Vom 5. – 9. September stehen eines der größten Geheimnisse der Wissenschaft und eine der größten technischen Herausforderungen im Mittelpunkt der Ars Electronica 2013: Erinnerung und ihre Speicherung – was ist Erinnerung, wie entsteht Gedächtnis und wie geht es verloren? In der Natur, in der Technologie, in der Zukunft.

Unter dem Titel TOTAL RECALL begibt sich die Ars Electronica 2013 auf die Suche nach dem perfekten Gedächtnis, befragt HirnforscherInnen und ComputerwissenschaftlerInnen, KünstlerInnen und PhilosophInnen nach ihren Zugängen, neuesten Erkenntnissen und Interpretationen, nach ihren Plänen und Visionen für eine Zukunft, in der wir alles speichern können.

Doch wie erforscht man das Erinnern und wie weit verstehen wir es überhaupt schon? Was ist Connectomforschung und was ist ein Jennifer Aniston Neuron? Wie entsteht Erinnerung in unserem Gehirn und wie geht sie verloren? Gibt es Aussicht, Demenz und Alzheimer einst heilen oder zumindest verhindern zu können?

Wie steht es mit dem schon so lange anstehenden Versprechen, das menschliche Gehirn nachzubilden und künstliche Intelligenz zu schaffen?
Welche Techniken sind die Zukunft der Datenspeicherung?
Werden wir die unvorstellbaren Mengen an Information jemals wieder auswerten können? Und was passiert wenn es plötzlich keinen Strom mehr gibt?

Wenn wir künstliche Intelligenz zustande bringen, was fangen wir dann damit an, und mit welchen Fernsehsendungen werden sich diese künstlichen Intelligenzen dann die Zeit vertreiben?
Wenn alles über uns gespeichert und verknüpft wird und von jedem jederzeit abrufbar ist, welche Gesellschaft wird daraus entstehen? Wem gehören dann all diese Erinnerungen und wer wird damit viel Geld verdienen?
Wird es ein Menschenrecht auf Vergessen geben?
Welche Erinnerungspolitik werden wir pflegen?
Welche sind die aktuellen Projekte und Visionen, um das menschliche Kulturerbe zu speichern und für die Nachwelt zu erhalten, welche Methoden werden in Zukunft dafür zum Einsatz kommen?
Kann man eine verlässliche Speicherung nicht nur für Jahrhunderte sondern für Jahrtausende überhaupt bewerkstelligen, und warum wollen wir das eigentlich?

Ein paar Zahlenspiele und Vergleiche als Einstimmung auf das Thema

Das ist ein Byte: 01000001 – acht Kombinationen von 0 und 1 erlauben 256 verschiedene Kombinationen und damit kann man wie in diesem Fall die Zahl 65 darstellen und ihr den Buchstaben A zuordnen. Mit dieser seit dem 3.Jh. bekannten binären Darstellung kann jede Information einfach und effizient in digitalen Schaltkreisen gespeichert werden.

1.048.576 solcher Bytes ergeben ein MegaByte und das aufzuschreiben, würde bereits 8.388.608 Zeichen benötigen. Mit einer durchschnittlichen Schriftgröße, wie sie für diesen Text verwendet wird, bringt man etwa 5.500 Zeichen auf eine Din A4 Seite und würde somit 1.525 Seiten dafür benötigen – aber das wäre gerade mal 1 MB, also viel weniger als jedes Handyfoto benötigt, bzw. gerade mal 6 Sekunden Musik von einer CD.

6 MB groß waren die Programme, die bei IBM für die Mondlandung geschrieben wurden („the most complex software ever written“) das ist so viel, wie gerade mal zwei Schnappschüsse mit einem modernen Smartphone.

Das menschliche Genom repräsentiert eine Datenmenge von 800 MB und die Teile davon, die uns Menschen voneinander unterscheiden, kann man mit ein wenig Geschick auf 4 MB unterbringen.

Die Menge an Daten, die von der Menschheit bis dato gespeichert wurden, (also nicht bloß erzeugt, sondern gespeichert und nach wie vor abrufbar, und ja, inklusive der noch erhaltenen Schrifttafeln) wird auf 2,7 ZettaByte geschätzt und es erübrigt sich wohl darauf hinzuweisen, dass weniger als ein Prozent davon nicht digital sind. 2,7 ZettaByte das ist dann die Zahl mit 21 Nullen dran und mit den DinA4 Seiten die man dafür benötigen würde, könnte man unsere Erde 500mal einwickeln.

2007 waren es noch 295 ExaByte, 2010 berichtete man vom Überschreiten der 1 Zettabyte Grenze und bis 2015 schätzt man ein Anwachsen auf 8 ZettaByte. Und bis 2016 werden so viele Videos pro Monat im Netz zirkulieren, dass man 6 Mio. Jahre bräuchte, um sie zu sehen. Dann werden in allein diesem Jahr so viele Daten durchs Internet laufen wie bislang überhaupt jemals gespeichert wurden.

Mit den neuesten Möglichkeiten der Biotechnologie ist es bereits erfolgreich gelungen, digitale Informationen in DNA abzuspeichern. Damit lassen sich in Zukunft 100 Millionen Stunden HD-Videomaterial in einer einzigen Tasse DNA speichern.

Doch was tun wir mit all diesen Daten und was unterscheidet gespeicherte Daten von Erinnerung, von Gedächtnis? Was ist eigentlich Gedächtnis, wie funktionieren neuronale Netzwerke, von den einfachsten Lebensformen bis zum Superhirn des Homo Sapiens?

Das perfekte Gedächtnis der Natur ist die DNA, mit der sie sich nicht nur selbst repliziert, sondern auch weiterentwickelt. Aber ist nicht letztlich jedes Wasserstoffatom ein hundertprozentig exaktes und abrufbares Gedächtnis, in dem der Moment kurz nach dem Urknall (380.000 Jahre glauben die Wissenschaftlerinnen) festgehalten ist, als das Universum erstmals soweit abgekühlt war, dass sich die Elementarteilchen zu Atomen zusammenfinden konnten und alles begann Form anzunehmen? Oder ist doch erst die Sprache der Grundstein für die Weitergabe von Wissen und Bewahrung von Erinnerung?

„Recording“, unser technischer Begriff für das Aufzeichnen von Informationen, kommt von den zwei Silben „re“ und „cor“ und erinnert daran, dass man einst glaubte, die Erinnerungen wären in unserem Herzen gespeichert – eventuell eine hilfreiche Assoziation, wenn es immer mehr darum geht zu entscheiden, was uns aus der unendlichen Datenflut tatsächlich interessieren, berühren soll. Doch wo sitzt Erinnerung nun wirklich, wir wissen es nicht.

Von Ronald Reagan weiß man, dass er in seinem Wahlkampf 1980 immer wieder mit großer Überzeugung ein Kriegserlebnis geschildert hat, das aber, obwohl er selbst anscheinend fest daran glaubte, bloß die Handlung eines Hollywoodfilms war, die er aber für sich verinnerlicht und zu seiner Erinnerung gemacht hatte. WissenschaftlerInnen haben mittlerweile mit vielen Experimenten nachgewiesen, dass unsere Erinnerungen alles andere als objektive Aufzeichnungen des tatsächlich Geschehenen sind. Demnach auch nicht etwas, das abgelegt ist wie ein Buch in einem Regal, sondern jedes Mal wieder ein in Echtzeit entstehendes Konstrukt unseres Gehirns. Das Gehirn spielt also nicht die Rolle einer Lagerstätte oder gar des Bewusstseins selbst. Vielmehr ist das Gehirn der Verbindungspunkt zwischen dem Individuum und seinem Umfeld, und aus den Prozessen dieser Verbindung entstehen Erinnerung und Bewusstsein andauernd neu.