Re-Defining Public Service
Was ist Public Value und was haben Community-Medien damit zu tun?
' Radio FRO
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'Veronika Leiner
Veronika Leiner
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'Alexander Baratsits
Alexander Baratsits
Die viel beschworene Kulturrevolution der letzten zehn Jahre hat insbesondere im Bereich von medialer Informationsvermittlung und den Möglichkeiten der aktiven Meinungsäußerung völlig neue Voraussetzungen geschaffen. Die Entwicklung von – grundsätzlich interaktiv angelegten – Netzmedien (Weblogs, Wikis etc.) hat gleichzeitig mit dem Informationsangebot auch die Komplexität einer immer differenzierteren Medienwelt potenziert. Zugleich haben sich bemerkenswerter Weise auch „alte“ analoge Technologien als Instrumente zivilgesellschaftlicher Vernetzung und alternative Medien- und Kulturproduktionsstätten wieder verstärkt durchgesetzt: Community-Radio und -TV erleben erneut einen weltweiten Aufschwung.
In einer veränderten Medienwelt muss aber auch die Diskussion um den öffentlich-rechtlichen Auftrag neu geführt werden, den ein Gros westlicher Demokratien an Rundfunkanstalten vergibt und öffentlich – vor allem aus Gebührengeldern – finanziert: Der EG-Vertrag1 etwa setzt für die Erteilung eines „öffentlich-rechtlichen“ Auftrags eine Tätigkeit voraus, die im Interesse der Allgemeinheit erbracht wird; im Sinn des Amsterdamer Protokolls zum EG-Vertrag können nur solche Aktivitäten Bestandteil des öffentlichen Auftrags sein, die den demokratischen, sozialen und kulturellen Bedürfnissen der Gesellschaft dienen und dazu beitragen, den Pluralismus in den Medien zu wahren.(2)
Der Auftrag, den partizipative, auf einen kommunikativen, nicht ökonomischen Mehrwert ausgerichtete Community-Medien erfüllen, unterscheidet sich strukturell wesentlich vom Auftrag traditioneller öffentlich-rechtlicher Rundfunkanstalten wie dem ORF, der RAI oder der „Mutter aller öffentlich-rechtlichen Anstalten“, der BBC: Während ihnen ein expliziter staatlicher Informations-, Bildungs- und Kultur-Auftrag erteilt wird, den wahrzunehmen sie sich in einer zunehmend kommerzialisierten Medienlandschaft immer schwerer tun, erteilen sich Alternativ- und Community-Medien explizite Selbstaufträge im öffentlichen Interesse. Sie sind Medien, die allen zur Artikulation ihrer Meinung offen stehen und die dadurch die aktive Produktion von Meinungen und deren Äußerung in den Vordergrund stellen, nicht lediglich den Konsum von Information. Damit sind sie diejenigen Medien, die durch den Offenen Zugang (Public Access) wesentlich die im Artikel 10 der Europäischen Menschenrechtskonvention verankerte aktive Meinungsäußerungsfreiheit gewährleisten. Der Staat ist nach ständiger Rechtssprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EuGHMR) und des Europäischen Gerichtshofs (EuGH)(3) dazu verpflichtet, die Verwirklichung dieser Freiheit aktiv zu unterstützen.
Aus dieser Perspektive scheint unbestreitbar, dass Community-Medien – wie insbesondere die Freien Radios oder Community-TV, die nach dem Public-Access-Prinzip arbeiten – einen spezifischen öffentlich-rechtlichen Auftrag erfüllen, den kein anderes (Rundfunk-)Medium zu erfüllen imstande ist. Die demokratiepolitische Relevanz und die politisch-partizipative Aktivierung von Menschen durch Public-Access-Medien wird denn auch immer weniger angezweifelt; die Leistungen von Community-Medien für die gesellschaftliche Integration (medial) marginalisierter Gesellschaftsgruppen, für die Promotion lokaler und regionaler Kunst- und Kulturproduktion oder in der regionalen Entwicklung ländlicher Randgebiete scheinen immer unbestrittener. Mediale, interkulturelle und soziale Kompetenzen durch die aktive Medienarbeit und die fast zwangsläufige Vernetzung mit den verschiedensten Gesellschaftsgruppen können wohl kaum sonstwo in so geballter Form hergestellt werden.
In vielen europäischen Ländern wird diesen Tatsachen sowohl legistisch als auch finanziell Rechnung getragen: Von Irland über Großbritannien, die skandinavischen Länder bis nach Deutschland und Frankreich gehört es zum Standard als entwickelte Demokratie, diese Medien sowohl rechtlich explizit anzuerkennen als auch öffentlich zu fördern. Bezug nehmen die gesetzlichen Regelungen in diesen Ländern u. a. auf eine „Dienstleistung von öffentlichem Interesse“, die diese Medien erbringen. Die meisten Staaten Zentral- und Osteuropas – Österreich eingeschlossen – folgen dieser Argumentation eines „öffentlich-rechtlichen Auftrags“ allerdings nicht, obwohl nicht wenige Dokumente europäischer Institutionen angesichts zunehmender Medienkonzentration auf die Verantwortung des Staates für die Wahrung bzw. Herstellung von Meinungs- und Medienvielfalt hinweisen und auf die wichtige Rolle von Freien und Community-Medien im Sinn von Vielfalt und Meinungsäußerungsfreiheit Bezug nehmen.
Diese Entwicklungen stellen auch die traditionellen öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten vor eine neue Situation: Längst sind sie nicht mehr die einzigen Medien, die explizit Public-Service-Funktionen wahrnehmen, ihr Rechtfertigungsdruck für die Finanzierung aus Gebührengeldern steigt, denn diese Legitimation speist sich letztlich immer aus dem Anspruch einer Leistung, die im Interesse des Gemeinwohls erbracht wird. Und diese Leistungen werden in den letzten Jahren in verschiedensten Ländern verstärkt angezweifelt: In Deutschland sah sich die ARD mit dem Vorwurf konfrontiert, durch „Schleichwerbung“ illegitimerweise Gelder zu lukrieren; allgemein wird der Qualitätsverlust bei öffentlich-rechtlichen Sendern kritisiert, die sich in Programm- und Formatgestaltung immer mehr ihren kommerziellen KonkurrentInnen angleichen. Dem ORF schließlich wird darüber hinaus vorgeworfen, seine Unabhängigkeit aufgegeben zu haben, rücksichtslosem Parteien- und Regierungseinfluss ausgesetzt zu sein, kaum noch kritischen Journalismus zu-(4) und Kunst und Kultur „in einem Schwarzen Loch verschwinden“(5) zu lassen.
Im Gegensatz etwa zum ORF muss sich die britische öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalt BBC alle zehn Jahre einem öffentlichen Konsultationsprozess stellen, um ihre Lizenz zur durch Gebührengelder finanzierten Programmproduktion erneuert zu bekommen. Im März 2006 veröffentlichte die britische Regierung das neueste BBC White Paper,(6) das Rolle, Funktion und Struktur der BBC in einer veränderten Medienwelt definieren soll. Ihren Auftrag in einer „digitalen Welt“ fasst die BBC selbst in einem 2005 veröffentlichten Papier(7) als building public value zusammen, dessen Produktion – oder auch dessen Fehlen – praktisch getestet werden könne: Die BBC produziere Public Value in fünffacher Weise, nämlich democratic value, cultural and creative value, educational value, social and community value und global value; jedes Service der BBC könne mittels eines „Public Value Test“ objektiv bewertet werden.(8) Dennoch scheint eine eindeutige Definition von Public Value schwierig, denn im Gegensatz zum Marktwert einer Leistung ist der ideelle Wert, der durch eine Leistung für die Gesellschaft erbracht wird, eine abstrakte Größe, die zunächst mehr Fragen aufwirft als beantwortet.
In einer zunehmend kommerzialisierten Medienwelt der globalen Medienkonzerne, demokratiegefährdender Medienkonzentration und marktorientierter Des-Information widmet sich der diesjährige Festival-Beitrag von Radio FRO Fragen nach dem „Public Value“ von Medien und Medienproduktion: Welche Anforderungen stellen demokratische Gesellschaften heute an Medien? Wie definiert sich „öffentlich-rechtlich“ in einer veränderten Medienwelt? Wie erfüllen unterschiedliche Medien Aufgaben im Interesse der Allgemeinheit? Wie weit nehmen traditionelle öffentlich-rechtliche Medien ihren Auftrag überhaupt noch wahr? Welche Verpflichtungen hat der Staat hinsichtlich des öffentlich-rechtlichen Auftrags von Community-Medien? Ist ein „öffentlich-rechtlicher Auftrag“ auch auf Netzmedien übertragbar? Und: Wie ist Public Value in aktuellen Gesellschaften zu definieren? Was ist der Public Value der Produktionen von verschiedenen Medien? Lässt sich Public Value „messen“? http://www.fro.at/ars06
Ein Projekt von Radio FRO in Zusammenarbeit mit Ars Electronica.
(1) See Art 86 para 2 EG zurück
(2) See Kletter, M.: Die Finanzierung des ORF mittels Programmentgelten. Eine Betrachtung im Lichte der Novelle des ORF-Gesetzes und der neuesten Entwicklungen im Gemeinschaftsrecht (The Financing of the Austrian Broadcasting Company through Program Fees: Considerations in Light of Amendments to the Public Broadcasting Law and the Latest Developments in Community Law). MR 2001, 260. zurück
(3) The European Court of Human Rights (ECHR) is an organ of the European Council, whereas the European Court of Justice (ECJ) is an organ of the European Union. zurück
(4) See http://www.sos-orf.atzurück
(5) See http://kulturrat.atzurück
(6) “A public service for all. The BBC in the digital age,” 2006. http://www.bbccharterreview.org.uk/have_your_say/white_paper/bbc_whitepaper_march06.pdfzurück
(7) “Building public value. Renewing the BBC for a digital world,” 2005. http://www.bbc.co.uk/thefuture/pdfs/bbc_bpv.pdfzurück
(8) See “A public service for all. The BBC in the digital age. 2006,” p. 30 ff. http://www.bbccharterreview.org.uk/have_your_say/white_paper/bbc_whitepaper_march06.pdfzurück
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