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Ars Electronica 2006
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Festival 1979-2007
 

 

Wenn die Neuen Medien nicht mehr neu sind und jeder etwas im Internet macht
Über Plattformen und Kunst

'Olga Goriunova Olga Goriunova

Einfachheit ist schlimmer als Diebstahl.
Russisches Sprichwort


Mein Ausgangspunkt ist das Thema der diesjährigen Ars Electronica – Einfachheit. Was heißt das heute und warum ist Einfachheit 2006 von grundlegender Bedeutung für die Neue Medien-/Kommunikations-/Cyber-/Digital-Kunstavantgarde? Das Thema ist gut, alt und kommt nicht unerwartet. Schließlich ging es schon bei der Transmediale 2005 um Basics!

Die Ars-Electronica-Themen der letzten zehn Jahre haben, soweit ich das beurteilen kann, stets das jeweilige Szenegeschehen widergespiegelt: CODE, The language of our time 2003, im Jahr der Softwarekunst; Unplugged, Art as the Scene of Global Conflicts 2002, im Jahr des Glaubens an politisch engagierte Kunst und aktivistische Projekte, bevor dann der Irakkrieg diesen Glauben zerstörte; eine ganze Reihe von Themen zu Gender, Körper und Sexualität, die die Diskurse der späten 1980er und 1990er Jahre zusammenfassten (Memesis, The Future of Evolution, 1996; Fleshfactor, 1997; LifeScience, 1999; Next Sex, 2000); und Welcome to the Wired World 1995, parallel zum Aufstieg der WWW-Technologie und der Netzkunst.

Was steckt also heute hinter einem Thema wie Einfachheit? Einfachheit heißt Authentizität. Ist das ein Krisenzeichen? Was tut man, wenn man sich in einer Krise befindet? Man greift auf die einfachen, grundlegenden Dinge zurück, die angeblich nie falsch sind. Das ganze letzte Jahr über ist von einer Krise der Medienkunst geredet und geschrieben worden. Im Sommer und Herbst 2005 wurde zum Beispiel auf der Spectre-Mailinglist über die Schließung und Verkleinerung von Medialabs in der gesamten entwickelten Welt diskutiert,(1) zahlreiche Texte und Besprechungen widmeten sich der Beschreibung und Analyse der im Gang befindlichen Veränderungen.(2)

Ich möchte mir diese Dinge vom Standpunkt der „Einfachheit“ aus ansehen. Einfach heißt authentisch, wahr, grundlegend sein. Einfachheit blendet nicht und macht keine Fehler. Einfachheit lässt sich nicht fälschen. Sie ist gewissermaßen ein Synonym für das „unverfälschte Leben“, die Verfahrensweise der „Natur“ und das, was „man“ tut.

Und hier ist der Schlüssel. Was macht man heute mit der Kommunikationstechnologie? Man bloggt, man schreibt Beiträge für Enzyklopädien, man tauscht Fotos und Videos aus, man vereinbart Rendezvous und unterhält Beziehungen mit Freunden, man bookmarkt gemeinsam, man verlinkt, man broadcastet, man mappt. Und das alles Tag für Tag und – ich meine das nicht ironisch – ohne (Medien-)Künstler und Institutionen.

In ihren Anfängen waren Internet, WWW und Neue Medien ein Habitat für Wissenschaftler, Programmierer und Künstler. Heute, mit den sinkenden Kosten für Technik und Bandbreite, mit der weiten Verbreitung mobiler Geräte, erleben wir eine „Vermassung“ des Internet und der Kommunikationstechnologie im Allgemeinen. 2005 überschritt die Zahl der Internetnutzer auf der Welt die Milliardengrenze.(3)

Wenn es eine Krise in der Medienkunst gibt, so auch deshalb, weil man Künstler nicht mehr als Begleiter oder Gestalter bei der Medienerfahrung benötigt. Wie der zum beliebten Slogan gewordene Buchtitel Die Weisheit der Vielen(4) zeigt, sind die Massen, im Gegensatz zu ihrem bisherigen Verständnis, weise geworden. Punkt. Wozu sollten sie noch jemand anderen brauchen?

Heutzutage wird jeder zum Content-Produzenten. Die Menschen sind kreativ: Sie schreiben Tagebücher, machen Fotos, verfassen Kommentare. Es gibt Plattformen für die Publikation und Verwaltung aller möglichen von Nutzern geschaffenen Inhalte. Es gibt offene Enzyklopädien, Friend-of-a-Friend-Netzwerke, Social-Bookmarking-Sites, Gruppen bildende Netzwerke, Foto- und andere Blogs, Tools für das gemeinsame Erstellen von Landkarten, sonstige Visualisierungen oder Sonifizierungen, ganz zu schweigen von den diversen digitalen Produktdepots.

Orkut, ein soziales Netzwerk zum „Knüpfen von Freundschaften“ in der Art von Friendster, FaceBook oder MySpace erreichte 2004, nur ein halbes Jahr nach Inbetriebnahme, zwei Millionen Benutzer. Bekannt ist, dass rund 70 Prozent davon Brasilianer sind.(5) In Brasilien – so die Erklärung der brasilianischen Künstlerin Giselle Beiguelman – ist es für Teenager sicherer, sich online zu treffen als außer Haus.

Das Blogging-Service LiveJournal hat im russischen Teil des Internet eine ganz spezielle Aura. Einige Wissenschaftler halten Blogging für eine neue Form des Journalismus und das Kommentieren von politischen Nachrichten für die Haupttätigkeit von Bloggern.(7) Anderen zufolge ist der typische Blog eine Sache weiblicher Teenager und Halbwüchsiger.7 Das russische LiveJournal (das Blogging-Service ist mittlerweile ein Synonym für Bloggen im Allgemeinen) wurde, wie Jewgenij Gorny gezeigt hat, anfangs vorwiegend von männlichen Freiberuflern, u. a. Internetarbeitern, Journalisten, Schriftstellern, Philosophen und Künstlern frequentiert. So kam es, dass LiveJournal in Russland „die Aura eines Tummelplatzes für Intellektuelle“ annahm.(8) Das russische LiveJournal ist zu einer mit den offiziellen Medien konkurrierenden Nachrichten- und Informationsquelle geworden, zu einer Plattform für Politiker, Schriftsteller, Wissenschaftler, Kritiker, zu einem Diskussionsforum und Sozialisationsmedium. Überdies hat das russische LiveJournal auch häufig Offline-Meetings etwa für seine in Moskau ansässigen Benutzer organisiert.

Hier noch ein geospezifisches Faktum über die Macht von Bloggern. Eine der bekannten LiveJournal-Kampagnen war die Anti-Barbie-Kampagne von 2005. Sie bezog sich auf einen Online-Wettbewerb für das schönste russische Mädchen,(9) zu dem alle ihr Profil einreichen und sich zur Abstimmung stellen konnten. Das Mädchen mit dem meisten Stimmen sollte an der Wahl zur Miss Universum teilnehmen. Kurz nach Beginn des Wettbewerbs fand ein LiveJournal-Nutzer unter den Einreichungen zum Wettbewerb das Profil eines Mädchens, das den „Barbie“-Kanon von 90-60-90 sprengte. Innerhalb weniger Tage wurde eine große Wahlkampagne für sie auf die Beine gestellt, und als Alena Pisklova mit 10.000 Stimmen ins Semifinale einzog, musste der Veranstalter des Wettbewerbs erklären, sie könne Russland in der Wahl zur Miss Universum nicht vertreten, weil sie erst 15 sei.

Werfen wir einen Blick auf das Erstellen von Landkarten, so finden wir Projekte, die von der Annotierung von Google-Karten, dem Einfügen von nichtkommerziellen Daten oder Statistiken in existierende Google-Karten, über solche, die Wikipedia mit der Erstellung von Karten verknüpfen, bis hin zur vollkommenen Neuentwicklung von Karten mittels GPS-Geräten reichen. Wikimapia, OpenStreetMap, GlobeFeed oder Tagzania sind nur einige solcher Plattformen. Mit Tagzania zum Beispiel werden so ganz neue Karten erstellt wie ein Da-Vinci-Code-Führer für Paris oder eine Aufzeichnung von Polizeieinsätzen.

MapOMatix, eine gemeinschaftliche Open-Source-Umgebung zum Erstellen und Editieren von Landkarten, ist ein psychogeografisches „Geo-Wiki“ oder, genauer gesagt, ein Tool für tactical mapping. „In Zeiten, da man in Echtzeit Angst beobachten kann“, schreiben die Entwickler, „da zentralisierte und kontrollierte Instanzen mit Ort- und Zeitangaben versehene Informationen verbreiten – Angaben, die zwar auf Satellitendaten beruhen, aber einen von den großen Telekommunikationsfirmen kontrollierten Weg durchlaufen –, scheint das Bedürfnis nach einem Werkzeug zu bestehen, das auf der exakten Negation dieser Merkmale beruht und eine Grenze zwischen Service-Providern und selbst organisierten Gruppen von Individuen zieht.”(10) GPS, das Kartografieren nicht nur physischer Elemente, sondern auch menschlicher Praktiken und zwischenmenschlicher Beziehungen, ein nicht zentralisierter, horizontaler Austausch, der keine Verwendung kostspieliger Technologie impliziert – das sind die Elemente, für die sie sich entschieden haben.

All die oben erwähnten Dinge decken nur einen kleinen Teil heutiger Useraktivitäten im Internet ab. Nicht genannt habe ich zum Beispiel das gemeinsame Nutzen von Musik,(11) den Aufbau halbprofessioneller und professioneller Communities zu digitaler Fotografie,12 VJ-ing13 oder den Austausch von Links.(14) Und auch auf das Wunder der in diesem Text etliche Male erwähnten Wikipedia bin ich nicht näher eingegangen. Die von Manifestationen digitaler Folklore und wohl überlegter Alltagspraktiken (im Sinn von De Certeau(15)) zu Möglichkeiten der Professionalisierung und Bildung reichende Palette sozialer Medienplattformen ist ungeheuer breit.

Die Geschichte einiger dieser Tools und Aktivitäten gehen zum Teil auf die Praktiker der frühen Netzkunst und Medienkunstpraktiken im Allgemeinen zurück.(16) Der Ursprung heutiger Blogs und Fotoblogs ließe sich in Online-Tagebüchern und Berichten wie Kathy Rae Huffmans and Eva Wohlgemuths Siberian Deal-Projekt von 1995 suchen, das aus „Text- und Bilddateien“ bestand, „die von unterschiedlichen Orten auf Reisen regelmäßig an den Mayordomus Chrono Popp in Wien gesandt wurden, der … die Information … an den Online Report weiterleitete“, so dass „die Betrachter die Reise mitverfolgen, interagieren …, und (die Autoren) … auf deren Fragen und Bemerkungen reagieren konnten“.(17) Ein weiteres Beispiel von 1995 ist Heath Buntings Kartografieprojekt Visitor’s Guide to London,(18) das eine alternative Sightseeing-Tour offeriert.

Micromusic, eine Plattform für 8-bit-Musik, wurde von einem früheren Mitglied der Gruppe etoy mitaufgebaut, die mit etoy – The Hijack Project(19) 1996 die Goldene Nica in der Kategorie World Wide Web gewann.

Plattformen werden aber nicht nur vor Künstlern und Technikern geschaffen. Auch Firmen kaufen bestehende Plattformen oder schaffen neue. Das 1999 von einem idealistischen Studenten auf Open-Source-Software aufgebaute LiveJournal war ein unabhängiges Projekt, ehe es im Januar 2005 von Six Apart (einem der größten Blog-Provider) gekauft wurde, dem auch das weiter unten erwähnte TypePad gehört. Orkut und andere Plattformen geben ihn ihrem Copyright-Statement an: „Mit dem Einreichen, Posten oder Ausstellen von Materialien auf oder durch Orkut überlassen Sie uns automatisch das weltweite, nicht-exklusive, unterlizenzierbare, übertragbare, tantiemenfreie, dauerhafte und unwiderrufliche Recht, alle diese Materialien zu kopieren, vertreiben, weiterzuverarbeiten, öffentlich aufzuführen und auszustellen.”(20)

Und schließlich gibt es Ankündigungen zum neuen Windows Live™, einer Plattform, die ein Set persönlicher Internetdienste und verschiedener Softwaren vereint: Suche, E-Mail, Instant Messaging, File- und Foto-Sharing, Internet-Telefonie und viele andere Funktionalitäten.(21)
Ferner gibt es einen Trend namens Moblogging (mobiles Weblogging), das Betreiben eines Internet-Blogs durch Posten von Fotos und Kommentaren mittels Handy oder PDA.

Nokia zum Beispiel stattet seine Mobiltelefone mit Software wie Lifeblog aus, die sämtliche mit dem Handy produzierten Informationen, einschließlich SMSs, Fotos und Videos archiviert und, wie es in einem offiziellen Moblogging-Leitfaden(22) von Nokia heißt, „Ihre digitalen Medien automatisch zwischen Mobiltelefon und PC so organisiert, dass sie Ihre Bilder und Nachrichten ansehen, durchsuchen, editieren und mit anderen teilen können.“ Derartige Blogs werden von Diensten wie Typepad online publiziert.
Was einem dabei, abgesehen von der immer heißer werdenden Frage der Überwachung, in den Sinn kommt, ist die Akteur-Netzwerk-Theorie,(23) die sich von einem akademischen Konzept zu einem wesentlichen Element kapitalistischer Unternehmen gewandelt hat. Wie Victor Pelevin, ein russischer Autor, dazu bemerkt hat: Wer Alpinski kauft, zahlt auch für den Schnee.
Wer ein Handy mit Software für Moblogging kauft, kauft und unterstützt auch eine bestimmte Kultur. Die Arbeit an der populären Idee des Moblogging ist für Nokia und vor allem seine Verkaufsabteilung ebenso wichtig wie die Arbeit des Handy-Chefkonstrukteurs. Das Moblogging sorgt dafür, dass die Funktionen des Geräts genutzt werden und sich die Handys verkaufen. Technische und kulturelle Produktion gehen Hand in Hand. Mit dem Betrieb eines Weblog wird man genauso Teil des kapitalistischen Produktionskreislaufs wie mit der Konstruktion des Handys selbst.

In letzter Zeit sind über das Bloggen und andere Internet-Aktivitäten eine ganze Reihe von Büchern erschienen und Begriffe und Mythen aufgekommen.(24) Aber der relevanteste Begriff, wenn man heute über diese Dinge spricht, ist wohl der der immateriellen Arbeit.
Der Begriff kommt aus der marxistischen Debatte über die postfordistische Produktion. Als Schlüsselfiguren dieser Debatte lassen sich italienische Denker wie Maurizio Lazzarato, Paolo Virno und Tiziana Terranova anführen.

Arbeit produziert keine materiellen Güter mehr; sie entsteht durch die Verknüpfung von Menschen und Technologie und findet häufig außerhalb der offiziellen Arbeitswelt in der Freizeit statt. Die Mehrwertproduktion hängt, wie Tiziana Terranova erklärt, von der Expansion der Waren ab, von „informationsintensiven Waren … (die) nicht im Konsumakt zerstört werden, sondern … fortbestehen und als Ereignisse nachhallen, die imstande sind, die sinnliche Basis der Subjektivität zu verändern“.(25) Die Produktion von Reichtum hängt also von der Subjektivitätsproduktion ab, von kultureller Produktion, die auf der Nutzung der gesamten Lebenszeit basiert. Für Terranova ist dies „ … ein sozialisierter Reichtum, der sich nicht in Geld messen lässt, sondern im Intensitätswert von Beziehungen, Emotionen, Ausdrucks- und Lebensformen liegt.“(26)

In dieser Wirtschaftsform rückt die prekäre Kulturproduktion ins Zentrum. Für Virno erzieht die Kultur zu Prekarität und Variabilität,(27) sie ist die Triebfeder der Innovation. Für Marazzi trägt die Kulturproduktion dazu bei, potenzielle soziale Bedürfnisse der Zukunft zu erkennen. Für Terranova bietet die Kultur ein neues Produkt an – ein Produkt, das „eher einem Kunstwerk als einem materiellen Konsumartikel gleicht.”(28) Arbeiter experimentieren wie Künstler und verändern so die Subjektivität. Immaterielle Arbeit fühlt sich eher wie Kunst an. Immaterielle Arbeit ist paradox, insofern ihr sowohl ein Emanzipationspotenzial als auch das Potenzial zur Intensivierung der Ausbeutung innewohnt.

Terranova schreibt: „Dieser Modus kündigt auch die Entstehung neuer Kontroll- und Subjektivierungsmechanismen an, die im Dienst der gesellschaftlichen Reproduktion und der Mehrwertproduktion wieder hierarchische Verhältnisse einführen. Es handelt sich hierbei um Momente, die einen Umschlag qualitativer, intensiver Differenzen in quantitative Tausch- und Äquivalenzverhältnisse bewirken; die das offene, sich versprühende Potenzial kultureller Produktion in differenzielle Hierarchien einzwängen; die den Lohn der von größeren sozialen Verbänden geleisteten Arbeit akkumulieren …”(29)

Begreifen wir alle, welchen Ort unsere Plattformen, Nutzer und Konzerne in diesem Bild einnehmen? Um nun auf die Medienkunst und die Einfachheit zurückzukommen, möchte ich abschließend ein optimistisches Bild offener, nicht den neuen Kontrollmechanismen unterworfener Plattformen zeichnen, geschaffen von Leuten wie uns, Leuten, die nicht so leicht zur Ware werdende künstlerische Arbeiten machen, Leuten, die eine Veränderung der kulturellen Landschaft bewirken – mit einer Anleitung zum Selbermachen.

Es handelt sich dabei um relativ kleine Plattformen, die mit Datenbanken, Abstimmungssystemen, Blogging-Tools, Kommentarthreads, kleinen Chats, Hitlisten und anderen Mitteln arbeiten. Das Wichtigste dabei ist, dass man eine Idee hat. Wenn es eine gute Idee, eine Inspiration, eine gemeinsame Ideologie gibt, die Plattform offen für Veränderungen ist und eine relativ kleine engagierte Gruppe von Teilnehmer-Administratoren besitzt, dann kann sie wunderbare Ergebnisse zeitigen.

Ich habe an anderer Stelle eine Analyse dreier Plattformen kopubliziert, von denen zwei zum Teil von (Medien-) Künstlern geschaffen wurden: Micromusic.net (ein Label und eine Community, die sich auf 8-bit-Musik spezialisiert und allgemeine Anerkennung als ein Kulturphänomen genießt), Runme.org (ein Softwarekunst-Depot, das nach Ansicht von uns Koproduzenten dazu beigetragen hat, dass Softwarekunst zu einer offeneren und interessanteren Angelegenheit wurde, als sie es hätte sein können) und Udaff.com (eine russischsprachige Literaturplattform, die es geschafft hat, einen eigenen „Literaturtrend“ zu etablieren).(30) Hier ließen sich auch das früher erwähnte MapOMatix und viele andere anführen.

Lassen Sie mich kurz die Gründe für deren Erfolg rekapitulieren. Solche Plattformen entstehen als Reaktionen auf die Entwicklung einer bestimmten Praxis, auf die sie sich spezialisieren. Sie werden schnell von einigen wenigen Enthusiasten eingerichtet, was sich dank moderner Technologie leicht bewerkstelligen lässt, und werden stets moderiert. Plattformen müssen offen und anpassungsfähig sein, sie müssen in der Lage sein, sich je nach den Bedürfnissen und Erfordernissen einer kulturellen Praxis und der sozialen Gruppen, mit denen sie arbeiten, zu verändern. Sie akkumulieren eine beträchtliche Anzahl kreativer Produkte, die ihrerseits neue Menschen anziehen. Plattformen versprechen oft neue Formen der Bildung, des Wissensaufbaus, schöpferischer Arbeit und eine ermutigende soziale Umgebung und dienen als Modelle für die Entfaltung einer kreativen Betätigung. Mit Graswurzelpraktiken in den „Grauzonen“ kultureller Produktion operierend, können solche Plattformen signifikante künstlerische und kulturelle Phänomene hervorbringen.

Signifikant ist dabei nicht, welche Form eine Plattform hat, ob es sich um einen Blog, eine Datenbank oder ein Wiki handelt. Wenn es einen gemeinsamen ästhetischen, sozialen und politischen Horizont gibt, wenn das Bedürfnis erkennbar ist, an einem Wissensbereich oder einem Kunstwerk zu arbeiten, dann ist eine Gruppe in der Lage, die Daten mittels ähnlicher, wenngleich immer noch recht unterschiedlicher Administrations-, Abstimmungs-, Wertungs-, Kommentar-, Verlinkungs- und Editiertechniken zu filtern und zu formen und so die Praxis auf eine andere kulturelle Ebene zu heben. Gleichwohl ist eine solche Plattform oder eine Ecke einer größeren Plattform immer noch sehr verschieden von den früher beschriebenen populären Räumen.
Der Traum der Netzkünstler ist wahr geworden: Man kann seine kreativen Arbeiten ohne Institutionen und Unternehmen austauschen; man kann zusammenarbeiten, kommunizieren; man kann Kunst machen; es gibt jetzt die Technologie dazu. Wir sollten nur auf der Hut sein.
Ist das Einfachheit? Möglicherweise. In Russland sagt man: „Geniales ist simpel“. Wahrscheinlicher ist aber, dass es komplex ist.

Aus dem Englischen von Wilfried Prantner

(1)
Vgl. die Threads „ART iT article: Is the ICC (Tokyo) closing?“, „the media art center of 21 c“ auf:
http://coredump.buug.de/cgi-bin/mailman/listinfo/spectrezurück

(2)
Z. B. Armin Medoschs Besprechung der Transmediale: Good Bye Reality! How Media Art Died But Nobody
Noticed at: http://www.mazine.ws/node/230zurück

(3)
Vgl. http://www.c-i-a.com/pr0106.htmzurück

(4)
James Surowiecki, Die Weisheit der Vielen, C. Bertelsmann, München 2005 zurück

(5)
Vgl. http://en.wikipedia.org/wiki/Orkutzurück

(6)
J. D. Lasica, „Blogging as a form of journalism“, in: USC Annenberg Online Journalism Review, May 24, 2001 http://www.ojr.org/ojr/workplace/1017958873.phpzurück

(7)
Perseus Blog Survey: http://www.perseus.com/blogsurvey/index.htmlzurück

(8)
Eugene Gorny, „Russian LiveJournal. The Impact of Cultural Identity on the Development of a Virtual Community“, in: Henrike Schmidt, Katy Teubener, Natalja Konradova (Eds.): Control + Shift. Public and Private Usages of the Russian Internet. Norderstedt: Books on Demand 2006. Online bestellbar bei:
http://www.ruhr-uni-bochum.de/russ-cyb/library/texts/en/control_shift/control_shift.htm zurück


(9)
http://www.miss.rambler.ru/ zurück

(10)
„PGS versus GPS: On Psycho/Subjective Geographic Systems“ by elpueblodechina dialoguing with yves degoyon (MapOMatix) in: Olga Goruinova (Hrsg.) Readme 100. Temporary Software Art Factory, Norderstedt: Books on Demand 2006. Bestellbar bei: http://mapomatix.sourceforge.net/mapOmatix-3.pdf zurück

(11)
http://micromusic.netzurück

(12)
http://fotokritik.ru/zurück

(13)
http://vjcentral.com/zurück

(14)
http://listible.comzurück

(15)
Michel de Certeau, Kunst des Handelns, Berlin: Merve 1984

(16)
Für eine ausgezeichnete Darstellung der Geschichte des Blogs vgl. den Wikipedia-Eintrag “blog”:
http://en.wikipedia.org/wiki/Blog zurück

(17)
http://nr00226.vhost2.sil.at/siberian/vrteil.htmzurück

(18)
Etwas Dokumentationsmaterial findet sich immer noch unter: http://www.irational.org/heath/london/ zurück

(19)
Siehe: http://www.etoy.com/ zurück

(20)
http://en.wikipedia.org/wiki/Orkut zurück

(21)
http://www.microsoft.com/presspass/press/2005/nov05/11-01PreviewSoftwareBasedPR.mspxDank an Mercedes Bunz für diesen Link. zurück

(22)
http://europe.nokia.com/BaseProject/Sites/NOKIA_MAIN_18022/CDA/ApplicationTemplates/About_Nokia/Content/_Static_Files/moblogbackgrounder.pdfzurück

(23)
Die Akteur-Netzwerk-Theorie wurde vor allem von Bruno Latour, Michel Callon und John Law entwickelt; sie wird dazu verwendet, technologische Produkte, Ereignisse und Produktionen als strukturelle Komponenten
zu erklären, die auf ein bestimmtes Ergebnis hin zusammenwirken. Solche Komponenten können wissenschaftliche Tatsachen, Aufgaben, menschliche Beziehungen, wirtschaftliche Faktoren usw. sein, die herkömmlicherweise von der Reflexion über Technologie und Gesellschaft ausgeschlossen sind. zurück

(24)
Vgl. Howard Rheingold, Smart Mobs: The Next Social Revolution, 2003, Basic Books. zurück

(25)
Tiziana Terranova, „Of Sense and Sensibility: Immaterial Labor in Open Systems“, in: Joasia Krysa (Hrsg.) Curating Immateriality, Data Browser 03, Autonomedia 2006, S.28 zurück

(26)
Ibid., S.29 zurück

(27)
Paolo Virno, A Grammar of the Multitude, Semiotext(e) 2004. zurück

(28)
Tiziana Terranova, ibid. zurück

(29)
Ibid., p.33 zurück

(30)
Olga Goriunova, Alexei Shulgin, „From Art on Networks to Art on Platforms“, in: Curating Immateriality, op. cit. zurück