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Ars Electronica 2003
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Festival 1979-2007
 

 

das universelle datenwerk
CODE Exhibition_electrolobby

'Richard Kriesche Richard Kriesche

EINLEITUNG
ars electronica 2003 fragt auf der höhe des informationszeitalters, „ob die sprache der computer zur lingua franca der globalen informationsgesellschaft wird?“ und spricht im anschluss darauf die vermutung aus, „dass die materia prima“ eben dieser gesellschaft „die digitalen codes sein werden.“

wenn man dieser fragestellung folgen möchte, schließt dies mit ein, dass die gesellschaft in ihrer evolution der maschinellen codierbarkeit entgegenstrebt – nicht autonom, wie in der evolution der sprachbildung, sondern in abhängigkeit von der codierbarkeit der maschinen. was bei dieser annahme gerne übersehen wird, ist die tatsache, dass eine auf daten- und informationsprocessing ausgerichtete gesellschaft sich damit als bezugssystem bzw. nach dem verständnis des codes als zeichensystem aus dem spiel nimmt. der absolutheitsanspruch des informationellen in unserer wirklichkeitsstruktur wird in die davon abgeleitete apparative struktur, in die maschinen, computer und netze verlagert und ihrerseits absolut gesetzt. wenn man also der vorstellung einer „computerisierten lingua franca“ folgen möchte, zieht dies zwangslogisch die legitimierung der uns bekannten technofetischistischen und -faschistischen grundlagen nach sich, auf denen dann aber für alle zukunft die informationsgesellschaft aufsetzen würde. im gegensatz zur informationstechnologischen codierung der gesellschaft steht mit der „informationsästhetischen codierung“ ein horizontales tool zur verfügung, das nicht weiterhin der vertikalisierung, d. h. der hierarchisierung gesellschaftlicher teilbereiche, dient, sondern zu deren durchdringung befähigt! und dies sowohl auf symbolischer, informationstheoretischer wie auf realer, pragmatischer ebene. dieses tool befähigt die gesellschaft, ihrer hierarchisierung und weiteren fragmentierung entgegenzuwirken und nach verbindlichen, sie verbindenden ordnungsstrukturen zu forschen. wenn also die ars electronica 2003 nach dem „gesetzes,- kunst- und lebenscode“ fragt, so fragt sie zurecht nach einem metacode. die frage ist also nicht, „ob kunst selbst software sein kann und nach welchen ästhetischen kriterien dies beurteilbar ist“ - siehe ars electronica 2003 –, sondern „kunst als code“ ist allein die generative antwort zur durchdringung aller teilwirklichkeiten.
KUNST ALS CODE
für differenzierte teilsysteme, die gesellschaftlichen, sozialen, ökonomischen, kulturellen etc., bedeutet code immer eine vorschrift, ein gesetz, wie bestimmte zeichen dieses begrenzten, fragmentierten zeichenvorrats dargestellt werden.

im gegensatz dazu sind code und zeichenvorrat der kunst unbegrenzt. kunst lässt sich demnach als ein auf einem unbegrenzten zeichenvorrat basierendes, auf selbsterneuerung angelegtes codierverfahren definieren. damit wird kunst aus der dogmatik ihres eigenen „betriebssystems“ befreit und endlich auf der höhe des informationstechnologischen niveaus „kompatibel“ mit der informationellen wirklichkeit.

unter dem gesichtspunkt der codierung erkennen wir erstmals auch, dass kunst von der permanenten neucodierung eines unendlichen zeichensatzes handelt. exemplarisch für diese stete neucodierung sind die stilbrüche innerhalb der künste: alle zeichen der sichtbaren und imaginierten welt fanden in dem einen perspektivischen code der renaissance ihre ordnung; der pointillistische code der impressionisten ordnete den gesamten zeichenvorrat der einen grenzenlosen atmosphärischen wirklichkeit unter; der filmcode von 24 bildern aufnahme und wiedergabe pro sekunde ordnete den gesamten sichtbaren zeichenvorrat der einen dynamischen wirklichkeit unter. der genetische code schließlich zeigt uns erstmals die wirklichkeit der einheit des lebendigen.

dieses komplexeste aller codierungsverfahren unterwirft alle bisherigen zeichensysteme der re-vision. die künste bleiben davon nicht ausgespart. sie lehren uns, in den stilbrüchen die „neucodierung“ herauszulesen. die divergenzen zwischen den zeichenvorräten der unterschiedlichen teilsystemen waren fast ein jahrundert zuvor für richard wagners künstlerische auffassung bestimmend, „kunst und leben“ nicht getrennt, sondern im einklang zu sehen. diese auffassung führte ihn schließlich zur grandiosen konzeption des gesamtkunstwerkes. die einheit von „kunst und leben“ wurde in der nachfolge wagners, mit wenigen unterbrechungen, zum durchgehenden programm der moderne. dadaismus, konstruktivismus, suprematismus, bauhaus, pop art und letztlich werk und künstlerpersönlichkeit von joseph beuys stellten die frage nach der einheit von kunst, leben und gesellschaft immer wieder aufs neue. das universelle datenwerk begreift sich in der folge dieser großen idee, jedoch nicht auf sinnlichem niveau, sondern auf der höhe der informationsprozesse, unter den radikal geänderten bedingungen einer elektronisierung, informatisierung und digitalisierung der gesellschaft. das eigentliche interesse des projektes gilt nicht der erneuten schaffung eines gesamtkunstwerkes auf sinnlicher wahrnehmungsebene mittels info- und medientechnologie (multimedia!), sondern der zusammenführung der fragmentierten teilbereiche zum ganzen, „unterhalb“ der sinnlichen wahrnehmung selbst, im code.

die stilbrüche geben uns in wirklichkeit nie das ende, sondern die zur ganzheit tendierende bestrebung der kunst als richtung vor. vom einstigen kunstwerk über das gesamtkunstwerk zum universellen datenwerk vor. im stilbruch wird deutlich, dass es im universellen datenwerk nicht mehr um ein sinnlich wahrzunehmendes äußeres ereignis geht, das wie im gesamtkunstwerk über die sinne zu einem ganzheitlichen erlebnis verschmolzen wird, sondern um die decodierung unserer eigenen inneren körperstrukturen. damit gelangen wir an die in uns selbst verankerte, höchstmögliche ganzheitlichkeit, an die im höchsten masse spirituelle erfahrung. im universellen datenwerk geht es um diese radikal neue erfahrung, um die hinter der sinnlichen wahrnehmung verankerten, ganzheitlichen informationsstrukturen und –prozesse alles lebendigen.
DAS UNIVERSELLE DATENWERK
verstehen wir unter code eine gemeinsame, übergreifende ordungsstruktur zwischen zwei zeichensätzen, so lässt sich daraus tendenziell der metacode als codierung aller codes bzw. zeichensysteme ableiten. das bringt den entscheidenden bedeutungswandel mit sich: der informationstechnologische code nimmt sich zurück, der informationsästhetische bringt sich ins spiel. wir sprechen von „kunst als code“, als einem singulären zeichensystem über alle zeichensysteme hinweg. angewandt dazu begreift sich das universelle datenwerk als metacode. Es geht wie in allen imaginationen um den masterplan einer unversal codierung; jedoch nicht zeit- und raumlos, sondern im kontext der biogenetischen und informationstechnologischen befindlichkeit; archaisch und biogenetisch codiert in uns in die zukunft offen, informationstechnologisch codierbar außerhalb von uns.

wir sehen, dass sich im biogenetischen code sämtliche von der menschheit erdachten und praktizierten codierverfahren – das sprachliche, das textuelle, das informationstechnologische, räumliche, digitale und binäre – wiederfinden. dieses phänomen ist deshalb für die kunst von fundamentaler bedeutung, weil kunst bisher als einziges regelwerk (z. b. im wagnerschen gesamtkunstwerk) die einheit von leben und wirklichkeit postuliert hat. was einst „nur“ eine programmatische idee war, wird nun zur allwirklichkeit. mit dem universellen datenwerk wird der anspruch auf dem informations- und biotechnologischen niveau radikal neu gestellt. Im universellen datenwerk, explizit im datenwerk : mensch, wird die archaische, biogenetisch vernetzte welt in uns mit der technologisch informationell vernetzten welt außerhalb von uns kurz geschlossen. wir erfahren uns erstmals in der absoluten zeit, in der biogenetischen –in uns – in der kosmischen – außerhalb von uns – d. h. in der zwischen beiden verschränkten gegenwart.
DATENWERK : MENSCH
code war der schlüssel, mit dem künstler bilder über die äußere welt kreierten, um sie zu decodieren. mit der erkenntnis und der entschlüsselung des biogenetischen codes wird jeder mensch zum künstler – in einer noch tiefgreifenderen bedeutung als dies erstmals von joseph beuys erkannt worden ist. er wird zum objektiven zeugen der codierbarkeit seines subjektiven selbst. diese unsere radikale neue befindlichkeit ist der kern der gesamten informationsmodernen wirklichkeit.

datenwerk: mensch ist den datenverarbeitungsprozessen des lebens selbst verpflichtet. „kunst als code“ macht als folge der verschränkung der informationstechnologischen mit den biogenetischen wissenschaften deren gesellschaftliche implikationen sichtbar. im datenwerk : mensch entgrenzen sich nicht nur die wissenschaften zum künstler hin und vice versa, sondern auch das forschende subjekt entgrenzt sich zum lebenden objekt. dementsprechend sind biomediziner und infokünstler gleichzeitig die subjekte und forschungsobjekte ihrer künstlerischen wissenschaft und wissenschaftlichen kunst.

vor diesem neuen hintergrund der erkenntnisse über die informationell-biogenetische natur des menschen treten die bisherigen kunstkonzeptionen, -praxen und -systeme endgültig aus der geschichte heraus. als bedeutungs-, sinn- oder unsinnsträger war ihnen allen eines gemeinsam: sie standen in antithese zur natur. auf der ebene der bio-informationell codierten wirklichkeit stehen sie vor einem universalen paradigmenwechsel, aus dem nicht erneut eine „neue“ kunst im widerspruch zur natur, sondern die „natur der kunst“ hervorgeht.

immer mehr lebensprozesse, selbst die innersten, werden verdatet, berechenbar, damit kontrollierbar und von außen für jedermann steuerbar. und weil sie codiert und damit berechenbar sind, müssen sie, so mein postulat, daher zu allererst für das individuum erkennbar, d. h. decodierbar sein. spätestens jetzt wird kunst selbst zum code des informationsmodernen menschen, um seiner inneren, subjektiv erfahrbaren welt gestaltend begegnen zu können. [diese informations- und biotechnologisch gestützte kunst erfordert das eigene selbst als primären gegenstand von forschung und kunst. ein später nachruf auf die avantgarde (!)] seit wir wissen, dass der mensch durch information geformt wird, ist es der kunst vorbehalten, informationen dem menschen gemäß zu formen. keinem individuum kann es in zukunft erspart bleiben, die verantwortung für die „verrechnung des lebens“ zum entscheidenden teil selbst zu übernehmen, d. h. die bilder über sich selbst zu decodieren – denn der biomedizinische fortschritt zwingt das individuum, kraft der kontrollierbarkeit seines gesamten biokapitals mit diesem vernünftig, also sparsam und rational umzugehen. oder anders ausgedrückt: die gestaltung eben dieses biokapitals selbst vorzunehmen. mit gestaltung kommt kunst in ihrer bisher noch nie gekannten existenziellen bedeutung ins spiel. kontrolle in der nutzung des eigenen biokapitals heißt gesellschaftspolitisch, ständige vorsorge als notwendigkeit für jedermann. kunst als lebensgestaltung kommt als lebenskunst – parallel zu life science – zu ihrer ultimativen bedeutung.

datenwerk: mensch begreift sich als ort dieser künstlerisch-wissenschaftlichen praxis.
DAS DATEN-PARADIGMA
wir verstehen unter code ein system von regeln, das die eindeutige zuordnung (codierung) von zeichen zwischen zwei verschiedenen zeichensystemen erlaubt.

„kunst als code“ begreift sich als ein system von regeln, das in der zuordnung von zeichen gerade nicht eindeutig ist und das die zuordnung gerade nicht auf zwei zeichensysteme beschränkt. kunst als code ist vieldeutig, kunst als zeichensystem ist der tendenz nach ein system von regeln, deren zuordnung sich auf alle zeichensysteme erstreckt.

in „kunst als code“, in paranthese zu allen anderen codes, findet kunst zu ihrer singularität, als ein ausschließlich auf fehlern beruhendes, hochfunktionales zeichensystem. „kunst als code“ ist ein einzigartiges fehlersystem. darin begründet sich die einzigartigkeit des kunstwerks, die einzigartigkeit der künste zu allen anderen zeichensystemen.

kunst experimentiert und zelebriert die fehlerhaftigkeit zwischen zuordnungssystemen. Denn jeder code lässt sich immer nur dann lösen, wenn der jeweilige gegner fehler macht und wenn man merkt, welches system diesen fehlern zu grunde liegt. auf informationeller ebene ist dies das terrain der hacker bzw. der cracker, die per definitionem „ohne autorisierung in die informations- bzw. computernetze eindringen“, die den code nach schwach- und fehlerstellen abtasten, um das system schließlich knacken zu können, in dieses eindringen, es verändern, bzw. lahmlegen zu können. ähnlich verhält es sich mit dem auftreten von fehlern im genetischen code. es sind dies fehler, die auf grund kosmischer einstrahlungen entstehen. sie machen sich im simpelsten fall dadurch bemerkbar, dass in einer aminosäuresequenz anstelle einer bestimmten aminosäure eine andere steht. nach dem konzept des genetischen codes müsste demnach in der entsprechenden nukleotidsequenz ein nukleotid durch ein anderes ersetzt worden sein.

was auf informationeller ebene im falle der hacker und auf der ebene kosmisch bedingter mutationen vereinzelte, unerwartete eingriffe in das teilsystem sind, wird für „kunst als code“ von konstituierender bedeutung. in der mehrdeutigkeit des codierens ist das scheinbar fehlerhafte kunstimmanent. dem prinzip der absoluten fehlerhaftigkeit verdanken wir der „kunst als code“ die vorbereitung auf das unvorbereitbare. mit „kunst als code“ verfügen wir endlich über ein werkzeug sowohl zur erklärung der kunst hinsichtlich ihrer fundamentalen gesellschaftlichen bedeutung gegenüber den technologien als auch der personalen lebenspraxis gegenüber außensteuerung.

wie die cracker ins informationstechnologische regelsystem eingreifen, wie die kosmische einstrahlung in das biogenetische regelsystem eindringt und damit unbekannte veränderungen und mutationen hervorruft und damit die evulution in gang bringt, so ist kunst der eindringling in die sozialen und gesellschaftlichen regelsysteme. was lernen wir von kunst im kontext der codierung? kunst ist fehlersuche im gesellschaftlichen regelsystem. nur wo fehler im regelsystem bestehen, können die cracker ins technologische, können kosmische einstrahlungen ins biogenetische, können die künste in das soziale regelsystem eindringen. kunst ist eo ipso ein codesystem zur decodierung der sozialen wirklichkeit an ihren schwachstellen.