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Sicherheit als oberstes Ziel - Das Nonplusultra der Einfachheit


'John Maeda John Maeda / 'Paola Antonelli Paola Antonelli

Paola Antonelli, Hauptkuratorin der Abteilung für Architektur und Design am MoMA, New York, im Gespräch mit John Maeda


John Maeda: Was bedeutet „Einfachheit” im Kontext von Architektur und Design?

Paola Antonelli: Wie in jedem anderen Bereich ist Einfachheit auch in der Architektur und beim Design die komplexeste aller Tugenden. Die Entwicklung einer Fernbedienung, die universell verwendbar und universell verständlich ist, kann beispielsweise Jahre dauern.

Echte Einfachheit bedeutet Einfachheit auf einer strukturellen, nicht einer formalen Ebene und ist dadurch auch nicht stereotyp. Es gibt eine Art von Einfachheit, wie sie sich etwa in den Arbeiten von Tadao Ando oder in Gegenständen mancher zeitgenössischer Designer zeigt, die irreführend sein kann. Droog Design, eine 1994 gegründete niederländische Designergruppe, ist in dieser Hinsicht besonders interessant. Droog Design wurde zu einem Zeitpunkt gegründet, an dem in unserer materiellen Welt niemand mehr Toleranz für Redundanz aufzubringen schien; dadurch wurde der Beginn einer von manchen als neo-minimalistische Ära bezeichneten Phase des Designs eingeläutet. Als Droog das Licht der Welt erblickte, bejubelte die Modewelt Miuccia Prada und Tom Ford, die sich mit ihren reduzierten, doch raffinierten einfachen Kleidungsstücken einen Schritt über die bis dato dominierende japanische Avantgarde hinaus gewagt hatten.

Auf dem 3. Doors of Perception-Designsymposium, das 1995 unter dem Thema On Matter vom niederländischen Designinstitut in Amsterdam veranstaltet wurde, präsentierte Trend-Orakel Lidewij Edelkoort dann einen mitreißenden audio-visuellen Beitrag, der das Publikum rein und gereinigt zurückließ, wenn auch mit leicht überstrapazierten Sinnen. Sie zeigte Naturfasern, minimalistische Möbel, wieder verwertbare Materialien und sogar durchsichtige Seife. Die Menschen, so entnahm ich ihrem Vortrag, wollten und wollen weniger, dafür jedoch bessere, klarere, qualitätsvollere Dinge, und sie sind bereit, dafür mehr zu bezahlen. Sauerstoffbars, kohlensäurefreies Wasser in durchsichtigen Flaschen – nichts schien sinnlicher als dieses Nichts; eine transparente, geruchlose Substanz, die den Körper von innen wie außen reinigt. Heute ist mir klar, dass das eine Illusion war und dass Einfachheit bedeutet, dass Dinge einfach sind und nicht, dass sie einfach aussehen. Je einfacher sie sind, desto besser können sie miteinander in Wechselwirkung treten und desto eher kann ihr Potenzial voll ausgeschöpft werden.

John Maeda: Was sind die drei (oder mehr) besten Beispiele für Einfachheit, die Ihnen im Zusammenhang mit der MoMA-Sammlung einfallen?

Paola Antonelli: Der Post-it-Haftnotizblock, der VW Käfer (Originalmodell von 1959), der Thonetstuhl und der iPod. Bei allen bedurfte es jahrelanger intensiver Bemühungen, zahlreicher Experimente, Fehlschläge und einem gewissen Quantum an Aufruhr, um dem Endnutzer Einfachheit bieten zu können.


John Maeda: Ich war begeistert von SAFE: Design Takes On Risk.(1) Ich bin der Ansicht, diese Ausstellung war wichtig für die Einfachheit, denn nichts im Leben ist komplexer als Situationen, in denen es um Leben und Tod geht. Wie sehen Sie das? War das einer der Gründe für diese Ausstellung?

Paola Antonelli: Es freut mich, dass Ihnen die Ausstellung gefallen hat. Ich dachte bei der Auswahl der Objekte nicht an Einfachheit per se, aber ohne Zweifel kommt nichts dem Urknall des Designs, seinem Hauptexistenzgrund näher, als Gegenstände, die mit dem Schutz des Menschen zu tun haben. Diese Gegenstände müssen einfach zu verstehen und zu handhaben sein, mehr nicht. Ihr Zweck ist, Körper und Psyche in Notfällen oder Stresssituationen zu schützen, sie liefern Informationen, sensibilisieren und bieten ein Gefühl von Trost und Sicherheit. Doch macht sie das notwendigerweise einfach? Rückblickend kann ich sagen, dass das in den meisten Fällen zutrifft. Diese Gegenstände stehen nicht nur für Effizienz und Zuverlässigkeit, sie bieten auch Anmut in der Not.

Im Design kann Einfachheit bedeuten, dass man sicher weiß, wozu ein Gegenstand dient. Die besten Gegenstände sind die, bei denen sparsamer Materialeinsatz mit geringem Verständnisaufwand gepaart ist: Man muss nicht lange über die Verwendung nachdenken, da ihr Zweck klar ist. Sie funktionieren gut und sind einfach zu bedienen.

John Maeda: Haben Sie als multikultureller Mensch, der ständig reist und neue Inspiration sucht, eine Präferenz für einfache oder komplexe Situationen, wenn Sie reisen? Ich persönlich habe
keine Vorliebe – ich denke, wir brauchen sowohl Einfachheit als auch Komplexität, um gesund und glücklich zu bleiben.

Paola Antonelli: Ich bevorzuge Einfachheit bei Gebrauchsgegenständen – zwar nicht immer, aber meistens. Dafür genieße ich die Komplexität der Welt, in der ich mich bewege. Mir gefällt die Diversität der Welt, und ich fühle mich nicht fremd oder orientierungslos – im Gegenteil, ich
liebe diesen Nervenkitzel.

John Maeda: Verwenden Sie einen Blackberry, Treo oder Sidekick (PDA-Mobiltelefone)? Wenn ja,
finden Sie die Bedienung kompliziert oder einfach?

Paola Antonelli: Ich verwende einen Blackberry und habe damit keine Probleme. Ich kann superschnell darauf schreiben. Wenn überhaupt, dann würde ich mir ein eleganteres Design wünschen. Ich erinnere mich mit Entsetzen an jene Zeiten, als wir unsere Laptops um den Globus schleppen mussten, die Stecker nicht passten, die Verbindungen langsam und die Server ausgefallen waren. Jetzt bekomme ich mehr Schlaf und kann dem Bedürfnis nachgeben, meine Leselisten zu kürzen …

Aus dem Englischen von Sonja Pöllabauer

(1)
SAFE: Design Takes On Risk wurde von Paola Antonelli kuratiert und war die erste große Designausstellung nach der Wiedereröffnung des MoMA im November 2004. Gezeigt wurden mehr als 300 Objekte und Prototypen zeitgenössischer Designer, die Körper und Geist bei Gefahr oder in Stresssituationen schützen, in Notfällen eingesetzt werden, klare Informationen liefern und ein Gefühl von Sicherheit und Trost vermitteln.zurück