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Ars Electronica 2006
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Festival 1979-2007
 

 

Some Sounds and Some Fury




Mit dem diesjährigen Konzertabend etabliert Ars Electronica in gewisser Hinsicht die mehrjährige Phase der Herleitung einer intermedialen, primär Bild und Klang vereinenden Praxis der Musik, die in Form von exemplarischen Nacherzählungen und gegenwärtigen Ausprägungen im Brucknerhaus seit 2003 ihre Bühne gefunden hat: Principles of Indeterminism (2003), L’Espace Temporel (2004), Listening between the Lines (2005). Im vierten Jahr der Reihe sind es das Format und die Bühne selbst, die das Thema bestimmen, ein Format, das es infolge seiner besonderen personellen Konstellation – namentlich durch den Dirigenten Dennis Russel Davies, das von ihm geleitete Brucknerorchester und die Pianistin Maki Namekawa – erlaubt, in kontinuierlicher Qualität Programme zu gestalten, die die Grenzgänge zwischen Orchestermusik und digitaler Kompositions- und Distributionspraxis einerseits und zwischen klanglichen und visuellen Ausdrucksformen andererseits immer wieder ausloten und erweitern. Format und Bühne haben sich dadurch für neue Entwicklungen etabliert, die zugleich repräsentativ sind für die Medien- und digitale Kunst als Quelle der Inspiration und Partner traditioneller Disziplinen.(1)

Some Sounds and Some Fury verdeutlicht einmal mehr dieses Zusammenspiel; sein Leitmotiv ist das Prinzip, die für die Erweiterung disziplinärer Grenzen maßgeblichen Protagonisten als mitlebend zu betrachten und in der Tradition des Grenzganges mit (in ihrem Sinne heute Tätigen) kurzzuschließen. Es geht dabei darum, aus Traditionslinien – nicht nur hinsichtlich der ästhetische Substanz, sondern auch der Konzepte und Techniken – eine Art Netz zu flechten, in dem Entgrenzung und Interdisziplinarität selbst kulturellen Halt im Kulturbetrieb erfahren, in dem ihre Traditionen gewöhnlich eher haltlos sind.

Ein für solche Intentionen ebenso nahe liegendes wie herausragendes Beispiel ist Philippe Manoury, der als Komponist jahrelang am IRCAM an Miller S. Puckettes Entwicklung von MAX (der grundlegenden Software für interaktives Live-Spiel schlechthin) mitgewirkt hat. Wie kaum ein anderer steht auch Charles Amirkhanian für Grenzgängertum im Bereich der akustischen Kunst; und wenn man vom Mitleben und der Herleitung im Bereich der Medienmusik spricht, dann spricht man natürlich implizit von John Cage, der durch den Bruch mit den Hierarchien zwischen Komponist, Interpret und Zuhörer Strategien der Interaktivität vorweggenommen hat.

David Behrman entwirft seit den 1970er Jahren elektronische Bauteile für seine Arbeit als Komponist und Klangkünstler; Ludger Brümmer bedient sich physikalischer Parameter zur Synthese von Notation, Klang und Bild; Ryoichi Kurokawas Arbeiten wiederum sind ein Beispiel für Synonymität zwischen Bild und Klang in Produktion und Präsentation – ein Tätigkeitsgebiet, das auch der Leiter der Recombinant Media Labs in San Francisco und Künstler Naut Humon bearbeitet, der auch seit Beginn dieser Konzertserie als Co-Kurator tätig ist.

Text: Heimo Ranzenbacher


Charles Amirkhanian
Loudspeakers (dor Morton Feldmann), 1990


Der 1945 geborene Kalifornier Charles Amirkhanian ist nicht nur einer der vielseitigsten Vertreter der Neuen Musik und Soundart, sondern hat sich auch als einer ihrer engagiertesten Förderer in den USA profiliert.

Komponist, Klang-Poet, Performance- und Radiokünstler, von 1969 bis 1992 Musikdirektor der Radiostation KPFA in Berkeley, von 1993 bis 1997 Direktor der Djerassi Foundation in Kalifornien, verfolgt Amirkhanian in seinen Stücken immer wieder intra- und interdisziplinäre Ansätze, verbindet – häufig mit dem Synclavier – gesampelte Impressionen der akustischen Umwelt („darstellende Klänge“) mit traditionellen musikalischen Mustern und experimentelle, mehrsprachiche Literatur mit Musik. Das für Some Sounds and some Fury ausgewählte, Morton Feldman gewidmete Stück Loudspeakers aus dem Jahr 1990 basiert auf einem mittels Synclavier digital verarbeiteten Interview des Komponisten.


John Cage
Concerto for Prepared Piano and Chamber Orchestra, 1951


John Cage (1912–1992) steht (wie Marcel Duchamp in der bildenden Kunst) ikonisch für ein dem finalen Werkbegriff völlig entgegengesetztes, radikal aleatorisches Kompositionsprinzip und damit für die Negation der Hierarchien über das Hören. Inspiriert wurde Cage dazu von der Philosophie des Zen und dem Buch der Wandlungen (Yijing).

Sein in New York erstmals aufgeführtes Klavierkonzert ist paradigmatisch für diese Ästhetik. Cage selbst hat es ein „Work in progress“ genannt; es ändert mit jeder Aufführung seine Gestalt. Die klassische Demarkationslinie zwischen Podium und Publikum ist außer Kraft gesetzt, das Orchester spielt im Aufführungsraum verteilt; es existiert keine Partitur zur Regelung des Zusammenspiels, jede/r ist in seiner Eigenverantwortlichkeit Solist. Cage: „Dem Pianisten steht es frei, irgendwelche Teile seiner Wahl ganz oder teilweise und in beliebiger Reihenfolge zu realisieren.
Die Orchesterbegleitung kann jede beliebige Anzahl von Spielern einer beliebigen Zahl von Instrumenten umfassen, und eine Aufführung kann beliebig lange dauern.“


Jorn Ebner


Flash Movie für das Concerto for Prepared Piano and Orchestra von John Cage. Die Bilderfolge ist als zusätzliche, visuelle Partitur konzipiert, die den kompositorischen Strukturen der Musik folgt: von freier gestischer Form innerhalb eines festen Rahmens hin zu einem festen gestischen Rahmen. Die vornehmlich formalen Elemente werden schließlich mit figurativen verbunden, um einen Bezug zu räumlicher Organisation im Alltag herzustellen. Abstrakt-gestische und figurative Formen kombinieren sich in einem „Versuch über den Nutzen von Bildelementen“.


Philippe Manoury
Sound and Fury, pour grand orchestre, 1999


Philippe Manoury (1952), langjähriger Dozent am Pariser IRCAM, ist der Analytiker unter den zeitgenössischen Komponisten. Sein ausgeprägtes Interesse an den mathematischen Gesetzmäßigkeiten der Musik und an ihrem Verhältnis zur Zeit und zum Raum spiegelt sich nicht nur in Werken wie dem Chortriptychon Slova und Sonus ex machina, einem Zyklus interaktiver Stücke, wider, sondern auch in seiner künstlerischen Patronanz bei der Entwicklung der visuellen Programmiersprache MAX durch Miller Puckette. Seit Herbst 2004 unterrichtet Philippe Manoury an der University of California San Diego.

Sound and Fury (1999) ist eine computerbasierte Komposition, geschrieben für ein großes Orchester, dessen symmetrische Positionierung ein Spiel mit raumgreifenden Stereoeffekten ermöglicht.


1nOut


1n0ut ist ein Künstlerkollektiv, dessen Mitglieder gemeinsam, aber auch jeder für sich an zahlreichen Video- und interaktiven Kunstprojekten arbeiten, die als Schwerpunkt die Generierung synästhetischer Erfahrungen haben. Die Künstler kombinieren analoge und digitale Prozesse, um Philippe Manourys Ideen einer algorithmischen und räumlichen Komposition zu verwirklichen. In ihrer visuellen Interpretation strebt die Gruppe einen ästhetischen Mix an, der auf spielerische Weise das digital-analoge Paradoxon, in dem wir leben, widerspiegelt.

Das Projekt erforscht Graustufen zwischen Schwarz und Weiß und möchte auf diese Weise dem Publikum die Erfahrung von Verschwommenheit, Störung und, trotz algorithmischer Perfektion, Harmonie vermitteln.


Ludger Brümmer
Move—for Piano, Live Electronics and Video
Premiere


Ludger Brümmer (1958) absolvierte das Studium der Komposition an der Folkwang Hochschule Essen. Seit 2003 leitet er das Institut für Musik und Akustik am Zentrum für Kunst und Medientechnologie Karlsruhe, ZKM. Schwerpunkt in seinem jüngeren Schaffen waren zuletzt audiovisuelle Kompositionen, wobei digital erzeugte Bewegungs- und Klangelemente in ein Bezugssystem zu „physikalischen Modellen“ (dem materialspezifischen akustischen Verhalten von Objekten) gesetzt werden – so etwa in der audiovisuelle Komposition Lizard Point und der 2002 realisierten Arbeit Gestalt.

In Move präsentiert Brümmer das Klavier als alles – auch den Computer – kontrollierendes Meta-Instrument. Während der Computerspieler die Reaktion und Aktion seines Instrumentes ständig neu bestimmt, sorgt der Pianist mit seinen Aktionen für Auslöser, ohne die nichts passieren
würde. Die Rolle des Videos wandelt sich dabei vom anfangs vom Klavier zeitlich kontrollierten Element zu einer eigenständig erzählenden, die Struktur des Stückes unterstützenden Linie.


Ryoichi Kurokawa
Audiovisual Crossmedia Concert


Ryoichi Kurokawas Arbeiten umfassen Projektionen, Audioaufnahmen, Installationen und Live-Performances. Kurokawa komponiert Zeitskulpturen aus digital generierten Materialien und Feldaufnahmen, in denen Minimalmus und Komplexität Hand in Hand gehen. Er sieht Klang und Bild nicht als getrennte Dinge, sondern als Einheit und verarbeitet diese audiovisuelle Sprache zu überaus exquisiten und präzisen computerbasierten Werken. Dadurch verdichtet sich der gegenseitige Abstand, die Reziprozität und die Synchronisation der Klang- und Bildkomposition.

Das audiovisual crossmedia concert ist eine ständig aktualisierte audiovisuelle Live-Performance mit Mehrfachprojektion, die durch den abstrakten Sound und die perfekt damit synchronisierten, auf zwei parallele Projektionsflächen geworfenen Bilder die audiovisuelle Aufnahmefähigkeit erweitert. Digital generierte abstrakte Grafiken bewegen sich organisch, gefilmte Bilder dagegen zweidimensional, und das alles in komplizierter Abhängigkeit von chaotischer Noisemusik und minimalistischen Rhythmen. Kurokawa sieht Bild und Klang als Einheit und lässt die Gedanken zwischen ihnen neu zirkulieren. Nicht nur Video und Musik, sondern auch die Bilder selbst treten in Dialog miteinander und vermitteln so ein räumliches Bewusstsein, das wir bei einkanaligen Arbeiten nicht empfinden würden.

Aus dem Englischen von Wilfried Prantner


Naut Humon


Naut Humon hat als Gründungsmitglied der Electronic-Noise-Formation „Rhythm and Noise“ seine Wurzeln in der Popularkultur. Er leitet die Recombinant Media Labs in San Francisco. Der Forschungsschwerpunkt liegt auf audiovisuellen Entwicklungen, basierend auf dem Surround Traffic Control Cinesonic-System, das auch externen Produktions- und Präsentationszwecken offen steht. Darüber hinaus ist Naut Humon Produzent und Kurator des Labels Asphodel und langjähriges Jurymitglied der Kategorie Digital Musics des Prix Ars Electronica. In seinen eigenen Projekten befasst er sich mit installativen und performativen Praxen im Bereich der Klang- und Bild-Interaktion.


David Behrman
Music with Melody-Driven Electronics


Der in Salzburg geborene David Behrman (1937) ist seit den 1960er Jahren als Musiker, Komponist und Klangkünstler tätig und zählt zu den Pionieren der elektronischen Musik (gemeinsam mit Robert Ashley, Alvin Lucier und Gordon Mumma gründete er 1966 die Sonic Arts Union). Seit den 1970er Jahren gehört Live-Electronik, immer wieder im Verbund mit performativer Gestik, zu den formbildenden Elementen der Arbeiten Behrmans, in weiterer Folge waren es auch selbst entworfene elektronische Bauelemente und Musiksoftware zur interaktiven Echtzeitsteuerung des Klanggeschehens. In der Audio-Video-Installation View Finder (2001) beispielsweise beinflussen Bewegungsaufnahmen einer Kamera im Aufführungsraum den Charakter der Musik, bei der alte analoge Eigenbau-Synthesizer Verwendung finden.

Music with Melody-Driven Electronics teilt sich räumlich in den Teil der musikalischen Projektion in den Klangpark und in den Teil der visuellen Projektion im Foyer des Brucknerhauses.

Translated from German by Mel Greenwald

Music with Melody-Driven Electronics is part of the Klangpark 2006 project Music with Roots in the Aether by Robert Ashley.

(1)
Eine weitere und höchst spannende Projektschiene, die sich aus diesem Zusammenhang heraus entwickelt hat, sind die großformatigen Realtime-Visualisierungen für Opern und Symphonien, über die in diesem Katalog ausführlich zu lesen ist – siehe Seite 293. zurück


Some Sounds and Some Furys ist ein weiterer Schritt in der Zusammenarbeit von Brucknerhaus Linz und Ars Electronica mit dem Ziel, neue Konzepte der Verbindung von Musik und neuen visuellen Ausdrucksformen zu erproben.

Some Sounds and Some Furys – Program

Loudspeakers (for Morton Feldmann), 1990, by Charles Armikhanian

Concerto for Prepared Piano and Orchestra, 1951, by John Cage. Performed by
Bruckner Orchester Linz / Dennis Russell Davies, Maki Namekawa: Piano, Visuals
by Jorn Ebner.

Sound and Fury, pour grand orchestre, 1999, by Philippe Manoury. Performed
by Bruckner Orchester Linz / Dennis Russell Davies. Visuals by 1n0ut (Robert
Praxmarer / Reinhold Bidner).

Move—For Piano, Live Electronics and Video, Premiere, by Ludger Brümmer.
Performed by Maki Namekawa – Piano and Ludger Brümmer – Computer and
Visuals.

Audiovisual Crossmedia Concert by Ryoichi Kurokawa. Performed by
Ryoichi Kurokawa. Visuals by Ryoichi Kurokawa.

Image-Sound Interaction Performance by Naut Humon.

Klangpark Intervention: Music with Melody-Driven Electronics, by David Behrman

Curators: Dennis Russell Davies, Naut Humon, Gerfried Stocker.