Unknown Creature No.2 Cockroach / Unknown Creature No.18 Multiped

Unknown Creature No2 cockroach

Unknown Creature No.18. Multiped

Shen Shaomin
http://www.shenshaomin.com

SHEN SHAOMIN, “BONES OF CONTENTION”

John McDonald

Shen Shaomins Skelettskulpturen imaginärer Wesen erinnern an die von Darwins „gefährlicher Idee“ ausgelösten Debatten und gemahnen an die Faust’schen Umtriebe der modernen Wissenschaft. Die bei Ausgrabungen gefundenen Knochenreste von Menschen und Tieren sind zentrale und nachhaltige Beweise für deren Existenz. Sie dienen als Beleg für menschliches und tierisches Leben und in den Händen der Forensiker liefern sie Aufschluss über Aussehen und Körpereigenschaften jener Wesen, deren Körper sie einst stützten. Sie liefern jedoch keine Informationen über die Wesenszüge oder die Persönlichkeit, die diese Knochen einst umhüllten. Wissenschaft basiert auf Fakten; sie überlässt es der Kunst, sich mit Gedankenkonstrukten und Gefühlen auseinanderzusetzen. Shaomins Arbeiten sind insofern vermessen, als der Künstler die Rolle des Naturwissenschaftlers übernimmt. Er führt uns in ein Museum der Relikte, die, so scheint es auf den ersten Blick, aus archäologischen Funden stammen. Wir sehen eine Menagerie von Skeletten vor uns, die in dieser Form nie existierten, auch wenn Knochen und Tiermehl der Skulpturen von echten Tieren stammen. Dies verleiht den von ihm geschaffenen Geschöpfen eine verblüffende Echtheit. Sie erinnern auf unheimliche Weise an Frankensteins Experimente, der aus den Überresten von Toten neues Leben schaffen wollte.

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Shaomins Werke sind beeindruckend, weil er seltsam anmutende Hybride aus verschiedenen Arten kreiert und mit den gängigen Erwartungen an die Größe dieser Wesen bricht. Manche seiner Skulpturen ähneln – wie die glupschäugigen Monster aus B-Movies – riesigen Insekten; und erinnern gleichzeitig oft an Fische oder andere Tiere. Die vielen kleinen Komponenten von Installationen wie „Experimental Field No. 2“ sind Hybride aus Tieren und Gemüsesorten, etwa als ob den Blättern eines Chinakohlkopfs kleine Wesen mit scharfen Klauen entspringen würden. In einem anderen Werk zeigt Shaomin Säuglingsskelette in Kokons, die wie riesige Erbsen anmuten. Diese Cluster-Skulpturen sind ungleich verstörender als die großen Einzelwerke, da sie ein von anonymen Kräften im Hintergrund gelenktes Zuchtprogramm andeuten.

Diese Werke dienen als Warnung vor einer außer Kontrolle geratenden Wissenschaft. Ihre Gestaltung zeigt aber ebenso eine unglaubliche Liebe zum Detail, wie bei einem Theaterstück: Jedes Exponat fungiert als Requisite in einer uns unbekannten Erzählung. Shaomin möchte nie eine völlig lebensechte Kopie schaffen, wie dies manche Bildhauer, etwa Ron Mueck, versuchen – er zeigt lediglich die sterblichen Überreste des Lebens. Die von ihm geschaffenen Wesen sind nicht nur tot, sondern wurden wie bei einer plötzlichen eintretenden Katastrophe petrifiziert, wie beim Ausbruch des Vesuvs in Pompeji die Menschen in der Vulkanasche konserviert wurden. Er will damit vor den potenziell tödlichen Folgen warnen, die eintreten könnten, wenn Wissenschaftler leichtsinnig mit dem globalen Genpool experimentieren.

In den Werken dieses chinesischen Künstlers zeigt sich eine doppelte Ironie, da ausgerechnet China zu jenen Ländern zählt, in denen die Naturressourcen der Erde rücksichtslos ausgebeutet werden. Maos prometheusartige Vision sah die Natur als widerspenstige, unbändige Ressource, die sich der Mensch mit allen Mitteln untertan machen muss. Große Teile Chinas werden noch lange an den Folgen der Umweltverschmutzung leiden. Mit der Einführung der Marktwirtschaft und dem raschen Aufstieg Chinas zu einem der größten industriellen Rohstoffkonsumenten könnte sich die Situation noch wesentlich verschlimmern. Eine weitere Ironie dieser Werke ist vielleicht, dass Shaomin als Vorarbeiter eines Teams von Helfern seine Skulpturen in einer alten Fabrik in einer Industriestadt im Norden Chinas herstellt.

Handel und Industrie könnten in China weiter zulegen. China vermittelt internationalen Museen auch weiterhin Sammlungen archäologischer Funde. Sogar während der schlimmsten Phasen der Kulturrevolution waren die chinesischen Behörden stets bereit neu entdeckte Funde in Ausstellungen zu präsentieren, um ihrem Interesse am chinesischen Nationalerbe Ausdruck zu verleihen. In offeneren und freundlicheren Zeiten florieren derartige Veranstaltungen. Viele Besucher, die im Juni 2004 Shaomins Skulpturen in der „Gallery 4a“ in Sydney sahen, besuchten vielleicht letztes Jahr auch eine Ausstellung chinesischer Dinosaurierknochen im „Australian Museum“. Es ist schwierig zu entscheiden, ob man die Unterschiede oder die Ähnlichkeiten zwischen diesen beiden Ausstellungen unterstreichen soll. Shaomin parodiert auf beeindruckende Weise die anmaßende Überheblichkeit der Wissenschaft und den zeitlosen Reiz der Dinosaurierausstellung. Er zeigt anschaulich die Schnittflächen zwischen Wissenschaft und Volkskultur auf – unsere Faszination für die Skelette bereits ausgestorbener Ungeheuer und jene kleinen, unheimlichen Genexperimente, die noch ihrer Umsetzung harren.

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