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Ein Laptop pro Kind


'Walter Bender Walter Bender

In einem Vortrag am MIT Ende der 1990er-Jahre meinte Bill Buxton, die Herausforderung bei der Gestaltung von Benutzerschnittstellen läge darin, die wachsende Kluft zwischen der – nach Buxtons Gesetz exponenziell wachsenden – Komplexität der Welt und dem – seiner Meinung nach linear steigenden – menschlichen Vermögen zur Bewältigung von Komplexität (Gottes Gesetz) geschickt zu überbrücken. Gutes Design soll sowohl Komplexität reduzieren als auch Interaktion fördern.

Während sich unschwer argumentieren lässt, dass Design benutzerzentriert sein sollte, ist Einfachheit nicht unbedingt wünschenswert: Komplexität macht das Leben erst lebenswert und ist oft das eigentliche Ziel vieler Handlungen. Selten wollen wir einen einfachen Wein, nie einfache Gemüter.

Problematischer ist Buxtons Beschreibung des Gesetz Gottes. Darwinisten (und Kreationisten) würden bejahen, dass die Steigung der menschlichen Evolutionskurve auf null zugeht oder bereits dort angelangt ist. Diese kurzsichtige Lesweise lässt eine grundlegende menschliche Eigenschaft außer Betracht: Menschen lernen. Nur durch Lernen kann die Menschheit nach Komplexität streben.

Eliot Soloway spricht sich für ein lernerzentriertes Design aus, bei dem die besonderen Bedürfnisse von Lernenden berücksichtigt werden. Soloways Sichtweise und nicht Buxtons Vorstellungen inspirieren die Grundprinzipien von One Laptop per Child (OLPC), einer Initiative, die Schulkindern in Entwicklungsländern Laptops mit integriertem Internetanschluss zur Verfügung stellen möchte.

Neben der menschlichen Lernfähigkeit macht sich OLPC zwei weitere menschliche Eigenschaften zu Nutze: die Ausdrucksfähigkeit und das menschliche Bedürfnis nach Gesellschaft. Wir entwerfen eine „Ausdrucksmaschine“, die zwei Grundfunktionen hat: Gestalten und Teilen. „Konstruktionismus” steht für uns im Vordergrund: Lernen durch Tun. Um Lernen zu fördern, wird Tun forciert. Der Laptop verfügt deshalb über verschiedene Programme zur Textverarbeitung, Musik- und Grafikbearbeitung.

Wir sind davon überzeugt, dass der Laptop auch ohne unser Zutun zur Weitergabe von Informationen genutzt werden wird: Das erste englische Wort, das Kinder in einem unserer Pilotprojekte in Kambodscha lernten, war „Google”. Sicher ist auch, dass der Computer zur Kommunikation zwischen den Kindern einerseits und den Lehrern andererseits genutzt wird. Die Schnittstelle vermittelt eine Art ständiger Präsenz: Sie verfügt über eine Chatfunktion und eine Sprachausgabe für alle Aufgaben.

Unser Ziel ist es, dass die Kinder sich Wissen aneignen. Alle Bücher und Dokumente, die sie herunterladen, sind in einem Wiki gespeichert, in dem die Kinder Kommentare, Gedanken, Bilder, ergänzen können. Ihr eigenes schöpferisches Schaffen wird ebenfalls im Wiki gespeichert: So hat die Gemeinschaft Zugriff und wird zu Kritik und Reflexion eingeladen.

Da es sich um ein Projekt für Kinder handelt, haben wir uns für eine Open-Source-Software entschieden, da diese den Kindern die Möglichkeit bietet, im wahrsten Sinn des Worts vom Gerät „Besitz“ zu ergreifen. Zwar erwarten wir nicht, dass jedes Kind zum Programmierer wird, doch wollen wir jenen Kindern, die nach Komplexität streben, keine Grenzen auferlegen. Aus dem gleichen Grund verwenden wir Open-Document-Formate: Transparenz bietet vielfältigere Möglichkeiten als Einfachheit. Die Kinder und ihre Lehrer können Software, Hardware und Inhalte neu gestalten, an ihre Bedürfnisse anpassen und innovativ nutzen.

Beim mechanischen Design des Laptops hat Sicherheit für uns oberste Priorität. Das Team von Fuse Project hat die Ecken des Laptops abgerundet und ihm ein auffälliges, farbenfrohes Design verpasst. Aufgrund seines geringen Gewichts (unter 1,5 kg) und dank des für Kinderhände dimensionierten Tragegriffs ist er leicht transportabel. Das Gerät enthält keine gesundheitsgefährdenden Stoffe und entspricht der RoHS-Richtlinie.(1)

Da angenommen wird, dass der Laptop in einer raueren Umgebung als herkömmliche Bürocomputer genutzt wird, ist er besonders robust: Es gibt keine zerstörbare Festplatte und nur wenige eingebaute Kabel – ein weitere Fehlerquelle bei vielen herkömmlichen Laptops. Der Laptop hat ein 2-Millimeter-Plastikgehäuse (um mehr als 50 Prozent dicker als das vieler kommerzieller Laptops). Die I/O-Ports sind außen und innen geschützt. Der Laptop verfügt weiters über eingebaute „Stoßdämpfer“, die den Bildschirm schützen, und einen weichen zusätzlichen Stoßdämpfer zum Schutz vor Erschütterungen. Die versiegelte Gummi-Tastatur hält Staub und Feuchtigkeit ab.

Die Tastatur hat einen speziell für Kinderhände kleineren Tastenabstand und leichteren Anschlag als herkömmliche Tastaturen. Der Laptop hat außerdem ein besonders großes Touchpad zum Zeigen, Zeichnen und Schreiben, das in zwei Modi betrieben werden kann (kapazitiv durch Berührung mit den Fingern und resistiv mittels Stift zur Schrifteingabe). Weitere Merkmale sind ein eingebautes Mikrofon und Stereolautsprecher, während der externe Mikrofoneingang auch als analoger Sensoreingang fungiert, sodass Geräte wie ein Oszilloskop angeschlossen werden können. Als weitere Funktion für Spiele hat der Laptop auch zwei Cursor-Kontrollpanels. Drei USB-2.0-Ports dienen als Erweiterungsanschlüsse.

Der 7,5-Zoll-Dual-Mode-TFT-Bildschirm des Laptops ist an einem drehbaren Schanier montiert; im Buchmodus können E-Bücher gelesen, im Laptopmodus Computerarbeiten durchgeführt werden. Mit einem Kontrastverhältnis von 8:1 und einer Auflösung von 1200 x 900 Pixel im Reflektivmodus kann sich das Gerät auch bei grellem Sonnenlicht mit Technologien wie E-Ink messen. Im Transmissivmodus wird es durch die Hintergrundbeleuchtung zu einem Vollfarbdisplay.

Dank der integrierten WLAN-Mesh-Netzfunktion können die Kinder auch bei fehlendem Internetzugang lokal eine schnelle, zuverlässige Verbindung untereinander aufbauen. Die Peer-to-Peer-Diensterkennung ermöglicht den Kindern, miteinander zu chatten, zu kommunizieren oder Inhalte auszutauschen, auch wenn sie nicht auf Internetdienste wie Google und Skype zugreifen können. Wenn die Kinder ihre Laptops nicht verwenden, fungieren diese als Router und erhöhen so die Stabilität des Mesh-Netzes.

Der Laptop wird mit einem NiMH-Akku (2000 Ladezyklen) betrieben, die Stromversorgung kann aber auch über einen manuellen Antrieb erfolgen, da die Geräte in Gegenden zum Einsatz kommen, in denen es keine oder eine nur unzureichende Stromversorgung gibt. Es können verschiedene Möglichkeiten zur Stromversorgung durch manuellen Antrieb genutzt werden, und der Rechner wird vermutlich auch an lokale Stromerzeugungssysteme angeschlossen werden: NiMH-Akkus vertragen eine größere Bandbreite unterschiedlicher Spannungen als Lithium-Akkus. Es gibt sogar Hinweise dafür, dass verschiedene Netzspannungen die Lebensdauer des Akkus verlängern.

Ein manueller Antrieb garantiert eine erhöhte Energieeffizienz: Der Laptop verbraucht ein Zehntel des Stroms, den herkömmliche Geräte benötigen. Dies resultiert in einer längeren Lebensdauer des Akkus und einer erwarteten Betriebszeit von zehn Minuten pro Minute Stromerzeugung. OLPC baut keinen „einfachen”, „billigen“ Computer für Kinder. Billig ist eine notwendige Spezifikation, da wir Kinder in Entwicklungsländern mit Laptops versorgen wollen. Billig allein ist jedoch nicht genug: Der Rechner muss lernerzentriert sein. Unser Ziel ist es, jedem Kind die Möglichkeit zu geben, Neues auszuprobieren, damit zu experimentieren und den eigenen Gefühlen Ausdruck zu verleihen. Auf keinen Fall unterschätzen wir das Bedürfnis und die Fähigkeit von Kindern, sich an der „Kunst der Komplexität“ zu beteiligen.
http://www.laptop.org
Aus dem Englischen von Sonja Pöllabauer

(1)
Anm. d. Ü.: EU-Richtlinie zur Beschränkung der Verwendung bestimmter gefährlicher Stoffe in Elektro- und Elektronikgeräten.zurück