenhaften Dekor erscheint, während sein italienischer Cousin seine Verwandtschaft mit Pinocchio deutlich herauskehrt.

Der lateinamerikanische Harry nimmt die US-amerikanische Figur auf – auf dem Besen fliegend, mit Einhorn im Hintergrund -, jedoch unter einem offenen Nachthimmel mit Sternen und Sichelmond. Bemerkenswert ist eine iranische Fassung mit prominent platzierter antiker Eule und einem brennenden Männchen, das schreiend, von einem machtvollen Blitz getroffen, aus dem Zauberhaus rennt. Eine chinesische Piratenausgabe versenkt Harry – als Figur der US-Ausgabe nachempfunden - in einem steinernen Verlies, während die offizielle chinesische Lizenzausgabe aus dem 'People’s Literature Publishing House' das US-Cover ohne Veränderungen übernimmt – ganz so wie die indonesische, die koreanische, die thailändische und die taiwanesische Ausgabe. Nur für die japanische und die vietnamesische Ausgabe wurden eigene Illustrationen entwickelt, eine romantische Vollmondszenerie für Japan, und eine Collage aus Elementen der US Ausgabe – Harry in Jeans und Sneakers, sowie das Einhorn – für Vietnam.

Das US Cover ziert auch die südafrikanische Edition in Afrikaans. Es gibt keine einzige originäre Ausgabe in Schwarzafrika, das offenbar ausschließlich über die Verlage der ehemaligen Kolonialmächte mit Harry Potter Büchern versorgt wird. (1)

Kurzum: In Harry Potter spiegeln sich die kulturellen Verhältnisse der Welt.


2. Wirtschaftliche Machtverhältnisse

Als im Spätherbst die Verfilmung des ersten Bandes der Harry Potter Romane weltweit in die Kinos kam, notierte Der Spiegel: „Es ist Zeit, sich von dem markanten Gesicht mit intelligenten Augen und struwweligen Haaren zu verabschieden. Die deutsche Fassung des Zauberlehrlings Harry Potter ist tot. An seine Stelle tritt Harry Potter, die globale Marke, made in USA.“ (2)

Denn der Film war vom weltweit größten Medienkonzern, AOL Time Warner, produziert worden, der bereits kurz nach Erscheinen des ersten Bandes für die vergleichsweise geringfügige Summe von 500.000 Dollar die weltweiten Film-Rechte und die Rechte für die weltweite Vermarktung mit Ausnahme Großbritanniens erworben hatte.

Die globale Vermarktung von Harry Potter aber ist, nach Einschätzung vieler Beobachter, der erste harte Test, ob integrierte Medienkonzerne wie AOL Time Warner ökonomisch tatsächlich Sinn machen. Der Economist schrieb: 'In the real world, he is the biggest test yet of claims made by AOL Time Warner, formed in a much-hyped merger at the start of 2001, that an integrated media conglomerate can conjure up spellbinding cross-promotion synergies.” (3)

Damit dieses Konzept aufgeht, ist aber eine Voraussetzung, dass AOL Time Warner tatsächlich seine Oberhoheit über die 'Marke' Harry Potter weltweit durchsetzt. Der Konzern selbst bewirbt Produkte und Marke auf allen Kanälen, vom Fachmagazin Entertainment Weekly über die Titelgeschichten von Magazinen wie Time bis zum Online Dienst AOL und den TV Kabelnetzen von Time Warner und erreicht allein damit rund 140 Millionen Abonnenten.

Warner Brothers Consumer Products, eine eigene Firma innerhalb des Konzerns, überwacht die Durchsetzung der Marke und koordiniert rund 300 lizensierte Vermarktungsunternehmen, die nach präzisen Vorgaben für unterschiedlichste Anwendungsbereiche Spiele, Geschenkartikel, Notizblöcke, Schulranzen und Zauberbesen produzieren und vertreiben.

Es geht dabei um erhebliche Summen. Electronic Arts (EA), der weltgrößte Computerspiele-Verlag, hofft, allein mit elektronischen Spielen nach Harry Potter Vorlagen auf Spieleplattformen wie Gameboy oder Playstation weltweit eine Milliarde Dollar umzusetzen. (4) Natürlich kann das nur gelingen, wenn auf diesen Spielen nicht in jedem Land unterschiedliche, lokale 'Harrys' auftreten, sondern weltweit allein der Marken Harry nach AOL Time Warner.

Alles was auch nur im Entferntesten den Anschein erwecken könnte, die Dominanz des Marken-Harrys zu unterlaufen, wird unterbunden. In Deutschland wurde kürzlich die Verwendung von Harry-Potter-Motiven in Unterrichtsmaterialien untersagt.

AOL Time Warners Vermarktung von Harry Potter ist dabei, zum erfolgreichsten globalen Franchise-Unternehmen aller Zeiten zu werden. Was den Economist dennoch die kritische Frage stellen lässt, ob erst die Schaffung des aus alten und neuen Medien kombinierten Konzerns AOL Time Warner solch einen globalen Feldzug möglich gemacht habe. Wohl kaum, lautet die überraschend schlichte Antwort, auch ein Zusammenspiel von Vermarktungskanälen unterschiedlicher Eigentümer hätte wohl zauberhafte Resultate gebracht. Der eigentliche Vorteil des Mega-Konzerns sei seine Macht: 'AOL Time Warner has massive clout. This gives it market leverage in any negotiation over the delivery of its brands down others' pipes, or others' down its own. Now that is power, if not of the magic sort.'


3. Wer bleibt?

Interessant wird es sein, wie lange die Vielfalt von Harrys Gesichtern auf Buchumschlägen der Einheit der Markenmacht standhalten wird. Denn die Buchrechte sind der eine große Bereich, den AOL Time Warner nicht kontrolliert.

Marken-Harry – also der mit dem besonders netten Gesicht vor dem vom Filmplakat bis zum Notizbuch einheitlich dunkelblauen Hintergrund – ist nämlich selbst in den USA ein ganz anderer Typ als der Jeans tragende Junge auf seinem fliegenden Besen, den der US Verlag Scholastic kreieren ließ. Er wird, gemeinsam mit dem intellektuellen Deutschen, dem britischen Jung-Gentleman, dem kindlichen Franzosen und den vielen anderen zwischen Teheran und Tokio gewiss nicht von heute auf morgen verschwinden. Aber es ist wohl das erste Mal, dass der Verdrängungswettbewerb zwischen unterschiedlichen Identitäten im globalen Dorf so augenscheinlich vonstatten geht.

Wie jede gute Geschichte folgt auch diese ihren eigenen, ihr innewohnenden Gesetzen, und wer gewinnt, ist noch lange nicht heraus. Nach dem ersten Kapitel, in dem die vielen Harrys auftraten, und dem zweiten, das Harry-die-Marke ins Leben rief, beginnt nun der dritte Akt, und das ist in aller Regel der Moment, in dem die Kontrahenten auf der Bühne einander gegenübertreten.

Bleiben Sie dran!

Anmerkungen
(1) http://www.soemadison.wisc.edu/ccbc/rowling/editions.htmback to top
(2) SPIEGEL ONLINE - 05. November 2001, 7:26, http://www.spiegel.de/wirtschaft/0,1518,165994,00.html. back to top
(3) Harry Potter and the synergy test. The Economist, Nov 8th 2001. back to top
(4) Henry Lübberstedt: Electronic Arts: Risikospiel mit Harry Potter, Financial Times Deutschland, 9. 11. 2001. back to top




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