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Ars Electronica 2006
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Kunst wird Technologie


'Gerhard Blechinger Gerhard Blechinger

Wir bezeichnen Computertechnologie heute nicht mehr als die „neuen Medien“. Medienkunst hat keine Aura des Neuen mehr, ist doch für einen zur ersten Ars Electronica Geborenen der Computer ebenso alt wie der Bleistift. Beide gab es sozusagen schon immer. Dennoch, die technische Komplexität der alten Medienkunst hat damals die Produktion von Kunstwerken revolutioniert. Künstler arbeiteten mit Spezialisten verschiedener Gebiete zusammen, weil die Projekte nur noch von Teams ausgeführt werden konnten. Technologie wurde nicht linear aus der Technik entwickelt, sondern man gab der Technologie ein Thema. Technik wurde überfordert, bisweilen provoziert. Medienkunst war nicht selten Technologie-Prognose, und sie wurde auf diese Weise ein Modell für technische Innovation. Am Institut für Technologie der Hochschule für Gestaltung und Kunst Zürich arbeiten wir heute mit dieser Strategie gleichsam auf umgekehrte Weise. Die Produktionsstrategie der Medienkunst wird dazu genutzt, nicht Kunst, sondern eben technische Innovation voranzutreiben.

Die heutige Industrie der mobilen Endgeräte vollzieht eine Entwicklung nach, die auch in der Computerindustrie bereits stattgefunden hat. Der Trend zur Miniaturisierung beschert uns einerseits Geräte, die Sakkotaschen nicht mehr ausbeulen und andererseits immer bessere Empfangsqualitäten besitzen. Der wichtigste Trend allerdings ist die Einbindung von immer mehr Funktionalitäten, wie wir sie aus dem Bereich des Personalcomputers kannten. Aus den Rechenmaschinen wurden Bild-, Kommunikations- und Spielmaschinen. Eine ähnliche Strategie treibt heute die Mobilfunkindustrie. Unser Projekt Song fuer C des Künstlerduos M+M, Marc Weis und Martin De Mattia, ist dafür womöglich ein frühes und avanciertes Beispiel.

Gleichzeitig zur Konzentration von Funktionalitäten entstehen Systeme, die nur für eine einzige Aufgabe zugeschnitten und für diese optimiert sind. Wir nennen sie „dedizierte Geräte“. Unser System Videobased Personal Security (VPS) entstand ursprünglich als Idee für ein Multiuser-Spiel. Revers-Engineering machte aus dem Gaming-Szenario eine Sicherheitsapplikation. Hierzu haben wir eine unsichtbare Kamera am Revers unseres Mantels angebracht. Sie überträgt im Notfall das Foto eines Angreifers direkt auf das Handy der nächstgelegenen Polizeistreife. Weil das System über GPS verfügt, weiß der Polizist sofort, wo der Übergriff stattfindet. Vielleicht würde es dem Angreifer noch gelingen, dem Opfer das Gerät zu entreißen, doch das Bild ist bereits automatisch versandt und daher mit der Notfallkamera nicht mehr physisch verbunden. Dieses dedizierte Gerät hat in unserem Beispiel einige Funktionalitäten eines avancierten Handys, ist aber auf den Schutz des Trägers spezialisiert.

Freilich wird heute niemand sein Schicksal der Frage überlassen, ob und wann ein Datenpaket seinen Weg durch die Telekommunikationsinfrastruktur heutiger Anbieter findet. Wir haben mit dem Notfallhandy heutige Technologie überfordert, wir haben ihr aber auch ein Thema gegeben. VPS fragt nach Quality of Service im Mobilfunk und macht die Frage always on? zu einer von Leben und Tod.