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Weniger ist zunehmend mehr


'Sam Hecht Sam Hecht

Als ich vor kurzem mit John Maeda Sushi essen war, habe ich erkannt, dass gute Designer die Fähigkeit besitzen, die allen Menschen eigenen Rezeptoren bei der Herstellung oder Optimierung der uns umgebenden Dinge geschickt einzusetzen. Viele Menschen vergessen im Alltag, dass alles, was sie sehen, hören, berühren oder riechen, Einfluss auf ihre Stimmung hat. Die Stadt, das Gebäude, der Raum, der Stuhl, der Tisch und das Suhsi – alles steht miteinander in Verbindung und beeinflusst uns. Ich bin oft überrascht, dass dieser Gedanke beim Kauf, der Herstellung und dem Konsum von Dingen meist vernachlässigt, übersehen, vergessen oder missverstanden wird. In der Folge verdrängen die Öffentlichkeit, der Konsument, der Benutzer (wie immer wir uns nennen) Subtilität und Einfachheit, weil unsere Rezeptoren mit immer Fantastischerem gefüttert werden wollen und eine gewisse Abhängigkeit von dieser von Designern und Produzenten geschaffenen Reizüberflutung besteht. Ein Konsument mag nicht alle Gründe für sein Verlangen nach einem Gegenstand kennen – das Verlangen ist jedenfalls da. Worauf es basiert, erschließt sich erst mit der Verwendung und der Wertschätzung des Gegenstands, die sich im Lauf der Zeit einstellt.

Zurück zu unserem Sushi-Essen: Denkt man an wesentliche Aktivitäten wie etwa das Essen, verlassen sich die Menschen auf alle ihre Sinnesorgane, um festzustellen, ob ein Gericht gut oder schlecht ist. Wenn wir ein Gericht zum ersten Mal „sehen“, treffen wir eine bewusste Entscheidung, ob es seiner Funktion gerecht wird. Wenn wir es „berühren”, erhärtet sich dieses Urteil durch die unverwechselbare Konsistenz. Wenn wir es „riechen“, erfahren wir, ob es gut schmeckt. „Kosten“ wir es, können wir sagen, ob es uns vergiften oder zufrieden stellen wird. Und beim Kauen „hören“ wir seine Konsistenz. Die Sinne, die diese Einschätzung des Essens ermöglichen, sind angeboren und werden in den ersten Lebensjahren weiterentwickelt, damit wir uns in der Welt zurechtfinden. Sie schützen uns und ermöglichen uns, Erfahrungen zu genießen. In Bezug auf Gegenstände geht man im zeitgenössischen Design häufig von dem Irrtum aus, dass wir, wenn wir eine Kaffeemaschine benutzen, auf einem Stuhl sitzen oder einen Raum betreten, die Sinne ausschalten, die für die jeweilige Aktivität nicht erforderlich sind. Warum sollten wir Geräusche mit einer Kaffeemaschine oder Geruch mit einem Stuhl in Verbindung bringen? Dennoch werden sämtliche Aspekte einer Aktivität von unseren Sinnen bewertet, weil unser Überleben davon abhängt. Die Temperatur eines Holzstuhls unterscheidet sich von der eines Plastiksessels und vermittelt auch ein anderes Gefühl. Jeder Raum hat einen anderen Geruch, der sich auf unsere Sinneswahrnehmungen auswirkt. Das Geräusch verschiedener Kaffeemaschinen beeinflusst durchaus unser Urteil, von welcher der beste Kaffee zu erwarten ist.

Anstatt die komplexen Rezeptoren einzubeziehen, über die der Mensch verfügt, lassen wir uns zu sehr vom Visuellen dominieren. Sushi mag schön anzusehen sein, seine Schönheit wird aber nicht forciert. Ich nenne eine solche Schönheit eine resultierende – eine zufällige, die eher Resultat als etwas Aufgesetztes ist. Die Einfachheit des Gerichts, sowohl hinsichtlich Zubereitung als auch Präsentation, beansprucht alle unsere Sinne in gleichem Maß. Sie hat etwas Natürliches, wenngleich im Westen die Vorstellung von rohen Nahrungsmitteln eher etwas Unnatürliches hat. Das Wesen der Einfachheit besteht eben darin, dass sie etwas, das auf den ersten Blick unnatürlich wirkt, natürlich erscheinen lässt. Wie kann man diese Idee nun auf einen Gegenstand wie einen Stuhl, eine Kaffeemaschine oder ein Hightechprodukt anwenden? Diese Gegenstände erfordern mehr denn je ein intelligentes und angemessenes Design, das die Sinnesorgane als Kriterium berücksichtigt oder zumindest wahrnimmt.

In unserer Arbeit im Atelier Industrial Facility erkennen wir an, dass alle Dinge voneinander abhängen. Unser Weltbild orientiert sich nicht an einem überkommenen Renaissancemodell, dem zufolge alle Dinge in sich abgeschlossen und der Mensch das Maß aller Dinge ist, sondern daran, dass alles aufeinander einwirkt und miteinander kommuniziert – manchmal sogar unabhängig vom Menschen. Das impliziert eine Weltsicht, die ohne die Vorstellung auskommt, dass wir alles kontrollieren können. Beim Entwurf eines Druckers oder einer Kaffeemaschine stellen wir uns den Raum vor, für den diese Dinge gedacht sind, den Tisch, auf dem sie stehen werden, oder die Person, die damit umgehen wird. Dieser Ansatz ermöglicht die Ausklammerung überflüssiger Funktionen und den Verzicht auf Komplexität, weil bereits Vorhandenes anerkannt und versucht wird, Verdopplung oder Wiederholung zu vermeiden. Die Umgebung eines Gegenstands bestimmt Form und Inhalt ebenso wie seine Verwendung.

Vor kurzem entwarfen wir ein schnurloses Telefon und erkannten dabei schnell, dass dieser Gegenstand zwar Zeiten der Aktivität und Bewegung hat, die meiste Zeit aber stationär und passiv ist. Diese Inaktivität wurde der Ausgangspunkt für das Design. Die Passivität wurde weniger als Negation denn als Möglichkeit gesehen. Das Resultat war schließlich ein Telefon, das nicht ständig durch aufdringliche bunte Grafiken oder aufgesetzte Reize – überflüssige Eyecatcher –, die nichts mit seiner eigentlichen Funktion zu tun haben, zur Verwendung auffordert, sondern vielmehr ein Hintergrundobjekt, das zum Leben erwacht, wenn es gebraucht wird. Warum sind so viele elektronische Produkte, einschließlich Telefone, silberfarben? Einen Fernseher schaltet man aus, wenn man ihn nicht mehr braucht; warum gesteht man ihm dann eine solche Auffälligkeit zu? Der Zustand des Ausgeschaltet-Seins eines elektronischen Produkts sollte ebenso als Funktion desselben betrachtet werden wie alles andere. Die Hersteller stecken enorme Energie in das Marketing und den Verkauf des Produkts, weshalb der Moment des Kaufs als der entscheidende betrachtet wird. Die Realität sieht aber so aus, dass 99,9 Prozent des Produktlebens sich nicht im Laden abspielen. Wird das Produkt nicht gekauft, hat es in kommerziellen Begriffen „versagt“. Wir sollten aber auch verstehen, dass ein Produkt, das unsere Sinne beleidigt und unsere Umgebung und Wertvorstellungen herabsetzt, in viel umfassenderer Weise versagt.

Zur Abhängigkeit ist auch noch zu sagen, dass Gegenstände unterschiedliche Sinne wie Tast-, Geruchs-, Hörsinn usw. ansprechen können. Ein Designer muss nicht gewährleisten, dass ein Produkt immer jeden der Sinne einbezieht – das kann sich auch verteilen. Gleichzeitig können Objekte die Fähigkeit entwickeln, selbst zu sehen oder zu schmecken. Stellen Sie sich eine Kamera vor, die sehen und automatisch scharf stellen könnte – aber das gibt es natürlich bereits. In dem Maß, in dem die Technik dem Design vorauseilt, scheint die Rolle der Designer immer wichtiger zu werden. Sie sind es nämlich, die sämtliche Teile – die funktionellen, ästhetischen und technischen Eigenschaften eines Projekts – zu einem Ganzen zusammenfügen müssen.

Die Integration von Abhängigkeit erfordert allem voran das Verständnis, dass Design nicht immer, wie manche meinen, mit Erfindung oder Innovation zu tun hat. In der Ausbildung und bei schulischen Projekten beobachte ich nach wie vor die Neigung, Erfindungen machen zu wollen. Die größten Anstrengungen werden unternommen, um sich von Vorhandenem wegzubewegen, ungeachtet dessen, ob es gut funktioniert oder nicht. Studenten scheinen oft zu glauben, dass alles, was schon da war, falsch oder irrelevant für den Designprozess ist. Das Konzept schrittweiser Verbesserungen und ein Verständnis für Geschichte scheinen nebensächlich. Doch wie in der Natur führen kleine Schritte immer zu einem realistischeren und weltbezogenerem Gefühl. In unserem Büro machen wir nach wie vor alles, was wir konzipieren, zunächst aus Karton, Plastik, was immer sich dafür eignet. Wir wissen, dass der Großteil unserer Arbeiten sich mit Dingen befasst, die in irgendeiner Weise mit der Hand bedient werden. Wenn man sich nur auf den Computer verlässt, besteht mitunter die Tendenz, das Design sehr ausdrucksstark zu machen, weil die Möglichkeit dafür gegeben, dem Werkzeug inhärent ist. Der Computer ist wichtig, kann aber nur einen Sinn ansprechen – den visuellen. Es ist äußerst schwierig, sehr einfache und anmutige Dinge auf dem Computer zu machen, weil das Leuchten des Bildschirms per se bereits ausdrucksstark ist. Wenn man etwas aus Karton macht, ist es leichter, die Form und die Einfachheit zu beurteilen – es bedarf keiner Vorstellung, der Gedanke selbst darf Form annehmen.

Aus dem Englischen von Martina Bauer