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Ars Electronica 2003
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Mobile Feelings
Mobile telecommuniction set-up between Ars Electronica Linz and Palais de Tokyo, Paris

'Christa Sommerer Christa Sommerer / 'Laurent Mignonneau Laurent Mignonneau

Wie kaum eine andere Technologie seit Fernsehen und PC sind Mobiltelefone heute zu einem fixen Bestandteil unseres Alltagslebens geworden. Während Handybesitzer selbst in der Regel die ungeheuren Vorteile der ständigen Erreichbarkeit mit großer Begeisterung nutzen, führen der geringere Respekt für Privatsphäre und das unfreiwillige Mithören von Privatgesprächen völlig Fremder zunehmend dazu, dass wir uns auf seltsame und oft unangenehme Weise unser selbst und anderer bewusst werden. Mobiltelefone machen beliebige Individuen zu Akteuren, die auf Bahnhöfen, in Restaurants, auf öffentlichen Plätzen und Straßen, an Treffpunkten und anderen Orten der sozialen Begegnung wie auf einer Bühne oft sehr persönliche Details aus ihrem Leben preisgeben.

Das Projekt Mobile Feelings setzt sich mit der Frage auseinander, wie ambivalent es ist, ein unbekanntes Publikum an persönlichen Informationen teilhaben zu lassen. Anstatt mit Hilfe der Stimme oder über Bilder mit uns bekannten Personen zu kommunizieren, kommunizieren wir in Mobile Feelings über virtuelle Berührungen und Körperempfindungen wie Geruch und Schweiß mit völlig Fremden.

Im Gegensatz zu Systemen auf Applikationsbasis in den Bereichen Affective Computing (1) , Arbeiten mit Wearable Computern (2) , Mensch-Maschine-Schnittstellen (3) und taktilen Interfaces für mobile Computerprodukte (4) erlaubt Mobile Feelings den Benutzern, auf ungewöhnliche und beunruhigende Weise über ein Mobilfunknetz mit völlig Fremden persönliche Körperempfindungen auszutauschen.

Präsentation
Die erste Projektpräsentation läuft an zwei miteinander verkoppelten Orten, und zwar auf der Ars Electronica 2003 in Linz, Österreich, und im Palais de Tokyo in Paris.

An diesen Orten werden Benutzer mit speziell ausgestatteten Mobile Feelings-Telefonen ausgerüstet, die organischen Formen oder Körpern ähneln. Diese Geräte enthalten Mini-Biosensoren und Regler, die Herzschlag, Blutdruck und Puls, Leitfähigkeit der Haut, Schweiß und Geruch des Benutzers messen. All diese Daten können an anonyme Benutzer gesendet werden, die diese höchst intimen Empfindungen über Regler, Vibratoren, Ventilatoren, mikro-elektromechanische und mikro-bioelektrochemische Systeme, mit denen jedes Mobile Feelings-Gerät ausgestattet ist, fühlen und wahrnehmen können. Alle Mobile Feelings-Geräte kommunizieren über ein gewöhnliches Mobilfunknetz; die Benutzer können sich frei bewegen und ihre Geräte wie handelsübliche Mobiltelefone immer und überall einsetzen.

Die Mobile Feelings-Geräte sammeln und verschicken nicht nur unterschiedliche Körperdaten, sondern zeichnen auch ein Bild der anderen Benutzer im Netz. Wenn zum Beispiel eine Benutzerin in Linz ihr Gerät berührt und einen Benutzer in Paris auswählt, so empfängt sie feine Körperempfindungen wie ein Kitzeln, eine Vibration, einen Stoß, eine leichte Berührung, einen Lufthauch und etwas Umgebungsfeuchtigkeit, was sich zusammengenommen wie eine „virtuelle Umarmung“ des Pariser Benutzers anfühlt. Benutzer in Linz oder Paris können aber auf Wunsch auch andere Benutzer „fühlen“, die sich näher am eigenen Standort befinden.
Mobilkunst im täglichen Leben
Mobile Feelings funktioniert überall und jederzeit, und der tatsächliche Standort der Benutzer (sei es Linz oder Paris oder ein anderer Ort) wird gänzlich unbedeutend. Bei Mobile Feelings ist Kunst nicht länger an Standort oder Kontext gebunden, sondern wird zum integralen Bestandteil des täglichen Lebens.

Das Projekt Mobile Feelings untersucht, wie die Technologie unser sozialesLeben verändert hat (5) und wie wir für die Möglichkeit der Erreichbarkeit und der Mobilität eine eingeschränkte Privatsphäre in Kauf nehmen. Es beschäftigt sich auch damit, dass der Berührungssinn auch weiterhin eine unserer persönlichsten Empfindungen bleibt, die wir ungern mit Fremden teilen (6) und für deren genaue Beschreibung noch immer die nötigen sprachlichen Mittel fehlen. (7) Zuletzt erforscht Mobile Feelings neue Formen der Mobilkommunikation, wozu in Zukunft möglicherweise auch Geruch und Schweiß als intimere Medien des „Fühlens und Miteinander-aus-der-Entfernung-Kommunizierens“ zählen könnten. In unserem Bestreben, die Medienkunst von den Wänden herunter und ins Leben der Menschen zu bringen, ist Mobile Feelings ein weiterer Schritt hin zur Verschmelzung von Kunst, Leben und Gesellschaft.

Aus dem Englischen von Elisabeth Wiellander

Mobile Feelings: IAMAS lnstitute of Advanced Media Arts and Sciences, Gifu Japan in Zusammenarbeit mit France Telecom Studio Créatif, Paris


(1)
Picard, R. W. und Klein, J.: „Computers that Recognise and Respond to User Emotion:
Theoretical and Practical Implications“, in Interacting with Computers, 14, 2. 2002zurück

(2)
Mann, S.: „Wearable Computing: A First Step Toward Personal Imaging“, in Computer, Vol. 30, No.2, February 1997 zurück

(3)
Sekiguchi, D., Inami, M., Kawakami, N., Maeda, T., Yanagida, Y. und Tachi S.: „RobotPHONE:
RUI for Interpersonal Communication“, in Siggraph ’01 Conference Abstracts and Applications,
S 134, A CM Siggraph, 2001.zurück

(4)
Poupyrev, I., Maruyama, S. and Rekimoto, J.: „Ambient Touch: Designing tactile interfaces for
handheld devices“, in UIST 2002, S 51-60, ACM, 2002.zurück

(5)
Plant, S.: On the Mobile: the Effects of Mobile Telephones on Social and Individual Life,
Study report for Motorola Inc., 2001.zurück

(6)
Stenslie, S.: „Wiring the Flesh: Towards the Limits and Possibilities of the Virtual Body“,
in Ars Electronica ’96. Memesis. The Future of Evolution, Springer Verlag, Wien/New York 1996.zurück

(7)
Heller, M. A. und Schiff, W. (Hsg.): The Psychology of Touch, Lawrence Erlbaum Associates, Hillsdale 1991.zurück