SIMPLICITY - the art of complexity - ARS ELECTRONICA 2006 - Festival für Kunst, Technologie und Gesellschaft - Linz, Do 31. August – Di 5. September

 

 

Simplicity: The Art of Complexity

Ein einfaches Leben. Eigentlich wollen wir das doch alle. Aber wie mit allem, das man nicht hat und sich sehnlichst wünscht, paart es sich unweigerlich mit Langeweile, sobald es in Erfüllung geht. Das Geschiebe und Getriebe in der täglichen Arbeit motiviert uns zu Urlaub und Erholung. Einfachheit erreicht. Sobald sich aber Erholung einstellt, lockt die Komplexität. Es muss doch noch mehr im Leben geben! Wir tauchen wieder in die Komplexität ein und verfolgen das Ritual von Komplexität, Einfachheit, Komplexität, Einfachheit, Komplexität, bis wir am Ende unseres Lebens durch unser Nicht-mehr-Sein die höchste Stufe der Einfachheit erlangen – Nichtexistenz.

Oberflächlich betrachtet unterstützen alle künstlerischen Praktiken Komplexität: Das Hinzufügen eines Konzepts zum visuellen, auditiven oder taktilen Bereich. Dennoch vereinfacht so manche Kunstform – trotzdem sie dem Universum an Konzepten und Objekten um uns Dinge hinzufügt – dank ihres eher subtrahierenden als addierenden Charakters die Welt. Technologiekunst, und im besonderen die Computer- im Gegensatz zur kinetischen Kunst, ist im Allgemeinen weder einfach noch komplex. Sie ist beides. Deswegen will die Technologiekunst auch nicht so recht in eine der vorher genannten Kategorien passen. Sie ist komplex: Kryptische Anweisungen und Rituale sind zur Wartung und Interaktion mit dem Kunstwerk notwendig. Sie ist einfach: Im Vergleich zu den komplexen Empfindungen, die sie hervorrufen, mutet der Code hinter den Kunstwerken geradezu trivial an. Vor die Wahl gestellt, ein traditionelles Ölgemälde oder ein Computerkunstwerk in meinem Wohnzimmer aufzuhängen, würde ich mich der Einfachheit wegen für das Gemälde entscheiden. Es ist aber sehr unwahrscheinlich, dass ich im Wohnzimmer bin und mich am Bild erfreue, weil ich für gewöhnlich vorm Computer sitze – der zum Wohnzimmer der meisten modernen Geister geworden ist.

Um die Computerwelt annehmen zu können, müssen wir einen Grad an Komplexität hinnehmen, den wir definitiv nicht erfassen können. Der Computer täuscht uns mit seinen Pixelreihen – wir meinen das gesamte Bild zu sehen, das auch der Computer sieht. Das stimmt aber nicht. Am Bildschirm sehen wir nur einen Bruchteil der stets am Computer laufenden erdachten Prozesse. Wir erfassen nur einen winzigen Ausschnitt des Gewirrs und der Pein des Computerhirns. Die Einfachheit der Computerschnittstelle lässt uns über den im Innern des Rechners grassierenden komplexen Abläufen stehen. Wollen wir wirklich tiefer in dieses innere Chaos vordringen?

Ich war immer der Meinung, das Programmieren wäre für jeden Technologiekünstler eine bedeutende Fertigkeit. Das glaube ich nicht mehr. Ich bin überzeugt, dass dessen Beherrschung unumgänglich ist, aber nicht um Technologiekunst schaffen zu können. Die Grenzen des Programmierens haben mir stets Kummer bereitet. Um das sagen zu können, muss man sich allerdings damit auskennen. Es muss erst eine neue Generation von Programmiersprachen oder -paradigmen entwickelt werden, um das Potenzial des Computer voll ausschöpfen zu können. Ich habe keine Vorstellung, wie diese neuen Systeme aussehen oder sich anfühlen werden. Um aber dorthin zu gelangen, müssen wir die Komplexität – oder „The Art of Complexity“, den Titel des diesjährigen Ars-Electronica-Symposiums – verstehen lernen.

Wir haben eine illustre Reihe von Vortragenden eingeladen, von denen jeder über die unterschiedlichen Aspekte der Einfachheit – und wohl auch der Komplexität – sprechen wird. Wie leben wir? Wie werden wir leben? Was fürchten wir? Wonach sehnen wir uns? Ich denke, dass die Diskussion darüber ausgesprochen komplex wird. Und dann, so hoffe ich, werden wir die Zusammenhänge zu sehen beginnen, die jede Diskussion verschiedener Disziplinen zum Thema Einfachheit verbinden. Gemeinsam werden wir auf diesem Podium des Vertrauens einen Wissenskatalog organisieren, reduzieren und synthetisieren und hoffen, dass dabei jeder Teilnehmer die Wahl für seinen Weg zur Einfachheit oder Komplexität treffen kann.

John Maeda

 

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