Videokunst in Australien – Auf dem Weg zu Teletopologien
'Sally Couacoud
Sally Couacoud
Kolonialismus ist Australiens Geschichte und ein Zustand, den auch die elektronischen Medien perpetuieren. Frühere Geschichten von Auslöschung und Assimilierung wiederholen sich in der Reduzierung und Homogenisierung der geographischen Entfernung und der kulturellen Verschiedenheit durch das Fernsehen.
Dieses Fernsehkontinuum, das jeden Begriff von Antipoden zunichte macht und die Australier endotisch statt exotisch darstellt, wird von Paul Vinlio treffend als "Teletopologie" bezeichnet.(1) Die Integration Australiens in diese Teletopologie wird zum Beispiel durch das Logo des Senders Channel Nine veranschaulicht, bei dem die Topographie Australiens als Computerrasterclone von John Carpenters "Escape from New York" dargestellt wird, wobei die Küstenstädte als wichtige Indexmarkierungen auf einem ansonsten dunklen Kontinent ohne besondere Merkmale hervorstechen und dann gleich die neuesten Nachrichten aus Dallas und Miami, den äußeren Vorstädten von Sydney, verlesen werden. Channel Nine wiederum beendet den Tag in Sydney mit einem Good Morning, America.
Wenn es jedoch wahr ist, daß die Australier, wie Eric Michaels betont, eine "verdächtig komplizierte Terminologie für die Abgrenzung der Widersprüche Kolonialismus und Kreativität"(2) entwickelt haben, dann stimmt auch die Aussage, daß gerade in dem Bereich der Videoproduktion diese Widersprüche äußerst überzeugend angesprochen und untersucht werden. Wie Bernie Murphy feststellt, war die Entwicklung von Videokunst in Australien "in gleichem Maß von Unterbrechungen und Löschungen wie auch vonLeistungen gekennzeichnet".(3) Das ist wohl eine sehr treffende Zusammenfassung der allgemeineren Geschichte der australischen Gesellschaft, doch war die Geschichte der australischen Videokunst sicherlich mit Ereignissen und Trends in den weiteren Bereichen von Kunst und Geschichte eng verbunden.
Die Anfangsjahre des Videofilms wurden in Australien, (4) wie auch in den Vereinigten Staaten und in Europa, von Künstlern geprägt, die sich nach Betätigungen in verschiedenen Formen künstlerischen Ausdrucks der späten sechziger und frühen siebziger Jahre, wie Skulptur, konzeptueller Kunst, Performances, Land- und Body Art und der Musik, der Videokunst zuwandten und Video als eine neue und wesentliche Methode zur Gestaltung ihrer Anliegen einsetzten. Gleichzeitig trug das politische Klima jener Zeit dazu bei, daß sozial und politisch motivierte Arbeiten entstanden; unter der Labour-Regierung von Gough Whitlam wurde im ganzen Land ein Netz von Videozentren geschaffen, um "die Gemeinschaft zur Verwendung des Videos als Mittel der sozialen Veränderung anzuregen und zu aktivieren". (5)
Dieser Schwung der frühen siebziger Jahre hielt nicht lange an. Whitlam kam und ging, und mit ihm verschwanden die meisten Videozentren wieder. Als nun die nötigen Strukturen zur Ausstellung, zur Schaffung eines Informations/Videonetzes und der Bereitstellung von Geräten politisch und wirtschaftlich sich nicht verwirklichten, kam es gleichzeitig zu einer neuerlichen Darstellung des Figurativen und Gegenständlichen in der Kunst. Das soll nicht heißen, daß die Videokunst unter dick aufgetragener klebriger Ölfarbe ganz verschwand. Vielmehr wurde ihr Umfang reduziert, sie wurde verfeinert und elastischer; die Dilettanten wurden ausgesiebt, und es blieben die Engagierten; und unter Betonung des "Objekts" wandten sich die Videokünstler zunehmend Installationen in Kunstgalerien als wichtigster Präsentationsform zu.
Von den späten siebziger Jahren bis 1985 war die australische Videokunst eher eine Seltenheit und Randerscheinung. 1985 jedoch kündigten zwei miteinander kaum in Zusammenhang stehende Ereignisse aufregende und wichtige Veränderungen an. Einerseits bildete eine Gruppe von interessierten Künstlern, Lehrern und Galeristen ein Komitee für die Veranstaltung eines alljährlichen Videofestivals. Das erste fand schon im darauffolgenden Jahr statt. Das Festival, bei dem australische und internationale Videoarbeiten gezeigt werden, an dem Künstler, Schriftsteller, Museumsdirektoren und Galeristen (6) teilnehmen und in dessen Rahmen Workshops und Diskussionsveranstaltungen abgehalten und die Anstralian Festival Awards verliehen werden, ist jetzt sowohl ein wichtiger Mittelpunkt und Ansporn für das Entstehen neuer Arbeiten und kritischer Schriften als auch eine Informationsquelle und Verbindungsstelle zu Videoaktivitäten in Übersee.
Zur gleichen Zeit, als in Sydney das Videofestival gegründet wurde, fand in der Wüste Zentralaustraliens ein Ereignis von großer Tragweite statt, nämlich die erste Ausstrahlung einestäglichen Fernsehprogramms durch die Warlpiri Media Association mit Sitz in Yuendumu. Diese Femsehsendungen, die von und für Gemeinden von Aborigines im entlegenen australischen Hinterland gemacht wurden, wurden finanziell nicht unterstützt und waren nicht genehmigt – kurz gesagt, es war privates Fernsehen. Trotz der üblicherweise strengen Kontrolle der Fernsehlizenzen in Australien (es gibt nur fünf Fernsehstationen, zwei staatliche und drei kommerzielle) übersah die Labour-Regierung unter Premier Hawke, die sich prinzipiell der Vertretung der Rechte der Aborigines verschrieben hat, geflissentlich die Illegalität dieses Piratensenders. Inzwischen ist das Fernsehen von Yuendumu und Ernabella legalisiert worden, und im gesamten Hinterland Australiens entstehen immer mehr eigene Sendestationen der Aborigines.
Diese zwei Ereignisse waren für die derzeitige Vermehrung und das Leistungspotential des unabhängigen Videoschaffens in Australien von zentraler Bedeutung.
Ziel dieser Ausstellung bei der Ars Electronica 1989 ist es, sowohl einen Überblick über das Videoschaffen von 1975 bis zur Gegenwart als auch einen Einblick in die Dekolonisationsprozesse vieler australischer Videos zu geben.
Programm 1 ist eine Auswahl von Videos von 1975 bis 1985. Die Arbeiten gehen den frühen Verbindungen der Videokunst mit Performance, Musik, Land and Body Art und den sozialen und politischen Konzepten nach und setzen sich darin zunehmend mit der Beziehung zwischen der Videokunst und ihrer "schrecklichen" Herkunft, dem Fersehen und der Informationsindustrie, auseinander.
Programm 2 enthält eine Auswahl von Videos der Aboriginal Media Association in Yuendumu, Ernabella und Alice Springs sowie Werke von unabhängigen Aborigines-Videoproduzenten. Alle diese Werke bestätigen die Aussage von Clyde Taylor, daß "Dekolonisation eine radikale Kritik an den dominierenden Formen der westlichen Denkweise erfordert" und eine "Post-Ästhetik" notwendig macht. "Darunter versteht man die Weigerung, das westliche Verständnis von Ästhetik und die daraus entstehenden Interpretationsweisen unreflektiert zu übernehmen."(7) Der Essay von Eric Michaels "For a Cultural Future" gibt einen wertvollen Einblick in die Entwicklung von Video und Fernsehen bei den Aborigines und zeigt die Bedeutung dieses Potentials zur Schaffung verschiedener lokaler Alternativen gegenüber dem dominierenden weißen, kolonialen, über Satelliten ausgestrahlten System. Er schafft die Voraussetzung für ein Verständnis der Wirkungsweisen der Ästhetik der Aborigines.
Programm 3 stellt eine Auswahl zeitgenössischer Videos vor und zeigt die große Sorge der australisehen Videoproduzenten über die Medienlandschuft. Technologie wird als Geschwindigkeit charakterisiert, aber mit Videorecordern und Fernbedienung kann die Geschwindigkeit normal, rückwärts oder schnell-vorwärts laufen, wodurch möglich ist, was McKenzie Wark in seinem Text "Ein Globus von Dörfern" (A Globe of Villages) als beabsichtigtes Zurückschlagen des kolonisierten Bewußtseins bezeichnet. Wenn weiße Australier als Kolonisatoren wie auch als Kolonisierte – nach zwei Seiten gebunden sind, so arbeiten sie doch in einer Situation, in der, wie Ian Burn aufzeigt, "die Bedingungen der Postmoderne einer richtigen Entwicklung von Modernismus in Australien vorausgegangen sind (und diese jetzt verhindern)". (8) Unter solchen Bedingungen wird der Postproduktion als einer Form von Collage oder Neu-Arrangement der Vorzug vor der Produktion gegeben, während im Vergleich dazu die Post-Produktion in der Videokunst der Aborigines im Hinterland kaum von Bedeutung ist.
Dennoch belegen alle diese Videos, daß dem Lokalen erneut Wert zugestanden wird. Ein "Gefühl für den Ort" ist auszumachen in der unredigierten Aufzeichnung einer "dreaming"-Zeremonie wie auch zwischen den Zeilen von bewilligten, neu bearbeiteten Kung-Fu-Filmen oder CBS-Kurznachrichten. Ein Gefühl von Zugehörigkeit zum Ort, das das kolonisierende Wesen der Medienlandschaft erkennt, aber dennoch darauf besteht, diese Landschaft neu darzustellen, in der Tat darauf besteht, daß mehrere verschiedene Landschaften oder "Teletopologien" nötig sind.
(1) Paul Virilio, L'Espace Critique, Christian Bourgeois (Ed.), Paris 1984, S. 89.zurück
(2) Eric Michaels, Bad Aboriginal Art, in: Arland Text 28, 1988, S.59.zurück
(3) Bernice Murphy, Towards a History of Australian Video, in: Katalog des Australian Video Festival, 1986, S. 17.zurück
(4) Eine umfassende Geschichte des australischen Videos muß erst abgeschlossen werden. Inzwischen empfehle ich: Stephen Jones, Some Notes on the Early History of the Independent Video Scene in Australia, in: Katalog des Australian Video Festival, 1986.zurück
(5) Ebd., S. 24.zurück
(6) Diese Kustoden waren für moderne Kunst zuständig, es gibt in den National- oder Staatsgalerien noch immer keine Kustodenstelle für Video oder Film.zurück
(7) Clyde Taylor, The Muster Text and the Jeddi Doctrine, in: Screen. Band 29, Nn 4. 1988, S. 96.zurück
(8) Ian Burns, The Re-appropriation of Influence, in: Katalog der Australian Biennale, 1988, S. 47.zurück
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