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Ars Electronica 1989
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Festival 1979-2007
 

 

Abbildungen und Einstiege
Mappings and Entrainments

'David Dunn David Dunn

Ein Hauptanliegen meiner Arbeiten ist der Umweltklang – oder genauer – die Konstruktion einer persönlichen Matrix, innerhalb deren dieses Anliegen eingeordnet werden kann. Die Faszination der physikalischen Seite ist nur eine der Koordinaten dieser multidimensionalen Matrix. Die anderen drücken sich in etwas weniger angenehmer Weise aus und nähern sich so ein wenig den Fallgruben des Mythologischen. Ich maße mir keine wissenschaftlichen Ansichten oder Kompetenzen an, sondern entleihe von der Orthodoxie der Gegenwart, was sich als brauchbar und vernünftig für die Konstruktion einer häretischen Metapher erweist.

In unserer Position irgendwo zwischen Vieh und Engeln, Instinkt und Intuition, blicken wir entweder mit übersättigter Anhänglichkeit oder mit rationaler Verachtung zurück. Das Vergangene hinterläßt uns kleine Hinweise, die uns aufheitern könnten, aber im Angesicht des potentiellen Holocaust ist die Botschaft obskur und die Zukunft wolkenverhangen. Ich habe schon lange gespürt, daß es eine tiefe Verbindung zwischen der äußeren Umwelt als System und dem inneren System des Geistes (und der ihn unterstützenden Sprache) gibt, die Vergangenheit und Zukunft überbrückt. Mein besonderer Zwang bestand darin, zu hinterfragen, wie diese Brücke durch Musik manifest gemacht werden könnte. Seit die Systemtheorie beginnt, traditionelle Musik zu erforschen, um einen Einblick in die systematische Modellierung von Phänomenen zu erhalten, ist die Musik in die Domäne der kognitiven Interaktion aufgerückt – die Einführung partizipatorischer Aktionen, die die Dimension des Geistes erweitern. Ich schlage die Einleitung von Maßnahmen vor, die die Einbeziehung jener größeren System-Geistigkeit verstärkt, welche in den Interaktionen zwischen Umwelt und Bewußtsein residiert. Dies natürlich grenzt an die Erforschung des Ursprungs des Bewußtseins und damit der Sprache. Ich gebe nochmals das Fehlen einer wissenschaftlichen Methodik zu, da das, was ich suche, eine Mischung aus Spekulation und Erfahrung ist, die unzweifelhaft subjektiv bleibt.

Als die Linguistische Gesellschaft zu Paris zur Jahrhundertwende alle weiteren Diskussionen über den Ursprung der Sprache ausschloß, regierte der Positivismus. Nun ist die Ablehnung solcher vager Spekulationen wie der "Bow-wow-Theorie" zu erwarten, nachdem manche Linguisten – damals wie heute – unter einem absoluten Mangel an kreativer Vorstellungskraft zu leiden scheinen. Es wäre ihnen niemals eingefallen, daß eine mögliche Forschungsmethode davon ausgehen könnte, den analytischen Prozeß auf den Kopf zu stellen und eine Sprache aus den Umweltklängen zu komponieren. Hätten sie dies, so wäre offensichtlich geworden, daß perzeptuelle Transformationen solch einem Prozeß inhärent sind, was weiter impliziert, daß Spuren eines Beweises für solche Spekulation auf der Ebene der persönlichen Technik auffindbar sind. Aber solche Experimente mit dem Selbst waren noch selten die manifeste Domäne der Wissenschaft, und leider war auch die Kunstgemeinschaft oft unfähig, solche Experimente so zu artikulieren, daß sie anderen zugänglich wurden. Der langersehnte Traum einer Synthese zwischen Wissenschaftler und Künstler muß sich erst materialisieren. Vielleicht erwartet er auch erst eine eigene Sprache durch die Entfaltung einer umfassenden interdisziplinären Strange. Bis dahin bin ich zufrieden, wenn meine Aktivitäten auch nur am Rande exemplarisch sind, da ich nach dem strebe, was William Irwin Thompson so genannt hat: "Wissenskunst: Das Spiel des Wissens in einer Welt ernsthafter Daten-Prozessoren".

1980 begann ich mit einer kompositionsanalytischen Untersuchung von Umwelt-Ambiente-Mustern, die zu einem Stück führten mit dem Titel: MADRIGAL: The Language of the Environment Is Encoded in the Patterns of Its Living Systems (MADRIGAL: Die Sprache der Umwelt ist codiert in den Mustern ihrer lebenden Systeme).

Der Arbeitsprozeß für diese Komposition umfaßte die phonetische Transkription von Umweltgeräuschen, die danach in Übereinstimmung mit jenen intrinsischen Mustern organisiert wurden, die im Material selbst beobachtet worden waren.

Zurückblickend war der interessanteste Teil der Arbeit ein Nebeneffekt: Die Notwendigkeit, die Geräusche niederschreiben zu können, führte zu einer gesteigerten Sensitivität gegenüber den Umweltgeräuschen, inmitten deren ich lebte. So ertappte ich mich bei einer automatischen "Übersetzung", wann immer bestimmte Vogelrufe in meiner Nachbarschaft ertönten. Irgendwie wurde dies zu einer Bestätigung meines ursprünglichen Gefühls, daß die größeren Kommunikationsmuster zwischen lebenden Organismen (die ich "Umweltsprache" nenne) Hinweise auf die evolutionäre Kontinuität der menschlichen Sprache wie der Musik geben könnten. Fast ist es, als würde ich durch diesen musikalischen Prozeß des Spracherwerbs (d.h. durch "kompositorisches Hören") eine Morphologie von Hörmustern durcharbeiten, die dem Vogel und mir gemeinsam sind. In dieser Auffassung liegt eine frappierende Ähnlichkeit zu den neueren ethnographischen Arbeiten von Steven Feld: Seine Feldstudie beim Volk der Kaluli im Regenwald von Papua-Neuguinea konzentriert sich auf die Frage, wie deren gesangliche Interpretation der "Vogelsprache" die Sozialstruktur des Stammes widerspiegelt. Darüber hinaus behauptet er, daß der wichtigste und stärkste Mythos innerhalb der Kultur, auf den sich das Liedermachen richtet, das "Vogel-Werden" betrifft. Innerhalb der Kaluli-Kultur ist "der Gesang Kommunikation aus der Vogelschau, Kommunikation eines, der zum Vogel wird".

An anderer Stelle habe ich ausgiebig über die evolutionäre Kontinuität von Musik und tierischem Kommunikationsverhalten spekuliert. Es ist nicht Aufgabe dieses Artikels, ausgetretene Pfade zu betreten, aber eine Zusammenfassung dieser Ideen ist notwendig, um die Annahmen darzulegen, aus denen diese Diskussion sich entwickelt hat. Ich habe behauptet, daß die Musik höchstwahrscheinlich ein Überbleibsel des vorsprachlichen Erbes der Menschheit ist und daß sie offensichtlich Charakteristika aufweist, die nicht nur dem Kommunikationsverhalten anderer Lebewesen ähneln, sondern auch ein Mittel darstellen könnten, durch das ein tieferes menschliches Verständnis für und Kommunikation mit unserer lebenden Umwelt möglich wird. Die Notwendigkeit einer solchen Kommunikation wird zweifellos dadurch erhärtet, daß man den intellektuellen Zwang dieses Jahrhunderts betrachtet, den Homo sapiens (2) als eine derangierte Kreatur zu begreifen, die über die natürliche Ordnung Zerstörung und Verderben bringt. Die meisten von uns tragen so ein – fast ans Religiöse grenzendes – Weltbild mit sich, aber fühlen zumindest, daß dies mit dem zu tun hat, was an unserer Konsensrealität falsch ist. Warum also dieser artspezifische Selbsthaß, diese Selbstverachtung? Wie viele andere nehme auch ich an, daß er unvermeidbar ist und auf jenen qualitativen Unterschied zwischen Menschen und anderen Lebewesen zurückgeht, den wir stets behauptet und vielleicht sogar ein wenig bedauert haben, nämlich auf die Sprache. Damit sei nicht gesagt, daß Chomsky immer recht hat. Ich glaube persönlich nicht, daß so ein struktureller Ansatz viel erreicht hat, außer in moderneren Worten die mechanistischen Annahmen eines Descartes neu zu formulieren. Schließlich wissen wir alle, daß wir uns von den Tieren unterscheiden, weil wir die Sprache haben, mit der wir uns versichern können, daß wir uns durch sie von den Tieren unterscheiden, und weil die Tiere das nicht können. Na und?(3)

Die neueren Forschungen in der "kognitiven Ethologie" suggerieren, daß der Unterschied zwischen Mensch und "Bestie" längst nicht so groß ist, wie wir uns das immer vorgestellt haben. Mit anderen Worten, Bewußtsein ist nicht unser Alleineigentum als Spezies. Das soll natürlich nicht heißen, daß nicht einige qualitative Unterschiede bestehen bleiben. Ich gebe zu, es ist etwas Distinguiertes an der menschlichen Sprache. Es ist vielleicht nur nicht ganz so feiernswert. Ich ziehe es vor, den Erwerb der menschlichen Sprache, wenn und wie immer er stattgefunden haben mag, als Verlust der Unschuld zu betrachten. Und ich glaube, genau darauf spielt William Burroughs an, wenn er die Sprache ein "Virus" nennt. Es ist genau jenes extreme Gefühl der menschlichen Individualisierung, das das menschliche Bewußtsein erschaffen hat mit seinen selbstbezüglichen Zirkelschlüssen, das so unterschiedlich von der Intelligenz anderer Lebensformen zu sein scheint.

Schopenhauer behauptet, die Intelligenz suche ihre Selbstvernichtung. Dieser Gedanke kann auf zwei Ebenen interpretiert werden. Freud nahm die wörtliche, als er den "Todestrieb" artikulierte. Jung hingegen wählte die metaphorische, indem er das "kollektive Unbewußte" postulierte. Jahrhundertelang haben Mystiker davon gesprochen, daß das menschliche Individuum in eine größere Intelligenz eintauchen müsse, und es kann auch so eine Erkenntnis gewesen sein, die Gregory Bateson dazu veranlaßt hat, die religiösen Impulse aus der Sicht der Systemtheorie und Ökologie untersuchen zu wollen. Das ist so, als wären Emerson und Thoreau mit der deskriptiven Sprache der Kybernetik ausgestattet gewesen. Lovelocks "Gaia Hypothesis" strahlt denselben Geist aus: die "Überseele" neu betrachtet als Gottheit eines riesigen homöostatischen Systems.

Worauf all dieses anspielt, ist der Gedanke, daß die bloße Existenz menschlichen Bewußtseins keineswegs ausschließt, daß es für andere komplexe Formen selbstbezüglichen Bewußtseins möglich ist, auf höheren Organisationsebenen innerhalb der Interaktion der Systemmitglieder einer Spezies oder eines Ökosystems zu existieren. Versuchshalber nenne ich die Möglichkeit solcher Phänomene (mit offensichtlicher Verpflichtung gegenüber Gregory Bateson): "ökosystematische geistige Strukturen". Die dahinterstehende Annahme ist, daß eine Art primärer Trennung von solchen Strukturen die Menschen sowohl individuell bewußt gemacht als auch mit einem Gefühl des Verlustes ausgestattet hat. Der religiöse Drang ist Beweis genug für das in Spuren erhalten gebliebene Bedürfnis des Individuums, sich mit einem größeren Systemkomplex wiederzuvereinigen. Und es sind genau die unzureichenden Interaktionswege zwischen dem individuellen Bewußtsein und dieser größeren Komplexität, die uns so plagen. Das menschliche sprachmodulierte Bewußtsein ist ein notwendiger, aber schmaler Kanal der Erkenntnis, der – wenn er seinen eigenen Ressourcen überlassen bleibt – das Reich des Geistes auf eine mechanistische Weltsicht reduziert, die von lebensbedrohender Dürre ist. Und der Abgrund zwischen diesen beiden Welten wird weiter und bringt in dem Maß schlimme Folgen mit sich, in dem sich die Entfremdung des Bewußtseins vom individuellen Traumleben durch galoppierenden ökologischen Verfall manifestiert.

Deshalb glaube ich auch nicht, daß ein Beweis für solche Bewußtseinsformen bequemerweise in die gewöhnlichen linguistischen Konstrukte hineinfällt. Aus diesem Grund beschloß ich, die Musik als Archetyp für solche Interaktionssysteme zu verwenden, weil sie auf Ebenen der geistigen Struktur operieren kann, die im Kommunikationsverhalten anderer Lebensformen besser integriert sind. Es scheint mehr als nurZufall zu sein, daß viele Aspekte der Musik als neurophysiologische Aktivitäten in Gehirnbereichen angesiedelt sind, deren generelle Morphologie jener der anderen Säugetiere entspricht. Bateson hat den Schluß gezogen, daß Musik ein Modus der menschlichen Kommunikation ist, der sich aus einer nicht-verbalen marginalen Region des Gehirns als Parallelsystem zur Sprache entwickelt hat. Die außergewöhnliche kontrapunktische Interdependenz, die in der Musik möglich ist und die sowohl Sprache als auch non-verbalen Ausdruck verwendet (aural und gestisch), läßt den Schluß zu, daß die Musik eine der wenigen menschlichen Aktivitäten ist, wo eine explizite Integration in so komplexem Maße möglich ist. Ich möchte das nicht so verstanden wissen, als wäre Musik nur so eine Anhängsel-Funktion. Zu MacLeans "Triune Brain"-Konzept bin ich der Ansicht, daß Musik ein synergetischer Kanal der Interaktion zwischen dem Bewußtsein und dem evolutionären Erbe unserer säugetiergemäßen Gehirnstrukturen ist. Ich gehe sogar so weit, zu behaupten, daß jeder Versuch einer umfassenden Theorie der Sprache zum Scheitern verurteilt ist, wenn er die Musik außer acht läßt. Die Musik ist so lange bei uns wie die Sprache, wenn nicht länger. Jane Godalls Bericht über die Schimpansen, die zum Regen singen und tanzen, suggeriert, daß die Freude des Ausdrucks, die wir beim Musizieren empfinden, womöglich nicht die alleinige Domäne unserer Spezies ist.

Künstlerische Aktivitäten haben uns seit jeher mit geistigen Brücken versorgt, uns an unsere Stellung innerhalb einer größeren systematischen Komplexität erinnert, aber sie bleiben zum größeren Teil nicht-interaktiv. Ebenso die Wissenschaft. Biologen haben zum Beispiel den Einfluß des Beobachters innerhalb ihrer Methodologie nicht ausreichend beachtet. Ein Ökologe, der einen komplexen Regenwald untersucht, beeinflußt die Ökologie dieses Systems in direkter Abhängigkeit von der Intensität seiner detaillierten Beobachtung. Es gibt Nebeneffekte aus jeder Art von Beobachtung, und es ist signifikant, wenn solche Effekte als insignifikant und zu subtil abgetan werden. Sie werden desavouiert, weil die wissenschaftlichen Methoden den Beobachter nicht als Teil der systematischen Gesamtkomplexität des Environments einbeziehen. Aber gerade diese Nebeneffekte faszinieren mich. R. Buckminster Fuller hat sie "precession" genannt, "die Effekte von Körpern in Bewegung auf andere Körper in Bewegung". Ein ähnliches Konzept wurde kürzlich vom Systemtheoretiker Will McWhinney benutzt, um den in meiner Musik ablaufenden zentralen Interaktionsprozeß zu diskutieren. Er behauptete, daß viele intellektuelle Aktivitäten versuchen, die Dinge auf geometrische Einfachheit zu reduzieren, um ein Bewußtsein der archetypischen Symbolik zu erzeugen, aber er fühlte, daß ich in eine andere Richtung unterwegs bin, indem ich unwahrscheinlich verschiedenartigen Quellen die Möglichkeit gebe, ihre Flächen aneinander zu reiben, damit sie ihre eigene Bedeutung generieren können. Zur Beschreibung dieses Prozesses von Klängen, Ideen, Spezies und Geistern, die sich da aneinander reiben, bis ihr Sich-Drehen-und-Wenden letztlich synchron wird, verwendete er den Ausdruck "Entrainment" ("Nach-sich-Ziehen")(4). Mir fällt auf, daß das ein bißchen klingt wie die Frage "Was können wir tun?" anstelle von "Was haben wir gemeinsam?". Natürlich ist an diesem Konzept per se genommen nichts Außergewöhnliches. Entrainment, also das Nach-sich-Ziehen von Folgen, ist ein fundamentaler Prozeß in der Natur und beschreibt ein breites Spektrum von Phänomenen wie etwa die sympathetische Resonanz. Was ich jedoch versuche, ist, diesen Begriff bewußt in solchen Zusammenhängen einzusetzen, die neue Ebenen von kommunikativem Bewußtsein schaffen. Einem solchen Prozeß wohnt vielleicht die Schaffung interaktiver Verbindungen zwischen dem Bewußtsein des Individuums und der größeren systematischen Geistigkeit um es herum inne: Geographische Akupunktur für die geistige Komplexität von Ökosystemen.

Ich sehe diesen Begriff von "Entrainment" in meiner Arbeit als präliminären Prozeß, weil die Muster einer Sprache der Interaktionen, wie ich sie suche, sich erst zu formen beginnen. In diesem Sinne tappe ich nach einem Epiphaenomenon der synergetischen Mentalität, wo die Erkenntnis der Existenz externer Wege aus der Integration interner Wege erwächst. Das entspricht dem Konzept der "triadischen Orthogenese", wo die Bewegung von "fehlender Differenzierung" zu "Differenzierung" zu "Integration" inhärent ist, der Einheit aus Unterbewußtsein /Selbstbewußtsein/Überbewußtsein. Mit anderen Worten, das Nachvollziehen von evolutionären Kettengliedern zu anderen Lebensformen hilft, die interne Integration als Grundlage für einen synergetischen Sprung zu externer Integration zu erreichen. Dieser Prozeß ist auch in Koestlers "Rückzug zum Sprung" impliziert, wo die Regression auf frühere, weniger versteinerte Ebenen in der Entwicklungsstruktur einer Mutation vorausgeht. Ich spüre auch, daß ein ähnlicher Integrationsprozeß etwas mit dem ästhetischen Impuls als einem Phänomen zu tun hat, das – von entweder subjektiver oder objektiver Natur – nicht leicht ausgemacht werden kann. Für mich ist Ästhetik ein Zusammenwirken von Betrachter und Betrachtetem, wobei ihre synergetische Integration vom Betrachter als neues Muster gefühlt wird: Schönheit als Summenevidenz eines generativen geistigen Systems von Interaktionen.

Ich interessiere mich besonders für das totale aurale Environment als System-Phänomen, ich höre und arbeite kompositorisch wie in einem interaktiven musikalischen Prozeß mit diesem System. Ich möchte auch die Hochtechnologie als interaktiven musikalischen Prozeß einsetzen. Ich möchte Hochtechnologie als Einstieg in die Wahrnehmung einsetzen und als Werkzeug zur Erhöhung der systematischen Komplexität des Umfeldes, indem ich den Menschen als intrinsischen Teil des Ganzen einbinde. Die Frage, die mich am meisten beschäftigt, ist: Auf welche Weise können wir Umweltsysteme beschreiben, ohne daß uns die Beschreibungsmethode von eben dieser Umwelt trennt? Meine Vermutung ist, daß wir erst solche minimal obtrusiven Partizipationssysteme erfinden müssen, die uns über unser Environment, unsere Umwelt, unsere Umgebung unterrichten und gleichzeitig interaktive kommunikative Verbindungsglieder dazu herstellen. In diesem Bereich hat offenbar gerade die westliche Gesellschaft der jüngsten Vergangenheit mit ihrer übermächtigen technologischen Abhängigkeit versagt. Trotz aller Problematik habe ich mich dafür entschieden, diese Technologie mit Vorteil zu benutzen, in dem Sinne, daß die am höchsten verfeinerten Werkzeuge unserer Kultur dazu beitragen könnten, diese Kultur in bisher ungeahnter Weise zu verändern. Vielleicht sehe ich auch nur deshalb eine latente Kompatibilität zwischen Mikroprozessoren und unberührter Wildnis, weil das kybernetische Denken des Systems in weiten Teilen sowohl zu den digitalen Computern als auch zu einem erneuerten Verständnis ökologischer Dynamik geführt hat. Ich nehme daher Gary Snyder sehr ernst, wenn er sich wünscht: "Computertechniker, die einen Teil des Jahres ihre Anlage betreiben und den Rest des Jahres mit den Elchen auf ihrer Wanderung mitziehen". Auch eine noch weitergehende Verschmelzung dieser beiden Zustände sehe ich nicht als notwendigerweise schlechte Idee an, wenn eine nicht-obtrusive Technologie insgesamt ein Anwachsen des systeminternen interaktiven Bewußtseins der Umwelt und des Menschlichen ermöglicht. Wenn kreative Leute solche Technologien nicht in einer Art verwenden, die eine Diversifikation fördert, anstatt sie zu beschränken, dann allerdings sehe ich unsere schlimmsten Ängste manifest werden. Die Digitaltechnologie hat die Fähigkeit, nicht nur die eigenen Signale eines Lebewesens als Material für kommunikative Interaktion zu benutzen, sondern erlaubt es auch, diese Signale nach Bedarf innerhalb des Kontextes zu modifizieren. Das ermöglicht die Steuerung spezifischer Aspekte der Interaktion auf der Basis von Elementen, die einer anderen Lebensform bereits bekannt sind, und beschränkt sich nicht nur auf jene, die rein imitativ sind.

Die Vision von irgend jemandem, der digitale Hardware durch den Wald schleppt auf der Suche nach einem flüchtigen geistigen System, um mit ihm zu interagieren, ruft eine ganze Anzahl von Assoziationen hervor, abgesehen von allen Aspekten der Heiterkeit. Ganz offenbar dient sie der sichtbaren Illustration von McLuhans Prophezeiung einer Verbindung von Hi-Tech und Stammesbewußtsein, aber noch spezifischer drückt sie die Verschmelzung von zwei der "Räumlichen Archetypen" Mimi Lobells aus: die Positionierung einer "mäandernden Spirale" über das "globale Netzwerkgitter". In dem Maße, in dem das Netzwerk globaler technologischer Kulturen Richtung Chaos expandiert, werden wir zu Nomaden und zeichnen negentropische Bewußtseinspunkte auf sein Gitternetz. Ich möchte die kybernetische Technologie dieses Gitters auf es selbst anwenden, um es auf eine Nomadenwanderung zur Jagd und zum Sammeln der Klänge eines weiteren Systembewußtseins mitzunehmen: das Zeitalter des Chaos wird ins Zeitalter der Götter transformiert.

ENTRAINMENTS 2
Geomantische Darstellung der Ökosystem-Resonanz, 11635' L
Drei Aufführende haben Bewußtseinsstrom-Beschreibungen und Beobachtungen der Umgebung von den drei im Diagramm dargestellten Berggipfeln aufgezeichnet. Jeder Performer hatte einen Gipfel zugewiesen bekommen und machte 45 Minuten lang Aufnahmen. Diese Aufnahmen umfaßten Gedanken zu und Reaktionen auf Ereignisse innerhalb dieses Umfeldes, aber es durfte kein bewußter Versuch gemacht werden, diese Ereignisse zu beeinflussen. Eine Einstellung der konzentrierten Bereitschaft für alles, was da kommen möge, war erwünscht. Diese Aufnahmen wurden dann mit statischen Summtönen gemischt, die aus astrologischen Tabellen für Zeit und Ort der Performance abgeleitet wurden (siehe Diagramm). Die Einspielung dieser Töne erfolgte über Kassettenrecorder mit selbst-verstärkten Lautsprechern und genügend Amplitude, um im Zentrum der Performance-Aufstellung noch gehört zu werden. Diese wurden auf den in der Karte mit schwarzen Kreisen markierten Stellen aufgestellt. Jede Sprachaufzeichnung befand sich zunächst bei und in einer Linie mit jenem Gipfel, auf dem die Aufnahme stattfand. Im Zentrum des Raumes (als schwarzes Quadrat dargestellt) wurde ein Digitalrecorder aufgestellt, der so programmiert war, daß er sampelte und unmittelbar darauf Klangblöcke von drei Sekunden Dauer abgab. Dies wurde durch einen zentralen Lautsprecher verstärkt. Das Input-Signal in den Digitalrecorder wurde vermittels eines ungerichteten Mikrophons in einem Parabolreflektor aufgefangen. Einer der Performer trug dieses Mikrophon, während er langsam den großen Mittenkreis im Uhrzeigersinn umschritt, wobei das Mikrophon nach außen zeigte. Derselbe Performer nahm auch die Gesamtperformance mittels Kunstkopfmikrophons und Stereotonbandes auf. Drei andere Performer trugen kleine tragbare Oszillatoren, die wiederum über Lautsprecher verstärkt wurden. Diese Performer gingen den Umfang der drei großen äußeren Kreise entlang und regulierten die Oszillatorenfrequenz in Abhängigkeit von der Einstimmung zum gesamten Klang-Environment. Dieser Prozeß war ruhig und kontinuierlich und vermied abrupte Veränderungen. Hauptziel war es, Knotenpunkte der Interaktion innerhalb der sich verändernden Klanglandschaft zu definieren. Der Radialabstand zwischen den angegebenen Dreieckspunkten betrug ca. 33 Fuß. Die Performance begann um 14.05 Uhr und endete um 14.50 Uhr. Sie fand in Azalea Glen, Cuyamaca State Park, California, am 19. Mai 1985 statt und wurde von der Sushi Gallery, San Diego, gesponsort. Mitwirkende: David Dunn, Ronald Robboy, Lizbeth Rymland, Peter Seibel, Stephen Storer, Danny Schwartz. Astrologische Beratung: Ellen Band; Graphik: Stephen Storer und David Dunn.

(1)
Für das englische Wort "Environment" gibt es keine adäquate deutsche Entsprechung. Aus den verschiedenen Möglichkeiten wie "Umwelt", "Umfeld", "Umgebung", "Ambiente" habe ich "Umwelt" genommen, obwohl wahrscheinlich jede andere Auswahl ebenso angemessen gewesen wäre.

(2)
nur?zurück

(3)
Das trockene "So what?" des Originals an dieser Stelle ist leider auch unübersetzbar.zurück

(4)
Für "Entrainment" kennt Muret-Sanders (der Große Langenscheidt) überhaupt nur den Begriff der "Truppenverladung", und der scheint hier ja überhaupt nicht zu passen. Webster's New World Dictionary definiert "to entrain" – abgesehen vom Besteigen eines Zuges – als "hinter sich herziehen" und (chemisch) als "eine Flüssigkeit in der Form kleiner Tropfen im Dampf zu suspendieren, so daß der Dampf die Tropfen davonträgt, wie etwa beim Abdampfen und der Destillation". – "Nach-sich-Ziehen" ist so wohl der adäquate Begriff, wenn auch zu unhandlich für ständigen Gebrauch. Ich habe daher in der Folge mehrmals das englische Wort weiterverwendet.zurück