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Ars Electronica 1989
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Festival 1979-2007
 

 

Der Blick und der Sprung
THE LOOK AND THE LEAP - DlE VERSCHIEBUNG DER GRENZEN BEI DER INTERAKTIVEN VIDEODISC-KUNST

'David Tafler David Tafler

Interaktivität hat schnell eine führende Position in der immer schneller werdenden Transformation des Reiches von Kommunikation und Kunst eingenommen. Sie ist der letzte Schrei in einer Serie technologischer Ereignisse, die einen geradezu dramatischen Effekt auf das kulturelle Umfeld ausgeübt haben. Und bemerkenswerte Anstrengungen wurden für die Erforschung dieser Veränderungen gemacht. Im Vorwort zu seinem Text Transmission (1985) schreibt Peter D'Agostino vom "Zeitalter der elektronischen Übertragung" in Anspielung auf etwas, das mehr ist als nur eine technologische Revolution; er beschreibt eine neue Systemmentalität.(1) "System"-Künstler eignen sich die neuen Werkzeuge an, um ewiggültige philosophische Ideen zu überprüfen. Gesellschaften und Firmen, andererseits, eignen sich wiederum dieses (künstliche) Spiel an als Teil der Neudefinition der sozialen und ökonomischen Bedeutung dieser Werkzeuge. Diese Transformationsschleife verzerrt die Grenzen zwischen der Imagination und der Realität.

Durch die weite Verbreitung der Computer wird das elektronische Zeitalter viel bewußter. Die Definition menschlicher Erfahrung wird zur Transzendenz zwischen Mythos und Theologie; die Kartographie des Unbewußten überschreitet die Schwelle zum verbotenen Territorium. Ihre letzte Transformation, das Zeitalter der kybernetischen Systeme und der kybernetischen Kunst, geht weit über die Einführung neuer Technologien hinaus. Die Erforschung kognitiver Grenzen kann sehr gut zum allerletzten Abenteuer werden.

Unter den Essays in Transmission ist ein Artikel über "inter-aktive Television" von John Carey und Pat Quarles. Carey und Quarles konzentrieren sich darin auf ein innovatives Zweiweg-Kabelsystem in einer Kleinstadt nordwestlich von Philadelphia, Pennsylvania. Am Anfang des Artikels geben sie allerdings einen Hinweis auf bestimmte grobe Versuche, andere Formen von Interaktivität zu entwickeln. Es ist besonders signifikant, daß ein Kinderprogramm aus den späten 50ern zitiert wird, in dem Kinder dazu aufgefordert wurden, auf ein am Bildschirm angebrachtes Stück Plastik zu zeichnen.(2) Es klingt wie Ironie, wenn dieser Bezug auf einen relativ kurzen und ziemlich erfolglosen Versuch interaktiver Television heute wieder auftauchen kann als historischer Markstein in der Ahnenreihe des interaktiven Touch-Screens.

Andere Beiträge zur Interaktivität in Transmission liefern ähnliche Omen. So spricht etwa Vincent Mosco ("What is Videotext") über Datenübertragungssysteme. Nach Mosco erlaubt Videotext "dem Teilnehmer eine interaktive Benutzung großer Mengen von Information" … Er öffnet "den Weg zu neuen Formen des Lernens, Einkaufens, der Bankgeschäfte, der Kommunikation und letztlich der Arbeit".(3) Wichtiger ist vielleicht nach Robert Rosens Erkenntnis der interaktiven Beziehung, die zwischen dem Performer Ernie Kovacs und seinem Publikum aufgebaut wird ("Ernie Kovacs: Videokünstler"): "Sehr häufig resultierte die Interaktion aus einem Kommunikationsstil, der die Passivität des Publikums von vornherein ausschloß."(4)

Wenn auf Daten in einem strukturierten, offen interaktiven Environment zugegriffen wird, so kombinieren sich beide Bezüge, und die Praxis und Rezeption eines Kunstwerkes treten in ein neues Stadium. Kurz gesagt, die Trennungslinie zwischen Produktion/Übertragung und Rezeption wird schwieriger zu erkennen. Die Performance zwischen ihren jeweiligen konstituierenden Elementen wird zur entscheidenden Komponente der Erfahrung.

D'Agostino war unter den ersten Videopionieren, die diese neue Dimension der Interaktivität erforschten. Im Frühjahr 1987 wurde eine Zweikanal-Installation seiner interaktiven Videoplatte DOUBLEYOU (and X,Y,Z)auf vier Monitoren in einer dreimonatigen Ausstellung im Philadelphia Museum of Art gezeigt. Vier Monitore zeigten ein intermittierendes, abruptes Menü kurzer unzusammenhängender Beispielsequenzen. Diese Sequenzen waren aus einer Gesamtplatte exzerpiert, auf der ein beliebiger Zugang zu verschiedenen Kapiteln möglich war. Man konnte es mit dem schnellen Durchblättern eines Buches vergleichen.

Die interaktive Video-Laserplatte eröffnete eine neue Dimension. Nicht nur, daß sie ein viel dauerhafteres Medium ist als die früheren Medien der darstellenden Kunst und der bewegten Bilder, man kann sie auch wie ein Tonband immer wieder abrufen oder wie ein Buch immer wieder durchlesen. Kurzum, die Platte liegt vielmehr auf der Ebene des Buches als auf jener einer linearen Aufführung. Obwohl ihre ursprüngliche Vermarktung als wiederholbares Filmerlebnis für zu Hause ein wirtschaftlicher Mißerfolg war, scheint ihre Neuauflage als CD-ROM eine lukrativere Zukunft zu versprechen. DOUBLE YOU (and X,Y,Z) ähnelt im Aufbau James Joyces Ulysses mit seinem selbsterforschenden Spiel mit der eigenen Sprache.

DOUBLE YOU (and X,Y,Z) benutzt die Geburt eines Kindes und sein schrittweises Wachstum und Verständnis als Metapher für die Entwicklung des menschlichen Bewußtseins. Obwohl das Werk seinen Schwerpunkt auf den Erwerb und die Formulierung von Sprache und Bedeutung legt, so liegt doch der Begegnung der Untersuchungsprozeß zugrunde, der erwartungsvoll beobachtende Blick des Zusehers, wenn er den Installationsraum betritt. Die Entdeckung, daß die Kontinuität eine Funktion der Interaktion der Zuseher/Mitwirkenden werden konnte, war ein signifikanter Sprung in der gemachten Erfahrung. Viele Individuen haben diesen Sprung jedoch nicht mitgemacht und sein Potential für die Überprüfung ihrer Erfahrung nicht erkannt. Kaum aber einmal involviert, waren die Zuseher/Mitwirkenden integrierter Teil des Stückes.

Die Interaktion endete allerdings nicht am Bildschirm. Es gab viele mögliche Systeme von Interaktion zwischen den wechselnden Zusehern und den mitwirkenden Zusehern. Das physische Layout der Monitore, die in verschiedene Richtungen zeigten, die dezentralisierte Aufstellung des Touch-Screens am äußersten rechten Ende der Galerie und nicht zuletzt die Breite und Tiefe des Raumes lösten eine große Zahl von unvorhersehbaren, zufälligen Begegnungen, Austauschen und Verkehrsmustern zwischen den ständig herumwandernden Zusehern und Mitwirkenden aus.

DOUBLE YOU (and X,Y, Z) war nur die erste Stufe in einem weiterführenden Untersuchungsprozeß. D'Agostinos nächstes Projekt, TransmissionS, derzeit in Arbeit, geht über das Buchmodell hinaus. In diesem Projekt treibt D'Agostino von den traditionellen Kapitelgrenzen weg, die die Platte so bequem und kategorisch einteilen. Er arbeitet an der Entwicklung disruptiver Verfahren, die die Begegnung mit dem Unbekannten als einem Teil der interaktiven Erfahrung unterstützen. Sein Ziel ist nicht die Untersuchung eines Stils. Es ist vielmehr ein Versuch, jene Konventionen zu verändern, die diktieren, wie visuelle Erfahrungen vermittels der Medien zu übersetzen sind.

Die Herausforderung der interaktiven Video-Platte liegt in der Möglichkeit, mit den synaptischen Sprüngen zu spielen, die die unbekannte Gleichung der Beteiligung des Zusehers erlaubt. Derzeit sind die Entscheidungen, die der Künstler machen kann, nicht beschränkt und nicht formelhaft. Sie sind Teil jener wunderbaren Flexibilität eines neuen Mediums, das noch nicht auf vorhersehbare und erkennbare Konventionen eingegangen ist. Die "konzeptiven Gestelle" zu verlassen bedeutet, eine unbekannte Realität zu erhalten.(5) Anders als beim kommerziellen Verfahren ist die große Aufgabe, die Erfahrung als Begegnung zu erhalten und zu vermeiden, sie durch ein endgültiges Statement einzuschränken.

Der einzige Weg, die Erfahrung zu nähren, ist für den interaktiven Künstler, sein (oder ihr) eigenes Spiel zu konstruieren. Auf der Arbeitspalette für dieses Spiel finden sich auch jene Ritzen und Gräben, die die Entscheidungsgewohnheiten voneinander trennen. Für den Künstler/Produzenten ist es effektiver, eine intermittierende Sequenz zu bauen, als eine kontinuierliche Erfahrung zu entwerfen.(6) Ohne den Rückhalt eines formulierten Musters, etwa einer Erzählung, wird die Partizipation des Mitwirkenden durch jene Brücken motiviert, die zu wählen sind. Ein allgemeines Dilemma sollte vorherrschen: "Was stellt diese Reise dar?" Jede Kreuzung sollte unvorhersehbar sein; andererseits kann die Tour nicht ständig aus dem Kontext gerissen werden, wenn die Motivation des Betrachters/Mitspielers für die nötige Dauer einer Begegnung aufrechterhalten werden soll.

Die programmierten Sprünge, vom Künstler/Produzenten aus betrachtet, sind jene Sprünge, die für den Mitspieler wichtig sind. Aber die Hauptrolle des Mitspielers ist es nicht, sich Zugang zu verbarrikadierten Informationen zu verschaffen. Der Einbau von Hindernissen würde nur die gesamte Erfahrung auf ein weiteres oberflächliches Videospiel reduzieren. Die wahre Rolle des Mitwirkenden ist sein Engagement im Prozeß, die Auswahl seines eigenen Programms ist der für den Betrachter vorgeschriebene Sprung.

Als Teil des Technologietransfers vom Technokraten zum Laien, vom Künstler zum Mitwirkenden, gibt es für den vorgeschriebenen Sprung noch einen anderen entscheidenden Aspekt. Wie kann der Mitwirkende die Gleichung oder Arbeit beginnen, wenn er (oder sie) nicht vorher eine Ahnung hat, worum es überhaupt geht? Der erste Schritt ist die Untersuchung der Maschine. Durch eine Evaluation sowohl der Installation als auch der Benutzeroberfläche des Programms nach der Trial-and-error-Methode erstellt der Mitwirkende eine allgemeine Übersicht über die Parameter. Sehr häufig sind diese Verallgemeinerungen nicht viel genauer oder präziser als die Konventionen, die angewendet werden konnten, oder als der "gesunde Menschenverstand".(7)

Obwohl der Ansatz unwissenschaftlich genannt werden kann, so ist doch die Frage als solche auf der Suche nach einer Einsicht ohne Kanten. Die Erforschung selbst ist unvorhersagbar, das interaktive Ereignis selbst kann sehr wohl chaotisch werden. In seinem Buch The Hidden Order of Art scheint Anton Ehrenzweigs Statement betreffend Spontaneität und Intellekt genau auf den Punkt zu treffen, wenn er festhält: "Aber warum denn nicht ein Durcheinander?"

Jeder kreative Denker, der sich auf neues Territorium vorwagt, riskiert Chaos und Aufsplitterung. Meiner Theorie der Kreativität nach muß ein anfänglicher Zustand der Zersplitterung ebenso toleriert werden wie die nicht unbedeutenden (paranoid-schizoiden) Ängste, die ihn begleiten.(8)

Wäre die Begegnung sauber, präzise und wohlgeordnet, so gäbe es keinen Weg für den Betrachter, auf einer emotionalen Ebene jene Kraft ins Spiel zu bringen, die der Verfolgung einer unwägbaren Idee innewohnt. Damit das Werk wirklich interaktiv ist, muß das Objekt der Suche irgendwie unauslotbar sein.

Was die Begegnung davon abhält, in eine bedeutungslose, unmögliche und frustrierende Angelegenheit abzugleiten, ist das inhärente oder latente Design, das vom Künstler/Produzenten entwickelt und von der strukturellen Operation der Platte oder des Programms diktiert wird. Nach William T. Powers in seinem Buch Behavior: The Control of Perception ist dieses Programm oder Design, einfach wegen seiner Formulierung als menschliche Organisationsform, eine "Kette von Beziehungen, Ereignissen, Bewegungen, Konfigurationen, Gefühlen und Intensitäten".(9) Powers setzt seine Argumentation fort, indem er sagt, "zu einem Programm gehört mehr als nur eine besondere Beziehung zwischen Elementen, der Unterschied liegt darin, daß ein Programm Auswahlpunkte enthält."(10) Zusammengefaßt kreiert der Künstler, was Power ein "Netzwerk von Kontingenzen" nennt, ein Labyrinth von Möglichkeiten, in das sich der Betrachter/Mitspieler begibt, wenn er sich dem Programm bzw. der Platte ganz widmet.

Anfänglich betrachten die Zuseher die äußerlich sichtbaren Symptome der inneren Organisation der Platte bzw. des Programms. Sobald sie sequentiell die Pfade auszuwählen beginnen, die durch das Werk getrottet werden, wird ihre Position der abgehobenen Beobachtung gründlich untergraben. Die Quelle aller danach beobachteten Symptome ist eine unberechenbare Orchestrierung ihrer Aktivität mit jener des Künstlers/Produzenten. Je mehr der Mitwirkende eingebunden wird, um so weiter gleitet seine Erfahrung von der ursprünglichen Quelle weg. Im gleichen Maße hat der Künstler/Produzent immer weniger über das Verhalten des Mitspielers zu sagen.(11)

Alle diese Aktivitäten sind jedoch in jenem Ausmaß kontingent, in dem die Erfahrung ein Rätsel bleibt. Sollte ein formelhaftes, kontinuierliches Muster erscheinen, würde der Mitspieler bald an die Erfahrung gewohnt werden, und es würde eine rasche Reduktion des Einbindungsgrades eintreten.(12) Dies ist auch die in der neuen Technologie liegende Gefahr. Mit der zunehmenden Verbreitung der interaktiven Platten-Technologie und seiner häufigeren persönlichen Einbeziehung wird auch der Zuseher sich den zugehörigen Formeln und Routinen schneller anpassen. In dem Maße, in dem sich solche Muster häufen, werden Installationen und Werke, die von den etablierten Konventionen abweichen, viel zu schnell abgelehnt, als daß sie die Möglichkeiten hätten, die kognitive Aufmerksamkeit des Betrachters/Mitspielers zu fesseln. Leider arbeitet auch die perzeptuelle Abwehr des Individuums von Natur aus gegen diese sehr Angst-produzierenden perzeptuellen Inputs, die ein entscheidender Teil der Risiken sind, die in der Begegnung mit interaktiver Erfahrung begründet liegen.(13)

Aus diesem Grunde liegt die Herausforderung des interaktiven Videokünstlers in der Aufgabe, das System so zu steuern, daß die Ungewißheit aufrechterhalten wird.(14) Der erste Teil der Gleichung ist der Eintritt in den Raum. Die physische Bewegung des Mitspielers sollte durch einen kognitiven Umgang in den Raum unterstützt werden. Einem Spiegel vergleichbar, sollte die interaktive Platte undurchdringlich sein. Wie der Spiegel in Jean Cocteaus Filmen Le Sang d'un Poète und Orphée wird auch hier der Übergang zu einer forensischen Nachforschung nach Wissen und Einsicht.

Der Prozeß, ein interaktives Environment zu entwerfen, ist nicht so sehr ein Schritt vorwärts, sondern eher die Rückkehr zu einer Ästhetik des Systems. Es gibt verschiedene Regeln oder Vorgehensweisen, um ein historisches Kontinuum aufzubauen. Nachdem die Platte finit ist, dreht sich die ursprüngliche Struktur des Programms um einen fesselnden Beginn und ein vorweggenommenes Ende. Die Realität dieser Struktur bleibt jedoch ein theoretisch-organisatorisches Konstrukt. Irgendwann ist es völlig egal, ob ein bestimmtes Arrangement als sequentielle Beziehung operiert oder nicht. Die individuelle Erfahrung des Mitspielers umklammert die Kontinuität.

Sowohl in DOUBLE YOU (and X,Y, Z) als auch in TransmissionS(15) begann Peter D'Agostino damit, daß er die visuelle und auditorische Information auf Band aufzeichnete. Trotz der linearen Beschränkungen dieses Mediums waren Sprünge und Schleifen einkalkulierter Teil der Erfahrung. Als DOUBLE YO U (and X,Y, Z) auf Platte erschien und elektronische Steuerungsmechanismen eingerichtet wurden, um die Kontinuität zu unterbrechen und zu segmentieren, wurde die Bewegung durch das Menü über die Beschränkung der Rezeption hinaus möglich. Interaktion und Selektion wurden zu einer fundamentalen Anforderung für die Ausstellung oder das Spiel mit der Platte. Andererseits plant D'Agostino in TransmissionS, die Systemorientierung bis an ihre Grenzen zu treiben, indem er die Aufführung einer komplett linearen Sequenz in der endgültigen Version der Arbeit beibehält.

Um den potentiellen Zugang zu erkennen, muß der Betrachter/Mitwirkende einen noch viel größeren konzeptuellen Sprung machen.

Anstatt die Kontinuität durch die Transformation der Sequenzen in einzelne und einzeln zugängliche Teile zu durchbrechen, kehrt D'Agostino zu jenen kognitiven Anforderungen zurück, die dem Mitwirkenden/Beobachter durch die Dimension des Abstrakten, Experimentellen, durch sogenannte Avantgarde-Werke auferlegt werden. Derzeit unterteilt sich der "Rumpf" des Werkes in drei abgegrenzte Teile. Im ersten, betitelt "In The Beginning Was The 'S'" ("Am Anfang war das S …"), kehrt D'Agostino zum vorherrschenden Hauptthema seines Buches Transmission zurück. "Am Anfang war das S …" dokumentiert schematisch die technologische, soziale, politische und ökonomische Evolution der Welt der elektronischen Übertragung. Der Ausschnitt beginnt mit dem "einäugigen Renaissance-Perspektiven-Einrahmungsgerät", der Kamera,(16) bewegt sich durch die Entdeckung der elektrischen Energie und schließt mit seiner drahtlosen Übertragung von häßlichen Sendetürmen. Diese Türme kommen wie ein poetischer Refrain als visuelle Trennstelle zwischen den Abschnitten immer wieder vor.

"Am Anfang war das S …" operiert in genau jener metaphysischen (spirituellen) Dimension, die der Titel bereits ahnen läßt. Die Bilder umfassen visuelle Bezüge zu Edison, Marconi und Nikola Tesla, den Entdeckern bzw. Erfindern des bewegten Films, der drahtlosen Telegraphie und des Wechselstroms. Jede Gestalt ist irgendwie abstrus oder rätselhaft. Jede Idee oder jedes Ereignis wird durch eine symbolische Landschaft, ein Portrait oder ein Muster auf dem Bildschirm dargestellt. Sofern der Betrachter nicht weit überdurchschnittlich in der Geschichte und Theorie des bewegten Bildes bewandert ist, funktioniert die Sequenz als totem-gleiche Vision. Der Effekt dieser Sequenz ist ein Gefühl von Verrücktheit und Imagination, sie stimmt einen auf die nachfolgenden Abschnitte ein.

Mittlerweile ist es interessant, den Zustand des Betrachters als Mitwirkenden zu untersuchen. Die Erfahrung dieser vierminütigen Sequenz(17) projiziert keine fixe und geschlossene Botschaft auf den Betrachter. Nachdem er eine Vielzahl von Bildern und Klängen in einem relativ kurzen Zeitraum gesehen bzw. gehört hat, ist der Zuseher damit beschäftigt, Assoziationen zu machen. Die Eindrücke, die damit als gekoppelt angesehen werden, ergeben mit den nicht gekoppelten zusammen ein Muster. Das Muster wird als neurales Netzwerk von Sprüngen und Assoziationen verarbeitet, die nur zu diesem speziellen Moment in der Zeit zusammenhängen.(18) Dieser Moment ist kurz. Das Werk bewegt sich rasch in den zweiten und dann in den dritten Teil.

Im zweiten und dritten Teil beginnt TransmissionS, sich selbst zuzuwenden. Das Thema verschiebt sich schnell und schrittweise zu einer reflexiven Betrachtung der Technologie. Teil drei, "Parabel", stellt figurativ die finstere Seite der Technologie dar. D'Agostino verwendet verkürzte Exzerpte aus zwei bedeutenderen Schlagzeilenereignissen. Ein verkürztes visuelles Segment der Explosion der Challenger und ein Audio-Clip aus der 24-Stunden-Live-Reportage über einen in einen Brunnen gefallenen italienischen Buben (der dann auch darin gestorben ist) sind Teil der Matrix von niemals nachlassender Energie. Bei beiden Ereignissen war modernste Kommunikationstechnologie dabei, aber nichts davon konnte effektiv dafür eingesetzt werden, das Leben der Opfer zu retten. Die hochentwickelte Verfeinerung der Wissenschaft und ihrer fortgeschrittenen Kommunikationstechnologie reichte nicht aus, um die Betroffenen vor den alten und symbolischen Schrecken des Vom-Himmel-Fallens und des In-die-Erde-Versinkens zu bewahren.

Obwohl diese Ereignisse berührt werden, werden sie nicht rekonstruiert.

Die übernommenen Bilder und Klänge sind nur Spuren der transkribierten Spektakel. Diese Spuren werden zu Indizien, die zusammen ein unsicheres und gespanntes neurales Muster formen. Als Ideen hängen sie in der kognitiven Sprache des Betrachters zusammen. Ihre Wirkung insgesamt ist allerdings emotional. Trotz des Geschehnisses der Darstellung ist die Kraft der hineinverwobenen Information unverwechselbar. Während DOUBLE YOU (and X, Y, Z) in Richtung auf unschuldiges Erstaunen hinzog, greift TransmissionS auf ein tieferes Trauma zu. Der Übergang ist als emblematische Darstellung der Bewegung vom Imaginären zum Symbolischen zu sehen. Der Betrachter/Mitwirkende ist nicht länger naiv. Diese Reife ist ähnlich in den strukturellen Unterschieden zwischen den beiden Projekten dargestellt. In DOUBLE YOU (and X, Y, Z) programmierte der Künstler/Produzent die Position der Sprünge zu anderen Kapiteln, Teilen oder Fragmenten von Sequenzen. TransmissionS spielt einfach dahin, die Platte bzw. das Programm verlangt keine Entscheidung.

Als Ergebnis davon wird jeder Sprung in den Raum und die Zeit der Platte ein großer Satz. Die Aufsplitterung der Begegnung wird andererseits kürzer und kleiner. Im wesentlichen überbrückt der Sprung des Zusehers nicht nur die Informations"Partikel" auf der Platte, der Sprung führt zu einer tieferen, darunterliegenden, subliminalen emotionalen Struktur.

D'Agostino arbeitet derzeit an einer Erweiterung der interaktiven Grenze in beiden Richtungen. Teil zwei von TransmissionS, "Deus Ex Machina", wurde vom griechischen Theater inspiriert.(19) Im griechischen Drama werden Logik und Ordnung durch die Intervention der Götter häufig umgestoßen. Die alten Stücke als solche repräsentierten die Grenzlinie zwischen dem Unbewußten und der Angst vor dem Unbekannten. "Deus Ex Machina" fängt diesen Geist ein, indem es den Superaltar eines rotierenden Satelliten zeigt, wie er auf mysteriöse Weise nach außen in den Himmel zeigt und deutet.

In der gleichen Weise, wie ein frommer Geist dem Unbekannten die Ehre erweist und dafür um Erleuchtung betet, symbolisiert "Deus Ex Machina" den Übergang und die Aufnahme von Information. Die gewaltig rotierende, freie, scannende und empfangende Station läßt höchst signifikant die Rezeption von Hintergrund-Strahlungsgeräusch zu. Diese eingefangenen Energiepartikel sind Spuren, die den Anfang des Universums markieren, eine ironische Geste wird gemacht. Der Anfang des Zeitalters elektronischer Übertragung kann vielleicht das Echo des Ursprungs des Universums wiederentdecken. Dieser potentielle Zugang zum Impuls unserer Erschaffung ist vielleicht der dynamischste und bedrückendste Sprung von allen.

An diesem Punkt arbeitet D'Agostino an einem weiteren Sprung, diesmal ins Unterbewußte. Dieser innere Übergang ist ebenso unauslotbar und eine intellektuelle Wahrsagerei wie die Bewegung hinaus ins Universum. Das Material zu diesem Sprung ist die heimliche "vierte" Sektion von TransmissionS. Die Bilder dazu zeigen die Prozession eines ganzen Familienstammbaums vor einem Phantom-Kameramann. Ein großer Teil der Parade besteht aus Klerikern in ihren religiösen Gewändern. Diese Bilder werden von anderen Darstellungen und Ereignissen gedämpft. So bewegen sich die Bilder etwa von abstraktem Fernseher-Schneien zur Aufnahme eines echten Schneefalls in einer existierenden Landschaft. Indem eine unsichere Kontinuität außerhalb der linearen Zeit operiert, wird deren Richtung zum fehlenden Faktor in der Gleichung.

Dieser Abschnitt ist von der oberflächlichen Kontinuität zu etwas gewandert, das derzeit eine nicht dargestellte, untergetauchte, möglicherweise versteckte Station bleibt. Es wurde schrittweise aufgespürt, nach vorne gezogen, um entweder begraben oder möglicherweise gerettet zu werden; es wird für den Mitspieler nur durch einen Sprung zugänglich. Als unbekanntes Unternehmen stellt der Sprung des Mitspielers/Betrachters eine Bewegung in "den Geist eines Kindes, 'ein Chaos, einen Kessel voller brodelnder Erwartungen'" (Freud 1933) dar.(20) Der Übergang dieses Abschnitts stellt den Sprung des Künstlers/Produzenten dar, der die Textpassage skizziert. Der Betrachter seinerseits bewegt sich zwischen den imaginierten Zweigen, die immer mehr voneinander getrennt werden. Die Distanz wird größer und größer, bis der Betrachter/Mitspielende – wie ein Funke – bewußt dazu gezwungen wird, über den Graben zu springen. Das ist der entscheidende kybernetische Sprung ins Unbekannte.

(1)
Peter D'Agostino (Hg.), Transmission, New York, Tanam Press 1985, S. V.zurück

(2)
John Carey und Pat Quarles, "Interactive Television", in: Peter D'Agostino (Hg.): Transmission, S. 106.zurück

(3)
Wincent Mosco, "What is Videotext", in: Peter D'Agostino (Hg.): Transmission, S. 123.zurück

(4)
"Die Improvisationsqualitäten der Sketches ebenso wie Kovacs' ständiges Herumspielen mit dem Absurden und sogar dem Surrealen verlangte, daß die Zuseher ständig aufmerksam blieben, um aktiv am Prozeß des Gebens und Findens von Bedeutungen teilzunehmen." (Robert Rosen, "Ernie Kovacs: Video Artist", in: Peter D'Agostino, (Hg.), S.144.zurück

(5)
Aus einer zeitgenössischen Zitierung Freuds. Matthew Hugh Dredlyi: Psychoanalysis, Freud's Cognitive Psychology, New York, W. H. Freeman & Co. 1985, S. 126. (Anm. d. Übers: Diese Passage ist hinsichtlich ihrer Textierung nicht gesichert: "scaffold" heißt "Schafott, Gerüst, Gestell, gezimmerte Bühne … – eine Überprüfung beim Original war mir nicht möglich, auch bin ich kein Freud-Kenner – also nicht mich prügeln, wenn die Freudianer kommen und sagen, sowas hätte er nie behauptet … hpe)zurück

(6)
William T. Powers, Behavior: The Control Of Perception, Chicago: Aldine Publishing Co. 1973, S. 13.zurück

(7)
Powers, S. 13.zurück

(8)
Anton Ehrenzweig, The Hidden Order of Art. A Study In The Psychology of Artistic Imagination., Berkeley, University of California Press 1967, S. 147. zurück

(9)
Powers, S. 25.zurück

(10)
Powers, S. 25.zurück

(11)
Powers, S. 14.zurück

(12)
Tafler verwendet im Engl. den Begriff "habituated" und erklärt ihn wie folgt: "habituation: = ein ermüdungsähnlicher Rückgang der Stimulationsrate einer Nervenzelle nach abruptem Erscheinen eines gleichmäßigen Input-Signals", Powers, S. 32.zurück

(13)
Erdelyi, S. 125. zurück

(14)
"Das Steuerungssystem muß einen Filter enthalten, der den Durchschnitt der kontrollierten Wahrnehmung über einen Zeitraum erfaßt, der lange genug ist, um eine stabile Kontrolle über das Ganze ausüben zu können". Powers, S. 53.zurück

(15)
Während dieser Artikel geschrieben wird, ist TransmissionS noch nicht fertiggestellt. (Mai 1989)zurück

(16)
Einige Beschreibungen von TransmssionS entstanden aus Gesprächen mit dem Künstler.zurück

(17)
Die erste Sequenz dauert vier Minuten, die zweite zwei, die dritte wiederum vier Minuten. Gesamtdauer somit zehn Minuten.zurück

(18)
"Ein Zeitstatus bezieht sich auf ein ganzes Set von Nervenzellen, die multiple Impulse zu einem gegebenen Zeitpunkt empfangen. Einige der Zellen reagieren, andere nicht, wodurch ein Muster aus geladenen und nicht-geladenen Zellen entsteht, das der Status des neuralen Netzwerkes zu jenem Moment in der Zeit genannt wird (Arbib 1964)." Powers, S. 20.zurück

(19)
Aus einem Gespräch mit Peter D'Agostino.zurück

(20)
Erdelyi, S. 129. zurück