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Design Noir
Das geheime Leben elektronischer Objekte

'Fiona Raby Fiona Raby

Notopia
Unter der glänzenden Oberfläche des offiziellen Designs lauert eine dunkle und eigenartige Welt, die von wirklichen menschlichen Bedürfnissen gesteuert wird. Eine Welt, in der elektronische Objekte eine Hauptrolle in einem Film-Noir-Thriller spielen und von einer Gruppe Gleichgesinnter benützt werden, die der Normung entkommen und gewährleisten wollen, dass selbst eine durch und durch industrialisierte Umwelt Raum für Gefahr, Abenteuer und Überschreitung bietet. Wir glauben nicht, dass Design je die Vielfalt dieser inoffiziellen Welt vorwegnehmen kann oder sollte. Aber es kann sich davon inspirieren lassen und neue Ansätze und Rollen entwickeln, damit im Zuge der Erneuerung der Umwelt zugleich auch Raum für intensive und vielschichtige Freude geschaffen wird.

Der Berufsstand der Zukunftsforscher mästet uns permanent mit dem Bild eines „endlos glücklichen“ Lebens, in dem die Technologie die Lösung jedes Problems darstellt. Ihre techno-utopischen Visionen lassen keinen Raum für Zweifel oder Komplexität. Jeder verhält sich stereotyp und die sozialen und kulturellen Rollen bleiben unverändert. Trotz der Tatsache, dass sich die Technologie entwickelt, wollen uns die imaginären Produkte ihrer Fantasie vorgaukeln, dass sich nichts Wesentliches ändern wird und alles beim Alten bleibt. Diese Zukunftsforscher haben eine konservative Funktion, sie prognostizieren Verhaltensmuster unter Bezugnahme auf technologische Entwicklungen. Sie berufen sich auf das, was wir bereits über Menschen wissen, und flechten neue Ideen in vorhandene Realitäten ein. Die Szenarien, die sich daraus ergeben, extrapolieren die vorgegebene Realität in die Zukunft und konsolidieren auf diese Weise den Status quo, anstatt ihn zu hinterfragen. Ihre glatte Oberfläche lenkt uns von der dystopischen Vision des Lebens ab, das sie sich erhoffen. Indem sie die Requisiten für die Videos entwerfen, die uns zeigen sollen, wie die Zukunft aussehen könnte, fungiert das Design als Bewahrer offizieller Werte.

Ein Blick in diverse Zeitungen zeigt sehr unterschiedliche Bilder des Alltags, in denen komplexe Emotionen, Sehnsüchte und Bedürfnisse über den Missbrauch elektronischer Produkte und Systeme ausgetragen werden. Eine Mutter erschießt ihren Sohn nach einem Streit über die Wahl des Fernsehkanals; jemand empört sich über eine sprechende Puppe made in China, die so klingt, als ob sie fluchen würde; die Polizei stellt Menschen, die illegal Notruffrequenzen abhören, eine Falle, indem sie eine Meldung durchgibt, dass ein UFO in einem Wald gelandet ist. Innerhalb weniger Minuten treffen mehrere Autos an besagtem Ort ein, und ihre Scanner werden konfisziert. Viele dieser Geschichten illustrieren den narrativen Raum, der sich eröffnet, wenn man ein einfaches elektronisches Produkt ge- oder missbraucht, und zeigen, wie die Interaktion mit den elektronischen Alltagsgeräten dichte Erzählungen generieren kann, die die Konformität des Alltags hinterfragen, indem sie unsere Emotionen und unsere Geisteshaltung kurzschlussartig unterbrechen. Sie sind Teil einer Pathologie der Materialkultur, die Anomalien, Überschreitungen und Obsessionen impliziert, die Konsequenzen von und Motivationen für den Missbrauch von Gegenständen und ihren Fehlfunktionen. Sie geben Einblick in eine andere, komplexere Realität, die sich unter der glatten Oberfläche des Konsumverhaltens am elektronischen Markt verbirgt.
Amateurhafte Umstürze und Beta-Tester
Manche Menschen nutzen die potenziell subversiven Möglichkeiten dieser Parallelwelt verbotener Freuden, die sie der zur Ware gewordenen Erfahrung entreißen, bereits aus. Sie suchen nach missbraucher-/verbraucherfreundlichen Produkten, die sich dafür eignen, die kombinatorischen Grenzen, welche die elektronischen Produkte vorgeben, auf erfinderische Weise kurzzuschließen. Das Spektrum reicht von Terroristen, die Bomben und Waffen aus Alltagsobjekten basteln – viele davon sind im Anarchistischen Kochbuch aufgelistet –, bis hin zu Otaku-Magazinen, die japanischen Gadget-Freaks zeigen, wie elektronische Standardprodukte modifiziert werden können, um ihnen eine zusätzliche Funktion zu entlocken. Da sind keine Zukunftsforscher am Werk. Die Protagonisten in dieser Welt sind Beta-Tester, die die Realität justieren und an tägliche Bedürfnisse anpassen. Sie sind unzufrieden mit der ihnen gebotenen Version der Realität, doch anstatt ihr zu entfliehen oder auszusteigen, passen sie diese ihren Bedürfnisse an. Sie hinterfragen die Mechanismen, die die konzeptuellen Modelle legitimieren, welche im Produkt- oder Systemdesign verkörpert sind, und haben eine Einstellung zur Technologie, die zur Nachahmung einlädt.

Beta-Tester haben gelernt, wie der Elektronik Vergnügen abzugewinnen ist, indem sie die angebotenen materiellen Realitäten verwerfen und eigene konstruieren. Sie zeigen eine Freude an kundenspezifischer Anpassung, die derzeit auf Heimwerker und Autobastler beschränkt ist. Es gibt bereits zahlreiche Fachzeitschriften und Bücher, die den Lesern zeigen, wie elektronische Produkte des Alltags modifiziert oder justiert werden können. Eine wachsende Anzahl an Magazinen für ein schöneres Zuhause und TV-Programmen profitiert von der Freude, die Menschen daran haben, ihre Umgebung selbst zu gestalten – die Realität an ihre Bedürfnisse anzupassen.
Das elektronische Produkt als vernachlässigtes Medium
Dem einzigartigen narrativen Potenzial der elektronischen Konsumgüter wurde seitens der Künstler und Designer überraschend wenig Aufmerksamkeit zuteil. Obwohl das Industrial Design im Design von extremem Schmerz (z. B. Waffen) und extremer Freude (z. B. Sex-Spielzeug) eine nicht unwichtige Rolle spielt, ist das Spektrum der Emotionen, das durch die meisten elektronischen Produkte angeboten wird, erschütternd klein.

Als der Sony-Walkman Anfang der 80er Jahre auf den Markt kam, erschloss er den Menschen eine neue Beziehung zum urbanen Raum. Er ermöglichte dem Besitzer, sich eine eigene tragbare Mikro-Umgebung zu schaffen und lieferte den Soundtrack für die Reise durch die Stadt, wobei er zu unterschiedlichen Interpretationen vertrauter Umgebungen einlud. Er fungierte als urbanes Interface. Heute, fast zwanzig Jahre später, gibt es Hunderte von Variationen des ursprünglichen Walkman, aber die Beziehung, die er zur Stadt herstellt, bleibt dieselbe. Produktdesigner haben ihre Rolle als Semiotiker akzeptiert, als Kollegen der Designer und Händler, die eine semiotische Hülle für unverständliche Technologien kreieren. Das elektronische Produkt hat demzufolge eine seltsame Stellung in der Welt der materiellen Kultur, es ist eher mit Waschpulver und Hustensaft verwandt als mit Ausstattung oder Architektur.
Produktgenres
Dies ist nur eine Annäherung an das Produktdesign, ein Genre, wenn man so will, das eine sehr begrenzte Erfahrung bietet. Wie in einem Hollywood-Film liegt die Betonung auf schnellem Genuss und konformistischen Werten. Dieses Genre bekräftigt den Status quo, statt ihn zu hinterfragen. Wir sind von Produkten umgeben, die uns lediglich die Illusion einer Wahlmöglichkeit vermitteln, eigentlich aber die Passivität fördern. Doch die Stellung des Industrial Design im Zentrum der Konsumkultur könnte zum Wohle der Gesellschaft eingesetzt werden, da es ein einzigartiges ästhetisches Medium darstellt, das die Fantasie des Benutzers wie ein Film fesselt, ohne dabei utopisch zu sein oder vorzuschreiben, wie die Dinge sein sollten.

Elektronische Produkte und Dienste könnten unsere Alltagserfahrung bereichern und erweitern, statt sie zu beschränken. Sie könnten ein Medium zur Erfahrung komplexer ästhetischer Situationen werden. Doch um dahin zu gelangen, müssten Designer über Produkte und Dienstleistungen ganz anders nachdenken. Es könnte neben dem verbindlichen Hollywood-Mainstream – Arthouse, Porno, Romantik, Horror, sogar Noir-Thriller, – so viele andere Produktgenres geben, die das einzigartige und aufregende funktionale und ästhetische Potenzial elektronischer Technologie nutzen. Wobei anzumerken ist, dass viele Produkte bereits in Genres eingeteilt werden: Alessi-Produkte inszenieren Design als Komödie, das Design für Waffen und medizinische Geräte kann schockieren und ängstigen, Sex-Spielzeug ist offenkundig eine Art Design-Porno, und Elektrohaushaltsgeräte vermitteln ein angenehmes und romantisches Konzept von situierter Häuslichkeit – sie sind keine ästhetische Herausforderung oder Störung.
Design Noir
Entspricht die gegenwärtige Situation im Produktdesign dem Hollywood-Blockbuster, dann bietet sich als Gegenmodell für eine detaillierte Untersuchung das Design Noir an. Im Zentrum dieses Genres stünde die Frage, wie die psychologischen Dimensionen von Erfahrungen, die durch elektronische Produkte geboten werden, erweitert werden könnten. Mit Bezugnahme auf die Welt des Produktmissbrauchs und der Zweckentfremdung, in der das Begehren sich über materielle Grenzen hinwegsetzt und die Funktion von Alltagsobjekten umkehrt, würde dieses Produktgenre die dunkleren konzeptuellen Modelle von Bedürfnissen ansprechen, die im Allgemeinen auf das Kino und die Literatur beschränkt sind.

Produkte des Design Noir wären konzeptuelle Produkte, ein Medium, das komplexe Erzählstränge mit dem Alltagsleben verknüpft. Darin unterscheidet es sich vom konzeptuellen Design, das Design-Vorschläge als Medium zur Erforschung des Inhalts dieser Produkte benutzt. Konzeptuelles Design kann bequem im Buch- oder Videoformat vertrieben werden, es handelt vom Leben, während konzeptuelle Produkte Teil des Lebens sind. Mit dieser Art von Design wäre das „Produkt“ eine Verschmelzung der psychologischen und äußerlichen „Realitäten“, der Benutzer würde zum Protagonisten und Co-Produzenten einer narrativen Erfahrung, anstatt passiver Konsument der Bedeutung eines Produkts. Das mentale Interface zwischen dem Individuum und dem Produkt ist dort, wo „Erfahrung“ stattfindet. Elektronische Technologie gestaltet diese Begegnung effizienter, komplexer und interessanter.

Wie im Film Noir würde der Existentialismus eine zentrale Rolle spielen. Man stelle sich Objekte vor, die „existenzielle Momente“ – etwa einen Konflikt – inszenieren oder dramatisieren. Diese Objekte würden den Menschen nicht helfen, sich an die herrschenden sozialen, kulturellen und politischen Werte anzupassen. Das Produkt würde dem Benutzer vielmehr eine Entscheidung abverlangen und aufdecken, wie begrenzte Möglichkeiten gewöhnlich in Produkte einprogrammiert sind. Auf einer anderen Ebene könnten wir schlicht und einfach die Boshaftigkeit der in diesen Produkten und Dienstleistungen integrierten Werte genießen. Ihre Existenz allein bereitet Freude.

Das Truth Phone, ein tatsächlich existierendes Produkt, das der Counter-Spy-Laden produzierte, ist ein Beispiel für die Funktionsweise eines Produit Noir. Es kombiniert einen Stimmenstressanalysator mit einem Telefon und zeigt, dass elektronische Produkte das Potenzial haben, eine Kette von Ereignissen auszulösen, die sich zu einer Geschichte verdichten. Bei einer solchen Produktauffassung verlagert sich der Schwerpunkt des Designs von den Interessen an physikalischer Interaktion (passivem Knopfdrücken) auf potenzielle psychologische Erfahrungen, die dem Produkt inhärent sind. Man stelle sich vor, mit der Mutter oder dem Geliebten zu sprechen, und das Truth Phone zeigt an, dass gelogen wird. Der Benutzer wird zum Protagonisten und der Designer zum Co-Autor der Erfahrung, das Produkt erzeugt Konflikte, statt sie zu lösen. Durch Verwendung des Telefons erforscht der Besitzer die Grenzen zwischen sich und dem paranoiden Benutzer, für den das Gerät gedacht ist, und er lässt sich auf ein psychologisches Abenteuer ein.
Design ist ideologisch
Für die meisten Designer, vor allem Industrial Designer, ist Design in gewisser Weise neutral, sauber und rein. Aber jedes Design ist ideologisch, der Designprozess wird von Werten getragen, die auf einer bestimmten Weltsicht, einem Verständnis von Realität basieren. Design lässt sich in zwei sehr breit gefasste Kategorien einteilen: affirmatives Design und kritisches Design. Ersteres konsolidiert den Ist-Zustand der Dinge, bestätigt kulturelle, soziale, technische und ökonomische Erwartungen. Der Großteil des Designs ist dieser Kategorie zuzurechen. Letztes lehnt den Ist-Zustand als einzige Möglichkeit ab, es bekundet Kritik an der vorherrschenden Situation durch ein Design, das alternative soziale, kulturelle, technische und ökonomische Werte verkörpert.
Kritisches Design
Kritisches Design oder Design, das sorgsam ausformulierte Fragen stellt und uns zum Denken anregt, ist ebenso schwierig und wichtig wie Design, das Probleme zu lösen oder Antworten zu finden vermag. Provokant zu sein und die Dinge zu hinterfragen, scheint eine prädestinierte Rolle für die Kunst, doch hat sich diese zu weit von der Welt des Massenkonsums und der elektronischen Konsumprodukte entfernt, als dass sie in diesem Kontext wirksam sein könnte, auch wenn sie natürlich Teil der Konsumkultur ist. Es gibt Raum für eine Form des Designs, die das kulturelle und ästhetische Potenzial und die Rolle elektronischer Produkte und Dienste an ihre Grenzen bringt. Wir müssen uns die Frage stellen, was wir wirklich brauchen, wie poetische Augenblicke nicht vom Alltag abgekoppelt, sondern in diesen integriert werden können. Derzeit wird diese Art von Design vernachlässigt und als zweitrangig betrachtet. Heute ist es der Hauptzweck von Design, neue Produkte zu liefern – kleiner, schneller, anders, besser lautet die Devise.

Kritisches Design wird mit Haute Couture, Konzeptautos, Design-Propaganda und Zukunftsvisionen in Beziehung gesetzt, sein Zweck besteht aber nicht darin, die Träume der Industrie zu zeigen, neue Geschäftsfelder zu erschließen, Trends vorwegzunehmen oder den Markt zu testen. Sein Ziel ist vielmehr, zu Diskussionen und Auseinandersetzungen zwischen Designern, Industrie und Öffentlichkeit über die ästhetische Qualität unserer elektronisch vermittelten Existenz anzuregen. Es unterscheidet sich auch von experimentellem Design, das eine Erweiterung des Mediums im Namen von Fortschritt und ästhetischer Neuheit sucht. Das Medium für kritisches Design sind soziale, psychologische, kulturelle, technische und ökonomische Werte; es versucht, die Grenzen gelebter Erfahrung, nicht jene des Mediums zu erweitern. Dies ist seit jeher eine Prämisse für die Architektur, während das Design noch um diese geistige Reife kämpft.
(Un)Populäres Design
Die Entwicklung einer kritischen Perspektive wird im Bereich des Designs durch die Tatsache erschwert, dass die Designer und insbesondere die Produktdesigner den sozialen Wert ihrer Arbeit als untrennbar mit dem Markt verbunden sehen. Design, das sich außerhalb dieser Arena bewegt, wird argwöhnisch als eskapistisch oder unrealistisch betrachtet. Derzeit sind die einzigen Alternativen zum Hollywood-Genre des Corporate Design eigene Design-Beratungsunternehmen, die sich den Kunden mit glatten Vorzeigeprodukten präsentieren, deren Weiterentwicklung nicht geplant ist. Diese Objekte werden nur von Public Relation bestimmt, sie werden entworfen, um das innovative und kreative Design-Potenzial des Beratungsunternehmens zu vermarkten. Um als erfolgreich am Markt zu gelten, muss Design sich in großer Stückzahl verkaufen, es muss populär sein. Kritisches Design kann nie wirklich populär sein, das ist sein fundamentales Problem. Gegenstände, die gegenüber der Agenda der Industrie eine kritische Haltung einnehmen, werden von dieser meist nicht finanziert. Die Folge ist, dass sie eine Einzelerscheinung bleiben. Vielleicht brauchen wir eine neue Kategorie, die die Avantgarde ersetzt: (un)populäres Design.
Komplizierte Freude
Wir glauben, dass effizientes konzeptuelles Design Freude bereiten oder, um genauer zu sein, eine Art der Erfahrung vermitteln muss, die Martin Amis „komplizierte Freude“ nannte. Dies könnte einerseits über die Entwicklung von Werte-Fiktionen geschehen. Während in der Science Fiction die Technologie oft futuristisch, soziale Werte hingegen konservativ dargestellt werden, gilt das Gegenteil für Werte-Fiktionen. In diesen Szenarien sind die Technologien realistisch, während die sozialen und kulturellen Werte oft fiktional oder zumindest höchst verschwommen sind. Das Ziel ist es, die Betrachter zu ermutigen, sich zu fragen, warum die in dem Vorschlag verkörperten Werte „fiktional“ oder „irreal“ erscheinen, und die sozialen und kulturellen Mechanismen zu hinterfragen, die definieren, was real oder fiktional ist. Es geht nicht um Negation, sondern darum, eine Diskussion und Auseinandersetzung unter Designern, Industrie und der Öffentlichkeit über elektronische Technologie und Alltagsleben anzuregen. Dies geschieht durch die Entwicklung alternativer und oft etwas provokanter Artefakte, die die Menschen durch Humor, Einsicht, Überraschungseffekte und Staunen für sich einnehmen.

Die Ausschaltung der Unglaubwürdigkeit ist ein wesentlicher Moment – wenn Artefakte zu fremd sind, werden sie abgelehnt, sie müssen im tatsächlichen Verhalten der Menschen verankert sein. Diesem Ansatz zufolge sind Werte das Rohmaterial, das dann zu Gegenständen geformt wird. Die Materialisierung ungewöhnlicher Werte zu Produkten ist eine Möglichkeit, dass Design zu einer starken Form sozialer Kritik wird. Die Design-Vorschläge, die in Werte-Fiktionen porträtiert werden, sind durch ihre potenzielle Funktionalität und Verwendung interessant. Eine der größten Herausforderungen der Verwendung von Werte-Fiktionen ist die Art und Weise ihrer Kommunikation: Wir müssen sie in Verwendung sehen, im Alltagsleben, aber auf eine Weise, die der Fantasie des Betrachters Raum lässt. Wir müssen die vorgeschlagenen Produkte nicht wirklich selbst benützen, allein durch die Vorstellung, dass sie verwendet werden, wirken sie auf uns ein. Werte-Fiktionen dürfen nicht zu konkret sein, sonst vermischen sie sich mit bereits Bekanntem. Eine leichte Fremdheit ist der Schlüssel zum Erfolg – sind sie zu fremd, werden sie abgelehnt, sind sie nicht fremd genug, werden sie von der Realität des Alltags absorbiert.

Wäre dies nicht eine Rolle für „akademische Designer“? Anstatt Artikel zu schreiben und konventionelle akademische Bestätigung zu suchen, könnten sie ihre privilegierte Position dazu nutzen, die subversive Rolle von Design als Sozialkritik zu erforschen. Frei von kommerziellen Beschränkungen und in einem Bildungsumfeld verankert, könnten sie provokante Designvorschläge entwickeln, um die vereinfachende Hollywood-Vision der Elektronikkonsumwelt in Frage zu stellen. Design-Vorschläge könnten als Medium verwendet werden, um die Diskussion zwischen der Öffentlichkeit, den Designern und der Industrie anzuregen. Die Herausforderung besteht darin, dass die Grenzen zwischen dem Realen und dem Fiktionalen verschwimmen, sodass das Konzeptuelle realer wird und das Reale nur als eine begrenzte Möglichkeit von vielen betrachtet wird.

Aus dem Englischen von Martina Bauer

Aus: Anthony Dunne and Fiona Raby:
Design Noir. The Secret Life of Electronic Objects, Birkhäuser 2001