TOTAL RECALL Exhibition

Brucknerhaus
Do 5. 9. 10:00 – 19:00
Fr 6. 10:00 – 17:30
Sa 7. 9. 10:00 – 17:00
So 8. – Mo 9. 9. 10:00 – 19:00

Viele Zugänge zum Festivalthema bietet die TOTAL RECALL Exhibition. Sie zeigt Arbeiten und präsentiert Projekte zu verschiedensten Formen des Erinnerns – vom menschlichen über das kulturelle Gedächtnis hin zu diversen Speichermedien.

Gegen das Vergessen

Yad Vashem in Jerusalem ist die bedeutendste Gedenk- und Forschungsstätte zur nationalsozialistischen Judenvernichtung. Zu ihr zählt neben der „Halle der Erinnerung“ auch ein Online-Archiv mit den Namen und Bildern vieler der abermillionen Opfer. Die TOTAL RECALL Exhibition bietet Zugriff auf die Yad-Vashem-Datenbank und erinnert in Form einer Slideshow an die Opfer der NS-Diktatur, von denen zahlreiche in Oberösterreich im KZ Mauthausen und seinen Nebenlagern umgekommen sind.

Nahe Linz in Alkoven diente das Renaissance-Schloss Hartheim von 1940 bis 1944 als NS-Euthanasieanstalt. Hier wurden an die 30.000 körperlich und geistig beeinträchtigte oder psychisch kranke Menschen sowie KZ-Häftlinge und ZwangsarbeiterInnen gezielt ermordet. Heute ist Hartheim ein Lern- und Gedenkort. Dorthin führt im Rahmen der TOTAL RECALL Exhibition die Memory Tour Hartheim mit Führungen durch diese Stätte des Erinnerns.

Das digitale Gedächtnis

Google verspricht, zum digitalen Gedächtnis der Menschheit zu werden (und zeichnet sich auch beim Umgang mit NutzerInnendaten durch hartnäckiges Erinnern aus). Längst setzen sich MedienkünstlerInnen und NetzaktivistInnen mit dem Datengiganten auseinander – oft kritisch und bisweilen auch erfrischend ironisch.

Google hat mit dem Google Inactive Account Manager ein Service geschaffen, das vorab vom den NutzerInnen ausgewählten Kontakte benachrichtigt, wenn ein Google-Account eine bestimmte Zeit lang nicht mehr genutzt und sozusagen dem Vergessen anheim gefallen ist.

Wer das Digitalisieren z. B. des literarischen Kulturerbes nicht Google Books allein überlassen will, kann seinen Bücherbestand selbst digitalisieren. Ganz einfach geht das mit dem DIYBookScanner, den Daniel Reetz (US) mit günstigen Kompaktkameras und freeware gebaut hat.

Ego-Entblößung und Erinnerungen

Facebook-Kontakte stehen Modell für die Porträts, die im virtuellen Museum of Me hängen: Das Feature von Intel stellt das persönliche Facebook-Netzwerk als Online-Porträtgalerie dar und bildet so das eigene Sozialleben im Netz samt digitalem Fußabdruck plastisch ab.


Um seinen Rechner und damit einen Teil seiner Erinnerungen vor Hackern, Schnüfflern und Zensoren zu schützen, hat Hiroto Ikeuchi (JP) das Schreibtisch-Diorama Fantasy captured in plastic model erbaut, in dem Spielzeugsoldaten Wache halten.

Der sorglose Umgang mit persönlichen Daten und der oft zwanghafte Drang zur Selbstentblößung in sozialen Netzwerken treibt die Künstlerin Doris Graf (DE) um. Für ihre Pikträts fragt sie in Interviews mit BesucherInnen auch beim Ars Electronica Festival unverblümt nach jenen Daten, die im Web gerne mit den nüchternen Formularen der Datensammler erhoben werden und stellt die Eigenschaften und Charakteristika ihrer Gesprächspartner in Form von Piktogrammen dar. Die Zusammenschau der gerahmten und in Reih und Glied arrangierten Pikträts machen augenfällig, wie sehr die menschliche Individualität allen Persönlichkeitsentfaltungsversprechen zum Trotz im Internet auf wenige Fakten zum Zwecke der ökonomischen Verwertbarkeit reduziert wird.

Den umgekehrten Weg beschreitet Werner Pfeffer (AT), der für sein Archiv der Lebenserfahrungen Lebensgeschichten sammelt und die AusstellungsbesucherInnen einlädt, ihre persönliche Geschichte zu erzählen.

Ein Baumwunder und ein Android

Ein sehr spezielles Andenken bewahrt die japanische Stadt Rikuzentakata jenem Miracle Pine Tree, der als einziger (!) von 70.000 Pinien den Tsunami nach dem Beben 2011 überstand. Der inzwischen abgestorbene Baum ist in Originalform und -größe restauriert worden; das Replikat hat den Platz des Originals eingenommen.


Eine Art japanisches Nationalheiligtum für sich ist der Meister Beicho Katsura III, der die Rakugo genannte uralte japanische Rezitationskunst wie kein zweiter beherrscht. Der täuschend ähnliche Beicho Android des Robotikgenies Hiroshi Ishiguro (JP) nimmt es mit seinem menschlichen Vorbild in jeder Hinsicht auf – und ist zugleich eine Hommage an Beicho.

Kamera-Arbeit

Was die visuelle Vermittlung von Kunst und Kunstgeschichte betrifft, ist Ikono.TV (DE) eine Klasse für sich. In einzigartiger ästhetischer wie technischer Qualität und ganz ohne belehrende Worte aus dem Off setzt Deutschlands erster reiner Kunstkanal Kunstwerke, Festivals und KünstlerInnen in Szene.

Into Eternity von Michael Madsen (DK) ist ein Dokumentarfilm über Onkalo in Finnland, das weltweit erste Endlager für radioaktive Abfälle. Und ein Film über die Frage, wie man unseren Nachfahren in z.B. 100.000 Jahren eine Gebrauchsanweisung dafür hinterlässt.

Das filmische Gegenstück dazu ist die Dokumentation Diverseeds von Markus Schmidt (AT) über die Erhaltung der Saatgut- und Sortenvielfalt in Asien und Europa.

Aus dem Technischen Museum Wien (AT) kommen zwei bemerkenswerte Artefakte: ein Stereoskop und eine Kamera für Stereofotografie. Mit einer neuen Aufzeichungsmethode beschäftigt sich Oliver Bimber (AT): Die Lichtfeldfotografie mittels selbstgebauter Lichtfeld- und Lytro-Kamera erfasst die Lichtverteilung im gesamten Raum und liefert reichhaltige Dateien, die eine völlig neue Bildspeicherung ermöglichen.

The Room of Gazes von Mariano Sardón und Mariano Sigman (AR) geht mithilfe von Eyetracking der Frage nach, wie sich Menschen ansehen und wie sich gegenseitig erkennen.

Die gute alte Schallplatte

Superlativverdächtig ist die Oldest Record of History, die nur auf einem Foto erhalten geblieben war. Patrick Feaster (US) gelang es allein anhand dieses Bildes, die Schallplatte quasi nachzubauen und die darauf enthaltene Sprachaufnahme zu rekonstruieren.

Nicht weniger bemerkenswert ist die auf Vinyl gepresste Quotidian Record, eine akustische Autobiografie von Brian House (US). Sie enthält Aufnahmen von allen Orten, an denen sich House während eines Jahres aufgehalten hat. Das Jahr auf der LP vergeht allerdings im Zeitraffer: 1 Umdrehung = 1 Tag, was die 365 Tage des Jahres zu 11 Minuten Spielzeit verdichtet.

Weltdarstellungen


Ebenfalls im Zeitraffer, und zwar in 30 Minuten, führt das Prix-Ars-Electronica-Preisträgerprojekt The Sound of the Earth von Yuri Suzuki (JP) einmal um die ganze Welt. Jedes Land ist auf dieser abspielbaren Weltkarte mit eigenen Klängen vertreten, die von Volksmusik über Hymnen und Pop bis zu Ausschnitten aus Radiosendungen reichen.

Das World Map Archive ist das einzige Archiv für erste Versuche, eine Weltkarte zu zeichnen. Seit vielen Jahren sammelt Benjamin Pollach (DE) solche Prototypen etwa aus Peru, Bangladesch, Mexiko und Kalifornien und präsentiert sie hier erstmals der Öffentlichkeit.

Hommagen ans Tonband

Eine Augenweide und eine Hommage an das analoge Tonband ist die Installation Toki Ori Ori Nasu – Falling Records von Ei Wada (JP) mit hochkant auf Stelen stehenden Bandmaschinen. Von hier aus fallen die abgespielten Tonbänder lose nach unten und falten sich in einer Glasvitrine zu faszinierenden verschlungenen Mustern und Geweben.

Mit einem ebenfalls schon aus dem Alltag verschwundenen Medium arbeiten Michelle Ngai, Keith Lam und Dimension+ (HK/TW), und zwar mit der Kassette: Device Playing – Cassette Recorder (II) übersetzt das Magnetfeld zwischen dem Magnetkopf eines Kassettenrecorders und dem magnetischen Tonband in Sound, der sich mit der zu- und abnehmenden Stärke des Magnetfelds verändert und auf iPods übertragen wird.

Auch Yusuke Tominaka, Shigeki Shimizu, Yusuke Nakamura, Atsushi Msamori und Hiroya Tanaka vom Hiroya Tanaka Laboratory (JP) lassen Klang räumlich Gestalt annehmen: Wave Form Media ist ein Verfahren, um aus Schallwellen – etwa von Musikaufnahmen – individuell gestaltbare Objekte zu machen, die sich wie ein Schmuckstück tragen lassen und es erlauben, das ursprüngliche Tonmaterial immer wieder abzuspielen.

Gehirnwelten und DNA-Kunst

Mit dem Big Brain Project hat sich Joaquin Fargas (AR) die Erschaffung eines Weltgehirns zum Ziel gesetzt: Dafür sollen in möglichst vielen Labors neuronale Zellen kultiviert und aktiviert werden, wobei das Ars Electronica Center und die Maimonides Universität in Buenos Aires (AR) den Anfang machen. Diese Zellen werden via Web miteinander verbunden – die digitale Verbindung übernimmt die Rolle der Synapse.

Unter dem Titel Beautiful Minds: The Psychology of the Savant haben Petra Höfera (DE) und Freddie Röckenhaus (DE) eine ausfürliche Fernsehdokumentation über Menschen mit dem Savant-Syndrom – einer besser unter dem Begriff Inselbegabung bekannten autistischen Entwicklungsstörung – gedreht, die oft zu überragenden Gedächtnisleistungen fähig sind.


Echte Gehirne aus den Präparatbeständen des Naturhistorischen Museums Wien (AT) gibt es in der Gehirngallerie zu sehen. Ihnen steht die per ultrahochaufgelöstem Scan geschaffene erste digitale 3-D-Rekonstruktion eines menschlichen Gehirns gegenüber.

Im öffentlichen Raum aufgefundene DNA-Spuren Fremder sind das Ausgangsmaterial, aus dem Heather Dewey-Hagborg (US) die Porträtskulpturen ihrer Reihe Stranger Visions gestaltet. Damit macht sie die Gedächtnisfunktion der DNA ebenso bewusst wie die Gefahr einer genetischen Überwachungskultur.

Das Suspect Inversion Center von Prix-Ars-Electronica-Preisträger Paul Vanouse (US) ist ein offenes Labor, in dem aus der DNA des Künstlers Kopien der historischen DNA-Bilder aus dem Mordprozess gegen O.J. Simpson 1995 entstehen.

Leberflecken, Pilze und Zellen

Die Installation bodymetries von Theresa Schubert (DE), Moritz Dreßler (DE) und Michael Markert (DE) lädt zur Interaktion mit einer Computersimulation, die dem protoplasmischen Gewebe des azellulären Schleimpilzes Physarum polycephalum Konfigurationen menschlicher Leberflecken zuordnet und so eine alternative Methode der dezentralen Zellorganisation auf den menschlichen Körper überträgt.

Der Wissenschaftler Reinhard Nestelbacher (AT) verändert für The Cell Camera menschliche Zellen und kultiviert sie als einzellige Schicht. Chemikalien aus der Krebstherapie sensibilisieren diese Zellen auf Licht. Unter mit Laborlicht belichteten Schwarz-weiß-Negativen formieren sich die Zellen analog zum Negativ zu einem Bild.

Brucknerhaus
Do 5. 9. 10:00 – 19:00
Fr 6. – Sa 7. 9. 10:00 – 17:30
So 8. – Mo 9. 9. 10:00 – 19:00

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