Vision Mahler
'Johannes Deutsch
Johannes Deutsch
„Was ist das für eine Welt, welche solche Klänge und Gestalten als Widerbild auswirft!“ Gustav Mahler
Die musikalische Aufführung der II. Sinfonie von Gustav Mahler wird interaktiv mit der visuellen Interpretation der II. Sinfonie verbunden. Die Gestaltung der Visualisierung konzentriert sich auf die Aussagen in der Musik und auf die von ihr ausgelösten Emotionen. Das kulturhistorische Ambiente Gustav Mahlers und seine eigenen Inspirationsquellen sind in diesem Zusammenhang nicht Thema der Visualisierung. Es geht um die Verbindung zweier Interpretationen: um jene in der Musik und um jene in der Vision. Achtzehn dreidimensionale Objekte repräsentieren als virtuelle Welt die Welt der II. Sinfonie auf einer abstrakten Ebene. Analog zur Musik durchlaufen die Objekte der Visualisierung eine Transformation, welche uns Mahler als musikalisches Geschehen in fünf Sätzen zu Gehör bringt. Die thematischen Stationen und Stadien der Sinfonie – Leiden, Romantik, Ironie, Liebe, Zweifel und Hoffnung – werden mit der Verwandlung der Objekte in Assoziation gebracht, wenn beispielsweise im ersten Satz Objekte sich aufrichten und wieder zusammenbrechen; wenn sie im zweiten Satz tanzen, strahlen und glänzen. Der dritte Satz fegt mit Ironie über die Formen und verzerrt sie; in der Liebe (im vierten Satz) erstrahlt das Licht; und im fünften Satz folgen Erdbeben und Zerstörung, Objekte bersten, ein Exodus setzt in der virtuellen Welt ein. Erst ganz zuletzt ereignet sich die Erlösung, alles flirrt, segelt und verschwebt. Während die Objekte die Stationen der Sinfonie durchlaufen, werden an ihnen Eigenbewegungen ähnlich einem Pulsschlag oder dem Atem sichtbar. In welche Schwingung die Objekte dabei geraten und wie und ob auch ihre Ausstrahlung sichtbar wird, hängt von der Musik und der Interpretation in der Aufführung ab. Live und interaktiv ist die Vision mit der Musik verbunden, und die Musik belebt die virtuellen Objekte wie ein Schrittmacher. Auf diese Weise reflektiert die Visualisierung gleichzeitig die wechselhafte, beinahe extreme Darstellung von dramatischen und lyrischen Satzteilen, bis hin zum Wandel ins Tänzerische und Religiöse und den kraftvollen Ausdruck von der Gelöstheit und Freude bis zur tiefsten Erschütterung. Die Verwandlungsfähigkeit der Objekte ist die Voraussetzung, um die symphonische Besonderheit der II. Sinfonie erfassen und in die Visualisierung einfließen lassen zu können. Wenn Gustav Mahlers Vertonungen allgemein für ihre ideale Verbindung von Wort und Ton bekannt sind, dann fasziniert den Medienkünstler an der II. Sinfonie ganz besonders die direkte Umsetzung von Inhalten in Musik. Durch ihre sequenzielle Anordnung in der Musik lassen sich Mahlers Aussagen gewissermaßen wörtlich verstehen, und die Abfolgen der von der Musik ausgelösten Emotionen evozieren beim Rezipienten einen mentalen Film. Diesem Potenzial folgend, wurde, während sich Glanz und Finsternis, Majestätik und Beben über und durch alle Objekte ziehen, der 3D-Raum in der Philharmonie und im Fernsehen dazu genutzt, um analog zur Musik ein visuelles Crescendo zu erzeugen. Die Objekte der Visualisierung weiteten sich zum Rezipienten immersiv alle Sinne erfassend aus.
Diese Visualisierung ist keine Animation, sondern eine in Echtzeit generierte und mit der Musik verbundene virtuelle Welt. Die visuelle Dramaturgie ist so plastisch, dass der Einfluss der Interpretation des Dirigenten Semyon Bychkov und des WDR Sinfonie Orchesters sich direkt auf die Visualisierung von Mahlers II. Sinfonie auswirken konnten. Das bedeutet, dass die Interpretation des Orchesterwerks nicht nur in der Musik, sondern auch in der Gestaltung der Visualisierung zum Ausdruck gebracht wurde! Im Fernsehen wurde die Visualisierung in einer eigenen Darstellungsform gezeigt, um dem Publikum am Bildschirm Zugang zum experimentellen interaktiven Konzertereignis in der Philharmonie zu verschaffen. Eine Infrastruktur innerhalb der Softwaresysteme – die in Echtzeit eine interaktive virtuelle Welt als Symbiose zweier Interpretationen, aus Musik und Vision, generierten – erschloss als intelligente virtuelle „Kamera“ den von Johannes Deutsch und Ars Electronica Futurelab geschaffenen digitalen Kunstraum in der Philharmonie für den Blickwinkel des Fernsehens. Die Informationssysteme des digitalen Kunstraums errechneten, wann, wo und aus welcher Perspektive die interaktive Verschmelzung von Musik und Vision für die Fernsehperspektive am treffendsten zu Stande kam. Darüber hinaus wurde eine dynamische virtuelle Kamerasicht durch den Einsatz von gezielt programmierten Bewegungsmustern unterstützt, diese erlaubten dem Fernsehpublikum mit Hilfe spezieller Brillen die Illusion einer räumlichen Ausdehnung des TV-Bilds. Die virtuelle „Kamera“ generierte während der gesamten Aufführung die Fernsehansicht automatisch mit. Dem Fernsehpublikum stand die Visualisierung von Mahlers II. Sinfonie deshalb aus mehreren Blickwinkeln zur Verfügung. In der Regie wurden die vier direkten Kanäle der Visualisierung mit den TV-Bildern der in der Philharmonie aufgestellten Fernsehkameras zu einem mehrschichtigen Bildraum verbunden.
„Vision Mahler“, die Visualisierung der Auferstehungssymphonie von Gustav Mahler (Mahlers II. Sinfonie) wurde anlässlich des Festkonzerts zum 50-jährigen Bestehen des Westdeutschen Rundfunks am 1. Jänner 2006 in Köln uraufgeführt. Unter der Leitung von Semyon Bychkov wurde das Ereignis in der Kölner Philharmonie aufgeführt und auch live im Fernsehen übertragen.
Medienkünstlerische Gestaltung des Konzerts: Johannes Deutsch und Ars Electronica Futurelab. Projektteam: Johannes Deutsch, Robert Abt, Florian Berger, Peter Freudling, Horst Hörtner, Andreas Jalsovec, Christopher Lindinger, Pascal Maresch, Stefan Mittlböck-Jungwirth, Nina Valkanova
|