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Ars Electronica 2006
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Festival 1979-2007
 

 

Music for the Eyes


'Dennis Russell Davies Dennis Russell Davies

Heutzutage hat die Kommunikation bereits einen nahezu unglaublichen Grad an Komplexität und technischer Raffinesse erreicht; dennoch leben die Menschen rund um den Globus in immer größerer Isolation in Gesellschaften, deren Triebfeder die Spezialisierung ist. Während der unaufhaltbare Fortschritt der digitalen Technologie in sämtlichen Bereichen des modernen Lebens – leider – für die negativen Konsequenzen der Überspezialisierung und das daraus resultierende allgemeine Gefühl der Isolation steht, so geben die erfreulichen Entwicklungen in den Bereichen digitale Kunst und digitale Wissenschaft Anlass zur Hoffnung auf eine großzügige, humane Lösung der gravierendsten Probleme isolierter Gesellschaften.

Vor einigen Jahren haben Gerfried Stocker und ich lebhaft über die Probleme der ernsten Konzertmusik diskutiert. Es herrscht eine immer stärkere visuelle Orientierung vor, während die Welt gleichzeitig mit brutalen Lautstärkepegeln im Alltag sowie unkritischer, primitiver (übermäßiger) Verstärkung zugedröhnt wird. In der Konzertmusik dominieren immer häufiger „Spezialisten“ der Alten Musik, Neuen Musik, Barock- und Renaissancemusik, wobei die Kluft zwischen zeitgenössischen Komponisten und traditionellem Konzertpublikum ständig breiter wird. Da wir beide der Ansicht waren, dass die traditionellen akustischen Instrumente eines modernen Symphonieorchesters zeitgenössischen Zuhörern jeder Altersstufe wichtige und potenziell inspirierende Impulse liefern können, beschlossen wir, die Ressourcen der Ars Electronica im Bereich visuelle Technologie und die musikalische Expertise des Bruckner Orchesters Linz mit Komponisten zu kombinieren, die sich in den letzten Jahren moderner (akustischer) Symphonieorchester bedient haben, deren Werken jedoch ein größerer Publikumserfolg bislang versagt geblieben ist. Seit 2003 haben das Ars Electronica Festival und das Bruckner Orchester Linz Werke von Edgar Varese, Iannis Xenakis, Morton Sobotnik, Philip Glass, Steve Reich, Pierre Boulez, John Cage, Györgi Ligeti, Péter Eötvös mit digitalen Visuals von Medienkünstlern kombiniert und gemeinsam aufgeführt.

Für sämtliche neue Videoarbeiten wurde bereits vorhandene, jedoch ausschließlich zeitgenössische Musik herangezogen und für die gemeinsame Live-Aufführung mit einer symphonischen Performance konzipiert. In fast allen Fällen konnte ich mich des Eindrucks nicht erwehren, dass Musik und visuelle Performance auch unabhängig voneinander existieren könnten, dass sie aber durch ihr Zusammenwirken zu einer Form verschmolzen waren, die für ein neues, aufgeschlossenes Publikum eindrucksvoll neuartige, anspruchsvolle Klänge und Bilder schuf.

Dies bleibt auch weiterhin unser Ziel, und zu diesem Zweck haben Gerfried Stocker und ich für das Ars Electronica Festival 2006 eine unserer Ansicht nach sehr dynamische und interessante Konstellation von Komponisten und visuellen Künstlern ausgewählt. Am Sonntag, dem 3. September, präsentieren Ars Electronica, Bruckner Orchester Linz, Brucknerhaus und Lentos Museum in mehrstündigen Live-Performances die Resultate dieser Zusammenarbeit an verschiedenen Veranstaltungsorten.

Ich hatte das Glück, mit John Cage seit den frühen 1970er Jahren und bis zu seinem Tod 1992 eng befreundet gewesen zu sein und mit ihm zusammenarbeiten zu dürfen. Seine Musik und seine Ideen haben die Art und Weise, wie ich Musik und Umweltgeräusche wahrnehme und beurteile, grundlegend verändert. Ähnlich ist es auch zahlreichen anderen Musikern und Musikliebhabern gegangen. Als der wagemutige Pionier, der er war, galt John Cage als Komponist oft als eine einsame Figur. Sein Werk brachte aber die unterschiedlichsten Musiker und Performancekünstler zusammen und inspirierte sie zu unerwarteten, oft spektakulären Events. Seine Partituren konnten visuell faszinierend sein, und ich bin mir sicher, er wäre mit unserer „Visualisierung“ dieses Projekts zufrieden gewesen und hätte wahrscheinlich auch zu dieser neuen Form etwas beizutragen gewusst. Seine Aufgeschlossenheit für neuen Ideen und seine großzügige Akzeptanz sämtlicher Formen ernsthafter Kunst sind unser Leitgedanke bei diesem Festival.

Charles Amirkhanians kompositorisches Werk bewegt sich im Reich der Klangstücke, wobei Worte, Silben und Vokalklänge die akustische Substanz seiner Kreationen bilden. Darüber hinaus ist er weltweit einer der informiertesten und informativsten Kapazitäten für E-Musikaufführungen; so hat er mich und andere Dirigenten und Performancekünstler bei der Suche nach aufführbaren Werken schon häufig auf interessante und oft zu Unrecht unbekannte Musikstücke aufmerksam gemacht.

Ludger Brümmer traf ich erstmals in den 1980er Jahren in Köln, als ich bei einem von Radio Köln veranstalteten Festival für junge Komponisten sein neues Werk für Orchester dirigierte. Seitdem zählt er zu den einflussreichen Figuren der deutschen Musik und ist derzeit Musikdirektor des ZKM in Karlsruhe. Mit der Pianistin Maki Namekawa hat er eine neue Form der Live-Performance konzipiert und weiter entwickelt, bei der Musik und visuelle Elemente für eine gemeinsame Aufführung komponiert bzw. entworfen werden (Le Temps du Miroir). Am 3. September wird die Ars Electronica ein neues Werk dieses Teams präsentieren.

Phillipe Manoury arbeitet seit langem mit Pierre Boulez und dem IRCAM am Centre Pompidou in Paris zusammen. 2001 dirigierte ich die Premiere seiner Oper K… in der Opera Bastille in Paris und seitdem haben wir an einer Wiederaufführung von K… und weiterer Werke für Symphonieorchester gearbeitet. Sein besonderes Interesse gilt der Erweiterung der akustischen Möglichkeiten eines Symphonieorchesters durch digitale und akustische Mittel, weshalb die Kombination von visuellen Elementen mit einer symphonischen Live-Performance für unser Festival eine natürliche Weiterentwicklung darstellt.

Aus dem Englischen von Susanne Steinacher