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Ars Electronica 2006
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Make It Simple
Im Raum zwischen dem KISS-Prinzip und der DIY-Philosophie(1)

'David Cuartielles David Cuartielles

„Das Arbeiten mit Elektronen hat auch eine dunkle Seite, und das hat mit deren Fähigkeit, immer negativ zu sein, zu tun … das kann ganz schön deprimierend sein.“
David Cuartielles über das Konzept des Elektrons an der Konstfack-Universität, Schweden, 2006.


Erweitere dein Wissen

Einfachheit im Wissen zielt nicht darauf ab, komplexe Strukturen ihrer Schönheit zu berauben. Sie sucht nach einfacheren Wegen, den Menschen die Komplexität näher zu bringen. Betrachtet man das Lernen als einen sich wiederholenden Prozess zur Wissensaneignung in einem Fachgebiet, so bedeutet Einfachheit, immer nur kleine Schritte zu machen, indem man sein Verständnis für das System mit jedem Schritt erweitert. Blicken wir nach Hunderten erklommener Stufen das Treppenhaus unseres Wissens hinab, sähen wir immer noch dasselbe System, ohne dass uns seine Komplexität auffiele. Trotzdem wäre das System immer noch dasselbe.

Initiativen wie Arduino, OpenFrameWorks, Processing oder Python wollen unser Verständnis der Welt mittels kleiner Schritte erweitern und das Komplexe einfach machen. Diese Entwickler zeigen in verschiedensten Projekten, Workshops, Gesprächen und Performances Möglichkeiten auf, Wissensbereiche durch den Einsatz der richtigen Message und Verbreitungsmodelle zu eröffnen. Als Kreative sind wir ständig dabei, neue Systeme zu entwickeln, die einfach zu bedienen und zu nützen sind und dem KISS-Prinzip folgen. Gleichzeitig erlernen wir immer neue Fertigkeiten, während wir die Möglichkeiten der verschiedenen Sensoren auf den Werkzeugen des täglichen Gebrauchs erkunden. Der technische Fortschritt erfolgt immer schneller, und wir müssen unseren Kenntnisstand in einem fort ausbauen. Da in unserer vernetzten Existenz vieles online verfügbar ist, können wir zu unseren eigenen Lehrern werden, sofern das Wissen richtig verpackt ist. Die DIY-Philosophie – ein Erbe der Hackerkultur – füttert das Internet zu allen erdenklichen Themen mit Schritt-für-Schritt-Anleitungen, denen wir nur wie einem Rezept zum Kuchenbacken folgen brauchen.

Man kann sogar Teil dieses konstanten kreativen Bewusstseinsflusses werden. Elektronikkünstler und Interaktionsdesigner teilen ihre Erfahrungen und beschreiben ihre Vorgangsweisen offen im Web. Sie enthüllen ihre Geheimnisse vor einem gemischten Publikum aus Akademikern, Praktikern, gelegentlichen Surfern und Studenten.

Einfachheit konzentriert sich auf die Vereinfachung der technischen Aspekte rund um die Schöpfung von elektronischer Kunst und Interaktionsdesign. Sie untersucht die letzte Systemerweiterung: die Art und Weise der Interaktion mit der physischen Welt. Aber diese Aufrüstung war mit Sicherheit nicht die letzte.

Menschen für Menschen: Der Entwurf von Systemen

Wir sind umgeben von einem Universum elektronischer Geräte, die interoperieren, unsere Erkenntnis erweitern und unser Leben bereichern. Alle diese Hard- und Softwarekomponenten müssen sich nahtlos aneinander fügen, damit den Benutzern Informationsinhalte generell zugänglich sind. Zum derzeitigen Entwicklungsstand werden Maschinen ebenso wie interaktive Artefakte, ob nun in Computern, Telefonen oder eingebetteten Systemen, von Menschen gemacht. Die Landschaft digitaltechnikbasierter Geräte wird allmählich zu komplex. Wir unterscheiden bereits zwischen Telefon, PDA, Computer, Smartphone, Konsole … hinsichtlich des eingesetzten Betriebssystems und des Hardwaretyps. Dennoch wird die Art der Interaktion mit ihnen zunehmend standardisierter, indem eine Brücke für das Verständnis und die Bedienung dieser gleichartigen, aber unterschiedlichen Artefakte geschlagen wird.

Daher entwickeln die Hardwarehersteller spezielle Toolkits für Techniker und Designer, um ihnen die neue Technologie näher zu bringen. Auf diese Weise können sie Veränderungen am Markt verfolgen und neue Produkte schaffen. Die Designer entwickeln für die Menschen; sie stehen auf der anderen Seite der Verbindungslinie zwischen Objekt und Anwender. Insbesondere die junge Disziplin Interaktionsdesign analysiert die Hardware wie das Missing Link zwischen den Anwendern und den Systemen. Der Schnittpunkt zwischen Elektronik und Ausbildung war bis vor kurzem Technikstudenten vorbehalten. Das hat sich geändert, und viele Universitäten sind dazu übergegangen, den zukünftigen Designern die Beziehung zwischen Form und Funktion zu lehren.

Ende des Unglaubens: Interaktionsdesign

Interaktionsdesigner sind die Filmemacher der modernen Alltagsartefakte. Ihre Aufgabe besteht darin, eine Illusion von Geräten zu erzeugen, die später für ein breites Publikum produziert werden sollen. Sie kreieren physische oder virtuelle Schnittstellen, die auf von Elektronikern gemachten, von Fertigungsplanern in Schachteln verpackten und von Industriedesignern erdachten Maschinen laufen.

Der Interaktionsdesigner möchte durch die Form des von ihm/ihr entwickelten Geräts nicht bloß gewisse ästhetische Prinzipien vermitteln, sondern will neue Wege ästhetischer Interaktionsformen beschreiten. Die moderne Technik lässt uns ganz leicht Gebiete wie Palpable Computing (greifbare Computertechnologien) ausloten, in denen die physische Manifestation der Interaktion das Auslesen der Anwendereingabe durch das Gerät steuert.

Dieses Designgebiet hat der Wissenschaft eine neue Betrachtungsweise des Elektronikeinsatzes beschert. Plötzlich werden Mikrochips, Widerstände, Drähte und Sensoren zur neuen Farbe dieses neuen Designtyps. Platinen werden zu Leinwänden, auf die neue Interaktionsmuster gemalt werden, und nicht mehr bloß Relationen von Volts und Bits. Der Prototyp ist das neue Leitprinzip; die Modelle der Industriedesigner sind nun mit halb funktionierenden Bauteilen bestückt, die deren Konzepte auf eine neue Art veranschaulichen können.

Eine Möglichkeit des Ausprobierens: der Prototyp

Ein Prototyp ist ein Möchtegernprodukt. Wollen Entwickler herausfinden, ob sich eine Idee verkaufen lässt, bauen sie Prototypen, die an Testpersonen ausprobiert werden. Prototypen bedeuten den Ausschluss der Überraschung bei der Produktentwicklung. Manchmal untersuchen Entwickler nur winzige Details hinsichtlich der kognitiven Interaktion mit einem Gerät. Ein anderes Mal soll das Layout eines Produkts verbessert und die tatsächliche Funktionalität simuliert werden. Es braucht jedoch ein gewisses Maß an Elektronikverständnis, um einen Prototypen für ein neues Gerät bauen zu können.

Es könnte sich genauso gut um eine noch nicht vollendete, verkleinerte Version einer Kunstinstallation handeln. Elektronikkünstler müssen über die Desktop-Erfahrung hinausgehen. Immer mehr Kunstwerke verlangen vom Betrachter eine direkte Interaktion auf kognitiver Ebene, und die Künstler lernen, die Elektronik als neues Medium zu meistern.

Egal ob in der Kunst oder in der Entwicklung, diese hobbymäßige Betrachtung der Elektronik wird mit einem gängigen Begriff bezeichnet: Do-It-Yourself. Der neue Schöpfer möchte gerne selbst experimentieren, ob etwas funktionieren kann. So hat die ursprüngliche Hackerphilosophie diese Bereiche infiziert.

Weiters werden die Mittel des Wissenstransfers für die Künstler- und Entwicklergemeinden zu einem wichtigen Werkzeug. Online-Foren, Mailinglisten, Wikis und Blogs berichten von Hunderten von Experimenten und Workshops, bei denen sich kreative Köpfe treffen, um gemeinsam ihr Wissen aufzubauen … indem sie es teilen.

Das Wagnis des Teilens: Gemeinsame Wissensbildung

Ein wesentlicher Faktor hinter der DIY-Philosophie waren stets die Schritt-für-Schritt-Anleitungen, von denen es Tausende im Internet gibt und die Menschen einladen, dies und das auszuprobieren und es „selbst zu machen“. In der Hackerphilosophie war der Wissensaustausch einer der Kernpunkte.

Auf der anderen Seite wurde in der Design- und Kunstwelt der Autor immer mit einer magisch-mystischen Aura umgeben. War ein Design oder ein Kunstwerk gut, so wurde dessen Schöpfer in den Status eines modernen Gotts erhoben. Der Produktionsprozess muss verborgen bleiben, um die Urheberrechte des Autors zu wahren.

Dieses Modell will aber nicht zu unserem neuen Gemeinschaftsuniversum von DIY-Autoren passen. Sie probieren alles Mögliche aus und diskutieren ihre Ergebnisse in einem verteilten und immer verbundenen Netzwerk. An Problemlösungen wird rund um die Uhr gemeinsam gearbeitet. Die Autorenschaft wird durch den Entstehungsprozess in Frage gestellt.

Der physische Ort, an dem Prototypen Gestalt annehmen, hat sich nicht zuletzt durch die Gedankenwelt verändert. Waren Labors früher abgeschlossene Räume für Techniker und Wissenschafter, so kann sich heute jeder dank der neuen Toolkits ein Labor zu Hause leisten.

Das Labor: Zurück in die physische Welt

Das Konzept des Labors hat sich durch die Einführung alternativer Produktionsmethoden, die mit den Bedürfnissen der Neuen Medien einhergehen, grundlegend geändert. Man könnte ein Labor als einen Ort definieren, an dem sich Menschen zu einem gemeinsamen Schaffensprozess versammeln. Dazu braucht es Menschen, Ideen und Werkzeuge.

Eine der wesentlichen Beschränkungen dieser Labordefinition ergibt sich aus dem Bedarf an Werkzeugen. Bis vor kurzem waren Werkzeuge jenen vorbehalten, die über die entsprechenden Mittel verfügten, um die richtigen zu erwerben. Seit dem Aufkommen von Open Source und in jüngerer Zeit von Open Hardware hat sich das Labor verändert. Alternative Lizenzierungsmodelle ermöglichen nun auch jenen mit weniger Ressourcen einen Zugang zu Werkzeugen, was zu unvorhergesehenen Ergebnissen geführt hat.

Es wurden viele erfolgreiche Versuche unternommen, Toolkits zu erstellen. Während der letzten paar Jahre waren wir Zeugen des Wachstums von Linux, einem Open-Source-Betriebssystem, dessen unzählige Derivate Parasiten gleich in unseren Computersystem werken und mehr und mehr Menschen von der Notwendigkeit einer sich selbst unterstützenden Open-Source-Gemeinschaft überzeugen.

In der Kunst erlebten wir PureData und Processing als mächtige Schnittstellen für die Multimediaproduktion. Python und, als jüngster Vertreter, OpenFrameWorks – eine Sammlung von Bibliotheken, die die Erstellung von Kunstwerken mit computerbasierter Objekterkennung wesentlich vereinfacht – wurden aus der Programmierwelt übernommen. Eines der ersten erfolgreichen Open-Hardware-Tools überhaupt ist Arduino, das zum Erstellen von Prototypen für computerlose Interaktivsysteme dient. Hervorgegangen aus einem Gemeinschaftsprojekt zweier europäischer Universitäten, hat es das Ausbildungssystem des gesamten Planeten innerhalb von nur einem Jahr infiziert.

Keine Schlussfolgerungen: Rüste auf

Der Begriff „aufrüsten“ wurde aus der Technik entlehnt. Wissen entwickelt sich zusammen mit unserer Betrachtungsweise der Welt. All die Variablen, die unsere unbedeutende Zeitspanne innerhalb der gesamten Existenz des Universums ausmachen, werden durch Abermillionen von Dateneingaben gefüttert. Unser Verständnis der Welt sowie unsere Funktionsweise als Mensch – sowohl auf physiologischer als auch auf sozialer Ebene – hängen von unserer Fähigkeit ab, uns an die neuesten theoretischen Rahmenbedingungen anzupassen (aufzurüsten) und uns die modernsten Werkzeuge für sowohl konzeptionelle Bereiche als auch weitere empirische Experimente zu beschaffen.

Einfachheit legt den Fokus auf die Vereinfachung der technischen Aspekte rund um die Schaffung von elektronischer Kunst und Interaktionsdesign. Sie untersucht die jüngste Systemerweiterung: die Art und Weise der Interaktion mit der physischen Welt. Aber diese Aufrüstung war mit Sicherheit nicht die letzte.

Aus dem Englischen von Michael Kaufmann

(1)
Anm. d. Ü.: Keep It Small and Simple – Halt es klein und einfach; bzw. Do It Yourself – Mach es selber.zurück