www.aec.at  
Ars Electronica 1989
Festival-Program 1989
Back to:
Festival 1979-2007
 

 

Radio Violins – Eine kurze Improvisation


'Jon Rose Jon Rose

Na, wie klingts? Eine gute Nacht für den Empfang? Nicht schlecht.

Mnnnn (Pause) (Stop) gibt der Violine einen scharfen Schlag mit der rechten Hand (Pause) Mnnnnnnn–Bzzzz–Krk krk–krk krk–Bzzzz

Vor einigen Jahren bin ich in Sydney in ein Selbstbedienungs-Elektronikgeschäft gegangen und habe ein billiges Do-it-yourself-FM-Funkmikrophon gekauft. Das war eine doppelte Premiere – das erste Radiomikrophon von vielen, das ich bauen sollte, und das erste billige Elektronikgeschäft, eröffnet von einem gewissen Dick Smith (der sehr bald zum Millionär werden sollte). Innerhalb kürzester Zeit war das Mikrophon in den Steg einer billigen chinesischen Geige eingebaut – die Steuerplatine wurde im Inneren des Instruments montiert. Ich entdeckte, daß ich eine Reichweite von gut 100 Metern hatte und daß ich alle offiziellen Radiosendungen stören konnte, auf jeder Frequenz und auf jedem beliebigen FM-Empfänger. Dieses Gefühl einer subversiven, wenn auch beschränkten Macht zauberte ein Lächeln auf mein Gesicht.

Es dauerte nicht lange, bis ich in den Vororten von Sydney war, bewaffnet mit meiner Violine! Die meisten Leute drehen ihr Radio so laut auf, daß man auf der Straße relativ leicht feststellen kann, welches Programm sie gerade hören – und mit ein wenig simpler Einstellung war es möglich, etwas unerwartete Violinmusik in ihre allabendliche Berieselung einzuführen (und dann und wann einen echt Heavy-Metal-Verzerrungseffekt). Ich war begeistert! Da gab es die Möglichkeit, eine unbeschränkte Anzahl von Minikonzerten zu geben, und jedes davon natürlich live auf "Sendung". Um 7,50 Dollar stand ich im Konkurrenzkampf um den Äther mit dem Big Business – und zumindest ein paar Minuten am Abend war ich der Sieger!

Bzzz–bzzz–krk–Bzzz –––––––––– Klonk.

Aus irgendwelchen Gründen hat das Radio schon immer die jugendlich-delinquente Seite meiner Persönlichkeit angesprochen. Ich habe meinen ersten Radioempfänger im Alter von neun oder zehn Jahren gebaut. Es war ein "Kristall-Empfänger" – eine Zeitschrift namens "Amateur Radio" zeigte einem, wie man's macht, der Mann im Geschäft half mir, die richtigen Teile zu kaufen, und einer meiner Brüder überwachte die Herstellung des Geräts. Der aufregendste Teil der Arbeit war jedenfalls die Installation der Antenne (sie mußte so lang wie möglich sein): Von meinem Schlafzimmerfenster weg wand sie sich über drei ausgewachsene Apfelbäume, um schließlich am Telegraphenmasten auf der Straße festgemacht zu werden. Bei der Nacht lauschte ich dann regelmäßig einigen der wahrscheinlich langweiligsten Radioprogramme aller Zeiten – aber damals hielt ich das alles für großartig. Es war ein Wunder, ich hatte keine Ahnung, wie das alles funktionierte, und auch heute bin ich nicht ganz sicher, wie diese Radiosignale kng kng kng kng Brri––Kng–Bri–rr––Whssssssssssssssssh an meinem Punkt in Raum und Zeit ankommen.

Vor einigen Jahren hat mir jemand eine Postkarte geschickt, auf derstand: Kunst heute – Geld morgen. Und es sieht so aus, als wäre morgen schon jetzt, nachdem fast alle Kunstaktivitäten sich mit der Verpackung und dem Stil beschäftigen. Inhalt? Vergiß es! Sie wissen schon, was ich meine. Wenn jemand damit anfängt, Bananen auf eine Leinwand zu werfen, und das fünf Jahre lang, und noch dazu in New York (noch immer!), dann findet sich irgendwann ein Galeriebesitzer, der sagt "Hey, Sie sind doch der, der die Bananen aufs Bild schmeißt – machen wir eine Ausstellung unter dem Titel 'Throwing' und lassen wir einen Kritiker einen langen Artikel darüber schreiben!" Irgendwann wird dann "Throwing Up" DAS Ding überhaupt – aber nur mit Bananen, versteht sich. Man kann nicht einfach mitten in der Karriere auf Orangen wechseln. Schlürf, Schlürf, Schlürrrrrrrrrrrrrrf. Der erfolgreiche Künstler ist der, der die Medien zu manipulieren versteht, soviel ist – für dieses Jahrzehnt – klar.

Vom Standpunkt der westlichen Kultur aus ist der Schlüssel zu Einfluß und Propaganda zweifellos das Fernsehen. Seine Macht ist immens und unangetastet. Murdochs Channel 9 in Australien sendet das ganze hinterlistige "Good Morning America" – live. Wenn das nicht kultureller Imperialismus ist, möchte ich nicht wissen, was dann, Aber die meisten Leute auf der Welt haben noch kein Fernsehen – aber, abgesehen vom Nahrungsmangel, ein Radio haben sie. Und deswegen sendet jede Regierung jedes Landes auf dieser Welt ihre Version von "Wie es wirklich ist" in möglichst viele andere Länder. Die Kurzwellen-Bänder sind die Tentakel der UN-vereinten Nationen. Das ist ein ernsthafter Propaganda-Krieg: Der möglicherweise Führende dabei ist der Auslandsdienst der BBC (World Service), den einst ein freundliches Mitglied des Politbüros der KPdSU beschrieben hat als einen "freundlichen Besucher, der dir die Hand schüttelt und dann das Kleingeld vom Schreibtisch stiehlt, wenn du aus dem Zimmer gehst". Die hohe Hörerquote des Programms ist wahrscheinlich auf seine Fähigkeit zurückzuführen, eine arrogante angelsächsische Weltsicht hinter einem höflichen "Aber UNS kannst du trauen"-Stil der Präsentation zu verstecken. Das müßte nun wiederum Voice of America vergrämen, (mit nur 16 Millionen Hörern), das seine lächerlichen Verfälschungen nicht tarnen kann. Was Radio Moskau betrifft, so plagt es sich so sehr, mit den anderen Großmächten der Kurzwelle gleichzuziehen, daß es auf Dutzenden von Frequenzen gleichzeitig sendet, mit dem Hintergedanken, die Leute werden schon Radio Moskau – wohl oder übel – erwischen, wenn sie eigentlich die anderen Brüder suchen. Seeeiiooiiooiiuuii–"Hier spricht die Stimme Amerikas. Sie hören die Weltnachrichten – Und hören Sie schon auf zu lachen, hören Sie"––ooiiiuii usw.

Ach ja, die Glaubwürdigkeits-Kluft. Diese Arena des Glaubens macht das Radio für mich zu einer stimulierenden Quelle selbstbezüglicher Ideen. Aber was ist mit der Kunst? Vielleicht ist sie nur Unterhaltung für die Elite. Also scheiß auf KUNST, dreh das Radio wieder auf Klngk–ooiiooii–Sweeooiisssh. Radio Australia hat ein großes Hörerpotential in seiner Zeitzone, aber vielleicht findet eine Milliarde Chinesen die australische Ästhetik nicht ansprechend. Ich darf jedenfalls sagen, daß Radio Peking mindestens einen hingebungsvollen Verehrer hat. Als ich 1982 in Nordaustralien unterwegs war, hörte ich in einem einstündigen Programm ihrer englischen Welle alles über einen berühmten chinesischen Violinisten – das heißt, berühmt ist er in China, der Rest der Welt kennt ihn nicht.

Wo immer man ein Radio hinstellen kann, da kommt auch eins hin. Ich habe so den Verdacht, wo immer man einen Kaffeehaustisch hinstellen kann, da kommt auch Kunst (oder genauer Bücher über Kunst) hin. Aber die Position des Radios im Raum kann den Betrieb des Radios beeinflussen – und seine Bedeutung. In Australien gibt es beispielsweise eine Art "Bermuda-Dreieck des Radios". Ich habe es entdeckt, als ich von Sydney nach Adelaide fuhr. An einer Stelle überquert man hintereinander drei Staatsgrenzen – New South Wales, Victoria und South Australia. In einer Spanne von 15 Minuten wurde mein Radio verrückt.1 Ohne daß ich an der Wellenlänge etwas herumgetan hätte, hörte ich ein postmodernes Konzert, das einem Festival Neuer Musik alle Ehre gemacht hätte. Ein Pool aus fünf oder sechs Radiostationen teilte sich meinen Apparat, die Stationen schalteten sich nach Belieben ein – teils brav in Reihenfolge, teils als lineare Entwicklung, teils als subtile Mischung, dann wieder in Sonatenform. Das war ein Kaleidoskop aus Nachrichten, Ankündigungen, Musiiiiiek, Schafen, Polizei, noch mehr Musiiiiiek, noch mehr Schafen – und jeder Abschnitt dauerte zwischen Sekundenbruchteilen und Ewigkeiten. Es war sensationell, was heißt sensationell, ich sage euch – es war KUNST! –Bah-Bah-krk-Bah-Bah-Bzz-Bah-Krk-Bah-Bah-Bah!

Dabei war das alles nur AM-Radio. Um ein anderes Gefühl für die Position des Radios zu bekommen, muß man nach Berlin schauen, auf das dortige UKW-Band! Wann immer Sie glauben, der Kalte Krieg wäre vorbei, drehen Sie das Radio auf und klick – "Hier spricht RIAS BERLIN (Rundfunk Im Amerikanischen Sektor) – Eine freie Stimme sendet für die freie Welt!" Oder wie wärs mit dem Sender Freies Berlin? Die ganze Stadt existiert überhaupt nur um der Propaganda willen. Die UKW-Skala ist schön zwischen Ost und West geteilt. Für praktisch jede Art von Radiosender gibt es mindestens eine Ost- und eine West-Variante zum Anhören – sie sind fast identisch und auf der Skala nicht selten direkt nebeneinander zu finden. Natürlich, zur Nachrichtensendung und bei anderen politischen Gelegenheiten stehen die vormaligen eineiigen Zwillinge einander dialektisch gegenüber. Yin Yang Dualität, schwarze Noten, weiße Noten, alles ist da.

Aber vielleicht sind Sie ein Freak des Minimalismus – na, dann schauen Sie sich das 90-Meter-Band auf Kurzwelle an –– eins eins eins eins eins null eins eins –– null null eins null null eins null eins –– eins eins eins eins eins null eins eins –– null eins null null null eins eins eins –– eins eins null null eins eins null null –– und so weiter und so weiter. Jawohl, Binäres ist immer und überall.

Und nun wollen wir uns das ganze Gebiet der Klangpoesie, von Performance Art, Fluxus und so ansehen – aber von einem osteuropäischen Standpunkt. Letztes Jahr saß ich da und lauschte höchst ungläubig Radio Sofia, wo eine leere "Laurie-Anderson-Stimme" folgendes in einem Programm – betitelt "Tips für Touristen" – vorlas: Krk Krk – Das längste ununterbrochene Straßenstück Bulgariens liegt zwischen Plovdiv und Dimitrovgrad – es ist über 100 Kilometer lang. Der höchste Baum Bulgariens ist im Osten des Landes bei Kammtsjija zu sehen. Er ist 47 Meter hoch und schon von weitem erkennbar. Die größte Stadt Bulgariens ist Sofia mit 832.576 Einwohnern. Die kleinste Stadt Bulgariens ist Boechin mit derzeit nur 17 registrierten Bewohnern. Bulgarien hat 15.026 Kilometer Eisenbahnstrecken, die sich von Roese im Norden des Landes bis zur türkischen Grenze im Süden und bis Varna im BzzzKrrkBzzzKrrk-iioouu-klunck"

Von diesen Glaubensgrundsätzen ist es nicht weit, live zu Radio Teheran zu wechseln und den einen oder anderen Ayatollah bei der Gebetsshow täglich um 16.00 Uhr anzuhören. Wann immer Khomeinis Name auftauchte, konnte man ein kräftiges SALAVAT (Heil und Gruß sei Mohammed und seinen Nachkommen!) garantieren – woouu-waauu–weeii–wahh. Der Großteil des Radios arbeitet noch nach der Vorstellung, daß der Großteil der Weltbevölkerung tatsächlich glaubt, was man ihm erzählt – und der Kunstmarkt beruht auf denselben Prinzipien. Es gibt keinen Ausweg. Die neuesten Ergebnisse der Gehirnforschung bestätigen die Annahme, daß Neuronen wie Schafe funktionieren – eines hat das Gefühl, es ist hoch an der Zeit, eine Bewegung zu machen, und – hey presto – alle anderen galoppieren blindlings nach. Und bevor Sie es noch wissen, haben Sie ihren Finger bewegt und das Radio wieder angestellt – klungk – Neuronen sind wie Schafe und Schafe werden zur Gewohnheit; wie das Radiohören an sich. Und vielleicht sind Radiosendungen wie Bananen – Wirf nur genug von ihnen auf die Leinwand, irgendetwas bleibt schon hängen und das ist dann Kunst –Whiiuuuuuuuuuuuuuuuu-uuuuuuuuuuuuuuuu!

Aber wo ist die Station mit der "Talk-Back"-Show? Genau dort können die Künstler, die "agents provocateurs", die Boshaften, die neuen Lenny Bruces und die Improvisatoren arbeiten. Jawohl, zumindest manchmal. Und tatsächlich funktioniert das Ganze manchmal so gut, daß der Radio-Moderator seine Show beendet, heimfährt und von den Leuten, denen gar nicht gefallen hat, was er so gesagt hat, mit Schrotflinten zum Teufel geschossen wird. (Lesen Sie "Talked to Death", ein Buch über die Ermordung der "Talk-Back"-Radio-Persönlichkeit – Allen Berg) Aber prinzipiell sind die "Talk-Back"-Sendungen2 dazu da, den Status quo zu bestätigen und um – wie jedermann weiß – zu verkaufen …………

Seifeversicherungbierbankpoliturautofischstäbchenschnapserlhemd ferienschuhehaussexbootkunstdüngerhundefutter––Klunk.

GESTÄNDNIS
  1. Entfernen Sie die Sprechkapsel aus einem gewöhnlichen Telephonapparat.

  2. Kleben Sie die (noch angeschlossene) Sprechkapsel als Mikrophon mit gutem Klebeband an Ihre Violine.

  3. Rufen Sie Ihre örtliche Publikumssendung an – der Nachmittag ist eine gute Zeit dafür.

  4. Kündigen Sie einen ordentlichen Siegespreis (5000 Dollar) für jenen Zuhörer an, der die Melodie identifizieren kann, die Sie jetzt spielen werden.

  5. Spielen Sie, was immer Ihnen gerade einfällt – am Geräusch, das am anderen Ende der Telephonleitung herauskommt, wird sich ohnehin nicht viel ändern.

  6. Sie werden bald abgeschaltet werden.

  7. Schlafen Sie gut und tief.
Ein Freund erzählte mir einmal von einem "Radio Zwischenfall", der sich beim 2MBS FM – PublicRadio in Sydney zugetragen hat. Bei einer Sendung in tiefer Nacht drehte der Präsentator seinen eigenen Radioempfänger im Studio auf (eingestellt auf das recht bekannte reaktionäre Programm einer anderen Radiostation) und sandte es einfach auf seinem eigenen Programm neuerlich aus – garniert mit einem passenden Kommentar, Klangeffekten und ein bißchen Musik. Das Potential dieser simplen (aber wunderschönen) Idee läßt den Geist Purzelbäume schlagen. Die Verzweigungen sind endlos. Das geht über jede Parodie hinaus – das ist seriöse "Interferenz".

Kunst? Könnte entwickelt werden.

Und dabei glaube ich, hat er nicht einmal Violine gespielt.