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Ars Electronica 2006
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Musikvisualisierung – das Zusammenspiel von Farbe und Ton


'Susanne Scheel Susanne Scheel

Simplicity – the art of complexity: Die Komplexität, auf die im Titel der diesjährigen Ars Electronica verwiesen wird, findet sich in unserem alltäglichen Gebrauch von Technologie wieder. Diese Komplexität heutiger Technologien und die aufgrund von Digitalisierung und Echtzeit-Prozessen mögliche Anwendung dieser Technologien in der Kunst werden häufig als Grundvoraussetzung für die Umsetzung künstlerischer Projekte angesehen, die sich mit einer Synthese aus Bild und Musik beschäftigen. Diese Einschätzung ist sicherlich nicht unbegründet, dennoch sind Bezüge zwischen Musik und Bild keine Erfindung der Neuzeit. Reduziert man Bild und Musik auf die Begriffe Farbe und Ton, so wird ein Blick auf eine lange Tradition von Farbe-Ton-Beziehungen ermöglicht, die bis zur griechischen Antike und sogar bis zur Frühgeschichte zurückreicht. Zu verschiedenen Zeiten wurden verschiedene Farbe-Ton-Theorien entwickelt und unterschiedliche Versuche unternommen, ebensolche Theorien auch praktisch umzusetzen. Tatsächlich ist es aber dem technischen Fortschritt zu verdanken, dass man sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts in der Lage sah, den Traum der parallelen Aufführung von Musik und Bild auf zufrieden stellende Art und Weise umzusetzen. Heutzutage ist eine durch Technik vermittelte parallele Rezeption von Farbe und Ton bzw. bewegtem Bild und Musik zu etwas Alltäglichem geworden, und es bilden sich immer neue Symbiosen zwischen Pop-, Hoch- und Subkulturen.

Ton und Farbe in einer kurzen Geschichte

Im Verlauf der Geschichte hat man immer wieder versucht, Farben und Töne zueinander in Beziehung zu setzen und die verborgenen Regeln dieser Bezüge zu erforschen und zu erklären. Unterschiedliche Zeiten und Denkweisen haben unterschiedliche Farbe-Ton-Analogien bzw. Theorien hervorgebracht. Vorwegnehmend ist festzustellen, dass es keine allgemeingültige oder einheitliche Zuordnung von Farbe und Ton gibt. Bis ins 18. Jahrhundert hinein hat man jedoch die Existenz einer Farbe-Ton-Beziehung nie angezweifelt, erst mit dem aufkommenden Rationalismus und dem Erstarken der Naturwissenschaften wurden die Farbe-Ton-Theorien kritisch in Frage gestellt.(1)

Schon in der Frühgeschichte der Völker waren Farben und Töne Teil der Symbolphilosophien und Schöpfungsmythen. Mit den Elementen Wasser, Feuer, Erde und Licht, den Planeten und Jahreszeiten bildeten sie welterklärende Analogien und standen häufig in engem Bezug zur Astrologie.(2) Durch das auf Zahlen beruhende Wissenschaftsprinzip des Pythagoras und die daraus resultierende Harmonielehre der Pythagoräer im 6. Jahrhundert v. Chr. begann die Zahlensymbolik das Weltverständnis bis ins 17. Jahrhundert hinein zu beherrschen.(3) Innerhalb der Zahlensymbolik schuf Pythagoras die Grundlagen der musikalischen Harmonielehre und setzte sich intensiv mit der Sphärenmusik auseinander, die aus rein mathematischen Tönen bestand und die kosmische Ordnung spiegelte. Diese Töne hatten darüber hinaus ein „sichtbares Äquivalent auf der Skala des [damals bekannten] Farbspektrums“.(4) Die Grundlage dieses Analogiesystems bildete die Siebenzahl der damals bekannten Planeten, die 200 Jahre später auch von Aristoteles, entsprechend den sieben Tönen der Oktave, auf die Farben übertragen wurde.(5) Aristoteles’ Farbskala enthielt somit sieben Farben,(6) denen er mit Hilfe einfacher Zahlenverhältnisse Tonintervalle zuordnete und damit die Grundlage für die antike Farbe-Ton-Beziehung schuf.(7) Aristoteles’ Farbenlehre behielt ihre Gültigkeit auch im Mittelalter, das ebenfalls verschiedene Farblehren hervorbrachte, die sich zumeist an der Zahlensymbolik orientierten, aber bezüglich der Farbzusammensetzung und der Anzahl der Farben größte Unterschiede aufwiesen.(8)

Eine entscheidende Wende in der Farbe-Ton-Theorie vollzog sich im beginnenden 18. Jahrhundert durch die Prismenversuche Newtons und die Veröffentlichung seiner Opticks 1704. Darin bewies er die Zusammensetzung weißen Lichts aus sieben Spektralfarben und die rechnerische Übereinstimmung mit den sieben Intervallen einer Tonleiter. Kraft Newtons Autorität schien nun eine Farbe-Ton-Beziehung physikalisch und somit naturwissenschaftlich begründet zu sein, eine tatsächliche Kritik an der als gegeben vorausgesetzten Beziehung zwischen Farbe und Ton kann erst im Verlauf des 18. Jahrhundert zum ersten Mal nachgewiesen werden.(9) Trotz der beginnenden Zweifel an der tatsächlichen Existenz einer Farbe-Ton-Analogie wurden weitere Theorien entwickelt, die sich entweder an physikalisch-naturwissenschaftlichen Grundsätzen orientierten oder die Untersuchungen, wie in der Romantik, auf den Bereich der Empfindsamkeit und physiologische und psychologische Prozesse verlagerten.

Praktische Umsetzung

Es wurde jedoch nicht nur versucht, die gemeinsamen Beziehungen von Farbe und Ton auf theoretischer Ebene zu erfassen, sondern auch, diese praktisch umzusetzen. William Moritz geht davon aus, dass Leonardo da Vinci um 1500 einer der Ersten war, der farbige Lichter projizierte.(10) In der Folgezeit versuchte man, spezielle Instrumente anzufertigen, die in der Lage sein sollten, Töne und farbiges Licht gleichzeitig hervorzubringen. Vielfach wird als erster Erbauer eines Farbklaviers Giuseppe Arcimboldi (1527–1593) genannt,(1) der am Prager Hof des habsburgischen Kaisers Rudolf II. alchemistische Studien betrieb. Die Existenz eines solchen Farbklaviers ist jedoch nicht eindeutig nachweisbar.(12) Arcimboldis grafisches Cembalo soll „eine nicht näher spezifizierte Beziehung von hörbarer Musik zu einer kompletten Farbskala“(13) gezeigt haben, „die sich von Schwarz bis Weiß über alle Farben des Regenbogens erstreckte“.(14)

Als erster Höhepunkt der praktischen Umsetzung von Farbe-Ton-Beziehungen wird die Arbeit Louis Bertrand Castels im 18. Jahrhundert betrachtet.(15) Dieser strebte einen Transfer auf die Kunst im Sinne einer Farbenmusik an und entwickelte die Idee seines Clavecin oculaire. Es handelte sich hierbei um ein Farbklavier, bei dem „gleichzeitig zur Musik ein Farbenspiel dargeboten werden sollte, jeder Tastendruck öffnete den Schacht zu einem farbigen Licht“.(16) Ob er jedoch jemals sein Clavecin oculaire fertig stellen und vorführen konnte, kann nicht eindeutig nachgewiesen werden.(17) Die technischen Möglichkeiten dieser Zeit reichten noch nicht aus, um erfolgreiche farblichtmusikalische Instrumente konstruieren zu können. Im 19. Jahrhundert gerieten schließlich die Kenntnisse über Farbe-Ton-Beziehungen in Vergessenheit und wurden erst zu Beginn des 20. Jahrhundert wieder aufgegriffen.(18)

Musikvisualisierung im 20. Jahrhundert

Vor allem das erste Drittel des 20. Jahrhundert zeichnet sich durch eine Vielzahl audiovisueller Experimente aus, die besonders in der Farben- oder Farblichtmusik und im abstrakten Film ihren Ausdruck fanden. Zunächst war es jedoch die darstellende Kunst, die sich mit der Verbindung von Farben und Tönen beschäftigte. Je abstrakter und gegenstandsloser die Kunst wurde, umso größer wurde ihr Interesse an Musik. Musikalische Prinzipien wurden zunächst auf die Malerei und dann auf den abstrakten Film übertragen, während parallel dazu eine Vielzahl von Farbinstrumenten entwickelt wurde.

Die gegenstandslose Malerei

In der gegenstandslosen Malerei war es besonders Wassiliy Kandinsky, der sich mit musikalischen Prinzipien und der Möglichkeit einer Übertragung auf die bildende Kunst auseinandersetzte.(19) Er versuchte, Rhythmus und mathematisch abstrakte Komposition in die Malerei zu integrieren, mit dem Ziel, eine auf einfachen Elementen beruhende Formensprache zu schaffen, die in einem genau durchkomponierten Werk gestaltet werden sollte. Er ging davon aus, dass die Musik als nicht gegenständliche Kunstform geistig und emotional berührt, und wollte dieses Prinzip mit der Malerei verbinden. Durch die Integration von musikalischen Grundsätzen konnte erstmalig das Element der Zeit auf die ansonsten starre und unbewegliche Malerei übertragen werden. Zeitliche Begriffe wie Rhythmus, Dynamik, Geschwindigkeit, Gleichzeitigkeit wurden auf die Leinwand transferiert und sollten bildnerisch dargestellt werden.(20)

Der abstrakte bzw. absolute Film

Es dauerte nicht lange, bis der Film als bewegliches und zeitlich ablaufendes Medium für künstlerische Prozesse entdeckt wurde. Der abstrakte bzw. absolute Film der deutschen Avantgarde übernahm die Idee der Integration von musikalischen Prinzipien und damit die Lösung vom Gegenständlichen, von der abbildenden Funktion und von der Erzählung. Film und Musik zeichneten sich durch bestimmte Gemeinsamkeiten aus: den Moment der Bewegung, den zeitlichen Ablauf und die Veränderung in der Zeit.(21) So unterschiedlich die einzelnen Filmemacher in ihren Ansätzen, Umsetzungen und Filmen auch waren, so lassen sich doch einige Gemeinsamkeiten finden. Vor allem Hans Richter, Walter Ruttmann und Viking Eggeling gestalteten ihre Filme in Anlehnung an musikalische Komposition. Abstrakte Formen sollten durch das Medium Film auf die Zeitachse transportiert und das Bildmaterial in einer quasi musikalischen Anordnung präsentiert werden – Malerei in Bewegung.(22) Bemerkenswert ist, dass der abstrakte Film der 1920er Jahre trotz der Vorbildfunktion der Musik weitgehend stumm blieb. Dies erscheint ebenso absurd wie folgerichtig: „als gleichsam verinnerlichte und im Wortsinne ‚imaginierte’ Musik bedurften Richters, Eggelings und Ruttmanns Filme des äußeren Klanges nicht“.(23) Allerdings sprachen sie sich mit Ausnahme von Eggeling auch nicht grundsätzlich gegen eine musikalische Begleitung aus.

Oskar Fischinger hingegen gestaltete seine Filme nach musikalischer Vorgabe. Auch er arbeitete mit einer reduzierten und zumeist abstrakten Formensprache, allerdings war für ihn die Musik der Ausgangspunkt für die filmischen Prozesse: die Zuordnung von Musik und Bild ergab sich vorwiegend aus dem Bewegungsduktus der Musik.(24)

Musik

Auch in der Musik bemühte man sich, Farben und Töne in Kompositionen zu kombinieren. Alexander Skrjabin war der erste bedeutende Komponist, der Beziehungen von Farben und Tönen in sein Werk Le poème du feu Promethée integrierte und eine so genannte Luce-Stimme für ein Farbenklavier komponierte.(25) Auch Arnold Schönberg befasste sich in seinem Werk Die glückliche Hand mit der Integration von Gesten, Farben und Licht in die Musik und bemühte sich, diese Elemente wie Töne zu behandeln.(26)

Im Zuge dieser vielfältigen künstlerischen Auseinandersetzungen kam es in den 1920er Jahren zu einer großen Begeisterung für die Farbe-Ton-Beziehung. Man glaubte, einen neuen und erfolg- reichen Wissenschaftszweig zu gründen, der seinen Schwerpunkt in synästhetischen Untersuchungen finden sollte. Wissenschaftliche und künstlerische Ansätze fanden hierbei gleichermaßen Beachtung.(27) Einen wesentlichen Einfluss auf diese Entwicklung hatte der Farblichtmusiker Alexander László, dessen Arbeit im Folgenden genauer dargestellt werden soll.

Farbenmusik

Zunächst sei noch einmal betont, dass erst im ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhundert ein Stand der Technik erreicht wurde, der es ermöglichte, den Traum der Farbenmusik in die Tat umzusetzen. Bis in die 1920er Jahre hinein konnte so eine Vielzahl von Farb- bzw. Licht-Klang-Instrumenten in der Öffentlichkeit präsentiert werden: 1895 trat Alexander Wallace Rimington mit einem Farbklavier an die Öffentlichkeit.(28) Ihm folgten Farbinstrumente bzw. Licht-Klang-Instrumente wie die Farborgel von Alexander Burnett Hektor, Mary Hallock Greenewalts Farborgel Sarabet, Thomas Wilfreds Clavilux, das Optophonische Klavier des russischen Malers Baranoff-Rossiné, Alexander Lászlós Sonchromatoskop, die Reflektorischen Lichtspiele von Ludwig Hirschfeld-Mack und Kurt Schwertfeger und andere.(29) So unterschiedlich die einzelnen Instrumente und Umsetzungen ausfielen, so hatten doch alle Farblicht-Künstler eines gemeinsam: Sie befanden sich auf der Suche nach einer neuen Kunstgattung.(30)

Die Farblichtmusik Alexander Lászlós

Alexander László hatte durch sein Klavierstudium ein erhöhtes Gespür für die Klangfarben seines Instrumentes erworben, das sich mit der Fähigkeit verband, beim Klavierspiel Farben zu sehen. Aus der Schwierigkeit heraus, diese Empfindungen seiner Umwelt mitzuteilen, gelangte er zu dem Entschluss, diese Farbassoziationen in seine Konzerte zu integrieren und sie mittels einer Apparatur dem Publikum zugängig zu machen. Zum ersten Mal trat er mit seiner Theorie der Farblichtmusik im März 1925 in einem Zeitungsartikel mit dem Bewusstsein an die Öffentlichkeit, „die Lösung des Farbe-Klang-Problems gefunden zu haben“.(31) Sein Ziel war es, „die Malerei und die Musik als Künste miteinander zu verbinden“.(32) Er ging dabei von seinen persönlichen synästhetischen Empfindungen aus, anstatt – wie in der Geschichte der Farbe-Ton-Beziehung schon so oft – die Beziehung zwischen Farbe und Musik physikalisch zu berechnen. Zuvor hatte man häufig versucht, einzelnen Tönen bestimmte Farben zuzuordnen, László setzte stattdessen Klänge und Farben zueinander in Beziehung.(33)

Alexander László verfolgte einen synästhetischen Ansatz, der es ihm ermöglichte, die Farbenmusik für die Integration von Farbstimmungen und Bildern zu öffnen. Es ging ihm nicht um das Zusammenspiel von Farbe und Ton im Einzelnen, sondern um die Genese einer neuen Kunst aus den gleichberechtigten Elementen Malerei und Musik. Entsprechend den Strömungen seiner Zeit übertrug er die starre Malerei auf eine zeitliche Ebene. Um Malerei und Musik in einer neuen Kunst zusammenführen zu können, bediente er sich der damals zur Verfügung stehenden Technologien und konstruierte ein Gerät, das parallel zu der Musik eines Pianisten Farben, Formen und Bilder projizieren konnte: das Sonchromatoskop. Dabei hatte er mit der unterschiedlichen Beschaffenheit von Malerei und Musik bezüglich der Zeit zu kämpfen:

Es blieb die Wahl, entweder die zeitliche Musik unzeitlich zu machen, oder die unzeitliche Malerei zeitlich, um einen gemeinsamen Nenner für beide Künste zu finden. Ohne weiteres ist einleuchtend, daß ich das letztere wählte. Ich nahm das malerische Bild aus seiner Unbeweglichkeit und ließ es im gleichen Zeitraum wie die musikalische Komposition abrollen.(34)

László wollte jedoch „nicht nur farbige Flächen in harmonischer Folge, sondern abstrakte Bilder in gleichzeitiger Darstellung mit der Musik erscheinen lassen“.(35) Er ging somit zugunsten der Integration ganzer Bilder über eine reine Farbillustration hinaus. Seit 1926 ergänzte der Experimentalfilmer Oskar Fischinger die Farblichtmusik mit seinen abstrakten Filmen.(36)

Das Sonchromatoskop

Alexander László bediente sich der Projektion, um die unzeitliche Malerei der zeitlichen Musik anzugleichen. Sein Sonchromatoskop vollführte zu am Piano gespielter Musik eine Vierfachprojektion und schuf dreiteilige Bilder, über die als vierte Ebene noch einmal komplexe Farben und Formen projiziert wurden.(37) László arbeitete mit Diapositiven, beweglichen abstrakten Formen und farbigem Licht. Die Projektionen folgten einer genauen Partitur, die László zur Musik komponiert hatte. Das Sonchromatoskop bestand aus einem Schalttisch, von dem aus es bedient wurde, sowie vier großen und vier kleinen Projektoren, die miteinander verbunden waren. Der Schalttisch war mit Registern und Hebeln versehen und wurde als „ähnlich einem Harmonium“(38) beschrieben. Von ihm aus konnten die einzelnen Projektoren gesteuert und die verschiedenen Farb- und Bildebenen miteinander gemischt werden, womit es in seiner Funktionsweise mit heutigen Mischpulten vergleichbar ist. Das Sonchromatoskop wurde gegenüber der Bühne am Ende des Saales aufgestellt, während László mit seinem Klavier auf dem Podium saß, die Leinwand im Rücken. Das Publikum befand sich zwischen László und seinen Mitarbeitern, die den Schalttisch bedienten. Der Schalttisch wurde eingerahmt von den zwei Projektoren Hauptwerk I und II, über die László sagte, sie „bringen das Wesentliche, das Elementare, das Geschehnis, das Bild“.(39) Diese wiederum wurden eingerahmt von den beiden Projektoren Nebenwerk III und IV, die nebensächliche Motive wiedergaben. Diese vier großen Projektoren waren weiterhin mit vier kleineren Rampenwerken verbunden. Die kleineren Rampenwerke waren die „Träger der eigentlichen Bildmotive, die nach dem bisherigen Lichtbildvorführungsverfahren ruckweise verschoben, ein- und ausgeschaltet“(40) wurden.

Wie die Farblichtkonzerte Lászlós tatsächlich aussahen, ist heute schwer nachzuvollziehen, da es keine Aufnahmen der Aufführungen gibt. Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass seine Präsentationen vielfarbig und durch die Verwendung mehrerer Bildebenen auch vielschichtig und eher abstrakt waren. Die Vielfarbigkeit und Vielschichtigkeit der Projektionen muss von beeindruckendem Charakter gewesen sein, der auf die „mannigfaltigen, farbig reizvollen und überraschenden Bilder“(41) zurückgeführt wurde.
Die Farblichtmusik-Karriere von Alexander László währte nur ganze zwei Jahre und lief im Herbst 1927 aus. László erfreute sich eines ausgesprochen hohen Bekanntheitsgrades, der über die Grenzen Deutschlands hinausging. In den Rezensionen seiner Konzerte traf sich vereinzelt „euphorische Zustimmung“(42) mit ebenso bedingungsloser Ablehnung. Ernüchternd mutet die allgemeine Auffassung der Kritiker an, László sei an seinem eigenen, weithin propagierten hohen Anspruch gescheitert; eine Synthese zweier gleichberechtigter Künste zu einem neuen Gesamtkunstwerk habe nicht stattgefunden.(43)

Elektronische und digitale Bilder

Während zu Beginn der 1930er Jahre das Interesse an Farbinstrumenten abebbte, trat der Experimentalfilm seinen Siegeszug an. Vor allem die experimentellen Filmemacher an der amerikanischen Westküste nahmen die Ideen Oskar Fischingers auf und beeinflussten durch ihre visuelle Musik die folgenden Künstlergenerationen maßgeblich. Durch die Entwicklung elektronischer Technologien verlagerte sich zunächst die Auseinandersetzung mit audiovisuellen Darstellungsformen vom Bewegungs-/Bildmedium Film zum „Bewegungsmedium elektronisches Bild (video, digital)“.(44) Bis zu diesem Punkt hatte sich die Visualisierung von Musik auf das Zusammenwirken der Elemente Klang und Bild als Analogie oder als synchroner Vorgang konzentriert. Mit der Elektronik, der durch sie aufkommenden Videokunst und Bewegungen wie Fluxus richtete sich der Fokus auf das Zusammenspiel von Kunst und Musik, zugunsten einer „Fusion der Medien auf der Grundlage von Intertextualität, Intermedialität, Interaktion“.(45) Durch die freien intermedialen Inszenierungen der Fluxus-Ereignisse, der Happenings und Performances wurden die akustischen, visuellen oder auch skulpturalen Elemente der Künste und Medien von ihren ursprünglichen Bezügen losgelöst, so dass schließlich alles zu allem in Beziehung gesetzt werden konnte.(46)
Das Zusammenspiel von Ton und Farbe bzw. Musik und (bewegtem) Bild ist vielfältig und ist dabei immer Teil kultureller Prozesse sowie künstlerischer und theoretischer Auseinandersetzungen gewesen. Eine neue Form der Musikvisualisierung ist im Umfeld der Clubkultur entstanden: das VJing. Aus diesem Kontext seit einigen Jahren heraustretend, beeinflussen VJs durch ihre Arbeit zusehends auch die Bildästhetik in künstlerischen Bereichen. Als audiovisuelles Phänomen verbindet VJing (elektronische) Musik und bewegte Bilder performativ und ist durch die Verwendung von digitaler Technologie bestimmt. Ähnlich der Arbeit eines DJs „mixt“ der VJ in spontan-assoziativer und rhythmisch-interpretierender Reaktion auf die Musik Bewegtbilder, so genannte Visuals, live und in Echtzeit mittels moderner Technik und projiziert diese auf Leinwände bzw. Monitore. Die rhythmische Struktur der bewegten Bilder ist durch den Musik-Mix des DJs vorgegeben. VJing ist Teil des Gesamterlebnisses Club und ist somit auch Teil einer kulturellen Praxis, die – über den Clubkontext hinaus – Anknüpfungspunkte mit Bereichen wie Design, Architektur, Kunst und Grafikdesign aufweist. VJing ist jedoch nicht aus dem Nichts entstanden, sondern kann ästhetisch und technisch in der Tradition der vorgestellten audiovisuellen Kunstformen gesehen werden. Ähnlich wie bei Lázló wurden Musik und bewegtes Bild getrennt voneinander generiert.

Musikvisualisierungen im 20. Jahrhundert zeichnen sich durch die Integration von Technik in künstlerische Prozesse aus. Heutige Formen von Musikvisualisierung sind geprägt von digitalen Technologien und Echtzeitprozessen. Im ersten Drittel des 20. Jahrhundert erprobten aber schon die Pioniere der Farbenmusik und des Experimentalfilms technische Praktiken visueller Umsatzformen im Zusammenspiel mit Musik. Aufgrund der zur Verfügung stehenden Technologie wurde das Zusammenspiel von Musik und Bild im Verlauf der Jahrzehnte zunehmend offener. Heutige Formen des Audiovisuellen verfügen über freie Kombinationsmöglichkeiten von Musik und Bild bzw. von verschiedenen Kunstformen im Allgemeinen. Es zeigt sich also, dass im 20. Jahrhundert Technologie einen speziellen Anwendungsbereich in der Kunst gefunden hat, der besonders die gestalterischen Möglichkeiten betrifft.(47) Vor allem in jüngerer Zeit ist zu beobachten, dass die zeitgenössische, zumeist elektronische Musik großen Einfluss auf die grafischen und visuellen Ausdrucksformen medialer Bildgestaltung nimmt bzw. sich in ihr widerspiegelt, ein Vorgang, der unsere Alltagskultur maßgeblich prägt und gestaltet. Diese Entwicklungen machen sich ebenso in der Integration medialer Kunstansätze in die traditionellen Aufführungshäuser von Oper, Theater und Ballett bemerkbar wie im Rahmen von Ausstellungen und Kunstfestivals. Das Ars Electronica Futurelab hat in den letzten Jahren beeindruckende Versuche unternommen, mittels moderner Technologien und deren Erweiterung bzw. durch spezielle Entwicklungen neue Formen der Musikvisualisierung zu schaffen. Zum einen, um bereits existierende Musik zu visualisieren, wie durch das Pilotprojekt Das Rheingold – Visionized von 2004 und darauf folgend die 3D-Visualisierung von Mahlers Auferstehungs-Sinfonie.(48) Oder zum anderen, um völlig neue Darstellungsmöglichkeiten durch die gezielte Zusammenarbeit von visuellen und musikalischen Künstlern gemeinsam zu schaffen, wie bei dem Projekt Music Plays Images x Images Play Music von Ryuichi Sakamoto und Toshio Iwai im Rahmen der Ars Electronica 1997. Es entstand „eine Performance, die musikalische Klänge auf verschiedenste Art mit visuellen Bildern verknüpft. Aus dem dabei entstehenden Feedback entstand ein völlig neuartiger Raum der Musikalität und Visualität“.(49)

Was auch immer zukünftige Musikvisualisierungen mit sich bringen, die technischen Möglichkeiten audiovisueller Präsentation sind noch lange nicht erschöpft, und die Faszination der Farbenmusik scheint nach wie vor ungebrochen und noch immer nicht an Aktualität verloren zu haben.

Überarbeiteter Auszug aus der Magisterarbeit „VJing – Musikvisualisierung im 20. Jahrhundert“

(1)
Jewanski, 1999, 579ff zurück

(2)
Jewanski, 1999, 67ff zurück

(3)
Jewanski, 1999, 73ff zurück

(4)
Moritz, 1987, (18) zurück

(5)
Jewanski, 1999, 83ff zurück

(6)
Weiß, Gelb, Rot, Purpur, Grün, Blau und Schwarz zurück

(7)
Jewanski, 1999, 87, 582f zurück

(8)
Jewanski, 1999, 120f zurück

(9)
Jewanski, 1999, 229ff, 253, 259ff, 583 zurück

(10)
Moritz, 1987, 19 zurück

(11)
vgl. Hierzu u.a. Moritz, 1987, 19f; Schneider, 2003 zurück

(12)
Jewanski, 1999, 170-179 zurück

(13)
Moritz, 1987, 20 zurück

(14)
ibid. zurück

(15)
Jewanski, 1999, 274 zurück

(16)
Jewanski, 1999, 584 zurück

(17)
Jewanski, 1999, 292-294, 323-338. zurück

(18)
Jewanski, 1999, 585ff zurück

(19)
vgl. hierzu Weibel, 1987, 59f; Kiebscherf, 1998, 45f; Hahl-Koch, 1985, 354-359 zurück

(20)
vgl. Hierzu Emons, 2000, 235ff zurück

(21)
Emons, 1987, 51 zurück

(22)
Emons, 1987, 53 zurück

(23)
Emons, 2000, 251 zurück

(24)
Muxel, 2003, 45 zurück

(25)
Jewanski, 1999, 40f zurück

(26)
Kienscherf, 1996, 149ff zurück

(27)
Jewanski, 1999, 13 zurück

(28)
Jewanski, 1999, 40 zurück

(29)
vgl. Hierzu Hahl-Koch, 1985; Jewanski, 1999, 17; Moritz, 1987, 21ff; Centre Pompidou, 2004 zurück

(30)
Jewanski, 1997, 17 zurück

(31)
Jewanski, 1997, 15 zurück

(32)
László in Jewanski, 1997, 15 zurück

(33)
Jewanski, 2000, 53 zurück

(34)
Jewanski, 2000, 53 zurück

(35)
ibid. zurück

(36)
Jewanski, 2000, 20f zurück

(37)
Jewanski, 2000, 21 zurück

(38)
Schröter [1925] in Jewanski, 2000, 56 zurück

(39)
László in Jewanski, 1997, 22 zurück

(40)
Jewanski, 2000, 57 zurück

(41)
Jewanski, 1997, 32 zurück

(42)
Jewanski, 1997, 28 zurück

(44)
Weibel, 1987, 108 zurück

(45)
Weibel, 1987, 116 zurück

(46)
Weibel, 1987, 116f zurück

(47)
vgl. hierzu auch Franke, 1979, 1 zurück

(48)
Deutsch, Johannes, 2004; o.V., 2005 zurück

(49)
Iwai, Toshio & Sakamoto; Ryuichi, 1997 zurück


Literatur

Centre Pompidou (Hrsg.) (2004). Sons & Lumières. Une histoire du son dans l’art du XXe siècle. Katalog zur
Ausstellung „Sons & Lumières“ im Centre Pompidou, Galerie 1, 22. September 2004 bis 3. Januar 2005. Paris: Éditions du Centre Pompidou.

Deutsch, Johannes (2004). Das Rheingold. In Gerfried Stocker, Christine Schöpf (Hrsg.)
Ars Electronica 2004, Timeshift —The World in Twenty-Five Years (S. 319 – 321). Ostfildern-Ruit: Hatje Cantz.

Emons, Hans (1987). Das mißverstandene Modell. Zur Rolle der Musik im abstrakten Film der Zwanziger Jahre. In: Klaus-Ernst Behne (Hrsg.), film-musik-video oder Die Konkurrenz von Auge und Ohr (S. 51 – 64). Regensburg: Gustav Bosse Verlag.

Emons, Hans (2000). „Musik des Lichts“. Tonkunst und filmische Abstraktion. In Josef Kloppenburg (Hrsg.), Musik multimedial: Filmmusik, Videoclip, Fernsehen (S. 231 – 258). Laaber: Laaber.

Franke, Herbert W. (1979). Einleitung. In Linzer Veranstaltungsgesellschaft mbH Ernst Kubin, Horst Stadlmayr (Hrsg.) Katalog der Ars Electronica 1979. (S. 8 - 27). Linz: J. Wimmer Ges.m.b.H. & Co

Hahl-Koch, Jelena (1985). Kandinsky und der ‚Blaue Reiter'. In Karin v. Maur (Hrsg.), Vom Klang der Bilder. Die Musik in der Kunst des 20. Jahrhunderts (S. 354 – 359). München: Prestel.

Iwai, Toshio & Sakamoto, Ryuichi (1997). Music Plays Images x Images Play Music. In Ars Electronica 1997.
Fleshfactor – informationsmaschine mensch (S. 356 – 359). Wien, New York: Springer.

Jewanski, Jörg (1997). Die Farblichtmusik Alexander Lászlós. Zeitschrift für Kunstgeschichte, 1 (S. 12 – 43).

Jewanski, Jörg (1999). Ist C = Rot? Eine Kultur- und Wissenschaftsgeschichte zum Problem der wechselseitigen
Beziehung zwischen Ton und Farbe: Von Aristoteles bis Goethe. Sinzig: Studio, Verlag Schewe.

Jewanski, Jörg (2000). Wie ein Komet am Sternenhimmel. Die Erstaufführung von Alexander Lászlós Farblichtmusik am 16. Juni 1925. In Antje Erben (Hrsg.), Grenzgänge – Übergänge : Bericht über das 13. Internationale Symposium des Dachverbandes der Studierenden der Musikwissenschaft e.V. in Frankfurt am Main (S. 51 – 81). Hamburg: Bockel.

Kienscherf, Barbara (1996). Das Auge hört mit. Die Idee der Farblichtmusik und ihre Problematik – beispielhaft
dargestellt an Werken von Alexander Skrjabin und Arnold Schönberg. Frankfurt am Main: Europäischer Verlag der
Wissenschaften.

Kienscherf, Barbara (1998). FarbLichtMusik. Auf den Spuren einer ungewöhnlichen Beziehung. Jahresring, 45,
(S. 38 – 52).

Moritz, William (1987). Der Traum von der Farbmusik. In Veruschka Bódy & Peter Weibel (Hrsg.), Clip, Klapp, Bum:
von der visuellen Musik zum Musikvideo (S. 17 – 52). Köln: DuMont.

Muxel, Andreas (2003). Formprozessor. Interpretation von Musik und Transformation in Elemente der visuellen Gestaltung. Diplomarbeit zur Erlangung des akademischen Grades eines Magisters (FH) im Studiengang InterMedia an der Fachhochschule Vorarlberg. http://kisd.de/~muxel/homepage/diploma/thesis.pdf (6.9.2005).

o.V. (2005). Mahlers Auferstehungs-Sinfonie Visionized. 3D-Visualisierung der Sinfonie Nr. 2. http://www.aec.at/de/futurelab/projects_sub.asp?iProjectID=13244 (05. 06. 2006).

Schneider, Dirk (2003). Musikclip Musikvideo. Genese musikalischer Bilderwelten.
http://www.musicline.de/de/genre/lexikon/Pop/Videoclip (04. 12. 2004).

Weibel, Peter (1987). Von der visuellen Musik zum Musikvideo. In Veruschka Bódy & Peter Weibel (Hrsg.), Clip, Klapp, Bum: von der visuellen Musik zum Musikvideo (S. 53 – 163). Köln: DuMont.


Abbildung Seite 288: Otto A. Graef: Farblichtmusik, in: Neue Musik-Zeitung 47 (17), 1926, 397
(Reproduktion: Photostelle der Hessischen- und Hochschulbibliothek Darmstadt). Dank an Jörg Jewanski.

Abbildung 289: Albert Schröter: Die Farblichtmusik, in: Münchner Illustrierte Presse/Illustrierte Technik, Nr. 18,
1925, 94, Abb. 19 (Reproduktion: Photostelle der Bayrischen Staatsbibliothek München). Dank an Jörg Jewanski.