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Ars Electronica 2003
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Principles of Indeterminism


'Heimo Ranzenbacher Heimo Ranzenbacher

Code – Notation
Mit Software haben bildende KünstlerInnen erstmals ein den Notationssystemen der Musiker vergleichbares Werkzeug, das nicht nur Produktion und Performance zur Deckungsgleiche zu bringen vermag, sondern auch die methodische Angleichung der Sparten forciert und damit Interdisziplinarität über das Maß des Zusammenwirkens verteilter Interessen hinaus – durch eine ihren Sprachen gemeinsame Grammatik – formalisiert. (Seine bislang deutlichste Ausprägung erfährt dieser Umstand etwa im Rahmen der Open-Source-Bewegung durch die – auch – in Kunstprojekten motivierte Entwicklung eigener Programmiersprachen, die als öffentlich verfügbare Bezugsquelle zur Grundlage, zum „Quellcode“, für weitere
individuelle Anwendungen werden.) Interdisziplinär verbindliche Codes haben jedoch auch die Dynamisierung der beteiligten Systeme zur Folge, und gerade darin haben unter Medienkunst subsumierte Konzepte und Unternehmen ihren konstitutiven Kern.

Mit Principles of Indeterminism gestaltet Ars Electronica einen Themenabend zum diesjährigen Festivalschwerpunkt „Code – The Language of Our Time“. Angesiedelt im Bereich der Musik, versucht das Programm Prinzipien der Medienkunst in paradigmatischen Werken der modernen Klassik historisch zu verorten und deren Verwandtschaft mit aktuellen Strategien des Realtime-Processing in der bildenden Kunst zu verknüpfen. Leitthema ist das mit dem Titel angesprochene Prinzip der Transformation und Metamorphose, das als das künstlerische Credo des Komponisten, Klangforschers und Architekten Iannis Xenakis auch den Begriff von Interdisziplinarität, Synästhesie und Technik beziehungsweise Interaktivität, Generativität und Multimedialität geprägter Künste betrifft. Das Programm führt von analoger über elektronische zu digitaler Musik, von komponierter zu programmierter Musik, vom Orchester und Instrumentalensemble über Live Electronics zur digitalen Klangsynthese, von Klang zu Bild.
Xenakis’ Ideen sind sowohl Angel- als auch Ausgangspunkt dieser Konzert- und Performance-Events.
Parametrisierung
Iannis Xenakis (1922 – 2001) gilt wegen seiner unverwechselbaren elektronischen Klangwelten, die sein radikales Verständnis von Musik als algorithmisch basierter, offener Prozess dokumentieren, als Leitfigur vieler zeitgenössischer Digital-Musiker. Über den Ansatz der Idee, Musik als eine Art Software zu verstehen, hinaus fasziniert Xenakis' Oeuvre nicht zuletzt auch durch den Aspekt der psychoakustisch räumlich gestaltenden Dimension vieler seiner Werke. Der Komponist Xenakis hat gleichsam mit der Kompetenz des Architekten Klangmetaphern für Raumvorstellungen geschaffen, wie sie seither immer wieder in den Medienkünsten thematisiert und formalisiert werden.

Die Suche nach einer Leitfigur aus dem vergangenen Jahrhundert war nicht zuletzt von der Absicht des Festivals motiviert, zu dokumentieren, dass mit dem Neuland des digitalen Codes nicht die ganze Welt neu erfunden wurde, sondern dass Konzepte, die nahezu leitmotivisch die digitale Kunst der aktuellen Generation durchziehen, ihre Vergangenheit haben; dass jedoch viele aus den 50er und 60er Jahren datierende Ideen erst mit den Instrumenten und
Werkzeugen der Informationstechnologie, dem Computer als frei programmierbarem Gerät, adäquat realisierbar wurden.

Mit seinem Fokus auf die Rolle von Software in der Kunst setzt daher der didaktische Bogen des Programms Principles of Indeterminism bei der Parametrisierung des Klanges und der Erzeugung des Klanges an und spannt sich über Entwicklungen im thematischen Kontext der Parametrisierung der Interpretation bis hin zur letzten Phase, in der auch die Performance zu einem Echtzeit-Prozess mutiert; vom Instrument über die Elektronik zum Laptop; vom Komponisten, der „offline“ auf Papier mit Notationssystemen arbeitet, zum Komponisten, der schon am Computer, aber offline arbeitet, hin zu den aktuellen, durch Programme wie Supercollider oder verschiedene Konfigurationen von MAX repräsentierten Tendenzen, die eine Art Realtime-Entwicklungsumgebung etablieren, in der für Komponisten das Schreiben von Software und die Aufführung von Musik zu einem Prozess verschmelzen und disziplinäre Unterscheidungen zwischen Musik und Medienkunst obsolet zu werden beginnen.

Diesen Bogen spannt Principles of Indeterminism in verschiedener Hinsicht mit exemplarischen Stücken von Edgar Varèse, Morton Subotnick und Iannis Xenakis, Steve Reich – im Hinblick auf seine ikonischen Rolle für die Minimal Music, die als ein Vorläufer für die generative Musik interpretiert werden kann – und Marco Stroppa – Stücken, die in Analogie zu den paradigmatischen Strategien des Komponierens einerseits Remixes durch Vertreter der Generation der Digital Music unterzogen, andererseits – durch Beiträge von Bill Viola, Sue Constabile, Lia, Martin Wattenberg, Marius Watz, Justin Manor, Gerda Palmetshofer und Stefan Mittlböck – von Visualisierungen begleitet werden, an denen die Verwandtschaft der Strategien gleichsam exemplifiziert wird. Als Digital Musicians wurden Rupert Huber / Tosca, Ryoji Ikeda, Otomo Yoshihide und Naut Humon engagiert. Ihr weiter führender Remix dieser Remixes ist konsequenterweise ebenso Teil ihrer Arbeit wie die Aufführung eigener Stücke, die ihr prinzipielles Selbstverständnis aus solchen Metamorphosen beziehen. Didaktische Absichten liegen auch den mit wechselnden Strategien wechselnden Schauplätzen – vom Großen Saal des Brucknerhauses, in den Mittleren Saal, den Klangpark und zurück – zu Grunde.
Visualisierung
Synästhesie ist eines der Leitmotive der Medienkunst und wahrscheinlich die Eigenschaft, in der ihre grundlegenden Prinzipien den Unterschied zu den traditionellen Künsten am besten charakterisieren. Will man einen Abend zu Kernaussagen über den Status quo der Medienkunst programmieren, dann sind synästhetische Eigenschaften per definitionem eine seiner zentralen Intentionen, die in Principles of Indeterminism in Form der perzeptiven und strategischen Verknüpfung von Klang und Bild verfolgt werden.

Das zweite Anliegen betrifft die im Kontext der Diskussion um die Rolle von Software in der Kunst immer wieder erörterte Frage, ob Software lediglich ein anderes Notationssystem sei oder, und wenn ja, ab welchem Moment sie zu einem eigenständigen künstlerischen Werk werde.

Notation funktioniert im Prinzip nur, wenn es eine Übereinkunft über sie gibt oder sie – im Hinblick auf neue Systeme – so aussagekräftig ist, dass sie eine Übereinkunft erzeugt.
Die Musikgeschichte liefert auch in diesem Zusammenhang Analogien durch die Entwicklung neuer Notationssysteme. Aus der Notwendigkeit heraus entstanden, die neuen Klangwelten, die man entdeckt hat, entsprechend niederzuschreiben und für eine adäquate Erweiterung des interpretatorischen Spielraums zu sorgen, finden sich prominente Beispiele bei Iannis Xenakis und Varèse ebenso wie etwa bei Ligeti oder, in jüngerer Zeit, Logothetis, der die Notation weit abseits ihrer herkömmlichen Funktion einer exakten oder auch nur mehr assoziativen Handlungsanweisung, zu einem weitgehend autonomen Grafik getrieben hat.

Die Frage nach den Notationssystemen ist heute zugleich eine Frage der Visualisierung beziehungsweise eine Frage nach der Aussagekraft von visuellen oder – im Bereich Software – von textbasierten Systemen für die daraus folgenden sinnlich bestimmten Prozesse: Inwieweit ist die bildhafte Qualität einer Partitur imstande, nicht mehr nur Erklärung zur Musik zu sein, sondern sie zu erweitern oder eventuell sogar abzulösen?

Für den Part der Visualisierung der Musikstücke wurden daher auch KünstlerInnen eingeladen, die mit (Realtime-)Software arbeiten, also ihre Grafiken und deren Verhalten programmieren. Eine weitere Bedingung für das Engagement war, als integrierender Teil der musikalischen Performance live auf der Bühne zu agieren.