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World Skin (Applikation)
CAVE-Applikation

1997

Jean-Baptiste Barrière (FR)
Maurice Benayoun (FR)

Maurice Benayoun und Jean-Baptiste Barrière haben mit "World Skin" eine "Fotosafari ins Land des Krieges" organisiert. Mit einem Fotoapparat durchwandert der Besucher in der Rolle des Kriegsberichterstatters eine vom Tod gezeichnete Welt voller Toter, Verwundeter und zerstörter Gebäude. Was der Besucher als Reporter fotografierte, wird ausgelöscht und zu einem weißen Fleck: Symbol dafür, dass die Kriegsberichterstattung gegen das Elend immunisiert und die Medienkonsumenten der Verpflichtung zum Handeln enthebt.

Mit Fotoapparaten bewaffnet bewegen wir uns durch einen dreidimensionalen Raum. Die Landschaft vor unseren Augen ist vom Krieg gezeichnet. Zerstörte Gebäude, bewaffnete Männer, Panzer, Kanonen, Trümmerhaufen, Verwundete, Verstümmelte. Diese Zusammenstellung von Fotos und Nachrichtenbildern von verschiedenen Kriegsschauplätzen stellt ein von stummer Gewalt erfülltes Universum dar.

Der Sound gibt den Ton einer Welt wieder, in der Atmen gleichbedeutend mit Leiden ist. Kaum Effekte. Man fühlt, dass unsere Anwesenheit als Besucher dieses chaotische Gleichgewicht stören könnte. Doch gerade unser Eingreifen wird den Schmerz wachrütteln.

Wir fotografieren, und das Fotografieren ist hier eine Waffe der Auslöschung. Das Land des Krieges hat keine Grenzen. Wie so viele Touristen besuchen wir es mit der Kamera in der Hand. Jeder kann Bilder aufnehmen, einen Augenblick dieser mit dem Tode ringenden Welt einfangen. Was er aufnimmt, existiert für niemanden mehr. Jedes fotografierte Fragment verschwindet von der Bildfläche und wird durch eine schwarze Silhouette ersetzt. Mit jeder Aufnahme wird ein Teil der Welt ausgelöscht. Jedes aufgenommene Bild wird ausgedruckt. Sobald ein Bild auf Papier ausgedruckt ist, ist es auf dem Projektionsschirm nicht mehr zu sehen. Zurück bleibt nur sein gespenstischer Schatten, der je nach Blickwinkel verteilt ist und Fragmente zukünftiger Fotografien verdeckt.

Je weiter wir in dieses Universum vordringen, umso stärker wird uns sein unendlicher Charakter bewusst, und die chaotischen Elemente erneuern sich, sobald wir sie wiederentdecken, setzen sich in einer Tragödie ohne Ende wieder anders zusammen. Ich fotografiere.

Durch meine Handlung – zuerst Aggression, dann das Vergnügen des Teilens – reiße ich der Welt die Haut vom Leibe. Diese Haut wird zu einer Trophäe, und mein Ruhm wächst mit dem Verschwinden der Welt. Das Eintauchen in den Krieg ist hier ein Eintauchen in das Bild, aber auch ein Schauspiel.

In der Ordnung der Ereignisse, die die persönliche Geschichte charakterisieren, ist der Krieg ein besonderer Vorfall, der die tiefsten Abgründe der Menschheit enthüllt. Er trägt zur Verdinglichung des anderen bei. Das Aufnehmen der Bilder enteignet die Intimität des Schmerzes und legt zugleich Zeugnis von ihm ab. Worum es hier geht, ist der Stellenwert des Bildes bei unserer Inbesitznahme der Welt. Die ungeschminktesten und brutalsten Realitäten werden in unserer Wahrnehmung auf eine emotionale Oberfläche reduziert. Die Aneignung, die Bewertung, das Verständnis der Welt stellen ein Einfangen dar. Einfangen bedeutet, sich etwas zu eigen zu machen, und was einmal in Besitz genommen wurde, kann niemand mehr nehmen.

Im Englischen sagt man: "shot", "shooting", im Französischen "prise de vues". Schießen/Nehmen.

Bei einem materiellen Träger kommt das "Nehmen" einem Mitnehmen gleich. Die Fotografie fängt das von der Welt reflektierte Licht ein. Sie stellt ein individuelles Einfangen und Ordnen dar. Das Bild wird dem Sucher angepasst. Das Bild neutralisiert den Inhalt. Die Medien bringen alles auf ein und dieselbe Ebene. Das physische Gedächtnis, das Papier (beispielsweise), ist die Tür, die einer gewissen Art von Vergessen offen steht. Wir stellen das "Objektiv" zwischen uns und die Welt. Wir schützen uns vor der Verpflichtung zum Handeln. Man "nimmt" das Bild auf, und die Welt "bietet" sich als Schauspiel dar. Die Welt und die Zerstörung stellen die bevorzugte Bühne für dieses Theater dar. Die Tragödie als Schauspiel der Natur in Aktion. Die Lebenden sind die Touristen des Todes.

Wenn die Kunst ein ernstes Spiel ist, so trifft dies auch auf den Krieg zu. Der Krieg ist ein Spiel, das den Körper als unendlich wiederholte Frage nach der Reduktion des Seins auf seine bloße Hülle einsetzt. Die gedruckte Spur ist das Pendant zum Vergessen. Das "gute Gewissen" steht im Widerspruch zum "guten Gedächtnis". Man weiß, was man behält, doch man weiß nicht, was man aus seinem Gedächtnis streicht. Der Zuschauer/Tourist trägt hier zu einer Verstärkung der tragischen Dimension des Schauspiels bei. Ohne ihn bliebe diese Welt ihrem Schmerz überlassen. Er rüttelt diesen Schmerz wach, enthüllt ihn.

Durch die Medien wird der Krieg zu einer öffentlichen Bühne – in dem Sinne, in dem man von einer "öffentlichen Frau" spricht – und auf dieser obszönen Bühne gibt sich der Schmerz zu erkennen, wird jeder mit Haut und Haar verschlungen. Der Anblick des Verwundeten ruft uns das Bild des Menschen als zerlegbares Gebilde ins Gedächtnis. Mehr oder weniger Materie.

Die Logik der Materie behält die Oberhand über die Logik des Geistes, das bedrohte Bindemittel der sozialen Gefüge. Der Krieg ist ein gefährlich interaktives Gemeinschaftswerk. Die interaktive Schöpfung spielt mit diesem Chaos, in dem der Einsatz des Körpers eine relative Verwundbarkeit nahe legt. Die Welt fällt dem Blick zum Opfer, und jeder ist an ihrem Verschwinden beteiligt. Die kollektive Enthüllung wird zum persönlichen Vergnügen, zum Objekt einer fetischistischen Befriedigung. Ich behalte für mich, was ich gesehen habe (bzw. die Spuren dessen, was ich gesehen habe). Eine gedruckte Spur zu besitzen, das Bild zu besitzen – darin besteht das Paradoxon des Virtuellen, das sich besser an die Glorifizierung des Vergänglichen anpasst.

Das Klangmaterial ist dazu da, um uns dieses Eintauchen über die Bilderspiele hinaus als reale Beteiligung an dem Drama erleben zu lassen. Fernab von den Videospielen, die uns in leidenschaftliche Kämpfer verwandeln, enthüllt hier der Klang die wahre Natur offensichtlich harmloser Gesten und will eher ein Erleben als ein Verständnis vermitteln. Manche Dinge kann man nicht teilen. Dazu gehören der Schmerz und das Bild unserer Erinnerung. Die zu erforschenden Welten können uns diese Dinge näher bringen, aber immer nur als Metaphern und nie als Simulakrum.

Die Musik

Jedem Visualisierungssystem, das mit VR arbeitet, liegt die Idee der Immersion zugrunde. In einem Raum wie dem CAVE im Ars Electronica Center Linz ist der Betrachter vom Bild umgeben (drei Wände und der Boden bilden ein vollständiges Bild des Environments).

Aber der Betrachter ist nicht nur vom Bild umgeben, er taucht buchstäblich in die zu erforschende Welt ein. Die dabei verwendeten Flüssigkristallbrillen liefern ein stereoskopisches Bild der Szene, das ihm das Gefühl gibt, er könne die Formen berühren, die sich im Raum bewegen.

Dieser magische Reliefeffekt ist die größte Gefahr bei dieser Form der Visualisierung, denn der Betrachter könnte dem Prozess an sich mehr Beachtung schenken als dem, was er zu hören und sehen bekommt. Um dieser "Magie" zu entkommen, muss man vollkommen in das Werk eintauchen können.

Und genau auf dieser Ebene kommt die Musik von Jean-Baptiste Barrière ins Spiel. In den virtuellen Welten verhält es sich mit der Musik wie mit dem Bild. Die unmittelbarste Analogie, die uns die virtuellen Welten bieten, ist die reale Welt. Dies geht über das Stadium des rein Offensichtlichen hinaus. Ein virtuelles Universum besitzt, auch wenn es nicht realistisch und symbolisch ist, ein Merkmal, das es mit der realen Welt gemein hat: seine Fähigkeit, auf die Präsenz des Betrachters zu reagieren.

Wie auch in der wirklichen Welt modifiziert unsere bloße Anwesenheit die Welt; das Bild ist dann nur der vergängliche, zwangsläufige Übergang zu einem Welt gewordenen Sinnsystem. Die Organisation der Elemente im Raum, die Strukturierung dieses Raumes, das Verhalten dieser Elemente – all das bildet die Basis für die dynamische Komposition, die das Wesentliche einer virtuellen Welt ausmacht. In dieser Komposition spielt freilich der Klang eine ebenso bedeutende Rolle wie das Bild.

Wir sind nicht mit einem vollkommen im Voraus festgeschriebenen Spektakel konfrontiert, wie dies z. B. bei der Oper oder – noch viel mehr – beim Film der Fall ist, wo die Raum-Zeit-Organisation der klanglichen und bildlichen Elemente ein für alle Male feststeht. Hier handelt es sich um Entwicklungsprozesse, um Reaktionsmodalitäten, die dem Zusammenspiel von Klang und Bild ein besonderes Gewicht verleihen. Die Virtualität – im Sinne einer Potentialität des Werdens der Dinge – ist eine der realen Welt inhärente Charakteristik; in den virtuellen Welten wird sie eine Sinn gewordene Notwendigkeit.

In "World Skin" findet sich das Relief des Bildes in der Bearbeitung des Klangs wieder. Der Klang ist im Raum mit dem gleichen Relief, mit dem gleichen Grad an Texturierung präsent, die hier die Kraft des Bildes ausmachen. Klang und Bild sind untrennbar miteinander verbunden. Es ist ein und dieselbe Vibration, die uns den Rücken hinabläuft und diese besondere Materie, die das Bild ausmacht, belebt.

Aber es handelt sich nicht um eine bewusste Gleichsetzung, genauso wenig, wie es sich nicht um eine gewollte Herbeiführung einer immersiven Illusion handelt. Ganz im Gegenteil: Es ist der Klang, der der Handlung langsam ihren Sinn verleiht. Das Verhalten der Touristengruppe entwickelt sich in der Zeit. Dank der Fähigkeit, durch das "Schießen" von Fotos auf die Welt zu reagieren, nimmt sie rasch ein zwanghaftes Verhalten an, das dem eines gewöhnlichen Bürgers, der mitten in einem Krieg lebt, nicht unähnlich ist. Er vergisst darüber die Bedeutung, die Konsequenzen seiner Handlungen. Handeln, bevor man etwas erfasst – das ist oft die einzige Möglichkeit, zu überleben.

Aber der Klang ist dazu da, um nach und nach das Klicken des Fotoapparats in die Detonation einer Feuerwaffe zu transformieren. Die Aggression wechselt das Lager, die Geste verändert ihren Sinn, und die bedeutsame Evolution des Klangs trägt dazu bei, den zerstörerischen Wahnsinn zu steigern, den nur der klangliche "Höhepunkt" durchbricht, als wollte er einem Zeit geben, ihn in seiner vollen Tragweite zu erfassen.

In dieser allmählichen Verschiebung des Verhaltens kann man die tatsächliche Immersion besser ermessen als im Realismus des Environments. Das Klangmaterial hängt sich also an die Dinge des visuellen Raums an – als Schlüssel, der einen Zugang eröffnet genauso wie als Faktor der Textur einer Welt, die als immateriell und substanzlos erachtet wird.

Während der Phasen des Erforschens des "Kriegsgebiets" steht der klangliche Teil in permanenter Spannung zu dem eingefrorenen Bild der visuellen Elemente, was das allgemeine Gefühl verstärkt.

Während also der Klang eine intensive Aktivität suggeriert, säumen eingefrorene Bildfragmente den Raum. Dadurch entsteht der befremdliche Eindruck, einen phantomhaften Krieg zu durchleben, einen Bilderfriedhof, der aber deswegen nicht weniger aktuell ist. Der Charakter der Klangsequenzen entwickelt sich parallel zum weiß gewordenen Raum, zur gelöschten Erinnerung. Weiße Silhouetten irren wie versteinert im Nebel des Vergessens und lassen Schatten von Bildern hinter sich. Und der matte Klang in der Ferne lässt diesen Faden der Erinnerung ertönen, den der Höhepunkt zerreisst.

Prix Ars Electronica 1998: Goldene Nica in der Kategorie Interaktive Kunst





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