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Ars Electronica 2003
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co.in.cide – der dritte Ort


'Heimo Ranzenbacher Heimo Ranzenbacher / ' x-space x-space

co.in.cide formalisiert die Beziehung zweier „Orte“ durch ein zwischen beiden vermittelndes Interaktionssystem, den „dritten Ort“. Indem die BesucherInnen die Visualisierungen ihrer Körper / Bewegungen mit ihrem telematischen Gegenüber zur Deckung bringen, können sie einen Sprachkommunikationskanal öffnen und Blickkontakt herstellen. Das Ziel kann nur erreichen, wer sich nach den Bedingungen des „dritten Ortes“ verhält. Bei Deckungsgleiche erscheint das Vollbild der jeweiligen Gegenseite und ersetzt das eigene Spiegelbild, es nimmt dessen Platz ein. Die Speicherung des Bildes der Akteure mit deren Stimmen beendet den Prozess. Der automatische Upload des Files etabliert im Web einen weiteren „Ort“ (http://residence.aec.at/coincide) aus visuellen und akustischen Spuren („Tracks + Traces“) der Interaktion.

Die Idee des dritten Ortes, wie sie für co.in.cide maßgeblich war, besagt, dass die Beziehung, in die sich Orte zueinander setzen (bzw. in die sie gesetzt werden), für diese Orte auch unabhängig von den eigentlichen Bezugnahmen verbindliche Bedingungen für die jeweiligen Handlungen „vor Ort“ erzeugt.

Obwohl von Globalisierungseffekten nahezu täglich eines Besseren belehrt, wird (z. B.) gemeinhin an der Gewohnheit festgehalten, Wohnorte als Lebensmittelpunkt zu begreifen. Dabei sitzen wir vermutlich der Illusion eines Nahbildes auf, der Nähe zur bloßen Topografie (topografische Illusionen). Aus diesem Naheverhältnis werden „vor Ort“ – politisch-gestaltende – Handlungen abgeleitet. (Je höher die vermeintliche Souveränität eines Ortes, desto ausgeprägter die Neigung, aus der Illusion des Konkreten das Mandat und die Modi der Behandlung des Ortes abzuleiten.)

Orte neigen jedoch dazu, sich gegen den traditionellen Anspruch an sie zu verhalten. Pendler sind z. B. nur eine Folge dieser Tendenz. Tritt man drei Schritte zurück und stellt man sich die Wege der Pendler als Ausformung eines Ortsbildes vor, ändert sich auch die Vorstellung von einem Lebensmittelpunkt. Es tauchen zuvor unbeachtete Aspekte auf, Verhältnisse, Beziehungen zu anderen Punkten. Das Bild des Ortes „strahlt“ aus ...

Wenn sich ein Ort durch Pendler zu einem anderen Ort in Beziehung setzt, dann erzeugt dieser Umstand u. a. durch Kommunalabgaben bzw. -einnahmen, durch Verkehrsaufkommen etc. den diesbezüglich „dritten“ Ort dieser beiden Orte. Er tritt „vor Ort“ durch bestimmte, von der Tagespolitik bis in die Topografie hinein wirkende Handlungsmodalitäten zu Tage. (Wenn z. B. das Problem zunehmenden Verkehrs durch einen Kreisverkehr oder eine Umfahrung gelöst wird – was wiederum Auswirkungen auf Wirtschaftsbetriebe haben kann, die von der Frequenz der alten Straße abhängig ist – etc. etc.) Würde sich z. B. in Sachen Ortsbild das Handeln für einen Ort an seinem Bild orientieren, das sich augenfällig erschließt, hätte es nur das Scheinbare zur Grundlage. Ein Ort ist immer auch, was sich dem Blick verschließt – Theorie.

Der dritte Ort ist gewissermaßen die hinter seinen konkreten Manifestationen wirkende Kraft, eine aus Realität(en) gespeiste Virtualität, die auf die Realität zurück wirkt, sich realisiert ... Der Ort entpuppt sich als theoretisches (topologisches) Objekt. Die Kunst operiert gewissermaßen traditionell aus dem Zustand heraus, in den die Theoretisierung der Dinge
sukzessive führt.

Der Modus, wie die Bilder, die unsere Vorstellungen von den Dingen prägen, zustande kommen, sagt in der Regel weit mehr über deren Inhalte aus als die Bilder selbst. Die Kunst ist da direkt angesprochen: nicht als Bild-Produzentin, die sie im Grunde nie war, sondern in ihrer Tradition, die Aufmerksamkeit durch das, was sie zeigt, auf das Nicht-Sichtbare zu lenken, aus dem das Sichtbare dann seinen Sinn bezieht. Deshalb ist die viel beschworene Schule des Sehens der Kunst auch eine Schule des politischen Handelns. Nicht im Sichtbaren, sondern im Erkennen der Kräfte, die sichtbar werden, begründet sich ihre Ästhetik.
Orte sind Kommunen, Menschen, Ideen, Projekte ...

co.in.cide steht im programmatischen Kontext von Liquid Music (http://www.liquid-music.org), einem Projekt, das sich seit 1998 primär in Form eines jährlichen kleinen Festivals in der Stadt Judenburg (Steiermark / A, http://www.judenburg.at) manifestiert. Ebenso wie die Stadt integrierender Teil von Liquid Music ist, sind die künstlerischen Beiträge integrierende Teile des Projektes. co.in.cide wurde auf Einladung von Graz 2003 – Kulturhauptstadt Europas, Judenburg durch Liquid Music am Programm STADT_LAND_KUNST von Graz 2003 zu beteiligen, konzipiert. Die Überlegungen im Hinblick auf die Bedeutung von Graz als europäische Kulturhauptstadt und Judenburg, das sich künstlerisch in Beziehung zu Graz setzt, haben das Thema von Liquid Music 2003, den dritten Ort, bestimmt.

Ein Liquid-Music-Projekt für Graz 2003 – Kulturhauptstadt Europas im Rahmen von STADT_LAND_KUNST.
Realisiert im Ars Electronica Futurelab, Linz.
Software: Robert Praxmarer, Stage: Stefan Mittlböck-Jungwirth, Martin Honzik, Christoph Scholz.
Web/3D-Client: Helmut Höllerl, Florian Landerl