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MicroImage


'Casey Reas Casey Reas

MicroImage untersucht das Phänomen der Genese mittels Software. Es handelt sich dabei um einen Mikrokosmos, in dem Tausende autonome Softwareorganismen in einer winzigen Umgebung ein Software-Ökosystem schaffen. Ändert sich das Umfeld, so sammeln oder zerstreuen sich die Organismen je nach ihrem programmierten Verhalten. Sie sind eng an ihre Umgebung gekoppelt, und bereits geringe Veränderungen führen zu makroskopischen Änderungen im Ökosystem. Durch die Interaktion zwischen der Umgebung und den Organismen entsteht ein Wellenfeld.

Im Kontext von MicroImage bedeutet „Genese“ die Schaffung von Strukturen, die nicht
spezifiziert oder programmiert sind. Keine der Strukturen, die sich aus der Interaktion mit der Software ergeben, ist vorbestimmt oder geplant. Anstatt die gesamte Struktur bewusst zu entwerfen, wurden einfache Programme geschrieben, die die Interaktion zwischen den Elementen definieren. Für die vier verschiedenen Arten von Organismen wurden Programme geschrieben und jeweils tausendfach geklont. Die Struktur entsteht aufgrund der geringen Bewegungen, die jeder Organismus beim Ändern seiner Position gegenüber seiner Umgebung durchläuft. Die so entstehenden Strukturen sind nicht vorhersehbar und entwickeln sich durch ständige Wiederholungen, wobei die Programme Änderungen durchlaufen und die aus der Interaktion mit der Software resultierende Modifikationen analysieren. Mein Verständnis von Genese gründet sich auf die Publikationen von Forschern und Journalisten wie John Holland, Mitchell Resnick und Kevin Kelly.

Wie bei all meinen Softwareprojekten ist auch mit MicroImage keine bestimmte Darstellungsform verbunden. Den Kern des Projekts bildet eine reaktive Struktur ohne sichtbare oder räumliche Form. Diese Struktur ist ständigen Veränderungen unterworfen und findet in verschiedenen Medien und Darstellungen ihren Ausdruck. MicroImage begann als eine Serie reaktiver PC-Software, die später in eine Reihe von Standbildern mündete, die während des Interaktionsprozesses mit der Software aufgenommen wurden. Diese Vektorgrafiken wurden zu Experimenten mit verstärkter Dichte und körperlicher Präsenz herangezogen. Vor kurzem wurden dann die Bewegungen der Software choreografiert und als Sammlung animierter Kurzfilme aufgezeichnet. Es präsentiert sich derzeit als ein nicht-interaktives Triptychon, das die Software als selbständig lebendes System darstellt. Die von mir bevorzugten Interaktionsmuster wurden als eine Reihe von Algorithmen kodiert, die die Umgebungsbedingungen der Organismen festlegen. Das Umfeld reagiert auf die Positionierung der Organismen, die wiederum auf diese Veränderungen in der Umgebung reagieren. Diese Methode sucht ein Gleichgewicht zwischen dynamischer, generativer Software und kontrollierter Urheberschaft.

Die formalen Eigenschaften von MicroImage wurden gewählt, um die dynamische Struktur eindeutig sichtbar zu machen. Jeder Organismus besteht aus zwei in der Programmiersprache C++ geschriebenen Textdateien. Diese Dateien, „micro.cpp“ und „micro.h“, sind 265 bzw. 48 Zeilen lang. Sie definieren die Verhaltensregeln, nach denen jeder Organismus auf sein simuliertes Umfeld reagieren soll. Nachdem ich mit verschiedenen Formen experimentiert hatte, gab ich jedem Organismus die einfachste auf dem Computerschirm darstellbare Form– die eines Pixels. Um die verschiedenen Kategorien von Organismen unterscheiden zu können, wurde jedem Typ eine bestimmte Farbe zugewiesen. „Aggressiven“ Organismen wurden warme, „passiven“ Organismen hingegen kühle Farben zugeordnet. Zur weiteren Verfeinerung wurden die Farbwerte je nach Geschwindigkeit des Organismus modifiziert. Bewegt sich ein Organismus mit Höchstgeschwindigkeit, so wird er als reiner Farbton dargestellt. Wird er jedoch langsamer, dann verdunkelt sich der Farbton schrittweise zu Schwarz. Bald wurde mir klar, dass die Pixeldarstellung der Organismen ihre Position zu sehr betonte, während ihre Bewegung dabei verloren ging. In der aktuellen Version erfolgt die Darstellung daher als ein verlängertes Pixel – eine Linie. Jeder Organismus wird als Linie dargestellt, die dessen derzeitige Position mit den vorherigen zwanzig verbindet. Durch diese Visualisierungsform werden die Bewegungen jedes Organismus sowohl in statischen als auch in animierten Bilder sichtbar. Die lineare Notierung erlaubt es dem Beobachter, vergangene und aktuelle Bewegungen des Organismus zu verfolgen. Die Bewegungsrichtung kann aus dem Krümmungswinkel der Linie geschlossen werden.

Der Kern der MicroImage-Software wurde vor über zwei Jahren an einem Tag geschrieben. Die heutige Version der Software hat sich schrittweise entwickelt. Während der Grundalgorithmus zur Steuerung der Bewegung rational konstruiert wurde, folgten spätere Entwicklungen aufgrund ästhetischer Entscheidungen, die das Resultat vieler Monate der Interaktion mit der Software waren. Die direkte Manipulation des Codes erlaubte es mir, Hunderte von schnellen Wiederholungen zu entwickeln und Entscheidungen aufgrund der Analyse der durch
den Code entstandenen reaktiven Strukturen zu treffen. Dieser Prozess glich eher intuitivem Skizzieren als rationalem Kalkulieren.

Aus dem Amerikanischen von Elisabeth Wiellander

Weitere Informationen, Bilder und Videoclips zu MicroImage finden sich unter http://www.groupc.net


Terminologie
In der Beschreibung von MicroImage werden die Begriffe „Organismus“, „Ökosystem“, „Umgebung“ und „Klon“ abstrakt verwendet. Das Wort „Organismus“ kann durch „System“ oder „Maschine“ ersetzt werden. Der Gebrauch von Begriffen aus der Biologie soll die Beziehung zwischen den im Projekt verwendeten synthetischen Softwarestrukturen und biologischen Strukturen aus der Natur hervorheben.