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Der Springbrunnen


'Stephen Pevnick Stephen Pevnick

Ich sah Springbrunnen aus einem neuen Blickwinkel, als ich mir zu überlegen begann, wie man Regen als Geräusch darstellen könnte, und beobachtete, wie er sich in visuelle Kunst verwandelte. Anstatt Wasser in die Höhe sprühen zu lassen, ließ ich es herunterrieseln, Tröpfchen für Tröpfchen. Mit den neuesten dieser Springbrunnen produziere ich Kunst, mit Hilfe eines Netzwerks von fünf Computern, das mir gestattet, frei fallende Wassertröpfchen dreidimensional zu gestalten. Für mich als Künstler ist dieser künstliche Regen mein Ausdrucksmittel Regen, der fällt und sich dabei in Graphiken und in Wörter verschiedener Sprachen verwandelt. Das Medium ist neu, geheimnisvoll und, wie ich gerne sage, "un-gesehen", In meiner Vorstellung sehe ich frei fallende Wassertröpfchen, die man programmieren kann und aus denen sich Bilder und Wortbilder als urbane, öffentliche Kunst zusammenfügen. Im kulturellen Bereich wird das eine neue Art sein, städtische Räume zu zelebrieren. Es würde mir gefallen, wenn eine ganze Stadt sagte: Da gibt es etwas, auf das wir wirklich stolz sind und das ausdrückt, wer wir sind. Ein wesentliches Element des Springbrunnens ist sein Geheimnis. Zur Gestaltung der Bilder wird beim Springbrunnen eine der geheimnisvollsten Technologien der westlichen Welt, der Computer, verwendet. Von ihr bezieht er seine Kraft als mythischer Springbrunnen, der zum Brennpunkt für Träume und Zielsetzungen einer Kultur werden kann, die eine religiöse Metapher in Technologie umgesetzt hat, als sie bei ihrem Streben nach Erlösung zu wachsen begann.

Wie die meisten Künstler möchte ich, daß meine Kunst den Menschen ermöglicht, das, was sie schon immer wahrgenommen haben, neu zu sehen. Künstler definieren das visuelle Repertoire neu. Ich arbeite mit Motiven aus der Natur, mit denen ich mit Hilfe der Technologie meine Kunst gestalte. Es macht mich glücklich, daß ich von meiner Kunst manchmal sagen kann: "Das ist Natur in einem sehr seltenen und schönen Augenblick."

Ich erinnere mich an einen Satz Otto Ranks, den Earnest Becker in seinem Buch The Denial of Death zitierte: "In seinen größten Augenblicken wird der Mensch von der Natur verspottet." Da ich die Natur als Medium einsetze, vermittle ich den Menschen für einen Moment den Eindruck, die Natur zu beherrschen, indem ich vorführe, was ich mit ihr machen würde, wenn ich einen Augenblick lang die Herrschaft über sie hätte. Ich kann mich erinnern, daß ich in meiner Jugend Walt Disneys Zeichentrickfilm Der Zauberlehrling sah, in dem Mickey Mouse Mantel, Hut und Zauberstab des Hexenmeistets entwendet und auf einen Berg steigt, um die Sterne bei einem schwungvollen Tanz zu dirigieren.

Meine Sichtweise der Welt ist ein Instrument. Der Blick eines Künstlers ist ein perzeptives Instrumentarium. Er ist ein Schlüssel zum Sehen, eine Ästhetik. Dieser einzigartige Blick vergrößert und steigert meine Anpassungsfähigkeit an meine Umgebung, und als Künstler vermittle ich einen Aspekt meines Blicks, mit dem ich begabt bin, so daß andere an ihm teilhaben können. In seinem Buch Art and Artists beschreibt Otto Rank das sehr hübsch: "Zuerst schafft ein Künstler seine Kunst, und dann verwendet er seine Kunst, um etwas zu erschaffen." Zuerst frage ich, was nur ich allein sehe, was niemand anderer sieht, und dann finde ich ein Medium, um diese Sicht so wirksam als möglich zu vermitteln. Im Abendland hat das im allgemeinen bedeutet, eine künstlerische Aussage zu machen, die in der linearen Abfolge von Ereignissen, die die westliche Kunstgeschichte darstellt, der nächste logische Schritt ist. In der Geschichte der Springbrunnen in der westlichen Welt ist das Regen"-Projekt der nächste logische Schritt.

Der Springbrunnen ist ein neues Medium. Es ist wichtig, sich vor Augen zu halten, daß er als Ausdrucksmittel nicht andere, traditionellere Ausdrucksmittel ersetzt. Es handelt sich bloß um eine andere Art, einen Tanz zu tanzen oder ein Lied zu singen. Man darf auch nicht vergessen, daß es in der visuellen Kunst keinen absoluten Maßstab gibt. Es gibt nicht nur eine Kunst, sondern es gibt viele akzeptable Lösungen. Da sich die westliche Welt immer schneller verändert, mit immer mehr Bildern und schnelleren Kommunikationsmitteln ihre technologischen Prozesse beschleunigt, wird es wichtig, soviele Künstler als möglich zu haben, die ihre Sicht der Welt vermitteln, so daß die besten ausgewählt werden können. Neue Medien können zu den Kommunikationsmitteln eines Künstlers einen wichtigen Beitrag leisten.

Die Kunst ändert sich nicht, sie handelt immer vom menschlichen Schicksal. Nur ihre Übermittlungsmöglichkeiten verändern sich. Da in der bildenden Kunst immer das Gegenständliche zentral war, veränderten sich die Ausdrucksmittel durch die Wahl eines Themas, einer Szene oder eines Inhalts, durch die Wahl des Materials und durch die Entscheidung für Zwei- oder Dreidimensionalität.

Ich wünsche mir, daß die Springbrunnen im öffentlichen Raum von Städten aufgestellt werden. Zur Zeit bin ich auf der Suche nach Mitteln für einen Ventilkopf, der wesentlich größer ist als der jetzige vierteilige mit 2304 Düsen. Je größer die Ausführung des Ventilkopfes ist, desto größer wird das ästhetische Potential des Springbrunnens. Nicht die Kapazität des Computers entscheidet über die Möglichkeit des Brunnens, sondern die Ausführung des Ventilkopfs.

Ich könnte mir vorstellen, daß man eine Reihe von Springbrunnen in verschiedenen Größen aufstellt und auf den architektonischen Rahmen der Umgebung abstimmt. Diese Springbrunnen könnten mit einem Modem ausgestattet werden, so daß ich eine bestimmte Installation anwählen und neue Software eingeben kann, die die Graphiken oder Worte festlegt. Der Springbrunnen ist dynamisch, weil er einer Malerei gleicht, die sich jederzeit verändert, ja sogar gelöscht und neu gemalt werden kann. Der Springbrunnen könnte die ästhetischen Besonderheiten verschiedener Kulturen widerspiegeln – auch deshalb, weil er in den meisten westeuropäischen Sprachen sowie in Hebräisch, Arabisch und Japanisch schreiben und Botschaften übermitteln kann, die ebenfalls neu verfaßt werden können. Zur Zeit arbeite ich an der Adaptierung des Springbrunnens für osteuropäische Sprachen.

Eine andere Anwendungsmöglichkeit für den Springbrunnen wäre, aus ihm ein Orakel zu machen, das eine Frage beantworten kann, wenn man eine Münze ins Becken wirft. Da der Springbrunnen zu schreiben beginnt, wenn er eine Münze registriert, könnte ich eine zeitgenössische Version dessen anfertigen, was ich ein Prophezeiungssystem in der Art des I-Ching nennen würde. In dem Fall wäre der Springbrunnen ein synchronistisches Medium, Ira Progroff definierte in seinem Buch Jung, Synchronicity and Human Destiny zwei zufällige Ereignisse als synchron, die zeitlich zusammenfallen. Stellen Sie sich doch vor, Sie kommen und äußern einen Wunsch oder eine Frage, und der Springbrunnen vermittelt Ihnen etwas, das zur Entwicklung Ihrer Persönlichkeit beiträgt – als ob der Springbrunnen ein Medium oder ein Schamane wäre.

Vielleicht wird der Springbrunnen ein Zugang zur rechten Hälfte unseres Bewußtseins, von der Julian Jaynes in seinem Buch The Origin of Consciousness in Breakdown of the Bicameral Mind spricht. Jaynes beschreibt eine Art von Bewußtseinszustand, in dem Bilder suggestiver waren und in dem man in höherem Maß zu kollektiven Erlebnissen fähig war. Der Springbrunnen hat hypnotische Qualitäten schon allein durch sein natürliches Bewegungsbild. Erwachsene und Kinder bleiben stehen, schauen in den Springbrunnen und sprechen miteinander, ohne ihn aus den Augen zu lassen. Das ist wie Fernsehen. Wenn jemand in den Bildraum blickt, versetzt sich sein Bewußtsein in ihn und öffnet sich, um alles in sich aufzunehmen. Der Springbrunnen mit 2304 Düsen, den ich jetzt präsentiere, hat diese Art von innerem Bildraum. Man kann sich in ihm verlieren. Er fesselt den Blick wie ein Lagerfeuer. Man kann lange in das leuchtende Bewegungsbild starren, und haben Sie einmal im Geist die Reise in den Springbrunnen gemacht, wirkt dieser größer, als er tatsächlich ist. Technisch gesehen ist der Springbrunnen ein Display, das digitale Daten zu analogen Informationen umwandelt, nicht unähnlich einem Fernseher, abgesehen davon, daß im Springbrunnen die Daten mit einer niedrigeren Frequenz verarbeitet werden und daß seine Auflösung geringer ist. Mit der jetzigen Größe des Ventilkopfs kann ich nur einfache Graphiken zusammensetzen. Ich kann keine Landschaften oder figurative Bilder bilden wie das Fernsehen. Hätte ich mehr Mittel für einen größeren Ventilkopf zur Verfügung, könnte das Bewegungsbild vielseitiger gestaltet werden.

Ich erfuhr sehr früh, wozu unsere westliche Technologie in der Lage ist, wenn Bemühungen von Technikern in die richtigen Bahnen gelenkt werden. Das war etwas, was ich auf der Design School an der Southern Illinois University in Carbondale lernte, die unter dem Patronat von R. Buckminster Fuller steht und wo ich meinen Bachelor of Arts machte. Diese Erfahrung wurde auch bei meinem ersten Job bei der McDonnell Aircraft Company bestätigt, die zur McDonnell Douglas Aircraft Corporation gehört und wo ich Einstiegstüren von Flugzeugen entwarf. Als ich an die Graduate School der Washington University of Art zurückging, hatte ich gelernt, Technologie anzuwenden, was mir beim Bauen und Designen eine Vielseitigkeit ermöglichte, die innerhalb der traditionellen Kunstgattungen unbekannt war und die mit der handwerklichen Geschicklichkeit, über die die meisten Studenten zu Beginn des Graduate-Programms verfügten, nicht erreicht werden konnte. Als ich lernte, meine Vorstellungen als Künstler zu realisieren, stand mir als Ausdrucks- und Kommunikationsmittel die jeweils neueste Technologie zur Verfügung.

Ich glaube, daß der Springbrunnen etwas Geheimnisvolles hat, weil die Technologie, die ich verwende, ein Bild liefert, das noch nie zuvor gesehen worden ist. Bei der International Art Exposition at Navy Pier in Chicago kam eine Frau zu mir und fragte mich: Wie biegen Sie das Wasser so?" "Große Magneten", antwortete ich. Ein Feuerwehrmann der städtischen Feuerwehr Chicagos kam in Regenmantel und Feuerwehrhelm bei der gleichen Ausstellung auf mich zu und fragte: "Wie frieren Sie das Wasser so schnell und schmelzen es über dem Boden wieder?" Die Leute verstanden nicht, was sie sahen, und das verlieh dem Bild Kraft. Es wurde dadurch zu einem unvergeßlichen Bild, an das die Betrachter mit neuem Wissen herangehen mußten und bei dem sie sich anstrengen mußten, das, was sie sahen, zu verarbeiten und zu identifizieren. Das ist nicht dasselbe wie etwas zu betrachten, das aus Dingen zusammengesetzt ist, die man schon gesehen hat. Wie der Springbrunnen sein Bild produziert, das ist genauso geheimnisvoll wie andere Großmythen unserer Kultur, wie der Computer oder die Medizin.In diesem Sinn hat der Springbrunnen als Kunst eine mythische Rolle, für die auf die visuelle Sprache der zeitgenössischen Kultur zurückgegriffen wird. Obwohl man das Bild nicht versteht, erhält es eine fast religiöse Bedeutung, weil das kinetische Wasserdisplay mit Worten akzeptiert wird. Entweder man hält das Bild für real, oder man akzeptiert es, obwohl man nicht weiß, wie es gemacht ist. Das hat mit Glauben zu tun. Das Produkt unterhält, und die meisten verallgemeinern die unbeantwortete Frage nach seiner Machart mit einem Vertrauen in die zeitgenössische Technik, die so viel Macht hat, weil wir sie nicht erklären können, die aber für uns arbeitet.

Der öffentliche Springbrunnen mit dem Display hat sich aus dem früheren "Regen"-Projekt entwickelt, das zuerst 1977 lief. Nach zwölf Jahren ist dieser Springbrunnen mit 2304 Düsen das, was ich die erste realisierbare Version für Städte nennen würde. Ich hoffe, daß ich den Springbrunnen jetzt weiterverbessem kann, so daß sein Potential deutlicher erkennbar wird. Gelegentlich fühle ich mich wie Nikola Tesla, der Erfinder des Induktionsmotors, des Dreiphasensystems, der Tesla-Spule, des fluoreszierenden Lichts, des Radios, der auch an der Entwicklung von Mikrowellen beteiligt war und der für die finanzielle Unterstützung seiner Forschungen durch gelegentliche Vorführungen mit dem Hochfrequenztransformator warb und dabei eine phantastische Show abzog, die einen ähnlichen Mythos darstellte wie das, woran ich arbeite, den des Menschen und der Natur. Er stand dabei in einem atemberaubenden Hochspannungsfeld, dessen Strom aussah wie Blitze, die von seinem Kopf ausgingen und bis zu seinen Fingerspitzen reichten. Der Springbrunnen erregt bei einem großen Publikum Aufsehen. Manche seiner Betrachter sind zwar über die Geschichte der westlichen Kunst informiert, aber die meisten sind es nicht. Es ist sehr wichtig, daß der Springbrunnen allgemein gewürdigt wird, weil man heute nur schwer Kunst findet, die diese Wirkung hat.

Ein Freund von mir aus Antwerpen besuchte mich. Bei seiner Ankunft erzählte er, daß er auf seiner Herreise einen mehrwöchigen Aufenthalt in New York gemacht habe, bei dem er herumgegangen sei und sich alle Galerien angesehen habe. Als ich ihn in mein Atelier mitnahm und ihm den neuen Ventilkopf mit 2304 Düsen zeigte, der dort lief, schaute er drein, als hätte er eben eine Saturnrakete abheben gesehen. Er erzählte, daß er in New York bei allen seinen Galeriebesuchen gesehen habe, daß man überall Kunst ausstellte, die genau so aussah wie die in Europa. Dann zeigte er auf den Springbrunnen und sagte: "So habe ich mir die amerikanische Kunst vorgestellt."

Übersetzung: Georg Kranner