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Arbeit am und mit dem Eigensinn
'Giaco Schiesser
Giaco Schiesser
Das Departement Medien & Kunst der Hochschule für Gestaltung und Kunst Zürich Im Rahmen der seit 1997 laufenden Restrukturierung der Hochschule für Gestaltung und Kunst Zürich wurden 2002 die Studienbereiche Film / Video, Fotografie, Neue Medien und der Studiengang Bildende Kunst zum Departement zusammengefasst, an dem zur Zeit rund 300 Vollzeitstudierende studieren. Seit anfang 2002 ist das Department dabei, die bis anhin stark autark angelegten Curricula der einzelnen Studienbereiche zu öffnen und ein Ausbildungskonzept zu erarbeiten, das die Qualitäten der bisherigen Ausbildung – so existieren etwa die Studienbereiche Film und Fotografie schweizweit nur in Zürich und der Studienbereich Neue Medien hat einen europaweit einmaligen Fokus – erhalten bleiben und zugleich den veränderten Bedingungen der Informations-, Netzwerk- oder Wissensgesellschaft Rechung getragen wird. Für die Studierenden soll ein attraktives, stark selbst bestimmtes Studium angeboten werden, das entweder stärker vertikal in einem der Bereiche oder mehr transversal quer zu den Bereichen gemacht werden kann.Leitideen oder Vom Eigensinn als Produktivkraft Leitend für das bis Anfang 2004 erarbeitete Konzept sind dabei, europaweit wohl einmalig, drei Leitideen: (1)- Ausbildung zur individuellen und / oder kollektiven MedienautorIn
- Arbeit am und mit dem Eigensinn der Medien Film, Fotografie, Computer / Netzwerke und der bildenden Künste
- Kunst als Verfahren, Kunst als Methode
„Ausbildung zur eigensinnigen, individuellen oder kollektiven Medienautorschaft“ bedeutet, dass die StudentInnen ihre eigenen Themen, Interessen, Fragestellungen erarbeiten und verfolgen sollen, die sie medienadäquat realisieren. Ein Vorteil des Begriffs der Medienautorschaft ist, dass er die unselige Trennung zwischen künstlerischen und angewandten Arbeiten unterläuft. Ob die Studierenden später als KünstlerInnen tätig sind oder in Unternehmen arbeiten bzw. solche gründen, ist ihre Entscheidung. Beide, und das ist zentral, verhalten sich aber nicht als Anwender (Operators), die gestellte Aufgaben ausführen, sondern sind als ProduzentInnen tätig, die eigenständig und medienkompetent Inhalte erarbeiten und umsetzen. Zudem wäre es wünschbar und dringlich, neben der Kunst andere, eigensinnige Fotografien in Zeitschriften und in der Werbung, andere Filme im Fernsehen oder andere, gegen den Strich-gebürstete Computergames zu sehen und zu hören zu bekommen.
„Arbeit am und mit dem Eigensinn des Mediums“ geht davon aus, dass Computer und Netzwerke je spezifische, eigene Potenziale, Strukturen und Beschränkungen eignen. Sie alle kennen Werke der Literatur, der bildenden Kunst, der Fotografie, der Musik, des Films, Videos. Ob als Spezialistin oder ob als Laie: Aus Ihrer Alltagserfahrung wissen Sie, dass alle diese Medien etwas je Eigenes haben. Was in Literatur geschrieben werden kann, ist etwas anderes, als im Film gezeigt wird. Was die Fotografie erfasst, unterscheidet sich von dem, was ein Musikstück ausdrückt.
Alle diese Medien besitzen unterschiedliche Möglichkeiten und Grenzen, die sie einmalig und wechselseitig unersetzbar machen. Mit dem Begriff „Eigensinn eines Mediums“ versuche ich dieses komplexe Unterschiedliche zu fassen. Für alle diese Medien gibt es ein Reihe je spezifischer, zum Teil über Jahrhunderte, zum Teil über einige Jahrzehnte gewachsene Ästhetiken. Im Film etwa von der Stummfilmästhetik eines George Méliès über die erste französische Avantgarde bis zum zeitgenössischen Splatter-Movie, in der Literatur vom Entwicklungsroman über den Dadaismus und die automatischen Schreibweise der Surrealisten hin zur aktuellen, kollektiv verfassten Netzliteratur, in der Musik von der italienischen Oper über Zwölftonmusik und Jazz bis hin zu Hip-Hop und Ambient, um nur einige wenige Beispiele zu nennen.
Ohne Arbeit am und mit diesem Eigensinn ist originelle, radikale und weiterführende Medienautorschaft nicht zu haben.
„Kunst als Verfahren bzw. Kunst als Methode“, ein Konzept, das auf den russischen Formalisten Viktor Slovskji zückgeht, verweist darauf, dass nur über den Projektunterricht und das permanente – eigensinnige und scharfsinnige – künstlerische Experimentieren – das unablässige Sichvertiefen-in, das Gegen-den-Strich-Bürsten, das Unterlaufen gang-und-gäber Mediennutzung - neue und neuartige künstlerische und gestalterische Erfahrungen, Projekte und damit neue Wahrnehmungs- und Erkenntnismöglichkeiten denk-, mach- und erlebbar werden.Eine Medien- und Kunstausbildung auf der Höhe ihrer Zeit Eigensinnigkeit und die Scharfsinnigkeit künstlerischer – individueller und kollektiver - Autorschaft / Eigensinn der Medien / Kunst als Verfahren halte ich für die strategischen Momente in einem Modell einer Medien- und Kunstausbildung, die sich auf der Höhe ihrer Zeit bewegt. Eine Medien- und Kunstausbildung auf Augenhöhe mit ihrer Zeit, eine Ausbildung, die von der Zukunft her gedacht wird und zugleich die Erfahrungen der Tradition ernst nimmt und durcharbeitet, wird den Studierenden Experimentierräume zur Verfügung stellen. Experimentierräume, in denen neugierig, radikal und kompromisslos die individuelle und kollektive, eigensinnige Arbeit der StudentInnen an selbst gewählten oder auferlegten, Interessen / Inhalten / Themen und ihre Arbeit am und mit dem Eigensinn unterschiedlicher Einzel- und Hybrid-Medien gefordert und gefördert wird.
Zu einer medialen gehört heute zugleich auch eine transmediale Ausbildung. Transmediale Ausbildung heißt, dass die Studierenden in die Lage versetzt werden, gleichzeitig in und mit einem Medium arbeiten zu können und die Schnittstelle zu anderen Medien denken und künstlerisch bespielen zu lernen. Autorschaft in einem medien- und technologiebasierten Zeitalter, wie es die postindustrielle Epoche darstellt, bedeutet nicht nur individuelle oder kollektive Autorschaft, in der jeder seine spezifische Kompetenzen einbringt, sondern kollaborative Autorschaft, in der jeder und jede seine spezifischen Kompetenzen mit den Kompetenzen anderer selbst zu vernetzen imstande ist und dadurch selbst immer wieder gründlich transformiert aus diesem Prozess hervorgeht. Dies setzt aber neben der Entwicklung sozialer, kommunikativer und zunehmend auch analytischer Kompetenzen vertiefte Kenntnisse des eigenen und Kenntnisse der anderen Medien voraus. Die Bedeutung einer zugleich medial vertiefendenden und transmedial vernetzenden Ausbildung – die bald auch über das Angebot der einer Medien- und Kunsthochschule hinausgreifen muss – sehe ich darin, dass sie den Studierenden ermöglicht, einen Weg als KünstlerInnen auf der Höhe ihrer Zeit oder als in der „Informationsgesellschaft" zunehmend und dringlich gebrauchte, flexible und vielseitig anschlussfähige MedienautorInnen zu gehen, die als Einzelne und im Team in der Lage sind, Verantwortlichkeit über Inhalt, Konzeption, Realisation, Produktionsablauf und Budgetierung souverän wahrzunehmen.
Wenn es richtig ist, dass ein jeweils neues Medium in doppelter Weise Auswirkung auf alte Medien hat, indem es diese zu einem neuen Verständnis ihrer Möglichkeiten unter neuen Bedingungen zwingt und sie zugleich auch transformiert, dann liegt eine wesentliche Herausforderung und Chance der Medien- und Kunstausbildung an Kunsthochschulen auch und gerade in der Ermöglichung und Förderung hybrider oder Cross-over-Kunstwerke, handle es sich dabei um interaktive Audioinstallationen, Videoessays, Medienarchitektur, transmediale Schnittstellen in urbanen Räume, DJ-Events, digitale Dichtung, neue Ästhetiken des Performativen, um SMS-Visuals für Clubs, Parties, Intercity-Streams von DJ-Events, Netz-TV, kulturelle Software, Radiokonzerte für Handys oder, oder, oder. Eine transmediale oder hybride Kunst erfordert – und das ist für eine Kunstausbildung mittelfristig die zentrale Herausforderung – die Erarbeitung, Vermittlung und die Nutzung einer Reihe von komplexen Fachgebieten wie Neurophysiologie, Kognitionswissenschaften, Architektur, Nanotechnologie, Informatik-, Ästhetik-, Erkenntnis- und Wahrnehmungstheorien, Life Sciences, die nicht an einer, sondern verstreut an unterschiedlichen Hochschulen gelehrt werden. Ein wesentlicher Grund dafür ist, dass die Technologiebasiertheit der Medien seit der Erfindung der Fotografie zwar stetig zugenommen, durch die Digitalisierung aber einen eigentlichen Sprung erfahren hat. Das Dispositiv hat sich damit auch für die Künste grundlegend und dramatisch verändert. In einem materialreichen Beitrag hat Hans-Peter Schwarz vor einigen Jahren die wechselvolle Geschichte der unterschiedlichen Künste und der Technologie seit dem 18. Jahrhundert nachgezeichnet und die unhintergehbare Bedeutung der Technologie für eine aktuelle und zukünftige Medienkunst festgehalten. Die Verknüpfung von Kunst, Technologie und Wissenschaft – die in der Renaissance für eine kurze historische Epoche zu einer Selbstverständlichkeit wurde - wird, das ist heute unabweisbar, zu einer Voraussetzung zukünftiger Kunst- und Medienarbeit und damit auch einer adäquaten Ausbildung.
(1) Aus Platzgründen kann ich im Folgenden nur in der gebotenen Verkürzung auf die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, auf die Inhalte, Ziele und Leitideen der zukünftigen Ausbildung im Departement eingehen. Ausführlich habe ich sie dargelegt in: Giaco Schiesser: „Medien | Kunst | Ausbildung. Über den Eigensinn als künstlerische Produktivkraft“. In: Schnittstellen, hrsg. von Sigrid Schade, Thomas Sieber, Georg Christoph Tholen. (= Basler Beiträge zur Medienwissenschaft. Bd. 1). Basel: Schwabe 2004.zurück
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