www.aec.at  
Ars Electronica 1989
Festival-Program 1989
Back to:
Festival 1979-2007
 

 

Transparente Klänge


'Bill Fontana Bill Fontana

"Die für uns wichtigsten Aspekte der Dinge sind durch ihre Einfachheit und Alltäglichkeit verborgen."(1)

Alle meine Klangskulpturen sind experimentelle Situationen in öffentlichen Räumen, die sich mit der Bedeutung von Klängen zum jeweiligen Zeitpunkt auseinandersetzen. Formal geht es darum, Klänge aus der Umgebung wie Fundgegenstände in unerwartete Situationen zu versetzen. Diese wurden sowohl in öffentlichen Räumen als auch in den vielen nebeneinander bestehenden akustischen Räumen, die durch Radiosendungen geschaffen werden, hergestellt.

Das potentielle Vorhandensein oder Fehlen von Bedeutung bei Klängen aus der Umgebung ist eine ästhetische Frage, die mich von Anfang an fasziniert hat. Es ist allgemein bekannt, daß die meisten Menschen im westlichen Kulturkreis traditionellerweise der alltäglichen Erfahrung mit Klängen aus der Umgebung wenig Bedeutung zumessen. Die althergebrachte Unterscheidung von Musik und Geräusch (2) war immer schon Teil unseres Denkens über Klänge. Einem Klang wird üblicherweise nur dann eine Bedeutung zugebilligt, wenn es sich dabei um Teile eines semantischen Zusammenhangs handelt (Sprache, Musik, Signale).(3) Die meisten Klänge aus der Umgebung existieren jedoch im semantischen Vakuum und werden dort als Geräusche (4) aufgefaßt.

Dieses offenbare Fehlen von Bedeutung verleiht Klängen aus der Umgebung kulturelle Transparenz. Dadurch wiederum werden sie wahrnehmungs-interaktiv; solche Eigenschaften kommen zum Tragen, sobald die Klänge aus dem normalen Zusammenhang gerissen werden. Meine neuen Klangskulpturen bedienen sich dieser Interaktion mit der Umgebung, die den Zuhörern ermöglicht, selbst zu experimentieren und dabei die Bedeutung vertrauter Klänge zu verändern.

Öffentliche Räume wie private Räume, in denen man Radiosendungen hört, haben eine lebendige Klangkulisse. Diese Kulisse gilt im allgemeinen als neutral, man schenkt ihr keine Aufmerksamkeit. Stellt man nun eine Klangskulptur in diesen Kontext, kann sich die Beziehung zur Kulisse grundlegend verändern, zumal die Aufmerksamkeit auf den akustischen Hintergrund gelenkt wird. In dem Augenblick, in dem man den akustischen Hintergrund bewußt zur Kenntnis nimmt, verschiebt sich die Bedeutung radikal: Der akustische Hintergrund rückt geistig in den Vordergrund. In diesem Moment wird das Hören zur experimentellen Tätigkeit, die die volle Anteilnahme des Zuhörers fordert. Experimentell deshalb, weil die bequeme geistige Barriere unseres Geräuschbegriffs eine Zeitlang aufgehoben ist und dadurch die Bedeutung momentaner Klänge aus der Umgebung plötzlich zur Unbekannten wird.

Klangskulpturen als Installationen beziehungsweise als Hörbilder im Radio unterscheiden sich insofern voneinander, als die einen öffentlich und die anderen privat erfahrbar sind. Installationen erlebt man in der Öffentlichkeit, wo man die Körperspraehe anderer Personen unter dem Einfluß der Klangskulpturen beobachten kann. Diese Veränderungen der Körpersprache sind oft witzig anzusehen, weil der arglose Zuhörer manchmal eine visuelle Erklärung für ein akustisches Paradoxon zu suchen beginnt. Die Beobachtung der Körpersprache regt den Menschen zur Kommunikation an und läßt sie gemeinsam an der Bedeutungsveränderung ihrer akustischen Umgebung teilhaben.

Radio-Klangskulpturen werden gleichzeitig von vielen Menschen gehört, die einander nicht sehen können. Bei meiner Radio-Klangskulptur "Music from Ordinary Objects" (Australian Broadcasting Corp., 1977) wollte ich über die privaten Aspekte des Radiohörens hinausgehen. Hörer in ganz Australien wurden dazu angeregt, ihre unmittelbare Umgebung als musikalische Ressource zu betrachten und ihnen interessant scheinende Klänge zu suchen. Sie sollten diese Klänge aufnehmen und die Aufnahmen einsenden oder per Telephon einspielen. Die Aufnahme erfolgte mittels Endlosbändern, die jeweils auf zwei Stereotonbandgeräten gespielt wurden. Alle waren unterschiedlich lang und dienten dazu, verschiedene Klangelemente zu wiederholen. Das gesamte eingehende Tonmaterial wurde in einer musikalischen Struktur aus schrittweiser Veränderung und Wiederholung aufbereitet. An den von den Radiohörern aufgenommenen Klängen an sich wurde nichts verändert; die Veränderungen ergaben sich vielmehr durch den neuen Kontext, in dem sie nun als Teil einer vielfältigen Klang-Tapisserie zu hören waren. Seit "Music from Ordinary Objects" habe ich in meiner Arbeit mit Radio-Klangskulpturen die Möglichkeiten, verschiedene Arten von öffentlichen akustischen Räumen miteinander zu verbinden, erforscht. Ich möchte einige beschreiben, aus denen ich Wichtiges gelernt habe.

In "Landscape Sculpture with Fog Horns" (KPFA 1981, NPR 1982) wurden an acht verschiedenen Punkten um die Bucht von San Francisco Mikrophone für Liveaufnahmen aufgebaut, um die akustische Eigenart der Bucht, die Nebelhörner, aufzunehmen. In dieser Klangskulptur wurde die akustische Kulisse der Bucht von San Francisco durch die Fortpflanzung der Nebelhorn-Klänge zu den acht verschiedenen Mikrophonstandorten um die Bucht definiert. Es gab acht verschiedene Phasenverschiebungen zwischen den Mikrophonen und den Nebelhörnern. Auch der Ausstellungsort des Werkes, Fort Mason, unterlag seiner eigenen Phasenverschiebung, so daß eine Interaktion zwischen der Klangskulptur und der Akustik des Ausstellungsortes entstand. Die Liveübertragung der Klangskulptur stellte ebenfalls eine Wechselwirkung her, da die Zuhörer angeregt wurden, die Sendung über Koffer- oder Autoradio im Gebiet um die Bucht zu hören. So konnte eine einmalige Interaktion zwischen der akustischen Umgebung jedes Empfängers und den Nebelhörnern (aufgrund der Phasenverschiebungen wegen der verschiedenen Positionen) hergestellt werden. Die Radiohöler konnten mit der Radiosendung in Wechselwirkung treten, indem sie einfach ihre akustischen Standorte in der Landschaft veränderten.(5)

"Metropolis Köln" (WDR Köln, Hörspiel-Abt., 1985) war ein Live-Klangporträt derStadt Köln. Liveaufnahmen von 18 verschiedenen Orten in Köln wurden simultan auf den Roncalliplatz nächst dem Kölner Dom übertragen. Die Lautsprecher waren auf Balkonen des Doms angebracht. Es entstand so am zentralsten öffentlichen Punkt der Stadt ein ungewöhnliches Nebeneinander von vertrauten Klängen und Geräuschen, die die Menschen niemals gleichzeitig gehört hatten.(6) Wer die Radiofassung hörte, konnte seine eigene Version einer Klangskulptur schaffen, indem er einen akustischen Bezug des eigenen Standortes in der Kölner Landschaft zur Livemischung der Klänge im Radio herstellte.(7)

Meine Arbeiten aus jüngerer Zeit beschäftigen sich stark mit den vielfältigen Berührungspunkten zwischen Radiosendungen und den visuellen und akustischen Ewenschaften von Landschaften. Wann immer eine Klangskulptur im Radio gesendet wird, ergibt sich sofort eine Interaktion mit Tausenden von Klangkontexten aus verschiedenen Umgebungen; es entsteht ein provokatives experimentelles Medium.

(1)
Ludwig Wittgenstein, Philosophische Untersuchungen, in: Werkausgabe, Bd. 1, Frankfurt 1988.zurück

(2)
Es ist nicht weiter überraschend, daß Helmholtz im Vorwort zu seiner Abhandlung "Lehre von den Tonempfindungen" (1862) sinngemäß etwa schreibt, daß "der erste prinzipielle Unterschied zwischen verschiedenen Klängen, die unser Ohr aufnimmt, jener zwischen Geräuschen und musikalischen Klängen ist. Das Säuseln, Heulen und Pfeifen des Windes, das Plätschern von Wasser, das Rollen und Rumpeln von Kutschen sind Beispiele für die erste Art, die Töne aller Musikinstrumente für die zweite. Leider fand es Helmholtz nicht notwendig, die "Lehre von den Tonempfindungen" durch ein Nachfolgewerk unter dem Titel "Die Lehre von den Geräuschempfindungen" zu ergänzen.zurück

(3)
Ich persönlich konnte mit der Trennung Musik/Geräusche nie etwas anfangen. Ich bin der Meinung, daß Alltagsgeräusche eine musikalische Form, kompositorische Beziehungen, eine vielfältige Struktur und Kongruenz besitzen. Bei allen meinen Klangskulpturen habe ich daher versucht, an diesem "tauben Fleck" unserer Kultur anzusetzen.zurück

(4)
Geräuschbelästigung (mit Ausnahme von gefährlichem Lärm) ist ein semantisches Problem und in keiner Weise analog zu Luft- oder Gewässerverschmutzung. Die Beseitigung der Geräuschbelästigung ist eine Aufgabe von Ästhetik und Design.zurück

(5)
Die interessanteste Ausstrahlung von "Landscape with Fog Horns" fand 1982 statt, als KQEID von Mitternacht bis 6 Uhr früh eine ununterbrochene Livemischung ausstrahlte.zurück

(6)
Dabei wurden nicht nur verschiedene Klänge nebeneinandergestellt, sondern auch Klänge und Architektur beziehungsweise Klänge und die Veränderungen unterworfene Körpersprache. Zum Beispiel übertrugen Live-Unterwassermikrophone aus dem Rhein vielfältige Wassergeräusche, die von den Lautsprechern auf dem Dom übertragen wurden. Am Abend ergab sich der Eindruck, der Dom stehe unter Wasser, da er zusätzlich in grünes Licht getaucht war. Über andere Mikrophone im Tiergarten wurden die Stimmen von Affen und exotischen Vögeln übertragen, als ob diese vom Dom kamen. Glocken und Stundenläutwerke aus entfernten Vierteln Kölns erklangen am falschen Ort.zurück

(7)
Während der Liveübertragung im Radio läuteten die Glocken von fünf romanischen Kirchen gleichzeitig zwanzig Minuten lang. Die Simultaneität dieser Glocken veränderte die Klanglandkulisse von Köln besonders stark. Eine besondere Wechselwirkung ergab sich dabei aus derjeweiligen räumlichen Position der Radiohörer.zurück