Das nachrichtentechnische Problem in der neuzeitlichen Kriegsführung


Von Oberst Fellgiebel
Militärisches Wochenblatt Nr. 4, 1935



In meinem Aufsatz "Verwendung von Nachrichtenmitteln im ersten Kriegsjahre und Lehren daraus für heute" in Nr. 34 und 35 des "Militär-Wochenblattes" kam ich zu dem Schluß, daß die nachrichtentechnischen Probleme von 1914 heute als gelöst gelten können, die von 1934 dagegen nicht. Oberst Guderian hat in seinem Aufsatz "Der mißverstandene Schlieffen" in Nr. 41 des "Militär-Wochenbl." die Frage angeschnitten, welche Probleme dem Führer eines modernen Heeres die Entwicklung der Technik überhaupt stellt.
Diese Gedankengänge fordern die Betrachtung, welche nachrichtentechnischen Probleme die Führung moderner Heere aufrollt, geradezu heraus.
Moderne Heere, mit ihrer weitgehenden Technisierung, Motorisierung, ihrem Zusammenwriken mit starken Luftverbänden, den erheblich vergrößerten Marsch- und Fluggeschwindigkeiten, erweiterten Aktionsradien wollen anders geführt sein als die des Weltkrieges. Aber auch in der Nachrichtentechnik hat sich seit dem Weltkriege ungefähr alles geändert.
Gewiß zeichnete sich die kommende Entwicklung am Ende des Weltkrieges schon vor, alle grundlegenden Erfindungen waren eigentlich da. Welchen Umfang sie aber in der kurzen Zeit nehmen würde, hat damals wohl niemand geahnt.
Die Verkabelung und Automatisierung des Fernsprechnetzes, das gänzlich veränderte Telegraphennetz, die Entwicklung der Funkerei, insbesondere des Rundfunks seit dem Kriege stellen den Soldaten vor Fragen, die von ausschlaggebender Bedeutung für die Führung der Wehrmacht sind.
Für die rückwärtigen Verbindungen - sagen wir mindestens vom Armeeoberkommando an rückwärts - wird das Heer und in gleicher Weise Marine und Luftwaffe stets auf Ausnutzung postalischer Verbindungen oder Anlehnung an solche unter weitestgehender Mitwirkung der Post angewiesen sein. Das war im Weltkriege auch schon so.
Die Fernsprechnetze moderner Staaten überspannten früher das ganze Land maschenförmig mit Freileitungen. Heute besteht das Fernsprechnetz im wesentlichen aus dicken Kabeln, die die großen Zentren miteinander verbinden und an die sich sternförmig verästeltet alle anderen Verbindungen anschließen.
An Freileitungen konnte man sich überall anschließen und sie beliebig schalten; das ist bei Kabeln keineswegs möglich. Zudem bedarf die Ausnutzung vonKabelverbindungen überall sorgfältig ausgeglichener Punktschaltungen und Verstärkungsschaltungen, die feldmäßig durchaus nicht überall vorstellbar und brauchbar sind.
Die weitgehende Automatisierung des gesamten Fernsprechbetriebes mit seinen riesigen Selbstwahlbezirken setzt voraus, daß man im Ortsverkehr weiß, wie man den gewünschten Teilnehmer erreicht, also entweder ein Fernsprechbuch zur Hand hat oder sich an die Auskunft wendet. Das wieder würde feldmäßig bedeuten, daß man entweder für jeden Einzelfall Feldfernsprechbücher druckt - was praktisch unmöglich ist - oder die Zahl der Auskunftsstellen so vermehren müßte, daß man besser beim Handbetrieb bleibt.
Die Linienführung über große Zentren endlich ist aber überhaupt ein System, das zwar friedensmäßig wirtschaftlich durchaus begründet ist, den feldmäßigen Bedürfnissen aber zuwiderläuft.
Auch die Telegraphie ist Wege gegangen, die der Soldat keineswegs nur mit Wohlgefallen angesehen hat. Aus dem alten, guten Morseapparat und Fernschreiber sind Springschreiber und Schnelltelegraphen geworden, die zwar wesentlich leistungsfähiger, aber feldmäßig kaum noch verwendbar sind.
Alle die modernen Fernsprech- und Telegrapheneinrichtungen etwa durch alte, feldmäßigere zu ersetzen, ist nicht möglich, weil die nötigen Materialreserven, aber auch das Personal, das damit Bescheid weiß, einfach nicht mehr vorhanden sind.
Man könnte also versucht sein, bedauernd feststellen zu müssen, daß die moderne Entwicklung der Technik den Bedürfnissen des Krieges überall hindernd im Wege steht.
Nichts wäre falscher als dieses, denn ein modernes Heer mit seinen gewaltig vergrößerten Geschwindigkeiten und Aktionsradien ist eben nicht mit veralteten Nachrichtenmitteln zu führen. Nein, es kommt darauf an, Mittel und Wege zu finden, auch die zwar sehr viel komplizierten, dafür aber viel leistungsfähigeren modernen Nachrichtenmittel feldmäßig auszugestalten.
Welche Wege zu diesem Ziele führen können, darauf kann hier nicht näher eingegangen werden. Daß es aber Mittel und Wege gibt, auch die heutigen Probleme zu lösen, dafür bürgt die gewaltige Leistung der modernen Technik, die wir alle in den letzten Jahrzehnten erlebt haben.
Um aber die Aufgabe, vor der die Nachrichtentechnik im modernen Kriege steht, nicht zu unvollkommen zu schildern, muß ich noch einige wesentliche Punkte hinzufügen:
Die Überwachung des technischen Nachrichtenverkehrs und seine Abschirmung gegen das feindliche und unter Umständen auch neutrale Ausland stellt heute ein viel komplizierteres Problem dar als 1914, wenn man an die riesige Verzweigtheit des europäischen Fernsprechnetzes einerseits und die Vervollkommnung moderner Verstärkereinrichtungen andererseits denkt.
Moderne Funktelegraphie und -telephonieverbindungen umspannen heute kreuz und quer den ganzen Erdball. Sie können der Führung nützen - aber auch schaden, denn die unbefugte Benutzung von Funksendern praktisch völlig auszuschließen, ist zweifellos Lebensfrage für jeden kriegführenden Staat, aber keine ganz leichte Aufgabe.
Der Rundfunk hat eine Entwicklung genommen, die zwar ermöglicht, das ganze eigene Volk täglich und stündlich mit Nachrichten zu versorgen und Propagandamaterial sogar unmittelbar an die Hörer des neutralen und feindlichen Auslandes heranzubringen, aber natürlich auch umgekehrt.
Es wird sich zweifellos der Rundfunk im modernen Kriege zu einem neuen Kampfmittel im Äther entwickeln. Auch daraus erwachen nicht zu verachtende Probleme.
Endlich aber verlangt die Führung größerer motorisierter Einheiten und Fliegerverbände gebieterisch, daß der Führer eines derartigen Verbandes im fahrenden Kraftfahrzeug vom Flugzeug Aufklärungsmeldungen bekommt, seine Befehle an unterstellte Einheiten absetzen und Meldungen an die vorgesetzte Dienststelle erstatten bzw. Befehle von ihr empfangen kann. Dazu kommt bei Fliegerverbänden als weitere Forderungen die Navigation und Peilungen und das alles in Zeiten, die eine Auswertung der Meldungen, Befehle, Peilungen bei den großen Geschwindigkeiten, um die es sich hier handelt, noch möglich machen.
Das läuft also alles auf die Forderung hinaus, motorisierte Verbände und Fliegergeschwader etwa so zu führen, wie es bei der Marine schon heute geschieht, d.h. mit drahtlosen Verbindungen auf mehreren Wellen während der Fahrt. Aber schließlich und endlich muß technisch gefordert werden: Abhörsichere, drahtlose Telephonie von fahrendem Fahrzeug zu fahrendem Fahrzeug, von Flugzeug zu Flugzeug oder von Flugzeug zur Erde.
Diese Forderung mag heute noch abenteuerlich klingen, man kann aber vor einer taktisch an sich notwendigen Forderung nicht deshalb zurückschrecken, weil ihre technische Lösung heute vielleicht noch weit im Felde liegt.
Man mag der Entwicklung der Technik kritisch gegenüberstehen, aufhalten kann man sie nicht.
Im modernen Kriege wird ein Heer, das nicht verstanden hat, sich alle Mittel der modernen Technik möglichst weitgehend nutzbar zu machen, trotz aller moralischen Qualitäten schließlich doch unterliegen oder wenigstens viel mehr Blut vergießen, als nötig wäre.
Man mag mir den Satz aus dem alten Exerzierregiment entgegenhalten: "Im Kriege vespricht nur Einfaches Erfolg." Gewiß, aber das heißt heute nicht, daß man auf technische Neuerungen verzichten kann, weil sie kompliziert sind, sondern daß die Technik verpflichtet ist, ihre Neuerungen so einfach auszugestalten, das sie feldmäßig brauchbar werden.
Einfacher war es freilich mit Schwert, Schild, Speer und Hifthorn zu kämpfen. Die Geschichte hat aber bewiesen, daß man ein solches Heer gegen Maschinengewehre, Artillerie, Tanks und Flugzeuge nicht brauchen kann, also mußten sich auch die Nachrichtenmittel im Heere vom Hifthorn und Läufer zum Fernkabel und der Funkstelle entwickeln, um der Führung das zu sein, was ein moderner Führer von ihnen verlangen kann und muß.


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